[501] Kambodscha (Kambodja, Camboja), franz. Schutzstaat in Hinterindien (s. Karte »Französisch-Indochina«), zwischen 10°30'13°30' nördl. Br. und 103°50'106°20' östl. L., begrenzt von Siam im W. und N., Anam im O., von Kotschinchina im S. und dem Meerbusen von Siam im SW., 96,900 qkm mit (1900) 1,102,244 Einw., darunter 40,000 Malaien, 250,000 Chinesen u. Anamiten, 350 Christen. Längs der niedrigen Küste liegen zahlreiche kleine Inseln, deren Bewohner sich mit Trepangfischerei beschäftigen. Den Westen und Nordwesten durchziehen bis 1200 m hohe, bewaldete Hügelketten, den östlichen äußerst fruchtbaren flachen Teil durchfließt der hier durchweg schiffbare Mekong, der sich bei der Hauptstadt Pnom Penh in zwei Arme spaltet und zugleich den Abfluß des 2400 qm großen und bis 14 m tiefen Sees Tonlesap aufnimmt, ihm aber in der Regenzeit bedeutende Wassermassen zusendet. Das Klima ist angenehm; die Temperatur im Sommer übersteigt selten 33°, fällt im November bis Februar nur bei sehr kühlen Nächten bis 15°; mittlere Jahrestemperatur ist 26°. Die Pflanzenwelt bildet mit der von Anam und Siam ein eignes, durch zahlreiche Klusiazeen, besonders Gummiguttbäume ausgezeichnetes, aber wenige Palmen enthaltendes Gebiet und ist außerordentlich reich an kostbaren Hölzern sowie an Pfeffer, Kardamomen, Harzen, Lack u. a., die aber bisher wenig ausgebeutet sind. Die Tierwelt ist die ostindische; Tiger, Leoparden, Elefanten (das einzige Lasttier), Rhinozerosse, wilde Rinder bevölkern die großen Wälder; Blutegel und Moskitos sind arge Plagen. Von Metallen finden sich Gold, silberhaltiges Blei, Kupfer und Eisen, letzteres von den Kui gewonnen und bearbeitet. Die Bevölkerung besteht meist (906,255) aus Eingebornen und Malaien, im übrigen aus 70,295 Anamiten, 117,755 Chinesen und nur 497 Europäern. Die Eingebornen sind den Siamesen nahe verwandt, haben aber weit gröbere Züge, sind auch weniger zivilisiert, dabei friedlich und gelehrig, aber phlegmatisch. Sie leben meist an den Flüssen in Bambushütten auf Pfählen. Es herrscht Polygamie. Die größere Hälfte bilden die Khmer (s. d.); in den Bergen haben sich noch Reste der unzivilisierten Urbewohner (Kui, Penong, Stieng) erhalten. Die soziale Stellung wird bedingt durch die Einteilung in fünf Klassen; dies sind die (steuerfreie) zahlreiche königliche Familie, der Adel (Pré-Wong, Abkömmlinge der alten Könige), die Baku (Nachkommen der alten Brahmanen), die Buddhapriester, das übrige Volk (vgl. Faque in »Mémoires de la Société d'anthropologie«, 2. Serie IV, Par. 1893). Die Sklaverei ist seit 1884 abgeschafft. Die alte Sprache, jetzt mit zahlreichen Fremdwörtern versetzt, nähert sich dem Siamesischen und Anamitischen; Schrift und Literatur sind dem indischen Pâli entlehnt. Vgl. Aymonier, Dictionnaire français-cambodgien (Saigon 1874) und L'épigraphie kambodjéenne (das. 1881); Barth, Inscriptions sanscrites du Cambodge (das. 1885). Vorherrschende Religion ist ein mit Brahmanismus verquickter Buddhismus, worin die Mönche (Talapoins) eine große Rolle spielen; ihre beiden Oberhäupter stehen nur dem König nach. Die Malaien sind Mohammedaner. Die christliche Religion ist durch die katholische Kirche seit langer Zeit verbreitet worden, doch sind von 16,000 eingebornen Christen die meisten