Volkswirthschaftslehre

[663] Volkswirthschaftslehre (Nationalökonomie), nach K. H. Rau der eine der beiden Haupttheile der politischen Ökonomie, u. zwar der, welcher (während der andere od. praktische Haupttheil, d.i. die wirtschaftliche od. ökonomische Politik, die Regeln für das Verfahren der Regierung in Absicht auf wirtschaftliche Angelegenheiten od. bei Verfolgung solcher wirthschaftlicher Zwecke begreift, welche aus dem Verhältnisse de: Menschen zu Sachgütern entspringen) als theoretischer die Lehre von der Hervorbringung, Beischaffung, Vertheilung u. Anwendung od. Aufbrauchung der Sachgüter enthält, welche sich mit den Grundsätzen beschäftigt, nach denen sich der Wohlstand eines Volkes richtet u. welche daher einzuhalten sind, um ein Volk durch die wirtschaftlichen Bestrebungen seiner Mitglieder fortwährend mit den zur materiellen Existenz erforderlichen Gütern zu versorgen. Als Güter (Sachgüter) Pflegen nämlich die Bestandtheile der Sinnenwelt, also körperliche Sachen, bezeichnet zu werden, welche zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse als Gegenstände des menschlichen Begehrungsvermögens dienen. Die Menge von Sachgütern, über welche sich in einem gewissen Zeitpunkt die eigentümliche Gewalt einer Person erstreckt, bildet das Vermögen derselben; die sämmtlichen Verrichtungen aber, welche zur Versorgung einer Person mit Sachgütern bestimmt sind, faßt man unter dem Namen Wirthschaft zusammen. Nach der Art des Zusammenlebens der Menschen muß man unterscheiden die wirthschaftliche Thätigkeit der einzelnen Menschen, Familien u. anderer größerer od. kleinerer Vereine, in denen wirtschaftliche Gemeinschaft unter einem einheitlichen Willen steht, die bürgerliche od. Privatökonomie, von der der Staatsverbindung im Ganzen, denn bei deren nämlichen Abhängigkeit von Sachgütern, wie bei den Einzelnen, ist das Wohl des Staates ebenfalls von dem Besitze eines die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse sichernden Vermögens bedingt. Die Wissenschaft von diesen wirtschaftlichen Angelegenheiten des Staats ist die politische Ökonomie, öffentliche Wirtschaftslehre, Staatswirthschaftslehre im weiteren Wortverstande. Diese öffentliche Wirthschaft (Staatswirthschaft im weiteren Sinne), als zweiter od. praktischer Theil der politischen Ökonomie, hat aber nach der Zusammensetzung des staatlichen Organismus wiederum eine doppelte Aufgabe; sie hat einerseits die Sorge zu übernehmen, daß die Persönlichkeit des Staates selbst, welche ihr Subject in dem Staatsoberhaupt u. ihre Diener in den verschiedenen Regierungsbehörden hat, mit der zur Befriedigung der staatlichen Bedürfnisse erforderlichen Menge sachlicher Güter ausgestattet sei u. bleibe, Regierungswirthschaft (Finanzwesen); andererseits dafür zu sorgen, daß die wirtschaftliche Thätigkeit der Gesammtheit der Staatsbürger, der bürgerlichen Gesellschaft od. des Volks befördert werde, daß dieses in seinen in einander[663] greifenden Klassen u. Gliedern sich eines solchen Wohlstandes erfreue, daß seine Glieder der äußeren Mittel nicht entbehren, um eine von äußeren Sorgen nicht belastete, auch zur Erringung größerer u. edlerer Aufgaben geschickte Existenz führen zu können. Der Gegenstand der ersteren Sorge sind daher nur die Güter, welche dem Staate im Ganzen angehören, das Staatsvermögen; der Gegenstand der anderen das Volks- od. Nationalvermögen, d.h. der Inbegriff aller im Vermögen der Staatsbürger befindlichen Sachgüter; die wissenschaftliche Behandlung der Grundsätze, welche bei der ersteren Fürsorge in Betracht kommen, umfaßt die Lehre von der Regierungswirthschaft od. die Finanzwissenschaft, die Staatswirthschaftslehre im engeren Sinne; die Darstellung der Grundsätze dagegen, welche die Entwickelung des wirtschaftlichen Volkslebens bestimmen, u. die Klugheitsregeln, welche anzuwenden sind, um diese Entwickelung zu befördern u. in einem gesunden Gange zu erhalten, ist die Aufgabe der Volkswirthschaftspolitik, d.i. die Lehre von der Volkswirthschaftspflege od. Wohlstandssorge Der Zusammenhang der V. mit den übrigen Gebieten politischen Wissens ergibt sich daraus, daß sie das Volks- u. Staatsleben nur von einer Seite, aus den Verhältnissen der Menschen zu den Sachgütern, wissenschaftlich zu erfassen sucht, daß aber, um dieses Verständniß vollständig zu machen, auch die Kenntniß der anderen Seiten desselben unentbehrlich ist. Daher sind dem Nationalökonomen insbesondere die Staatengeschichte, insofern sie ihm Gelegenheit gibt den Einfluß wechselnder Umstände auf die Gestaltung der Volkswirthschaft u. umgekehrt wieder den Einfluß der wirthschaftlichen Verhältnisse auf die Ereignisse im Staatsleben zu erkennen, sowie die Statistik (s.d.) als die Darstellung der Thatsachen, welche den Zustand eines staatlichen Lebens in einem gewissen Zeitpunkt bestimmen, von größter Wichtigkeit. Nachdem gelangen aber in der politischen Ökonomie auch vielfältig die Lehren der bürgerlichen Wirtschaft, hauptsächlich der Gewerbskunde (Bergbau-, Landwirth-, Forstwirthschaftslehre, Technologie u. Handelslehre), zur Benutzung, weil viele gewerbliche Unternehmungen u. Anstalten, z.B. die verschiedenen Arten des Landbaues, die Maschinen, Banken etc., in ihrem Wesen u. in ihren Gesetzen genau erkannt, sein müssen, um im Stande zu sein auch ihre Wirkungen u. Beziehungen unter sich, sowie auf das ganze wirtschaftliche Leben eines Volkes, unter welchem Gesichtspunkt sie dann in der V. zu betrachten sind, richtig zu würdigen. Der praktische Nützen der V. zeigt sich bes. darin, daß sie dem Staatsmann die Bahn zeigt, welche die Staaten zu Macht u. Reichthum u. damit zur höchsten Fülle ihrer Kraftentwickelung führt. Dem Finanzmann lehrt sie die Quellen u. Gesetze erkennen, aus denen der Staat die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse ohne Beeinträchtigung der bürgerlichen Wohlfahrt der Einzelnen zu ziehen hat; für die Rechtswissenschaft bildet ihre Kenntniß eine wichtige Grundlage, indem sie die eigentliche Natur der auf Sachgüter sich beziehenden Verhältnisse beleuchtet u. dadurch erst die innere Nothwendigkeit vieler Rechtsgesetze, welche ihre Veranlassung in Gesetzen der Volkswirthschaft haben, klar erkennen läßt. Dem Gewerbsmann läßt sie die Stelle erkennen, welche sein Nahrungszweig im ganzen Gewerbewesen einnimmt od. einnehmen kann, u. gibt ihm dadurch Andeutungen darüber, welche Fortschritte er in wirthschaftlicher Beziehung noch zu machen im Stande ist. Überhaupt wirst sie ein Helles Licht auf den ganzen Gliederbau der bürgerlichen Gesellschaft u. das Spiel der Thätigkeiten in derselben, indem sie die Gesetze aufsucht, nach denen dieser Gliederbau gestaltet ist u. welche sein wirthschaftliches Leben u. Thun beherrschen.

