Südamerika

[326] Südamerika, die untere Hauptmasse Amerikas, eine Halbinsel, welche nur durch die Landenge von Panama mit Nordamerika zusammenhängt, verdient vorzugsweise den Namen Amerika, weil Amerigo Vespucci der Entdecker dieser südl. Hälfte ist. Die Gestalt Südamerikas kann man mit der eines rechtwinklichen Dreiecks vergleichen, dessen Grundlinie im Norden liegt, während die Spitze das südlich gelegene Cap Horn bildet. Die Grundlinie dieses Dreiecks erstreckt sich von der Landenge von Panama bis zum Cap St.-Roque, indem sie sich etwas nach Süden herunterzieht, rechtwinklich auf ihr steht die Küste, welche vom Cap St.-Roque bis zum Cap Horn reicht, und von dem letztern geht die Küste, fast stets in nördl. Richtung sich haltend, bis wieder zur Landenge von Panama. Die angegebenen Linien sind die erste 690, die zweite 850 und die dritte 1000 Meilen lang und umschließen einen Flächenraum von etwa 350,000 ! M. Die ganze Ländermasse Südamerikas liegt gegen die von Nordamerika um 40 Längengrade weiter nach Osten. Die südlichste Spitze, das Cap Horn, liegt nicht auf dem Festlande, sondern auf der Insel Feuerland, welche durch die Magelhaensstraße von jenem getrennt wird. Die Westküste ist in ihrem untern Theile mit einer Anzahl von Inseln besetzt, zu denen der Chiloe-Archipel, die Inseln Campana, Madre de Dios, St.-Martin, Scilla, Lobes u.a. gehören. Das große ganz Amerika durchziehende Gebirge zieht sich an der Westküste unter dem Namen der Cordilleras de los Andes in einer Länge von 900 Meilen bei nur 13–20 Meilen Breite herab. Ein schmaler Küstenstrich, der an [326] den breitesten Stellen nur 10–15 Meilen breit ist, trennt es vom Meere. Von dem Hauptzuge, welcher sich zuweilen verdoppelt, ja verdreifacht, gehen Seitenarme aus, welche sich mehr oder weniger weit nach Osten in das Innere des Landes erstrecken. Der Hauptzug ragt in einzelnen Gipfeln außerordentlich hoch empor. Der Nevado de Sorata ist 23,600 F, der Nevado de Illimani 23,000 F, der Chimborazo über 20,000 F., der Carjambe 18,400 F., der Antisana 18,000 F., der Cotopaxi 17,700 F. hoch. Die meisten dieser hohen Berge sind Vulkane, wie denn die ganze Kette der Andes vulkanischer Beschaffenheit ist, womit die zahlreichen Erdbeben zusammenhängen, welche namentlich in dem 7000 F. hohen Thale von Quito vorkommen. Die Andes fallen in der Nordhälfte zu dem Tieflande des Maranhon oder Amazonenflusses, in der Südhälfte zu dem Tieflande des La Platastromes ab, und vier Quergebirge, die Sierra de Cordova, die Sierra de Salta, die Sierra nevada von Cochabamba und Santa Cruz, und die Sierra von Beni, erstrecken sich in das Innere des Landes. In dem nördlichsten Theile (von 18° S. Br. bis 7° N. Br.) spalten sich die Andes, um sich immer wieder zu vereinigen, sodaß auf diese Weise neun verschiedene Gebirgsknoten entstehen. Zwischen diesen Ketten liegen dann 6–12,000 F. hohe Hochebenen, auf denen in Folge dieser Höhe eine angenehme Temperatur herrscht, obschon sie mitten in der heißen Zone liegen. Unter dem 7° N. Br. spalten sich die Andes unter dem Namen der Cordilleras von Neu-Granada in drei Zweige, welche sich nicht wieder vereinigen, sondern in das Tiefland bis zum Meere und bis zur Landenge von Panama abfallen, die an der schmalsten Stelle nur 600 F. über den Meeresspiegel sich erhebt. Abgesonderte Gebirgstheile sind