1. A Sprichwort is lehawdil1 a Thojre2. (Jüd.-deutsch. Warschau.)
1) Mit Unterschied.
2) Lehre, Gesetz. – Wird gebraucht, wenn man eine profane mit einer heiligen Sache vergleicht. Das Sprichwort gilt allgemein als Orakel.
2. Das Sprichwort selten thut betrügen, der viel schwätzet, thut viel lügen.
Lat.: Respice multiloquax, quod sis saepissime mendax. (Sutor, 474.)
3. E Schprächwîrt, e Wôrwîrt. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 1055.
4. E Sprächwôt es nit immer e wôr Wôt. (Köln.)
5. Ein Sprichwort, ein Wahrwort. – Petri, II, 540; Eiselein, 575; Simrock, 9779; Körte, 5677; Neus, 109; Herberger, Hertzpostille, I, 748; Ramann, Unterr., I, 1; Struve, 1; Braun, I, 4232; für Waldeck: Curtze, 313, 1; Firmenich, I, 326, 67; für Trier: Laven, 182, 50; für Driburg: Firmenich, I, 362, 1; für Köln: Firmenich, I, 472, 53.
Der Kladderadatsch (1873, S. 7) dagegen enthält die Mahnung: »Mach dir, mein Sohn, vor allem klar, Sprichwörter sind nicht immer wahr.« »Ich glaube«, sagt aber wieder Don Quixote zu Sancho, »es gibt kein Sprichwort, welches nicht wahr spricht; denn sie sind lauter Sprüche, die man sich aus der Erfahrung, der Mutter aller Wissenschaften, abgezogen hat.« Und eine andere Charakteristik lautet: »Der Gedanke trügt, kein Sprichwort lügt; von Mund zu Mund läuft's rein und rund; und nennen's hundert Weise dumm, es klingt, und schiert sich nichts darum.« Die Kalmücken sagen: Sprichwörter sind Wahrheit, Verleumdung ist Lüge. In der französischen Schweiz hat man folgendes, den Gebrauch der Sprichwörter besprechendes Sprichwort: Als Mann Sprichwort, Dummkopf Sprichwort, Jüngling Sprichwort – schlecht Sprichwort: Révli dé-s-anhian, révi de tukan, révi de dzouné dzin, révi de rin. (Schweiz, II, 242, 39.) Die Franzosen schildern das Sprichwort so: Chaque proverbe est prophete en son pays. (Masson, 320.) Die Engländer: Proverb say truth. Die Italiener charakterisiren das Sprichwort durch folgende Sprichwörter: I proverbio sono figli dell' esperienza. – I proverbi non fallano. – I proverbi si chiamono proverbi, perche' sono provati. (Pazzaglia, 311, 1-3.) Jüdisch-deutsch in Warschau: A Sprichwort is a Wuhrwort. Bei Blass (5): Alle Sprichwörter sind Wahrwörter. In Holland heisst es: Ein Sprichwort sagt, was der Leser will: Een spreekwoord zegt, al wat de leser wil. Man ist dort auch der Ansicht, dass es nicht stets ein Wahrwort ist, was durch die Preisschrift von D. Willigen, Een spreekwoord niet altijd een waar woord (vgl. Harrebomée, II, 21a) näher ausgeführt ist. Nach Čelakovsky haben die Slawen eine Anzahl Sprichwörter, durch die sie das Sprichwort charakterisiren. Unserm obigen deutschen entsprechend sagen[744] sie auch: Kein Sprichwort ohne Wahrheit. – Není přéslovibez prardy. (Skola, III, 39.) Die Entstehung betreffend, ist ihm nicht jede Rede ein Sprichwort. Ein einziges Feld ist keine Gegend, und des Betrunkenen Rede ist kein Sprichwort: Jedno pole neni okoli, a opilého rčé není příslovi. Ein anderes ihrer Sprichwörter sagt: Das Sprichwort kommt aus dem Verstande, und der Verstand aus dem Sprichwort: Prísloví jde z rozumu, a rozum za příslovim. (Skola, III, 39.) Und wieder ein anderes erklärt: Wie der Kopf, so das Sprichwort: Jakova hlava lakové přísloví. Auch die Polen haben dies Wort: Po głowie przysłowie. Das Sprichwort ist ihnen keine leere Rede; sie lassen es sagen: Das Märchen ist Dichtung, das Lied (besingt) eine Begebenheit, das Sprichwort ist nicht so obenhin: Pohadka smyslenka, písen událost, a příslovi ne ledacos. Ein anderes sagt: Das Sprichwort ist kein eitles Wort: Daremné slovo není příslovi. Und: Ein Sprichwort ist keine dumme Rede: Hloupá řeč není příslovi. Es ist auch ihnen die Weisheit auf der Gasse. »Ein weises Wort«, sagen sie, »liegt nicht im Kasten, sondern geht auf der Strasse einher.