Eine eigene wissenschaftliche Behandlung der V. hat sich erst in neuerer Zeit entwickelt; sie datirt nicht vor dem 18. Jahrh. Zwar finden sich. A) schon bei den Alten einzelne Untersuchungen auf diesem Gebiete; allein ein tieferes Eindringen in das Wesen der Volkswirthschaft blieb ihnen fremd. Auch praktisch beschränkte sich daher die Volkswirthschaftspflege auf wenige einfache Maßregeln, deren Zweck« Mäßigkeit leicht zu beurtheilen war; das Finanzwesen zeigte oft nur das Bestreben auf den kürzesten Wegen, ohne Beachtung der Folgen, Einkünfte für die Staatskasse zu gewinnen. Die Ursachen dieser Unbekanntschaft mit den inneren Gesetzen der V. beruhten bei ihnen zum großen Theil in der Unkenntniß u- allgemeinen Geringschätzung der Gewerbe, welche wiederum mit der Sklaverei zusammenhing, u. in der großen Regsamkeit des politischen Lebens, neben welcher eine lebhaftere Theilnahme an den volkswirthschaftlichen Interessen nicht aufkam. Unter den Griechen findet sich noch in Xenophons Oeoconomicus u. in Aristoteles' Politik am meisten hierher Gehöriges. Allein ohne das Vermögen der Einzelnen in seiner Bedeutung für den Zustand des gesammten Volkslebens zu erfassen, betrachten sie dasselbe vielmehr nur von der ethischen Seite; es erscheint ihnen daher das Vermögen nur schätzenswerth als Mittel zu einem edeln u. wohltätigen Leben des Einzelnen daraus, u. weil man zugleich auf Grundeigenthum als die Grundlage politischer Berechtigung den meisten Werth legte, erklärt sich zugleich, daß der Landbau als der einzige, eines freien, feingesitteten Mannes würdige Nahrungszweig betrachtet wurde, während man die andern Gewerbe u. Lohnarbeiten, ja selbst den Handel, mit etwaiger Ausnahme des Seehandels, als unanständig ansah. Nicht weiter gingen die Vorstellungen der Römer. Auch bei ihnen stimmt das Urtheil über Werth u. Nutzen der verschiedenen Gewerbsklassen mit der Meinung der Griechen ziemlich überein; doch wurden die gemeinnützigen Wirkungen des Reichthums Einzelner schon weniger verkannt u. daher das Streben nach Reichthum mittelst Sparsamkeit mehr empfohlen. B) Während des Mittelalters ruhten die Untersuchungen über Wirthschaftsangelegenheiten fast ganz. Zum Theil entwickelten sich sogar auf diesem Gebiete unter dem Einfluß falsch verstandener Lehren des Christenthums ganz eigentümliche Ansichten, wie die Ansicht von der Verwerflichkeit jeglichen Zinsennehmens, welche das canonische Verbot der Zinsen nach sich zog, u. das übertriebene Lob der Genügsamkeit u. Armuth, welches die Congregation der Bettelmönche zur Folge hatte. Erst gegen Ende des Zeitraums gaben äußere Veranlassungen, in Verbindung mit der neuen Belebung des wissenschaftlichen Eifers, welcher sich für die Staatswissenschaften überhaupt entwickelte, den Anstoß zur Wiederaufnahme volkswirthschaftlicher Untersuchungen. Mit Befestigung der landesherrlichen Gewalt kam in alle Verwaltungszweige eine kraftvollere Wirksamkeit, welche aber zugleich die Staatsausgaben[664] nothwendig vergrößerte. Große Kriege hatten überdies die Mittel der Herrschenden erschöpft; um zur ferneren Bestreitung der Staatsausgaben Mittel zu beschaffen, war man daher gezwungen sich an die Kräfte des Volkes zu wenden u. durch den Fleiß desselben neue Güter sammeln zu lasten. Staatsmänner u. Denker stellten sich daher die Aufgabe die Erfahrungen über das Emporblühen des Volkswohlstandes zu sammeln u. die beobachteten Erscheinungen auf allgemeine Gesetze zurückzuführen, denen dann auch in der Verwaltung der Staaten praktische Anwendung verschafft wurde. Erklärlich ist, daß man sich bei einer so praktischen Wissenschaft zunächst an einzelne glänzende Erscheinungen anschloß u. hiernach bes. die zu befolgenden Regeln ausbildete.