im S.: das Küstengebirge von Venezuela an der Nordküste gegen das Antillenmeer, das Hochland Guyana oder die Gebirge von Parime zwischen dem Orinoko und dem untern Amazonenflusse, das Hochland von Brasilien zwischen den Niederungen des La Plata und des Amazonenflusses mit drei Gebirgsketten, welche nicht bis 6000 F. sich erheben. Die Tiefländer Südamerikas zeichnen sich durch mächtigen Pflanzenwuchs aus, sodaß man hier keine afrik. Sandwüsten findet, sondern statt derselben baumlose aber fruchtbare Ebenen, welche am Orinoko Llanos (s.d.), am La Plata Pampas (s.d.) heißen. Bedeutende Seen hat S. nur wenige, namentlich den Maracaybo an der nördl. Küste und den Titicaca auf den Andes in Bolivia. Die großen Ströme S.'s sind, wie schon erwähnt: der La Platastrom, der aus dem Paraguay und dem Parana entsteht, der Maranhon oder Amazonenstrom mit dem Rionegro und der Orinoko. Südamerik. Inselgruppen sind außer den schon erwähnten näher am Festlande liegenden: Die Gallopagos oder Schildkröteninseln westl. von Colombia, die Felixinseln und die Juan Fernandez-Inseln westl. von Chile, Südshetland, Südorkney, Sandwichland, Süd-Georgien, die Maluinen oder Falklandsinseln südl. und östl. von Patagonien, Fernando de Narunha östl. von Brasilien.

Merkwürdig ist, daß Amerika und namentlich S, trotzdem daß es in Bezug auf Klima und Boden gegen die übrigen Erdtheile im offenbaren Vorzuge ist, doch diesen mit seiner Thierwelt beiweitem nachsteht. Es mangeln ihm nicht nur eine Menge Thierarten der alten Welt gänzlich, wogegen die wenigen ihm eigenthümlichen Gattungen nicht in Anschlag kommen, sondern auch. diejenigen Thierarten, welche ähnlichen Gattungen der alten Welt entsprechen, stehen diesen in Körperkraft und Größe bei weitem nach. Die Löwen, Tiger und Krokodile S.'s sind bei weitem schwächer als die Asiens und Afrikas; dasselbe Resultat stellt sich heraus, wenn man den amerik. Strauß mit dem afrik., den Tapir mit dem Nilpferde, den Tajassu mit dem afrik. Emhalo, den Buffalo mit dem Auerochsen, den Maipuri und Penchaque mit dem Rhinozeros, den Pekori mit dem Eber, das Lama und das peruanische Schaf (Vicuña) mit dem Kameel vergleicht. Das Pferd ist in S. ursprünglich nicht einheimisch, überhaupt hat S. außer dem Lama kein einziges Lastthier. Die Hausthiere geben ein wenig nährendes Fleisch, und europ. Fleisch gilt in manchen Gegenden als Leckerbissen. Die Zahl der Vögel übertrifft in Amerika die aller Landthiere und in frühern Zeiten sind sie wahrscheinlich in ungeheurer Menge vorhanden gewesen. An der Küste von Peru findet man den Guano in einer Strecke von 100 Meilen Länge in 600 F mächtigen Schichten, welcher nichts Anderes als der verhärtete Koth von Seevögeln ist. Reich ist dagegen die Pflanzenwelt und noch reicher das Mineralreich S.'s und hier übertrifft es die alte Welt bedeutend. Durch Stärke und Mannichfaltigkeit zeichnet sich die Pflanzenwelt aus, aber auch durch ganz vorzügliche eigenthümliche Gattungen, in welcher Beziehung man nur an die Kartoffel in Peru und Chile, den Taback in Colombia, die Chinarinde in Quito, Popayan u.s.w. erinnern darf. Die reichsten und ergiebigsten Gold- und Silberminen der Erde hat S, namentlich in den Gegenden unter dem Äquator. Brasilien liefert die meisten und größten Diamanten, welche aber den asiat. an Güte nachstehen. (Vergl. Amerika.)

