Tripŏlis

[725] Tripŏlis (Tripoli, auch Tripolitanien), türk. Provinz an der Nordküste von Afrika, zwischen Tunis und Ägypten (8°50' und 25°20' östl. L.), im S. an die Wüste grenzend (s. Karte »Algerien etc.«), umfaßt mit Fezzan und Barka (s. d.) etwa 1,033,400–1,050,000 (T. allein ca. 240,000) qkm mit rund 1 Mill. (nach andern Angaben nur 600,000) Einw. Von meist niedriger und sandiger Küste (die Wüste reicht bisweilen bis an das Meer heran) steigt das Land nach O. zu einem von vulkanischen Hügeln übersäten Plateau (300 m) an, südlich und östlich dessen sich ein 600 m hohes Plateau (Dschebel Ghurian) erhebt, dessen tief eingeschnittene Täler sehr fruchtbar sind. Im S. trennt die fast 100,000 qkm große Terrasse Hamada el Homra das eigentliche T. von Fezzan. Einzelne Gipfel erheben sich namentlich im östlichen Teil dort über 850, hier bis 1500 m. Den Untergrund von T. bilden wesentlich fast horizontale Ablagerungen der obern Kreide, die, reich an Versteinerungen, besonders häufig austernreiche Schichten (zwischen T. und Ghadames von senonem Alter) enthalten. Jüngere (tertiäre) Eruptivgesteine (Phonolith und Basalt) bilden im Dschebel Ghurian (S.) mehrere kegelförmige Berge, deren einige, z. B. der Tekut, erloschene Vulkane mit noch deutlich erkennbarer Kraterform sind. Quartärablagerungen finden sich besonders an der Küste und weit ins Innere ausgedehnt in den flachen Landstrichen im SW. Die Bewässerung ist dürftig, die Wadis sind meist trocken, doch findet man in den Flußbetten durch Nachgraben in geringer Tiefe fast überall Wasser. Nach neuern Forschern (Grothe) enthält T. nebst Barka ein Deutschland an Größe übertreffendes anbaufähiges Gebiet, das sich für Getreide-, Obst-, Gemüse- und Blumenzucht eignet. Das Klima, mehr kontinental als in den übrigen Uferländern des Mittelmeers, zeigt an der Küste eine Mitteltemperatur von 20–22°, in der Oase Dschofra 30° (dagegen fällt hier zuweilen auch Schnee und sinkt die Temperatur unter 0°, ebenso wie auf den schwarzen Bergen) und als Jahrestemperatur 20,7° (kältester Monat Februar 14,5°, wärmster August 27,2°). Der Regenfall, an der Küste gering, bleibt im Innern oft aus: Regenmenge 44 cm Maximum (Dezember), Sommer fast regenlos, Regentage 75 im Jahre. Nach neuern Beobachtungen scheint allerdings T. nicht so heiß und trocken, wie man bisher annahm. Ein pflanzenarmes Gebiet, zeigt der Nordrand den Wüstentypus, das östliche Hochland von Barka dagegen noch mediterrane Flora. Im Innern findet sich zahlreicher Pflanzenwuchs nur in Oasen. Die Tierwelt von T. gehört zur mediterranen Subregion der paläarktischen Region; besondere Charaktertiere fehlen. Die sämtlich mohammedanischen Einwohner sind in den Städten Mauren, auf dem Lande arabische Beduinen, Berber (in den Oasen und Bergländern), freigelassene Neger (4000, nach andern 20,000) und Türken (meist Beamte, 25,000). Außer ihnen gibt es Juden, in der Stadt T. (s. unten) auch Europäer (meist Malteser und Italiener), nach Méhier de Mathuisieulx zusammen 20,000. Meist wird Arabisch gesprochen, Türkisch mit den Behörden. Große Bedeutung und Macht hat im [725] Lande der Orden der Senussi (s. d.). Die Beduinen treiben vornehmlich Viehzucht, die