So geschah es, daß C) in den drei letzten Jahrhunderten sich drei verschiedene Grundansichten ausbildeten, welche man unter dem Namen der drei volkswirthschaftlichen Systeme aufführt. Wenn auch nicht alle volkswirthschaftlichen Schriften u. noch weniger alle Bestrebungen der Volkswirthschaftspflege diesen drei Systemen ausschließlich folgten, so haben dieselben doch auf die weitere Ausbildung der volkswirtschaftlichen Ansichten einen charakteristischen Einfluß ausgeübt. a) Das Physiokratische System (Ökonomistisches Landwirthschaftliches od. Agricultursystem) läßt sich in seinen Grundzügen auf Sully (s.d. 3) zurückführen, welcher unter Heinrich IV. die französische Staatswirthschaft leitete. Die Zerrüttung im Finanzwesen, die Zersplitterung u. Veruntreuung der Staatseinkünfte, die Bedrückungen der Finanzpächter zu beseitigen, nahm Sully mehre wichtige Reformen im Staatshaushalte u. Verbesserungen im Staatsrechnungswesen vor, durch welche es ihm auch gelang diesen Übeln Einhalt zu thun. In der Überzeugung, daß die Landwirthschaft im Allgemeinen, also Feld- u. Waldbau, Thierzucht etc., die Hauptquelle u. Grundlage des Volkswohlstandes sei, strebte er danach, dies Gewerbe aus dem Verfall, in welchen es durch die Überbürdung mit Feudallasten u. durch innere Kriegsnoth gerathen war, möglichst emporzuheben. Er befreite die Landwirthschaft von den drückendsten Lasten, gab die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse, seit 1601 sogar ohne allen Zoll, frei u. würde seine Grundsatze noch weiter zur Geltung gebracht haben, wenn nicht die Großen des Reiches aus Furcht vor Verlusten denselben sich hindernd in den Weg gestellt hätten. Nach Heinrichs IV. Tode trat Sully zurück, u. er konnte nunmehr nur in seinen Memoiren die Überzeugungen niederlegen, welche er über die Grundlagen u. die Mittel zur Hebung des Volkswohlstandes hegte. Eine Zeit lang fanden diese Grundsätze auch keine weiteren Nachahmer, indem unterdeß das sogenannte Mercantilsystem ausgebildet worden war (f. unten b) u. die lockendere Außenseite dieses Systems die Meinungen mehr für sich gewann. Erst um die Mitte des 18. Jahrh., unter den traurigen Zuständen der Volkswirtschaft u. Finanzen, wie sie die verschwenderische Herrschaft Ludwigs XV. herbeiführte, wendeten sich die Blicke der Staatsmänner u. Gelehrten wieder auf den von Sully betretenen Weg zurück u. suchten, indem man wieder den Ackerbau als Quelle alles Nationalreichthums zu betrachten anfing, nun auch zuerst seine Grundsätze zu einem wirklichen Systeme zu verarbeiten. In Verbindung mit den philosophischen Bestrebungen, wie sie in jener Zeit hervortraten, bestrebte man sich überhaupt das Ideal einer Staatseinrichtung aufzustellen, in welcher Recht, Tugend u. Wahrheit herrschen, Armuth u. Willkür aber verbannt sein sollten, u. brachte so die Staatswirthschaft in innigere Verbindung mit den politischen Lehren. Als Gründer dieser so entstandenen physiokratischen Systeme ist Franç. Quesnay (s.d.) im 18. Jahrh. zu nennen, obwohl auch schon vor demselben bei einzelnen Italienern (Bandini, Beccaria, Filangieri) Sätze desselben zu finden sind. Später hat dasselbe bes. in dem älteren Mirabeau (s.d. 1) u. dem Finanzminister Turgot noch Vertreter gefunden Auch bei den Deutschen fand dasselbe von jeher vielen Anklang; selbst ein deutscher Fürst, der Markgraf Karl Friedrich von Baden, trat als Schriftsteller mit einem Abrégé des principes de l'économie politique (Karlsr. 1772) für dies System auf; außerdem wurde es bes. von Iselin, Krug u. Schmalz bearbeitet. Die Hauptgrundsätze dieses Systems sind folgende: Alle materiellen Dinge, deren der Mensch zu seinem Wohlbefinden bedarf, werden durch die Natur hervorgebracht u. durch den Menschen dem Boden abgewonnen. Die Erdarbeiten sind daher die einzigen, welche wirklich die Menge der Güter zu vermehren im Stande sind. Die weitere Verbreitung der Stoffe u. der Umtausch im Handel können keine neuen Güter erzeugen, sie erhöhen nur den Werth der Stoffe um so viel, als während u. zum Behufe der dabei vorkommenden Verrichtungen andere Bodenerzeugnisse verbraucht werden. Nur die Bebauung des Bodens, Landwirthschaft im weitesten Wortsinne, liefert einen wahren Überschuß der Erzeugnisse über die aufgewendeten Kosten als Geschenk der Naturkräfte (Neinertrag). Von dem rohen Ertrage der Landwirthschaft sind nun vor Allem die Culturkosten zu erstatten; diese Kosten, welche theils in jährlichen Auslagen (die stets von Neuem zur Erzielung des Rohertrages aufgewendet werden müssen, wie Arbeit, Samen etc.), theils in ursprünglichen od. Bestandauslagen (welche für die zum Betriebe der Landwirthschaft erforderlichen Einrichtungen zu machen gewesen sind) bestehen, geben der productiven Klasse der Gesellschaft ihre Ernährung. Der reine Ertrag dagegen wird von den Landwirthen, den Grundbesitzern, entrichtet, zu welchen auch die Zehntberechtigten u. das Staatsoberhaupt gerechnet werden. Diese Grundeigenthümer sucht das Physiokratische System als die Bürger im vorzüglichen Sinne u. als die Beschirmer aller anderen Stände darzustellen, weshalb sie auch z.B. allein als zur Vertretung des Volkes berufen betrachtet werden. Beiden Klassen steht die unproductive Klasse entgegen, welche alle übrigen Stände (Beamte u. Diener aller Art, Künstler, Handeltreibende) begreift. Sie ist zwar auch von mancherlei Nutzen für die Gesellschaft u. erhält deshalb zur Bezahlung der Dienste, welche sie leistet, von den ersteren Klassen die nöthigen sachlichen Güter; sie trägt aber zur Vermehrung des Vermögens nicht bei u. kann daher von