Buch [2]

[521] Buch (hierzu Tafel »Buchschmuck I-IV«), im allgemeinen mehrere zu einem Ganzen verbundene Blätter oder Bogen Papier, Pergament etc., mögen diese beschrieben sein oder nicht; meistenteils versteht man jedoch heutzutage unter B. einen Band von bedruckten Blättern. Der Name B. (mittelhochd. buoch, althochd. buoh, angelsächs. bôk) hängt jedenfalls mit Buche zusammen und ist wohl davon herzuleiten, daß bei den Germanen in alter Zeit die Runen vorzugsweise auf Stäbchen aus den Zweigen einer Buche eingeritzt wurden (daher noch im Englischen to write, »schreiben«, eigentlich »ritzen«); nach andern davon, daß man Tafeln von Buchenholz zum Beschreiben oder zum Einband wählte. Der lateinische Name für B., liber, bedeutet Baumbast, den die Römer für den Schreibstoff der ältesten, noch unkultivierten Zeit gehalten zu haben scheinen; der griechische, byblos oder biblos, die Papyrusstaude, aus deren Mark das gewöhnliche Schreibmaterial der Alten bereitet wurde. Indem man eine größere Quantität solcher Papyrusblätter zu einem langen Streifen aneinander klebte, der zur bequemen Aufbewahrung zusammengerollt wurde, entstand die Rolle (kylindros, volumen), die ursprünglichste und auch lange Zeit hindurch die ausschließliche Form des antiken Buches. Die Enden des Streifens, der nur auf einer Steite beschrieben war, wurden an dünne, runde Holzstäbchen befestigt, um die man die Rolle auf- oder abwickelte. Als äußere Hülle derselben diente ein Futteral aus Pergament, das oft gefärbt (meist rot) war. An der geschlossenen Rolle war auswendig ein Pergamentstreifen (index, sillybos) angebracht, der heraushing, und auf dem Verfasser und Titel des betreffenden Werkes geschrieben war. Schon unter den ersten römischen Kaisern ist auch Pergament zur Herstellung von Büchern verwendet worden, doch geschah dies nur ausnahmsweise, und es wurden dergleichen Bücher sehr gering geschätzt. Erst im 4. Jahrh. drang das Pergament durch. Es wurde in Lagen zusammengelegt und gebrochen; mehrere solcher Lagen bildeten dann einen Kodex, der, durchaus nach dem Muster der Wachstafeln (s.d.) angelegt, eine Erweiterung derselben ist. Andre Schreibstoffe, wie Metall, Holz etc., sind nur ganz ausnahmsweise zu Büchern verwendet und gehören zu den Kuriositäten (Weiteres über das antike und mittelalterliche B. s. Handschrift). Das Bücherwesen war bei den Griechen und Römern bereits sehr entwickelt. Die Vervielfältigung eines Buches wurde durch Sklaven fabrikmäßig betrieben, bedeutende öffentliche und Privatbibliotheken bestanden in großer Anzahl, und selbst der Buchhandel (s.d.) stand schon in Blüte. Dagegen wurden die Bücher im Mittelalter teurer und seltener, teils infolge der geringern Verbreitung literarischer Interessen, teils wegen des hohen Preises des Pergaments, das im eigentlichen Mittelalter das einzige Schreibmaterial war. Das, Format der Handschriften richtete sich natürlich nach der Größe des dem Schreiber zu Gebote stehenden Pergaments, während die Papyrusrolle wegen des sehr empfindlichen Ma-'erials eine bestimmte Höhe und Länge gewöhnlich nicht überschritt. (Über Seiteneinrichtung, Kolumnen, Liniierung s. Handschrift.) Nach Erfindung des Lumpenpapiers, noch mehr nach Erfindung der Buchdruckerkunst gingen nicht nur zweckmäßige Veränderungen in der äußern Gestalt der Bücher vor, sondern die Bücher wurden auch bald so wohlfeil, daß sie allmählich allen Klassen des Volkes zugänglich wurden.

