Finanzen

[278] Finanzen, heißen 1) die Mittel, welche ein Staat od. überhaupt ein Gemeinwesen, z.B. eine Stadt, zur Bestreitung seiner Ausgaben besitzt; 2) die Gesammtheit aller Anstalten u. Einrichtungen, welche sich auf die Befriedigung der Staatsbedürfnisse mittelst sachlicher Güter, den Staatshaushalt beziehen. Das Wort stammt aus dem Mittellateinischen, Financia (auch Financio), eine Geldleistung, u. kommt von Finare her, welches eine Geldzahlung leisten u. sich über die Zahlung einer bestimm ten Geldsumme vertragen bedeutet, daher auch Finacio, ein solcher Vertrag über eine bestimmte zu zahlende Geldsumme. Finare aber ist eine Nebenform zu Finire u. kommt von Finis, welches dort eine Geldsumme bedeutet, welche entweder dem Lehnsherrn für die Erlaubniß, das Lehn auf einen Andern überzutragen, od. auch bei Übernahme eines Gutes von dem Vasallen an den Herrn od. von dem Pachter an den Verpachter gezahlt wird. Nur bei einem ganz uranfänglichen Zustande des Staatslebens kann ein Staat ohne alles Finanzwesen existiren. Je complicirter aber derselbe wird, jemehr Aufgaben u. Ansprüche der Staatsgewalt gestellt werden, um so mehr bedarf der Staat dann auch materieller Mittel, um die Staatszwecke zu erfüllen u. denselben gerecht zu werden. Der Staat muß daher eine Wirthschaft beginnen, muß sich ein Vermögen verschaffen, um die entstehenden Ausgaben decken zu können, u. Mittel aufsuchen, wo das Vermögen sich nicht als zureichend erweist, den Mangel durch neue Einnahmen zu docken. Diese Befugniß des Staates, welche sich aus seiner äußerlichen Existenz von selbst als eine Nothwendigkeit erweist, pflegt man als Finanzhoheit (Potestas cameralis) zu bezeichnen; die Grundsätze aber, welche anzuwenden sind, um der Regierungswirthschaft die beste Einrichtung zu geben u. das vorhandene Bedürfniß in dieser Richtung am angemessensten zu befriedigen, lehrt die Finanzwissenschaft, Finanzkunde. Dieselbe unterscheidet sich daher wesentlich noch von der Volkswirthschaftslehre (politischen od. Nationalökonomie), indem man unter letzterer die Lehre von den Grundsätzen versteht, nach welchen sich das materielle Wohlbefinden eines gesammten Volkes bestimmt, wenn auch aus diesem Begriffe sich von selbst ergibt, daß beide Wissenschaften (Finanzwissenschaft u. Nationalökonomie) in innigstem Zusammenhange stehen. Die Finanzwissenschaft bedarf bei ihrer praktischen Anwendung auf einen einzelnen Staat immer der genauesten Kenntniß der materiellen Kräfte u. wirthschaftlichen Zustände des Volkes, um danach mit Sicherheit beurtheilen zu können, theils welcher Art das finanzielle Bedürfniß ist, theils in welcher Art u. Weise die Mittel zur Befriedigung desselben, namentlich ohne zu große Beschwerung der Unterthanen, zu beschaffen seien. Umgekehrt hängt das materielle Wohl der Unterthanen offenbar wieder wesentlich davon ab, daß die Staatsgewalt bei Gewinnung dieser Mittel gerecht, billig u. verständig zu Werke gehe u. diese Mittel in ebenso gerechter u. verständiger Weise zur Erfüllung der ihr obliegenden Verpflichtungen verwende. Eine gute, dem Bedürfnisse des Staates wie den Kräften des Volks gleich Rechnung tragende Finanzverwaltung bildet daher einen der vorzüglichsten Hebel für den Flor u. das Gedeihen eines jeden Staatswesens. Dennoch ist eine wahrhaft nationale, zugleich auf sittlicher Grundlage beruhende Behandlung der F. erst ein Gewinn der neueren Zeit. Dem ganzen Alterthum war eine solche Behandlung fremd; man nahm bei vorhandenem Bedürfnisse, wo sich die Gelegenheit dazu bot, u. verwendete ebenso meist nur nach der augenblicklichen Noth. Auch im Mittelalter findet sich eine principmäßigere Behandlung des Finanzwesens nicht, was sich indessen hier noch leichter als im Alterthum dadurch erklärt, daß der Lehns- u. später ebenso der Patrimonialstaat die Bedürfnisse des Regierenden mehr unter den Gesichtspunkt einer reinen Privatwirthschaft stellen ließ. Erst im 17. Jahrh. begannen, in Verbindung mit der Wiederbelebung der polnischen Wissenschaften überhaupt, eingehendere Studien über das Finanzwesen. Doch waren diese Anfänge zunächst ziemlich unvollkommen, u. noch im 18. Jahrh. schien man es fast als die alleinige Aufgabe des Finanzmannes zu betrachten, nur größtmögliche Summen zusammenzubringen, als daß man dabei von tieferen Gedanken über die eigentliche Natur der Regierungswirthschaft ausgegangen u. ihres Zweckes u. der daran sich anschließenden Folgesätze bewußt geworden wäre. Fortwährend behielt daher der Ausdruck F. eine ziemlich zweideutige Nebenbedeutung, indem man damit allgemein den Begriff von hinterlistigen Ränken u. einer unedlen Plusmacherei verband. Erst Adam Smith (s.d.) gebührt das Verdienst, durch Entwickelung der volkswirthschaftlichen Seite des Finanzwesens, zu einer richtigen Erkenntniß auf diesem Wege geführt zu haben. Seit dieser Zeit haben für die Wissenschaft des Finanzwesens in allen Theilen sehr eingehende Untersuchungen stattgefunden, u. die theoretische Behandlung der Finanzkunde ist eine eben so reichhaltige geworden, als auch die Praxis gegenüber den früheren Zuständen eine sehr geläuterte Gestaltung gewonnen hat.