wirthschaftlicher Seite im Grunde nur durch Ersparungen nützen. Aus diesen Grundanschauungen wird dann für Hebung des Nationalvermögens u. somit Volkwohlstandes die Alge abgeleitet, daß die Landwirthschaft vor allen anderen Beschäftigungen die vorzüglichste Begünstigung der Regierung in Anspruch[665] zu nehmen habe. Die productiven Auslagen sind möglichst zu vermehren, denn sie erzeugen einen Überschuß u. werden durch den höhern Ertrag wieder ersetzt; die Hindernisse der freien Benutzung des Bodens müssen entfernt, der Absatz seiner Erzeugnisse im In- u. Auslande muß befördert werden, um das Einkommen der Landwirthe u. damit folgeweise den Reinertrag zu erhöhen. Hohe Preise der Lebensmittel erscheinen danach sogar wünschenswerth. Gewerbe u. Handel sind ebenfalls freizugeben, weil die auf beide zu verwendenden Ausgaben unproductiv sind u. die freie Concurrenz die gute Folge hat, daß die Gesellschaft ihre Bedürfnisse durch jene Ausgaben so wohlfeil als möglich befriedigen kann. Weil endlich alle Staatsausgaben nur aus dem Überschusse der Erzeugnisse über die Kosten bestritten werden können u. dieser Reinertrag sich ursprünglich nur in den Händen der Grundeigenthümer befindet, so fallen denselben im Grunde auch alle Abgaben zur Last. Die anderen Klassen werden nur durch das, was sie für ihre Dienste von den Grundeigenthümern einnehmen, in den Stand gesetzt Steuern u. Abgaben an den Staat zu entrichten. Statt, aller anderen Abgaben empfiehlt sich daher nur eine einzige, die Grundsteuer, einzuführen, weil sie auf dem kürzesten Wege u. mit den geringsten Erhebungskosten das von den Grundeigenthümern nimmt, was diese doch, nur unter mancherlei Formen, mittelbar immer zu tragen haben. Die Unausführbarkeit dieser vierten Regel wurde jedoch von mehren Physiokraten selbst zugestanden, obwohl sie den Grund hierfür mehr in äußeren Umständen, als in der Fehlerhaftigkeit des Systems fanden. Ein Versuch, welchen der Markgraf Karl Friedrich von Baden dennoch in einigen Dörfern hiermit machte, mißlang. Ungeachtet seiner Einseitigkeit u. der Unhaltbarkeit seines Hauptsatzes hatte das Physiokratische System für die Lehre der Volkswirthschaft wesentliche Folgen. In Verbindung mit den allgemeineren philosophischen Ideen diente es dazu, die tiefere Bedeutung der volkswirthschaftlichen Lehren für Recht, Sitte u. Menschenglück hervorzuheben; es gelang ihm die Wichtigkeit des Landbaues wieder zur Anerkennung zu bringen u. der Freiheit der Gewerbe das Wort zu reden. Spätere Physiokraten (Garnier, Schmalz, Krug) suchten das System mehr mit dem Smithschen (s. unten c) zu verbinden u. die Lehren beider mit einander in Einklang zu bringen.

Die Lehren Sullys gelangten deshalb nicht sofort zu einer größeren Anerkennung, weil dessen Zeitgenossen mehr in dem Handel die Quelle des Volksreichthums fanden (s. oben S. 665). Die Italiener hatten seit den Kreuzzügen, die Portugiesen nachher durch Entdeckung des Seeweges nach Ostindien durch den Handel bedeutenden Reichthum erworben; die Entdeckung Amerikas hatte den Spaniern die reichen Goldbergwerke von Peru, Mexico u. Chili eröffnet. Die Gewerbe blühten auf u. brachten reichlichen Gewinn. Die Niederlande traten bald den Portugiesen gegenüber als Nebenbuhler auf u. vermehrten durch Schifffahrt u. Handel ihren Reichthum u. ihre Macht ebenfalls sehr bedeutend Gold u. Silber, welche in reichlichem Maße zuströmten u. die nächst erkennbare Quelle des Reichthums u. der Macht zu sein schienen, wurde nur als das wünschenswertheste sachliche Gut angesehen, durch dessen Besitz man reich u. mächtig werde. Die Bestrebungen der Staatsmänner lenkten sich daher allgemein auf den auswärtigen Handel, als das Hauptmittel zur Erlangung des Reichthums. Es wurden Regeln für die Beförderung desselben aufgestellt u. diese nach u. nach zu einem Systeme ausgebildet. So entstand b) das Mercantilsystem (Handelssystem). Die Grundsätze dieses Systems waren schon im 16. Jahrh. viel verbreitet, dennoch wird der französische Minister Colbert (1613–83) gewöhnlich als der eigentliche Begründer desselben angesehen, weil er zuerst das System beharrlich u. vollständig ausführte u. das größte Beispiel der Anwendung desselben lieferte; daher dies System auch Colbertsches System genannt wurde. Colbert fand gleich Sully die Finanzen des Französischen Reiches in größter Unordnung; um der erschöpften Staatskasse neue Hülfsquellen zu eröffnen, faßte er den Gedanken Handel u. Fabriken in Schwung zu setzen u. so den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen. Ermunterungen u. Prämien mußten ihm geschickte Künstler herbeiziehen, Seiden-, Tapeten-, Tuch- u. Spiegelfabriken wurden von ihm angelegt, die Handelsschiffe möglichst vermehrt, durch Handelsverträge der Absatz der französischen Erzeugnisse nach fremden Ländern vermehrt, Grenzzölle wurden eingeführt, um die Ausfuhr der Rohstoffe unmöglich zu machen u. die Einfuhr von Fabrikaten fremder Länder' zu verhindern. Diese Maßregeln riefen aber zugleich in den meisten europäischen Staaten Gegenmaßregeln hervor, u. so wurde das Mercantilsystem allgemein. Folgende Sätze sind die Hauptgrundlagen desselben: Weil das Metallgeld die eigentliche Quelle des Reichthums sowohl für den einzelnen Bürger als für den Staat bildet, so müssen alle Mittel angespannt werden, um die Menge des circulirenden Geldes im Lande zu befördern. Dies kann zunächst durch Eröffnung der inländischen Bergwerke geschehen. Bei Ländern aber, welche nicht aus eigenen Bergwerken Gold u. Silber erhalten können, bietet sich als einziges Mittel zur Erlangung dieser