Anamiten und nur 900 Kambodschaner. In Pnom Penh besteht eine höhere Schule mit 276, außerdem eine Elementarschule mit 193 Schülern; sonst ist die Sorge für den Unterricht den buddhistischen Mönchen überlassen. Die Zeitrechnung ist eine dreifache: eine religiöse, eine politische und eine bürgerliche; die letzte, gebräuchlichste, beginnt 638 n. Chr. Hauptbeschäftigung ist Landwirtschaft. Man baut vornehmlich Reis, das Hauptnahrungsmittel, dann Baumwolle, Tabak, Mais, Zimt, Kaffee, Pfeffer (jährlich 750,000 kg), Indigo, Kardamomen, ausgezeichnete Areka- und Muskatnüsse. Auch gewinnt man Palmzucker, Wachs, Gummi; außerordentlich ergiebig ist die Fischerei im Tonlesap. Starke Ponies werden in Lande gezüchtet, auch die Seidenraupenzucht ist beträchtlich, ebenso die Weberei von schönen Seiden- wie von Baumwollenstoffen. In Khsach-Kandal bei Pnom Penh befinden sich wichtige Fabriken zur Schälung[501] von Baumwollsamen. Der Handel zur See geht über Kampot (s. d.), den einzigen, aber nur für kleine Schiffe zugänglichen Hafen des Landes, sonst durch den Mekong über Saigon; daher wird auch die Handelsstatistik mit Kotschinchina (s. d.) gemeinsam verrechnet, wie auch Post und Telegraphen beiden Kolonien gemeinsam sind; die Einfuhr besteht hauptsächlich aus Salz, Wein, Geweben, Waffen. Das Geld- und Maßwesen ist dem anamitischen ähnlich; die alte Lochmünze aus unedlem Metall heißt Peti, 10 Schnüre von 60 solchen Tschutschu. Nach ausgiebiger Prägung des französischen Handelspiasters und seiner Teilstücke in Silber zu 20 und 10 Cent sowie in Bronze zu 1 und (Sapèque) 1/5 Cent verschwinden allmählich die heimischen Lochmünzen, die mexikanischen Piaster und siamesischen Münzen, das Kop oder Bat etwa = 1/2 Piaster. Man bedient sich neben den metrischen Maßen auch des chinesischen Handelsgewichts und für Reis des Thang von 48 Kätti; 1 Piom oder Wa = 2 m. In der Kolonie rechnen die Behörden wie in Frankreich und setzen den Piaster = 5,40 Frank; Chinesen zahlen häufig mit Blattgold, und im Handel mit Europa ist englische Rechnung üblich.
Staatsverfassung und Geschichte. Der König (seit 1860 Norodom) hat absolute Gewalt über seine Untertanen und ist alleiniger Herr alles Grund und Bodens; die Zivilliste für ihn und die Prinzen beträgt 525,000 Piaster. Ihm zunächst steht der abgedankte König (eine regelmäßige Institution), der nächste Prinz von Geblüt und die erste Prinzessin (gewöhnlich die Königin-Mutter), dann folgen die fünf Minister. Seit 1884 ist die Verwaltung einem vom Generalgouverneur von Französisch-Indochina (s. d.) ressortierenden französischen Oberresidenten in der Hauptstadt Pnom Penh (s. d.) unterstellt, der das Recht privaten und persönlichen Zutritts beim König hat. Wenn auch die eingebornen Beamten noch ihr Amt unter der Aussicht der französischen Residenten oder Vizeresidenten in den acht Provinzen mit 33 Arrondissements ausüben, so bestimmen doch die Franzosen direkt über Steuern, Zölle, indirekte Abgaben, öffentliche Arbeiten etc. Frankreich hat hier 300 Mann Marinesoldaten stationiert. Die Einnahmen bestehen aus Grundsteuern (0,1 der Ernte), Frondiensten, Verpachtung von Domänen, Zöllen, Abgaben für einige Kulturen und für das Schlagen von Bäumen. Das Budget balancierte 1902 auf 2,033,653 Piaster.