« Und: Das Sprichwort schwankt nicht auf dem Gebüsch herum: Moudré slovo neleži v truhlici, ale chodí po ulici. – Příslovi nekláti se po křoví. In andern wird seine Ausdrucksform, sein Alter, sein allgemeiner Gebrauch, seine Wirkung u.s.w. geschildert. Seine Kürze: Das Sprichwort ist kürzer als der Schnabel des Vogels: Jest přísloví kraisí, než zobéček płačí. Seine Leichtverständlichkeit: Das Sprichwort sagt an (d.h. es legt die Worte in den Mund): Přísloví – napovi. Sein Alter, seine Dauer, Jahrhunderte, ja Jahrtausende hindurch: Das Sprichwort bricht in Ewigkeit nicht: Aeré přísloví vĕčnĕ se nezlomi. Sein allgemeiner Gebrauch: Ohne Sprichwort kommst du nicht durchs Leben: Bez přísloví vĕk neproživeš. Man eignet sich die Sprichwörter im Leben mit andern an: Mit den Ohren kaufst du ein Sprichwort, eine gute Lehre am billigsten: Ušima dobrú več najlacinĕjíe kúpiš. Seine Wirkung im Gebrauch: Das Sprichwort wird nicht vergeblich ausgesprochen: Přísloví ne mimo se proslovi. (Vgl. Čelakovsky, Das Sprichwort über Sprichwörter, S. 1.) Das Sprichwort kommt unter sehr verschiedenen Bezeichnungen vor. Mundartlich in Westfalen wird es durch Luatelwaart bezeichnet. Up den Kârten stehet Krüüssi seggt'n wahr Luatelwaart (= Losungswort, Sprichwort). (Lyra, 29.) Auch Jeddewart, Lyra (40) heisst es: »'N ault Jeddewârt seggt all met Geschick: Butke bi Butke.« – Sehr reich an Ausdrücken für das Wort »Sprichwort« ist die ältere Literatur. C. Schultze, der gründliche Forscher auf diesem Gebiet, hat sich das Verdienst erworben, eine grosse Anzahl derselben zu sammeln und mit genauer Quellenangabe in Haupt's Zeitschrift (VIII, 376-384) zusammenzustellen. Des Weitern auf diesen Artikel verweisend, lasse ich sie auszüglich hier nach Vorausschickung der Einleitungsworte folgen. Schulze sagt: »Bei meinem seit Jahren betriebenen Quellenstudium der Sprichwörter suchte ich ein möglichst vollständiges Verzeichniss der für den Begriff Sprichwort vorkommenden Ausdrücke aufzustellen. Es erschien mir ein solches darum von Bedeutung, weil mir diese Ausdrücke zu bestätigen schienen, dass die Sprichwörter das Volksmässigste sind, was es überhaupt nächst der Sprache nur immer geben kann, weil aus ihnen die Entstehung, die Verbreitung, die Sinne, die Praktik und der Begriff des Sprichworts, welcher hierbei, wie schon Agricola und Franck thun, ziemlich weit zu fassen ist, zur Genüge ersichtlich wird.« Der älteste Ausdruck für unser Sprichwort findet sich bei Ulfilas Joh. 16, 25 und ist Gleichniss (parabola). Bei Notker nach Graff (1, 1025) biwurti (Beiwort); »ein gemeinez biwurt«; bei Konrad von Würzburg bîspel – Beispiel, auch lârspella, ydelspella, godspella für Fabel, Sprichwort, Priamel und Gleichnissrede. Maere; danach wäre Sprichwort »ein gemaeretez Wort«. Wort. Die Alten haben dieses »Wort« gebraucht, vorherrschend bei Agricola z.B. 314, 315 und 541 »als gemein, als dies Wort ist, also wahr ist es« (Agricola I, 406). Oft mit dem Zusatz: »daz ir dicke (oft) habt gehôrt«. Auch geflügelt Wort: »ein wort, daz was wîlent fiüske«. (Frauenlob, 58.) »Es sind Flugreden.