Stoffe dar dieselben im Handel vom Auslande herbeizuziehen. Dies wird dadurch bewirkt, daß viele im Zulande erzeugte Waaren zu anderen Völkern hinaus, aber nur wenige fremde hereingeführt werden, indem dann der ganze Überschuß der Ausfuhr über die Einfuhr vom Auslande in Geld bezahlt werden muß. Der Unterschied zwischen der Größe der Aus- u. Einfuhr heißt Handelsbilanz, u. dieselbe ist um so günstiger, je mehr die Ausfuhr die Einfuhr übersteigt. Der innere Handel gilt dem gegenüber als unbedeutend, weil er zu einer Vermehrung des Geldes selbst nicht beiträgt, sondern nur das schon im Inlande vorhandene Geld in andere Hände bringt. Er erscheint den Mercantilisten nur insofern von Bedeutung, als er den fabricirenden Gewerben zu Hülfe kommt, ihnen gute u. wohlfeile Rohstoffe, schnelle Beförderung auf den Verkehrswegen etc. eröffnet. Ebenso steht der Ackerbau in einem untergeordneten Verhältnisse. Wenn gleich nothwendig für die Existenz des Volkes, kann er doch den Reichthum nicht in hohem Grade steigern, weil seine Producte in der Regel schnell der Consumtion unterworfen sind u. bei ihrem Absatz in das Ausland wenig Geld erworben werden kann, da als Gegenwerth gewöhnlich nur Fabrikate, keine Gelder gegeben werden. Der Ackerbau ist daher nur zu pflegen[666] als Nährer des Volkes u. als Quelle mancher Rohstoffe, welche, weiter verarbeitet u. an das Ausland abgesetzt, allerdings auch die Handelsbilanz zu erhöhen im Stande sind. Bes. wichtig für Hebung der Volkswirtschaft sind dagegen die technischen Gewerbe. Sie verhindern, daß für sonst vom Auslande zu beziehende fremde Fabrikate Geld fortgeht, u. liefern dagegen selbst Fabrikate, welche gegen Geld in das Ausland abgesetzt werden. Alles, was daher nur irgend im Inlande producirt werden kann, muß auch hier erzeugt werden. Selbst wenn die Kosten der Production u. demnach die Preise der Fabrikate hier auch höher zu stehen kämen, so darf das doch nicht dazu führen, den Markt den Fremden zu eröffnen. Denn die dafür bezahlten Preise bleiben doch im Lande. Am wichtigsten aber sind solche Gewerbe, welche Kunsterzeugnisse für das Ausland liefern; denn sie verhindern nicht blos die Geldausfuhr, sondern bringen das Geld in das Land. Auf die Hebung dieser Gewerbe ist daher die hauptsächlichste Fürsorge des Staates zu richten. Zu diesem Zwecke muß der Staat dafür sorgen, daß der Arbeitslohn auf einem angemessenen niederen Stande erhalten werde, weil sonst eine nachtheilige Vertheuerung der Fabrikate eintreten könnte; er hat den Zinsfuß in gesetzliche Schranken zu verweisen, die Preise der notwendigsten Lebensmittel zu reguliren u. durch Verhinderung der Getreideausfuhr möglichst zu verringern. Dagegen ist die Einfuhr der zur Erzeugung unbedingt vom Auslande zu beziehenden Rohstoffe möglichst zu begünstigen. Geschickte Arbeiter sind vom Anstände herbeizuziehen, die Geschicklichkeit durch Erfindungsprämien, durch Monopole u. Privilegien zu belohnen, jede fremde Concurrenz aber in allen Fallen auszuschließen. Zur Beförderung der Ausfuhr muß sodann der auswärtige Handel möglichst unterstützt werden; vor Allem ist darauf zu sehen, daß er nicht Geld in das Ausland führt, u. um den Absatz der Waaren auf fremden Markten zu befördern, sind Ausfuhrprämien zuzusichern, günstige Handelsverträge abzuschließen, große Handelsgesellschaften zu schwierigeren, in fremde barbarische Länder gehenden Handelsunternehmungen aufzumuntern u. mit Staatsgeldern zu unterstützen. Der Erwerb von Kolonien ist wichtig, sofern dadurch den inländischen Fabrikaten ein größerer Absatz verschafft u. zugleich ein einträglicher Handel mit Colonialwaaren verschafft werden kann. Nach diesen Grundsätzen hat sich dann endlich auch die Besteuerung zu reguliren. Als Regel muß gelten, daß die Steuern von den Gewinnsten der Unterthanen zu erheben sind. Doch ist dabei immer darauf zu sehen, daß die zu besteuernden Gewerbe nicht durch die Last der Steuern gedrückt werden. Daher sind namentlich neuangelegte Etablissements, obschon dadurch gewonnen wird, mit Abgaben zu verschonen, weil sonst die Heranziehung des Geldes leicht darunter leiden könnte. Ebenso sind die zum Betriebe der Gewerbe u. des Handels erforderlichen Capitalien nicht zu sehr anzustrengen, damit die Capitalisten dadurch nicht veranlaßt werden die Gelder wieder im Auslande unterzubringen od. selbst in das Ausland wegzuziehen. In diesen Grundzügen hat es dem Mercantilsystem bis auf die neuere Zeit nicht an Anhängern gefehlt, u. noch Fr. List näherte sich durch besondere Vorliebe für das Fabrikwesen u. durch eifrige Empfehlung der Zollschutzmaßregeln dem Handelssysteme wieder. Indeß findet sich bei den Schriftstellern, welche dasselbe ausbildeten (Bodinus, Melon, Klock, Becher, Law, v. Justi, Busch, v. Sonnenfels) keineswegs eine volle Übereinstimmung hinsichtlich aller erwähnten Sätze, namentlich haben sich von den Grundsätzen desselben rücksichtlich des inneren Handels mehre entfernt, indem sie die productive Seite desselben anerkennen u. ihn nicht mehr als bloßen Factor des ausländischen Handels betrachten. Das Mercantilsystem hat zum Flor einzelner Länder nicht wenig beigetragen. Bes. hat dadurch vielfach eine Förderung der nationalen Gewerbeindustrie gegenüber der ausländischen Einfuhr, wie die Hebung des activen Handels, stattgefunden, welcher bei Beschaffung der dem Lande erforderlichen fremden od. bei der Ausfuhr der eigenen Erzeugnisse selbstthätig auftritt u. mit eigenen Kräften arbeitet, u. diese Rücksichten haben bes. noch in neuerer Zeit dem Mercantilsystem eine Menge von Anhängern verschafft.