Die hauptsächlichsten Grundsätze hat eine gute Finanzverwaltung theils aus dem Begriff u. Zweck jeder Wirthschaft im Allgemeinen, theils aus dem Zwecke des Staates zu entnehmen. Da letzter aber nicht blos auf einer abstracten Idee beruht, sondern[278] hauptsächlich auch durch die geschichtliche Entstehung u. Ausbildung des individuellen Staatslebens gegeben ist, so ist eine gründliche Kenntniß der geschichtlichen Entwickelung des Staats, seiner ganzen Eigenthümlichkeit, des Charakters der Staatsverwaltung wie der Anlagen, Fähigkeiten u. des wirthschaftlichen Vermögens der Unterthanen unerläßich. Aus dem Begriff wirthschaftlichen Verhaltens überhaupt hat die Finanzwissenschaft den Grundsatz der Ordnung, Sparsamkeit, der genauen Einhaltung eines fortwährenden Gleichgewichtes von Einnahme u. Ausgabe u. der Conservation eines nachhaltigen Vermögensstockes zu entnehmen; nach den Zwecken des Staates, seiner geschichtlichen Grundlage u. seinen Interessen hat sich mehr die praktische Anwendung jener Grundsätze im Einzelnen zu gestalten. Da die Quellen der Einkünfte eines Staates in der Regel sehr verschiedener Natur sind, ebenso aber auch die Ausgaben nach den verschiedensten Richtungen auslaufen, so setzt die Finanzkunde in diesem letzteren Theile eine Menge Hülfskenntnisse voraus. Die bedeutenderen derselben sind Geschichte überhaupt, mindestens die allgemeinen Grundsätze des Staats- u. Privatrechtes, Statistik, Land- u. Forstwirthschaft, Handels- u. Gewerbkunde u. die oft als ein besonderer Theil der angewandten Mathematik ausgezeichnete politische Arithmetik (Staatsrechenkunst). Bezüglich der Staatsausgaben kann es zwar nicht eigentlich als regelmäßige Aufgabe der Finanzwissenschaft angesehen werden, diese selbst zu normiren, wohl aber fällt ihr als Aufgabe zu, die Art u. Weise, wie dieselben zu machen sind, um den angestrebten Zweck bestmöglich zu erreichen u. nur sie in richtigem Verhältniß mit den anderen Aufgaben der Finanzverwaltung zu erhalten, anzugeben u. festzustellen. In dieser Beziehung sind daher Fragen, wie die, ob es sich mehr empfehle, einen Staatsbau in dieser od. jener Weise auszuführen, ihn in Accord zu geben od. selbst ausführen zu lassen, recht eigentlich Finanzfragen, während bei der Frage, ob der Bau selbst nothwendig sei, auch andere Gesichtspunkte der Politik maßgebend werden. Ausgedehnter ist die Aufgabe der Finanzverwaltung bei den Einnahmen. Da diese der Regel nach aus Domänen, aus Regalien u. aus den verschiedenen Abgaben, welche die Unterthanen zu leisten haben, fließen, so hat die Finanzwissenschaft sich in dieser Richtung eben so sehr mit den Grundsätzen über eine wirthschaftliche Verwaltung der dem Staate gehörigen Landgüter, Forsten, Fischereien etc., als denjenigen, welche über die nützlichste u. dem Wohle der Unterthanen wie des Staates zuträgliche Ausbeutung der verschiedenen Hoheitsrechte zu gelten haben, sowie mit der bes. in neuerer Zeit so wichtig gewordenen besten Einrichtung des Steuerwesens, der zweckmäßigsten Vertheilung der verschiedenen Abgaben u. ihrer Erhebungsweise zu befassen. Außerdem kommen hier noch eine Menge Zugänge in Betracht, welche dem Staat aus mehr zufälligen Nutzungen, wie aus dem Heimfallsrechte, Geldstrafen, Dispensationen, Gebühren, Privilegien etc. zufallen können, für welche aber die Finanzwissenschaft ebenfalls die wirthschaftlichen Grundsätze anzugeben hat. Eine wichtige Aufgabe derselben bildet ferner die Lehre von demjenigen