Gegenwärtig besteht die Bevölkerung S.'s aus Urbewohnern, Weißen, Negern und Mischlingen dieser verschiedenen Racen. Die Ureinwohner haben sehr abgenommen. Sie bilden eine große Anzahl verschiedener Stämme, welche verschiedene Sprachen haben, jedoch meist die Sprache der Guaraniindianer auch verstehen. Man kann unter diesen Urbewohnern wieder verschiedene Racen unterscheiden, die rothe ist wahrscheinlich die ältere, während später aus der alten Welt sich Einwanderer einfanden, welche abweichende Racen begründeten. In manchen Gegenden sind die Urbewohner noch ganz abhängig, während sie in andern zum kathol. Christenthum bekehrt und unterworfen sind. Vor Entdeckung Amerikas standen einzelne, wie namentlich die Peruaner, auf einer ziemlich hohen Bildungsstufe. Durch Größe und Stärke zeichnen sich die Urbewohner Chiles aus. Segensreicher als die span. Herrschaft war für die Ureinwohner in Paraguay und Tucuman die Regierung der Jesuiten im 17. und 18. Jahrh., welche zahlreiche Colonien anlegten. Die Bewohner Patagoniens galten früher für ein Volk von Riesen, welches sie freilich nicht sind, doch sind sie im Allgemeinen von ansehnlicher Größe, kriegerisch und gegen ihre Feinde grausam. Desto verkommener ist der auf Feuerland lebende Stamm der Pescherähs. In Brasilien machen die Indianer, welche sich der Herrschaft zu entziehen wissen, die Straßen unsicher. Die Neger sind verhältnißmäßig nicht zahlreich, besonders seit in allen selbständigen republikanischen Staaten die Sklaverei abgeschafft und seit 1830 auch in Brasilien die Einfuhr von Sklaven verboten [327] ist und wenigstens nicht mehr öffentlich betrieben wird. Ausgedehnte Rechte und Besitzungen haben seit Karl II. von England die Juden in dem holländischen Guiana. Die 14 Mill. Menschen, welche S. bewohnen sollen, leben außerordentlich zerstreut, sodaß große Strecken fast menschenleer sind. Die freien Urbewohner, etwa 1 Million betragend, leben nach Stämmen zusammen, welche unter eignen Oberhäuptern, Kaziken genannt, stehen. Die Männer treiben Fischfang und Jagd, während die Weiber den Feldbau und die häuslichen Arbeiten besorgen. Je weiter man in das Innere des Landes eindringt, desto mehr verschwinden die Spuren der Cultur der Menschen und des Bodens. Zucker, Kaffee, Baumwolle, Taback wird auf Plantagen vorzüglich in Guiana, Brasilien und Venezuela betrieben. Die weiten grasreichen Ebenen bieten treffliche Gelegenheit zur Viehzucht, man betreibt diese im größten Maßstabe, sodaß die Heerden im halbwilden Zustande herumlaufen und man dieselben fast nur hält, um Häute, Talg und Hörner zu gewinnen, mit welchen dann ein ansehnlicher Handel getrieben wird.