Als ein drittes System wurde c) das sogenannte Smithsche System (Industriesystem) von dem schottischen Gelehrten Adam Smith (1723–1790) aufgestellt. Nach ihm ist die Arbeit, gleichviel ob sie auf den Boden od. andere Stoffe (Capital) angewendet wird, die Quelle des Vermögens. Nicht die Erdarbeit allein, sondern auch Gewerbe u. Handel, inländischer u. ausländischer, sind productiv. Der Tauschwerth der Güter wird durch die Menge der auf ihre Hervorbringung u. Veredelung verwendeten Arbeit bestimmt. Diese productive Wirkung der Arbeit wird aber hauptsächlich verstärkt durch eine zweckmäßige Vertheilung der Beschäftigung u. durch entsprechende Anwendung des Kapitals. Alle drei Klassen von Gewerben (Bodenarbeit, Gewerksarbeit u. Handel) verdienen von einer Regierung gleichmäßig unterstützt zu werden. Diese Unterstützung soll jedoch nicht in einer unmittelbaren Mitwirkung u. Theilnahme am Betriebe der Gewerbe, wie sie das Mercantilsystem kennt, sondern mehr darin bestehen, daß die Regierung die der Entwickelung des Gewerbfleißes entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen sucht. Im Übrigen hat sie in den Gewerbsangelegenheiten möglichste Freiheit walten zu lassen. Diese Freiheit, die möglichst unbeschränkte Concurrenz, stellt auf dem natürlichsten Wege die angemessensten Preise der Dinge her, bewirkt die Ausgleichung des Bedürfnisses mit den Vorräthen, verschafft den Theilnehmern an der Production ihre gebührenden Antheile an Grundrente, Capitalgewinn u. Arbeitslohn u. leistet überhaupt in der Volkswirtschaft nützliche Dienste. Soviel aber die erforderlichen Einnahmen der Regierung anlangt, so hat der Staat seinen Bedarf von dem reinen Einkommen der Bürger auf die wenigstlästige etc. wenigststörende Weise zu erheben. Im Ganzen fand Smith bei Aufstellung dieser Sätze mehr nützliche Grundlagen in der Lehre der Physiokraten als der Mercantilisten u. nahm daher auch von jenen mehr in sein Lehrgebäude auf Manche einzelne Sätze des Systems bedurften aber bald auch einer Berichtigung, andere mindestens einer genaueren Bestimmung, wobei man jedoch im Ganzen auf den Grundlagen, wie sie von Smith der politischen Ökonomie gegeben worden sind, stehen geblieben ist.

Neue Erscheinungen u. Erfahrungen, welche im wirtschaftlichen Gebiete in den letzten Jahrzehnten hervortraten, ließen aber auch neue Lehrsätze[667] gewinnen u. stellten der Wirtschaftspolitik neue Probleme. Die Lösung derselben ist in verschiedenen Richtungen versucht worden, ohne daß man jedoch dabei die Grundlagen des Smithschen Systems ganz aufgegeben hätte u. dieselben gerade als neue Systeme bezeichnen kann. Unter diesen Fortbildungen D) der neuesten Zeit sind namentlich folgende auszuzeichnen: Der Ausschwung der Gewerbe, die steigende Ausdehnung der Arbeitstheilung war nicht immer für alle Betheiligten von gleich erfreulichen Folgen begleitet, indem das unvermeidliche Mißlingen einzelner Unternehmungen die Zahl der Armen vergrößerte u. die vielen ausgedehnten Fabriken, zum Theil eine Folge des früher herrschenden Mercantilsystems, wenn sie einerseits Viele bereicherten, doch auch andererseits eine Menge vermögensloser Lohnarbeiter herbeizogen u. so ein gefährliches Proletariat erzeugten. Dieser Contrast zwischen steigengem Reichthum einzelner Besitzer u. drückender Armuth der niederen Klassen gab zuerst a) in England zu weiteren Untersuchungen einer nationalökonomischen Frage Anlaß, welche von Smith selbst fast ganz unbeachtet gelassen worden war. In dieser Beziehung trat namentlich R. Malthus mit einer Reihe von Untersuchungen über die Ursachen der wachsenden Bevölkerung u. die Mittel dieselbe zu beseitigen hervor. Davon ausgehend, daß die Zahl der Bevölkerung nach einem in der Natur überall gleichen Gesetze in geometrischer Progression vorwärts gehe, während die Vermehrung der nothwendigen Lebensmittel, selbst bei allem ökonomischen Fortschritt der Gesellschaft, nur in arithmetischer Progression erfolge, fand Malthus in der hieraus von selbst sich ergebenden Übervölkerung das eigentliche Leiden der bürgerlichen Gesellschaft. Indem er aber nachzuweisen suchte, daß die Natur auch selbst wieder die Heilung übernehme, indem sie, wie überall, so auch bei den Menschen den Überfluß an unberechtigt erzeugten Geschöpfen von selbst durch Hunger, Seuche etc. wieder hinwegräume u. so das natürliche Verhältniß des Gleichgewichtes wieder herstelle, verwarf er bes. die zu weit gehende Unterstützung der Armen durch Gesetz u. Privatwohlthätigkeit als einen Eingriff in den ausgleichenden Vernichtungs-Proceß der Natur, welcher nicht blos im Großen resultatlos bleibe, sondern auch durch leichtsinnige Beförderung der Kindererzeugung großen Schaden anstifte Diese Ansicht ging als Folge aus der von Smith begründeten Anschauung eines naturgesetzlichen Waltens im Güterleben hervor u. fand (auch weil sie augenscheinliche Gefahr zu verhüten versprach) viele Anhänger. In einer anderen Richtung baute David Ricardo auf Sätzen des Smithschen Systems weiter fort. Er suchte bes. die Natur des Tauschweiches der Gegenstände näher zu bestimmen; außerdem stellte er Erörterungen über die Natur der Bodenrente an, welche ihn zum Haupte einer eigenen Schule gemacht haben. Während Adam Smith behauptet hatte, daß die Bodenrente einen nothwendigen Theil in dem Preise der Bodenproducte bilde, daß jeder Boden Renten trage u. diese Rente nur von der Größe u. dem