Verhalten, welches der Staat dann einzuschlagen hat, wenn in außerordentlichen Fällen außerordentliche Bedürfnisse entstehen, zu deren Befriedigung die gewöhnlichen Einnahmen des Staates nicht hinreichen. Hierauf bezieht sich bes. die Lehre vom öffentlichen Credit, vom Staatsschuldenwesen u. den verschiedenen Finanzoperationen, d.h. den Maßregeln, welche einzuschlagen sind, um das gestörte Verhältniß der Einnahme u. Ausgabe unter getreuer Erfüllung der jeweils übernommenen Verpflichtung u. doch mit möglicher Schonung der Kräfte des Landes in das gehörige Gleichgewicht zu bringen. Mehr nur auf die formelle Execution der Finanzgrundsätze, gewissermaßen den Proceß der Finanzverwaltung, bezieht sich endlich die Lehre von den Finanzbehörden, deren äußerer Stellung zu einander, wie ihrer inneren Einrichtung, daher auch die Lehre vom öffentlichen Kassen- u. Rechnungswesen, sowie vom Finanzgesetz od. Budget (s.d.). An der Spitze der verschiedenen Finanzbehörden steht in der Regel ein Finanzministerium, je nach der Größe des Staates mit mehreren Ministerialabtheilungen od. auch nur mehreren vortragenden Räthen, welche die einzelnen Gegenstände nach den verschiedenen Branchen zu bearbeiten haben. Ob es zweckmäßig ist, daneben noch für die einzelnen Zweige, wie Domänenverwaltung, Forstverwaltung, Steuerwesen, Verkehrsanstalten, besondere Finanzmittelstellen zu haben, hängt sehr von den Verhältnissen des einzelnen Landes ab; bei größeren Staaten sind sie indessen nicht wohl zu umgehen. Die verschiedenen Kassenstellen müssen sich in einer General- od. Staatshauptkasse concentriren, von welcher die unteren Kassen nur als Theile u. Gliederungen ihre Geschäfte führen u. in welche daher auch die Haupteinnahmen zusammenstießen. Für jede Kasse ist Einführung einer sorgfältigen Rechnungslegung u. Controle nothwendig, welche sich eben so sehr auf die Rechnungsrichtigkeit, als darauf zu erstrecken hat, daß die Einnahmen nur den getroffenen Anordnungen gemäß verwendet worden sind. Zur Führung dieser Controle dient für die unteren Stellen neben den gewöhnlichen Controleuren bes. eine wohl eingerichtete Rechnungskammer (Rechnungshof); für die Hanptverwaltung wird sie in constitutionellen Staaten außerdem mit Beziehung auf das Finanzgesetz noch durch Vorlegung der Gesammtübersichten an die Volksvertretung geführt. Schriften über F.: Justi, System des Finanzwesens, Halle 1766; Rössig, Die Finanzwissenschaft, 1789; Ad. Smith, Untersuchungen, 5. Buch; Soden, Nationalökonomie (1811, 6. Bd., unter dem Titel Staatsfinanzwissenschaft); Jakob, Die Staatsfinanzwissenschaft, 2. Aufl. von Eiselen, Halle 1837; Behr, Die Lehre aus der Wirthschaft des Staates, Lpz. 1822; Malchus, Handbuch der Finanzwissenschaft u. Finanzverwaltung, Stuttg. 1830, 2 Thle.; Schön, Die Grundsätze der F., Bresl. 1832; Barth, Vorlesungen über Finanzwissenschaft, 1843; Rau, Grundsätze der Finanzwissenschaft, 3. Ausg., Heidelb. 1850 f.; Reden, Allgemein vergleichende Finanzstatistik, Darmstadt 1851–56, 2 Bde.; Malinkowski, Handbuch für k. k. Kameralbeamte, Wien 1840, 2 Thle.; Hübner, Österreichs Finanzlage, 1848; Bülow-Cummerow, Preußen, 3. Aufl. Berl. 1842; Bergius, Preußische Zustände, Münst. 1844; Herdegen, Württembergischer Staatshaushalt, Stuttg. 1848; Hottinger, Der Staatshaushalt der schweizerischen Eidgenossenschaft, Zür. 1847.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 278-279.
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