Das B. im modernen Sinn (als aus zusammengefalteten Blättern bestehend) wurde, seinem Wert oder seiner Bedeutung entsprechend, schon frühzeitig Gegenstand künstlerischer Behandlung. Sie erstreckte sich einerseits auf das Äußere, d. h. den Einband (s. Buchbinden), anderseits auf das Innere, d. h. auf Pergament und Papier, Schrift und Druck. Die Abschriften der heiligen, d. h. für den christlichen Gottesdienst bestimmten Bücher (Evangelienbücher, Chorbücher, Psalterien etc.) wurden mit besonderer Sorgfalt, bisweilen mit farbiger oder Goldtinte auf weißem oder gefärbtem Pergament ausgeführt. Die Anfangsbuchstaben erhielten durch Schnörkel, dann durch Vergoldung, Malerei etc. besondere Verzierungen, und allmählich entwickelte sich eine Schreibkunst, aus der schließlich die Miniaturmalerei hervorging (s. Miniatur). Das Beispiel eines durch hervorragende künstlerische Ausstattung ausgezeichneten geschriebenen Gebetbuchs liefern die Abbildungen auf S. 522; vgl. auch die Proben von Buchverzierungen auf den Tafeln »Ornamente II-IV«.

Nach der Erfindung der Buchdruckerkunst ging die Verzierung der Bücher mit kunstvollen Initialen, Einfassungen, Randverzierungen, Schlußstücken etc. an die Holzschneider über, die z. T. nach eignen Erfindungen, zum größern Teil nach Vorlagen von Malern und Kupferstechern arbeiteten, die häufig ganze Alphabete lieferten (Tafel II, Fig. 2 u. 3). Wenn die Initialen sich auf Umrisse beschränkten, wurden sie gewöhnlich nach Art der frühern Miniaturmalereien illuminiert (s. das Bibelfaksimile bei Artikel »Buchdruckerkunst«). Während in der zweiten Hälfte des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrh. in der Buchverzierung, entsprechend der allgemeinen Richtung der Kunst, der gotische Stil maßgebend war, trat mit Beginn des 16. Jahrh., zuerst in Italien, dann in Deutschland und Frankreich, der Renaissancestil an seine Stelle. Das Aufblühen und die künstlerische Entwickelung der Buchverzierung hängt eng mit der Entwickelung und Ausdehnung der Buchdruckerkunst zusammen. In Städten, wo hervorragende Buchdrucker tätig waren, besonders in Venedig, Basel, Nürnberg, Augsburg, Frankfurt a. M., Lyon, Paris, Wittenberg, Halle, Antwerpen, fanden sich auch bald Zeichner, Holzschneider und Kupferstecher zusammen, die vorwiegend für die Verzierung und Illustration von Büchern tätig waren. Seit dem Ende des 15. Jahrh. wurde, ebenfalls nach dem Vorbilde der alten Bilderhandschriften, ein besonderer Wert auf die künstlerische Gestaltung der Titelblätter gelegt, die zumeist sehr reich mit Figuren, Sinnbildern, Emblemen etc. ausgestattet wurden, um zugleich den Inhalt des Buches zu kennzeichnen. Solche Titelblätter (zugleich auch [521] Initialen, ganze Alphabete, Buchdruckerzeichen u. dgl.) sind z. T. von den ersten Meistern der Renaissance- und der spätern Zeit erfunden und gezeichnet worden, wodurch die damit ausgestatteten Bücher einen hohen künstlerischen Wert erhalten und demgemäß in Originalausgaben von Bücherliebhabern mit hohen Preisen bezahlt werden. H. Holbein d. jüng. war zumeist für Baseler Druckereien tätig (Tafel I, Fig 1, und Tafel II, Fig. 6). Sein Alphabet des Todes und sein Kinderalphabet haben besondere Berühmtheit erlangt. Für Augsburger Druckereien arbeiteten H. Burgkmaier (Tafel II, Fig. 1) und andre schwäbische Künstler, für Wittenberg und Halle L. Cranach und seine Schule, für Frankfurt a. M. Hans Sebald Beham, für Köln Anton Woensam von Worms.

Fig. 1. Lateinisches Horarium (Gebetbuch), aufgeschlagen, aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Miniatur stellt die Flucht nach Ägypten dar. Naturgröße. (Berlin.)
Fig. 1. Lateinisches Horarium (Gebetbuch), aufgeschlagen, aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Miniatur stellt die Flucht nach Ägypten dar. Naturgröße. (Berlin.)
Deckel des Horariums. Durchbrochene Goldarbeit, mit 27 Diamanten besetzt.
Deckel des Horariums. Durchbrochene Goldarbeit, mit 27 Diamanten besetzt.

In Frankreich übte während des 16. Jahrh. der Zeichner, Drucker und Buchverleger Geoffroy Tory einen bedeutenden Einfluß auf die Buchverzierung aus (Tafel I, Fig. 2, und Tafel II, Fig. 7), die, von der italienischen Renaissance ausgehend, eine zum französischen Barock und Rokoko führende Richtung einschlug. Alle diese Künstler haben für den Holzschnitt gearbeitet, ebenso die italienischen, die, vermutlich um eine malerische Wirkung ohne Illumination zu erzielen, die Initialen und Verzierungen hell aus dunkelm Grunde heraustreten ließen (Tafel II, Fig. 4 u. 5), was später allgemein nachgeahmt wurde (Tafel II, Fig. 1 u. 8). Mit dem Ende des 16. Jahrh. trat der Kupferstich bei der Buchverzierung in den Vordergrund. Er wurde besonders in Antwerpen gepflegt, wo Rubens und seine Schüler zahlreiche Vorlagen für die Druckereien von Plantin-Moretus, Meursius u. a. (Tafel I, Fig. 3, und Tafel II, Fig. 10) lieferten, die in Kupfer gestochen wurden. In zierlichem Kupferstich wurden auch fast alle Buchverzierungen der Rokokozeit ausgeführt (Tafel I, Fig. 4, und Tafel II, Fig. 9 u. 11), während der namentlich Frankreich Muster geschmackvoller Buchverzierung und Buchillustration hervorgebracht hat (vgl. Illustration).

Seit dem Beginn des 19. Jahrh. hörte man, in Deutschland wenigstens, auf, das B. als ein Kunstwerk im ganzen zu behandeln, und legte nur einigen Wert auf den Einband. Mit dem allgemeinen Aufschwung des Kunstgewerbes zu Anfang der 1870er Jahre trat auch die künstlerische Ausstattung des Buches wieder in den Vordergrund im Anschluß an die Stilwandelungen, die das Kunstgewerbe durchmachte. Die Nachahmung der Druckwerke der Renaissance- und Barockzeit wurde aber bald so weit getrieben, daß die Illustration, namentlich in der sogen. Prachtwerkeliteratur, in den bessern deutschen Druckwerken derartig das Übergewicht erlangte, daß auf eine künstlerische Behandlung des Textes kein Gewicht mehr gelegt und dieser schließlich zur Nebensache wurde. Eine Gegenbewegung erhob sich zwar bereits in der Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrh.; da diese aber an die damals zur Herrschaft gelangte deutsche Renaissance anknüpfte, erhielt sie sich nur so lange in der Gunst des Publikums, als die Freude an der deutschen Renaissance währte. Bis in die Gegenwart hinein haben sich nur die Druckwerke behauptet, die aus dem Zusammenwirken des Malers Otto Hupp und der Drucker M. Huttler und H. Wallau in München hervorgegangen sind, in weitern Kreisen besonders die Münchener Kalender. Ihre Vorzüge liegen in der Unterordnung des Buchschmuckes unter den Text, der Herstellung eines möglichst geschlossenen Textbildes, der Anwendung einer kräftigen, dem Auge wohltuenden Farbe und dem Bewußtsein, daß eine Buchseite wie eine Flächendekoration wirken soll. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit dieser Stilgesetze war englischen Zeichnern und Druckern schon früher ausgegangen. Engländer, an ihrer Spitze der Maler W. Crane, gingen auf die deutschen Drucke des 15. Jahrh. zurück, die den Eindruck der geschlossenen Seitenbilder wiederzugeben suchten, die die Schreiber des Mittelalters in jahrhundertelanger Übung zu feststehenden Typen ausgebildet hatten. Auf die gotischen Drucke hat auch William Morris, der Reformator des englischen Kunstgewerbes, zurückgegriffen, als er 1890 eine Druckerei unter dem Namen Kelmscott Press begründete und eine Reihe von Druckwerken herausgab, die wegen ihrer harmonischen künstlerischen Wirkung und ihres feinen Geschmacks in der Ausstattung in England hochgeschätzt werden (Tafel III, Fig. 5). Morris kam aber über die Nachahmung alter Drucke nicht hinaus. Viel freier bewegte sich innerhalb derselben [522] Grundsätze Walter Crane, der eine stärkere künstlerische Individualität einsetzen konnte (Tafel III., Fig. 2). Dieses Streben ist auch in Deutschland zum Durchbruch gekommen, nachdem sich die Künstler, die die moderne Richtung vertreten, in den Dienst des Buchgewerbes gestellt hatten. Die Abbildungen auf unsern Tafeln bieten eine Auswahl aus den besten Erzeugnissen des neuern Buchschmucks, der sich wie im Mittelalter und in der Renaissancezeit auf das Titelblatt, auf besonders auszuzeichnende Textseiten, auf Kapitelanfänge, Initialen, Einfassungen, Kopf- und Randleisten, Zwischentitel, Schlußstücke u. dgl. erstreckt. Auch in Deutschland, Frankreich, Belgien und Holland geht neben der archaisierenden, an ältere Vorbilder sich anschließenden Richtung, die auf unsern Tafeln durch Joseph Sattler (Tafel III, Fig. 3) und M. Lechter (Tafel IV, Fig. 4) vertreten wird, eine freiere einher, die zugleich den Geist der modernen nunst widerspiegelt (Tafel III, Fig. 1 u. 4; Tafel IV., Fig. 1 u. 3). Diese Richtung ist besonders auch in der modernen Kunstzeitschrift »Pan« (1894–1900) und in der von Georg Hirth begründeten Münchener Wochenschrift »Jugend« (Tafel IV, Fig. 2) zur Geltung gekommen. Vgl. Egger, Histoire du livre (Par. 1880); Birt, Das antike Buchwesen (Berl. 1882); Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (3. Aufl., Leipz. 1896); Weise, Schrift- und Buchwesen in alter und neuer Zeit (das. 1899); Jessen, Der deutsche Buchdruck auf neuen Wegen (in »Kunst und Handwerk«, Münch. 1898); L. Pissarro, De la typographie et de l'harmonie de la page imprimée (Lond. 1898); I. Luther, Der Buchdruck und Buchschmuck der alten Meister (Berl. 1901); 23. Crane, Von der dekorativen Illustration des Buches in alter und neuer Zeit (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1901); Grautoff, Die Entwickelung der modernen Buchkunst in Deutschland (das. 1902); »Le livre« (Monatsschrift, Par. 1880ff.); »Zeitschrift für Bücherfreunde« (Bielef., seit 1896).

Buch heißt auch ein größerer Teil einer zusammenhängenden Schrift, der wohl auch für sich als abgeschlossenes Ganze gelten kann, z. B. in der Bibel die Bücher Mosis, B. Josua etc.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 521-523.
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