Preise des Bodenertrages abhängig sei, ging Ricardo näher auf die Verschiedenheit der productiven Kraft des Bodens ein u. suchte darnach den Werth der Bodenrente richtiger zu bestimmen, als dies von Smith geschehen war. Seine Erörterungen sind daher meist ökonomischen Untersuchungen gewidmet, in denen ihm unter den Späteren bes. James Mill, M' Culloch u.a. gefolgt sind. Ricardo war es auch, welcher im Anschluß an die schon von Smith aufgestellten Grundsätze über die Nützlichkeit der freien Concurrenz auch namentlich für den auswärtigen Handel unbedingte Freiheit forderte. Durch ihn u. seine Schule wurde zuerst die große Agitation angeregt, welcher zuletzt auch das Regierungssystem in den tief eingreifenden Änderungen der Zolltarife, der Korngesetze, der Navigationsacte etc. nachzugeben gezwungen war. Auch b) in Frankreich, der Wiege der beiden früheren Systeme, fand nichtsdestoweniger die Lehre Smiths bald großen Anhang. Unter den Verbreitern derselben ist bes. Jean Baptiste Say zu nennen. Er beschränkte den von Smith überschätzten Werth der Arbeit u. hob den Weich des Bodens u. Capitals mehr hervor; jedem Privaten soll in dem Erwerb der Güter möglichste Freiheit gewährt werden, weil das Eigeninteresse der Privaten zugleich in der besten Weise das Allgemeinwohl zu verwirklichen im Stande sei. Fast noch mehr als Ricardo stellt er daher die unbedingte internationale Handelsfreiheit als Forderung hin, weil die Interessen der Nationen in dieser Beziehung sich nicht feindlich gegenüber stehen, sondern durch ein Solidaritätsverhältniß an einander gebunden seien, u. bekämpfte damit bes. das frühere Mercantilsystem Gerade dieser letzte Punkt führte jedoch später dazu, daß in Frankreich das Smithsche System zuerst wieder verlassen wurde. Denn im Widerspruch hiermit sahen Manche gerade in der freien Concurrenz u. in der unbeschränkten Gestattung der eigennützigen Privatthätigkeit die eigentliche Ursache des materiellen Leidens der unteren Klassen, welchen hierbei von den Capitalisten der ihnen nach Verhältniß der Arbeit gebührende Antheil am Gewinne nicht zu Theil werde. Zwar wurden einzelne Erleichterungsmittel vorgeschlagen, wie Sparkassen, Hülfsvereine etc., aber an eine Änderung des Systemes selbst wagte man nicht zu gehen. Im Verfolg dieser Versuche gelangte man endlich zudem radikalen Gegensatze der socialistischen u. communistischen Lehren (s. Socialismus u. Kommunismus), welche die Beseitigung der materiellen Leiden u. die Vollendung alles Glückes gerade von der Verdrängung aller Concurrenz u. Aufhebung aller Privatthätigkeit im Verkehrsleben, an deren Stelle vielmehr die unbedingte Regelung der volkswirthschaftlichen Verhältnisse in einer Gesammtwirthschaft zu treten habe, erwarten zu können glaubten, alle gegebenen Verhältnisse aber bei ihren Phantasien zu sehr aus den Augen setzten, als daß sie eine dauernde Einführung in das Reich der Wirklichkeit hätten erleben können. Mehr noch, als in Frankreich, fand das Smithsche System c) in Deutschland Anhänger u. Beförderer u. hat sich hier in Geltung bis auf die neueste Zeit erhalten. Einzelne Oppositionen gegen dasselbe bildeten Adam Müller u. F. List. Während List den nationalen Gesichtspunkt hervorzuheben suchte u. dem alten Mercantilsystem sich wieder näherte (s. oben), suchte Müller der sogenannten Restaurationspolitik auch in der Volkswirthschaft Eingang zu verschaffen u. ging deshalb auf die mittelalterlichen Formen des Güterlebens, welche ihm allein das Interesse des Privateigenthums u. Privatnutzens mit der sittlichen Macht u. Stellung des Staates in ein befriedigendes Verhältniß zu[668] einander zu setzen schienen, zurück. Beide haben zuerst die Aufmerksamkeit der Nationalökonomen auf die auch in der Volkswirtschaft bemerkbare geschichtliche Entwickelung, hingeleitet u. so den Anstoß dazu gegeben die Lösung der wirthschaftlichen Probleme nicht mehr in absoluten Sätzen u. einseitigen Idealen, worauf die bisherigen Systeme stets hinausgingen, zu suchen, sondern den concreten Lebensverhältnissen des einzelnen Volkes, der Stufe seiner Bildung, der geographischen Lage u. Gestaltung des Landes einen besonderen Einfluß zu gestatten. So hat sich neuerdings eine historisch-physiologische Methode gebildet. Dieselbe geht davon aus, daß, wie das Volk in seiner Gesittung, Anlage u. Bildung den wesentlichsten Veränderungen unterworfen ist, ebenso auch die materiellen Bedürfnisse desselben sich ändern, damit aber auch der V. je nach den Verhältnissen andere Aufgaben gestellt werden. Sie verzichtet deshalb von vornherein auf die Aufstellung solcher idealen Zustände, wie sie die drei erwähnten Systeme früher im Auge hatten. Nach Art der Naturforscher findet sie die Aufgabe der V. vielmehr darin, neben einer einfachen Schilderung der wirthschaftlichen Natur u. Bedürfnisse des Volkes die Gesetze, welche sich daraus entwickeln lassen, u. den größeren od. geringeren Erfolg, welcher auf dem einen od. andern Wege dabei erreicht worden ist, darzulegen. Welche dieser Gesetze u. Regeln politisch anzuwenden seien, um bei einem gewissen Volke den größtmöglichen Grad des Volkswohlstandes zu erzielen, das wird dabei als eine Frage betrachtet, welche nur nach den gegebenen Zuständen, nicht aber nach unwandelbaren, überall gleichen Sätzen zu beantworten ist. In dieser Richtung sind bes. Krause, Röscher, Hildebrand, Schäffle u.A. Neuerdings thätig gewesen.