« (Agricola I, 183). Wörtelin: diu liute hânt ein wörtlin. (Tristan, 129a:) Spruch: gemeiner Spruch. (Agricola I, 551.) Sage: Ez ist ein alte war sage. (Keller, Schwänke, 21.) – Jehe: Es ist einer jene vil. (Tristan, 10.) – Lêre: Diu alte lêre. (Walther, 21, 3.) – Rede: tägliche rede vnser alteltern. (Agricola, 546.) – Rath: Ez ist ein altsprochen rât. (Oswald von Wolkenstein, 6, 1.) – Man seit, man sagt. Man seit dicken, ez ist vil wâr als man dê saget. (Tristan, 12283.) Man sagt gemeiniglich bei Agricola sehr oft. – Man giht: Der wîse man giht. (Diocletian, 1847.) – Si jehent: Ez jehent diu kint (Freidank, 136, 9), und si sprechent: die wîsen sprechent. (Winsberg, 39.) - Man liset. Ich hân gelesen. (Tristan.) - Si wellent: Alse die wîsen wellent. (Iwein, 2702.) – Ich höre. Ich hab oft gehört. (Agricola I, 319.) – Ich hoere sagen: Ich hoere dicke sagen. (Freidank, 114, 25.) – Ich hoere jehen: Nu hoere ich wîse liute jehen. (Haupt, Zeitschrift, VII, 258, 29.) – Ich hoere des vaters lêre jehen. (Frauenlob, 392, 1.) Ich hoere sprechen: Ich hoere die weysen sprechen.[745] (Hätzlerin, 292a.) – Ich hoere lesen: Ich hab offt hoeren lesen. (Theuerdank, 11, 14.) – Ich hoerte ie sagen: Ich hein vil duche hôren sagen. (Hag, Reimchronik, 1739.) – Ich hörte jehen: Ich hân gehoeret jehen. (Biterolf, 2925.) – Ich han vernommen: Ich han lange har vernommen. (Winsbekin, 43.) – Ich waene. (Boner, 65, 30.) – Ez ist den wîsen allen kunt: Daz ist vil manegem wîsen kunt. (Frauenlob, 217, 7.) – Man siht: Man siht ouch dicke. (Boner, 94, 74.) Ez ist schîn: Als ez nu hie ist worden schîn. (Boner, 71, 60.) – Es geschiht: Ez was geschehen dicke. (Titurel, 3694.) Ez ist vil wâr als man dâ sage. (Tristan, 12283.)
6. Ein Sprichwort trügt nicht, der Himmel fällt nicht, Hochmuth währt nicht.
Frz.: Proverbe ne peut mentir. (Masson, 320.)
7. Es geht ein Sprichwort unter uns: der Adel ist ungestalt und Hässlichkeit ihm folget auf der Ferse.
8. Jedes Sprichwort muss einen Zipfel haben, wo man's anfasst. – Holtei, Eselsfresser, I, 183.
Holl.: Een spreekwoord een waar woord. (Harrebomée, II, 292b.)
9. Kein Sprichwort lügt, sein Sinn nur trügt. – Eiselein, 575.
10. Sprichwörter sind die Weisheit auf der Gasse.
Engl.: A proverb is the child of experience. – Proverbs are the wisdom of ages, of antiquity.
Holl.: Spreekwoorden zijn dochters der dagelijksche ondervinding. (Harrebomée, II, 293.)
11. Sprichwörter sind Schmetterlinge, einige werden gefangen, andere fliegen fort. – Altmann VI, 493.
12. Uch e Schprächwîrt äs net äinjden e wôr Wîrt. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 1056.
13. Wir haben viel grobe Sprichwörter, aber gute Meinung.
*14. Er (es) ist (andern) zum Sprichwort geworden.
Lat.: Cessit in proverbium. (Plinius.) (Philippi, I, 81.)
*15. 'S îs ok sû a Schprichwurt. (Schles.) – Frommann, III, 411, 32.
16. Das Sprichwort wird alt, doch wer sich drin spiegelt, verjüngt die Gestalt.
It.: Il proverbio s' invecchia, e chi vuol far bene vi si specchia. (Giani, 1426.)
17. Ein Sprichwort ist kein Trugwort.
It.: Proverbio non falla. – I proverbi son provati. (Giani, 1423-24.)
18. Sprichwörter lehret die Erfahrung. – S. Franck, Die guldin Arch, 1539, Bl. CXCVII.
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