In den Besitz von fast ganz S. theilten sich früher Portugal und Spanien, aber beiden Staaten haben diese unermeßlichen Besitzungen nicht zum Segen, sondern zum Schaden gedient. Durch ihre eigne Schuld, durch die schlechteste Verwaltung sind sie endlich um die Herrschaft in denselben gänzlich gekommen und gegenwärtig ist S. mit Ausnahme von Guiana gänzlich unabhängig von Europa. Die spanischen Besitzungen reichten von den Mündungen des Orinoko gen Westen bis zu den Küsten des großen Oceans, gen Süden bis Buenos Ayres, aber sie nahmen auch Patagonien, das Feuerland, die Falklandsinseln, die Banda oriental, und alles Land zwischen dem Paraguay und Uruguay in Anspruch; Portugal beanspruchte alles Land zwischen dem Ucayate und der Mündung des Amazonenflusses. Lange waren Spanien und Portugal in Streit über die Grenzen ihrer Macht in S., welche der Papst zu entscheiden unternahm, indem er eine Demarcationslinie zog, bei welcher jedoch die geographische Länge Brasiliens zu weit östlich angenommen war, sodaß sie in das atlantische Meer fiel und das Festland von Brasilien gar nicht traf. Später setzte der Papst zwar eine andere Grenzlinie fest, doch wurden erst 1778 durch einen Vertrag zwischen Spanien und Portugal die Grenzen festgesetzt. Die span. Besitzungen bestanden aus den drei Königreichen Neu-Granada, Peru und Rio de la Plata und den Generalcapitanien Caraccas oder Venezuela und Chile. Sie umfaßten an 163,000 ! M. mit etwa 6 Mill. Einw. Der Rath von Indien in Madrid, nur geleitet von Eigennutz und Habsucht, dabei ohne alle genauere Kenntniß amerik. Zustände, beging bei Verwaltung dieser Länder die größten Misgriffe und Ungerechtigkeiten. Die öffentlichen Ämter wurden fast nur an geborene Spanier vergeben und dabei mehr auf persönliches Wohlwollen und Empfehlungen Rücksicht genommen als auf Verdienst und Befähigung. Müßiggänger, Verschwender und Habsüchtige suchten die Colonien auf mit der einzigen Absicht, hier in der schnellsten Zeit Reichthümer zu erwerben und diese dann nach Europa zurückzubringen. Für die Bildung des Volkes geschah wenig, der Ackerbau wurde nicht gepflegt, ja zum Theil nicht einmal erlaubt, die Anlegung von Fabriken ebenso wenig und der Handel war nur Spaniern vergönnt. Andere Europäer als Spanier durften nicht einmal Reisen in diesen Ländern unternehmen. Dennoch konnte es die span. Regierung nicht verhindern, daß nicht allmälig ein Theil der Einwohner zu Bildung und Reichthum gelangte, namentlich war dieses unter den Kreolen der Fall, und je tiefer nun die politische Macht und das Ansehen Spaniens in Europa sank, desto weiter griff der Gedanke an eine Losreißung von Spanien und der Wunsch nach Freiheit in den südamerik. Colonien um sich. Seit 1810 brach dann in allen diesen Colonien die Empörung aus, welche nach langen blutigen Kämpfen die völlige Vertreibung der Spanier zur Folge hatte, und es entstanden auf diese Weise die Freistaaten: Colombia (s.d.), welches sich 1830 wieder in die Staaten Venezuela, Neu-Granada und Ecuador oder Quito trennte, Chile (s.d.), die argentinische Republik (s.d.) oder die vereinigten Staaten des Rio de la Plata und Uruguay (s.d.), Cisplatina oder die Banda Oriental. Zu den genannten kommen dann noch Paraguay (s.d.), das Land der Auracos (s.d.), Patagonien (s.d.), Feuerland (s.d.) und die südlichen Inseln. Brasilien (s.d.) erklärte sich 1821 für unabhängig. Im Allgemeinen befinden sich die südamerik. Staaten noch in dem Zustande polit. Unmündigkeit. Die span. und portug. Regierung haben die Sittenverderbniß zurückgelassen, welche es zu keiner dauernden und durchgreifenden Gestaltung der Staatsverfassung kommen läßt, und so folgen sich in jenen Staaten Revolutionen auf Revolutionen, welche Ehrgeiz, Parteisucht und Habsucht hervorruft, und bei denen ein gesetzlich geordneter sittlicher Zustand nicht bestehen kann. England, Frankreich und die Niederlande haben noch Colonien in Guiana (s.d.).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 326-328.
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