Vergleiche über Sully u. das Physiokratische System: Esprit de Sully, Dresd. 1768; Parrot, Versuch einer allgemeinen Entwickelung der staatswirthschaftlichen Grundsätze u. Verordnungen Sullys, Stuttg. 1779; F. Quesnay, La physiocratie, u. A. Yverdun 1768, 6 Bde.; Desselben Tableau économique, Vers. 1758; Desselben Maximes générales du gouvernement économique, ebd. 1758; Turgot, Recherches sur la nature et l'origine des richesses, Par. 1774 (deutsch von Mauvillon, Lemgo 1775), Is. Iselin, Versuch über die gesellschaftliche Ordnung, Bas. 1772; Springer, Über das physiokratische System, Nürnb. 1781; Dohm, Kurze Vorstellung des physiokratischen Systems, Kassel 1778. Über Colbert u. das Mercantilsystem: Necker, Éloge de Colbert, Par. 1780; Clement, Hist. de la vie et de l'administration de Colbert, Par. 1846; Bodinus. De republica, Par. 1586; Melon, Essai politique sur le commerce, Amsterd. 1735; C. Klock, De aerario, Nürnb. 1651; Becher, Politischer Discurs von den eigentlichen Ursachen des Auf- u. Abnehmens der Städte, Länder u. Republiken, Frankf. 1672; I. Law, Considérations sur le commerce et sur l'argent, Haag 1720; v. Justi, Staatswirthschaft, Lpz. 1755; J. G. Busch, Von dem Geldumläufe, Hamb. 1780; De Casaux, Bases fondamentales de l'écon polit. d'après la nature des choses, Par. 1826; Scrittori classici Italiani di economia politica, Mail. 1803–16, 50 Bde.; Fr. List, Das nationale System der politischen Ökonomie, 1841 (dagegen: Brüggemann, Lists nat. System, 1842; Osiander, Enttäuschung des Publikums etc., 1842). Über das Smithsche System: Ad, Smith, Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Lond. 1776, neueste Ausg. von Mac-Culloch, 1839; Dav. Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, 1819 (deutsch von Baumstark, 1838); I. V. Say, De l'économ. polit., 1802 (deutsch von Jacob, Morstadt, v. Theobald, Rüder u. Fahnenberg); Sartorius, Von den Elementen des Nationalreichthums u. von der Staatswirthschaft, 1806; Kraus, Staatswirthschaft, Königsb. 1808–11; n. A. 1837; Lotz, Handbuch der Staatswirthschaftslehre, Erl. 1821; n. A. 1837. Neuere: Eiselen, Die Lehre von der Volkswirthschaft, Halle 1843; Pölitz, Volkswirthschaft, Staatswirthschaft etc., 1823 u. 1827; Krause, Versuch eines Systems der National- u. Staatsökonomie, aus dem Gange der Völkercultur u. dem praktischen Leben entwickelt, Lpz. 1830; Schmitthenner, Zwölf Bücher vom Staate, 1840; Hermann, Staatswirthschaftliche Untersuchungen, 1832; Schütz, Grundsatz der Nationalökonomie, Stuttg. 1843: Eisenhart, Positives System der Volkswirthschaft, od. ökonomische Socialtheorie, Lpz. 1844; J. Kudler, Grundlehren der V., Wien 1846; Rau, Grundsätze der V., 6. A. Heidelb. 1860; Röscher, Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirthschaft nach geschichtlicher Methode, Gott. 1843; Derselbe, System der Volkswirtschaft, Stuttg. 1854 ff., 2 Bde., 3. A. ebd. 1861 ff.; Derselbe, Grundlagen zur Nationalökonomie, Stuttg, 1861; v. Gülich, Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe u. des Ackerbaues der bedeutendsten handeltreibenden Staaten unserer Zeit, Jena 1830–45; Knies, Die politische Ökonomie vom Standpunkt der geschichtlichen Methode. 1853; Schaffte, Die Nationalökonomie, Lpz. 1861; Höhe. Allgemeine V., ebd. 1863; J. Kautz Theorie u. Geschichte der Nationalökonomie, 1858 u. 1860; R. v. Mohl, Die Geschichte u. Literatur der Staatswirthschaft, Erl. 1855 ff., 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 663-669.
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