Mauren Handel, meist Karawanenhandel. Man baut Weizen, Gerste, Krapp, Safran, Lotusbohnen, Datteln (die Zahl der Dattelpalmen soll im eigentlichen T. 2 Mill., in Barka 100,000, in Fezzan 5–6 Mill. betragen), ferner Südfrüchte, Oliven, Johannisbrot und gewinnt aus Seen und Sümpfen an der Küste Salz, Schwefel, Natron, aus Flußbetten etwas Gold. Rinder und Pferde, beide klein und häßlich, finden sich nur an der Küste in größerer Zahl, Esel dagegen zahlreich, Schafe mit Fettschwanz, grober Wolle oder Haare, Ziegen überall. Das wichtigste, überall zu findende Tier ist das Kamel. Die Schwammfischerei an der Küste, meist durch Griechen betrieben, ist in den letzten Jahren sehr zurückgegangen. Das unbedeutende Gewerbe erzeugt grobe Woll- und Baumwollwaren, Teppiche, Matten, Lederarbeiten, Essenzen von Rosen, Jasmin und Geranium. Der Handel ist meist Durchgangshandel vom und zum Sudân; 1904 betrug die Einfuhr (Getreide, Mehl, Baumwoll- und Wollwaren, Tabak, Bandeisen, Kolonialwaren etc.) 9,4, die Ausfuhr (Halfa, Gerste, Salz, Straußfedern, Schwämme, Vieh, Elfenbein, Henna, Eier, Burnusse, Krapp, Häute, Matten) 9,5Mill. Fr. Davon entfällt auf Deutschland 551,000, bez. 40,000 Fr. Der Auslandhandel geht fast ausschließlich über die Häfen T. (30,000 Einw.) und Benghasi (15,000); im Innern ist Mursuk (8000) wichtig; in Betracht kommen noch Masrata (10,000), Homs oder Khoms (10,000), Ghadames (7000), Ghat oder Rhat (8000) und Derna (2000). Früher wurden jährlich 8000, später 3000 Sklaven zur Küste gebracht, jetzt kann er nur noch in ganz engen Grenzen betrieben werden. Der Handel nach Innerafrika nimmt sehr ab, da England den Sudânhandel durch den Niger nach London und auch die Franzosen nach ihren Besitzungen mit Erfolg zu leiten sich bemühen. Der Handel in T. wird rein örtlich werden. Münzen, Maße und Gewichte. Seit 1845 zahlt man hauptsächlich nach türkischem Silbergelde, der Mahbub von 20 (minderwertigen) Piaster (Gersch) zu 40 Parà = 3,90 Mk. (Silberwert 1904 = 1,39 Mk.), berechnet jedoch die vielfach umlaufenden fremden Münzen auf der Grundlage 1 Gersch = 22 Pf. Europäer schließen Verträge meistens in Theresientälern oder altspanischen Pesos ab. In Ghadames rechnet man den Mitkal Draham zu 9, in Ghat beim Handel mit den Tuareg den Rial Ghati zu 5 tunesischen Silberpiastern. Das Getreidemaß, der Caffiso zu 20 Tiberi, ist verschiedenen Inhalts, das Hohlmaß 1 Ueba zu 4 Temen von 4 Orbach = 107,3 Lit., für Wein 1 Barile = 64,386 Lit., für Öl 1 Arbage = 11,64 Lit. Als Gewicht 1 Kantar von 100 Rottel zu 16 Unzen = 48,832 kg. Gewicht für Rohgold ist 1 Surrah von 100 Metikal Agdési = 423,2 g, für Silber die Unze zu 160 Kharub = 30,52 g. T. bildet ein Wilajet des türkischen Reiches (Benghási ein der Pforte direkt verantwortliches Mutesarrifat) unter einem von der Pforte eingesetzten Generalgouverneur (Wali); ihm unterstehen 5 Gouverneure (Mutesarrifs), 23 Untergouverneure (Kaimakams) und 18 Kreisverwalter (Mudire). Sie sind sämtlich Türken. Daneben in den Dörfern die Scheikhs. Das in T. nebst Fezzan stehende Militär (10–15,000 Mann) bildet eine Division des 17. Armeekorps (auch in Arabien). Die Flagge s. Tafel »Flaggen I«, Fig. 68.

Geschichte. T., das alte Oea, ward mit den Städten Sabratha und Groß-Leptis von den sizilischen Griechen als T. zusammengefaßt. Eine Zeitlang bildete T. ein mittelbares Gebiet Karthagos, die Regio Syrtica. Nach dem zweiten Punischen Kriege ward es von den Römern den numidischen Königen überlassen, nach deren Unterwerfung zu der Provinz Africa geschlagen. Unter Septimius Severus wurde im 3. Jahrh. n. Chr. die Provincia Tripolitana gebildet mit Öa als Hauptstadt, auf die dann der Name T. überging. Nach dem Eindringen der Araber im 7. Jahrh. teilte T. die Geschicke der Berberei. Nachdem es längere Zeit zu Tunis gehört hatte, erlangte es Ende des 15. Jahrh. die Unabhängigkeit. 1509 wurde die Stadt T. durch Pietro von Navarra erobert und ein spanischer Statthalter eingesetzt. Kaiser Karl V. überließ sie 1530 den Johannitern als Lehen; aber schon 1551 ward sie von den Türken erobert und seitdem ein Hauptsitz der Seeräuberei. 1681 griff Admiral Duquesne die tripolitanischen Korsaren in dem Hafen von Skio an und bohrte viele Schiffe in den Grund, und 1685 bombardierte Marschall d'Estrées die Stadt so erfolgreich, daß der Dei den Frieden mit 1/2 Mill. Livres erkaufen mußte. 1714 begründete der türkische Pascha Hamed Bei (der Große), indem er der Pforte nur noch Tribut zahlte, die Dynastie der Karamanli. 1728 zerstörten die Franzosen die Stadt T.; doch erst die französische Eroberung Algiers (1830) machte der Seeräuberei auch in T. ein Ende. 1835 beseitigte die Pforte die zerrüttete Herrschaft der Familie Karamanli und verleibte T. als Wilajet dem türkischen Reiche ein. Doch 1900 schloß Italien mit Frankreich ein geheimes (erst Anfang 1902 den beiden andern Gliedern des Dreibundes mitgeteiltes) Abkommen, wonach gegen Anerkennung des Vorwiegens französischer Interessen in Marokko ein italienisches Vorzugsrecht auf T. gesichert wurde. Demgegenüber machte die Pforte Anstrengungen, den tripolitanischen Handel und Verkehr nach Kräften zu heben und die Verteidigungsfähigkeit der Provinz zu stärken. Dabei kam es gelegentlich der Reklamierung der Oase Dschanet durch die Pforte (im Juli 1906) zu einem Konflikt mit Frankreich (bez. Tunis), da von diesem die aus der neuen Verwaltungseinteilung von 1902 gefolgerte Zugehörigkeit der Oase zum türkischen Sandschak Ghat (oder Rhat) nicht anerkannt wurde; vielmehr wurde Dschanet von französischen Truppen ebenso besetzt wie zu derselben Zeit die Oase Bilma an der Straße von T. nach Bornu. Vgl. Haimann, Cirenaica-Tripolitana (2. Aufl., Mail. 1885); v. Maltzan, Reise in den Regentschaften Tunis und T. (Leipz. 1870, 3 Bde.); Rohlfs, Von T. nach Alexandrien (Bremen 1871, 2 Bde.) und Reise von T. nach der Oase Kufra (Leipz. 1881); Grothe, Tripolitanien Landschaftsbilder und Völkertypen (das. 1898) und T. und der Karawanenhandel nach dem Sudân (das. 1903); Schönfeld, Aus den Staaten der Barbaresken (Berl. 1902); Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien (Halle 1905); Stumme, Märchen und Gedichte aus der Stadt T. (Leipz. 1898); Thompson, Life in Tripoli (Liverpool 1894); (Mohammed Ben Otsmane) El-Hachaichi, Voyage an pays des Senoussia (franz. von Serres, Par. 1903); Mathuisieulx, A travers la Tripolitaine (das. 1903); Minutilli, La Tripolitania (Turin 1902); Ricchieri, La Tripolitania e l'Italia (Mail. 1902); Dardano, Carta dimostrativa della Tripolitania, 1:5,000,000 (Rom 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 725-726.
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