Um die Mitte des 1. Jahrh. n. Chr. sehen wir die Tschamim Besitz eines Reiches, das ungefähr die Größe des heutigen K. hatte und sich zeitweise auch über Südtongking, Anam und Kotschinchina erstreckte. Die Kultur war schon um 150 brahmanisch; namentlich Gott Siwa fand in zahlreichen prächtigen Tempeln, von denen noch jetzt großartige Ruinen zeugen, neben Wischnu (Prachttempel von Angkor Wât, laut Inschriften 825 erbaut) brünstige Verehrung. Erst mit dem Niedergange des Tschampareichs machte der Brahmanismus dem seit etwa 700 auftretenden Buddhismus schrittweise Platz, bis dieser 1320 zur Staatsreligion von K. erklärt ward. Inzwischen war das ältere Reich zu einem Seeräuberstaat herabgesunken; an seiner Stelle hatte sich ein Reich der ursprünglich ebenfalls brahmanischen Khmer, die sich seit dem 7. Jahrh. südwärts schoben, unter dem Namen K. zu großer Blüte entfaltet. Ein kräftiger Vorstoß des wilden Bergvolks der Thai wurde durch König Phra Ruang zurückgeschlagen, dessen mit 638 anhebende Regierung für die Zeitrechnung Mittelhinterindiens den festen Punkt abgibt. Doch 959 gründeten die von neuem vordringenden Thai auf Kosten des Khmerstaates ein selbständiges Reich, aus dem sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. Siam gebildet hat. Mit dem Verfall seiner Macht wurde K. der Zankapfel zwischen Anam und Siam, das 1353 und 1357 K. bekriegte und besiegte und 1385 sogar die Hauptstadt zerstörte; dasselbe Schicksal hatte die Residenz Lawek 1583, als der König von K. das mit Pegu kämpfende Siam hinterrücks überfallen hatte, aber dabei unterlag. 1610 fand das Christentum schüchtern Eingang in K. Bald danach fiel der Süden in die Gewalt Kotschinchinas (Anams). Ein Zurückweichen nach Saigon änderte an dem Niedergang nicht viel. Das Ende war, daß K. seit 1806 beiden Nachbarstaaten Tribut zahlen mußte. Nachdem Frankreich Kotschinchina besetzt hatte, schloß es 15. Juli 1864 einen Freundschaftsvertrag mit K., der aber erst 1867 Geltung erlangte, nachdem Siam die Schutzherrschaft über K. gegen Überlassung der Provinzen Angkor und Battombang anerkannt hatte. Ein zwischen Frankreich und K. 17. Juni 1884 abgeschlossener Vertrag stellte den jetzigen Zustand her (s. oben: Staatsverfassung). Seit 12. April 1888 bilden Kotschinchina, K., Anam und Tongking das einheitliche Verwaltungsgebiet Französisch-Indochina (s. d.). Als Frankreich 1893 in Konflikt mit Siam geriet, machten die Kambodschaner vergebens den Versuch, die beiden 1867 abgetretenen Provinzen wiederzugewinnen. Günstig wirkte die eingreifende Kolonisierung des Generalgouverneurs Doumer (18971902). König von K. ist seit dem Tode Norodoms (24. April 1904) Sisawath.
Vgl. Aymonier, Le Cambodge (Par. 190004, 3 Bde.); Moura, Le royaume de Cambodge (das. 1882, 2 Bde.); Boumais u. Paulus, Le royaume du Cambodge (das. 1884); Delaporte, Voyage an Cambodge. L'architecture khmer (das. 1880); Leclère, Cambodge, contes et legendes (das. 1894) und dessen rechtsgeschichtliche Schriften; L. Henry, Promenade an Cambodge et an Laos (das. 1894); Lunet de Lajonquière, Inventaire descriptif des monuments du Cambodge (das. 1902); E. Kemy u. H. Arnaud, Histoire de l'établissement du protectorat français an Cambodge (Grénoble 1897); Emil Schmidt im 2. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1902).
Meyers-1905: Kambodscha [2]
Buchempfehlung
Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro