Carnĕval

[701] Carnĕval (v. lat. Caro vale [Fleisch, lebe wohl!], im Mittelalter Carnecapium, Fastnacht), eigentlich die Zeit von dem Feste der heiligen drei Könige bis zu Aschermittwoch, während welcher man von Alters her, bes. in Italien, sich durch mancherlei Lustbarkeiten im Voraus für die Enthaltsamkeit der Fastenzeit schadlos hält. Fast überall aber ist die Zeit der Dauer des C-s weit kürzer angesetzt u. die eigentlichen Lustbarkeiten währen nur 8, in Deutschland oft nur 3 Tage. Die Entstehung des C. hängt wahrscheinlich mit der Feier der Frühlingsfeste, bes. der Lupercalien (s.d.) zusammen, welche, da die Christliche Kirche in einer bestimmten Zeit vor Ostern Entsagung gebot, vor den Eintritt dieser Zeit verlegt wurden. Im Mittelalter wendete sich der C. in Italien in seiner ganzen Pracht nach Venedig, von da aber, als der Glanz dieser Stadt im 18. Jahrh. erbleichte, nach Rom. Nach dem Typus dieser beiden Städte richteten sich dort die C-s in den übrigen Städten ein, obschon mit weit geringerem Glanz. Das ganze Volk einer großen Stadt Italiens scheint, sobald sich die C-szeit (in Rom die 8 Tage vor Aschermittwoch) naht, keinen anderen Gedanken zu hegen, als den C.; dennoch zeigen sich in den ersten Tagen desselben auf den Straßen nur wenig der dasselbe charakterisirenden Masken. Immer mehr steigt aber deren Zahl schon am 5. Tage vor Aschermittwoch, bes. des Nachmittags. Die Masken der italienischen Komödie: Arlechino u. Colombine, Scaramuz u. Pantalone zeigen sich hier u. da mit Gärtnern u. Fischerinnen, Bettlern u. Bettlerinnen, alten, raufboldigen u. bramarbasirenden Capitanos, Frauen als Männer, Männer als Frauen, Matrosen, Blousenmänner mit großen Strohhüten, Advocaten etc. gemischt, immer mehr nehmen dieselben zu, u. jeder sucht seine Rolle neckend u. geneckt werdend mit italienischer Lebendigkeit u. Geschick gut u. consequent durchzuführen. Am gewöhnlichsten sind die Pulcinells, deren oft Hunderte auf den Straßen sind u. die sich oft zusammenrotten, ja durch einen plötzlich gewählten Pulcinellkönig, der auf einem Wägelchen einher gezogen wird, in große Haufen gesammelt werden. Eben so sind die Quakeri, Stutzer in alt-französischer Tracht, sehr häufig, die hüpfend u. schrillend sich allenthalben niedlich machen u. sich zusammen finden, um gemeinschaftlich ihre Streiche auszuüben. Die edelsten Masken sind aber die Tabaros in schwarzer Tracht, mit weitem, fliegendem Mantel u. mit Barett mit Federn, von der alten Tracht der Nobili di Venezia entlehnt; seltener die Dominos, weite, seidene Überröcke mit einer Kapuze,[701] oft von seidenem Netzwerk (Bajutte), sonst allgemein schwarz, jetzt mehr bunt; u. die Fledermäuse (Chauvesouris), schwarze Dominos mit übergezogener Kapuze, schwarzer, ganzer Maske, Ohren u. Nähte bunt, roth ausgeputzt. Geistliche Masken sind verboten; satyrische Masken sind selten; schöne Costüme kommen nur bei den Frauen vor, die gefallen u. ihre Schönheit ins Licht stellen wollen. Aufzüge u. allegorische Masken findet man gar nicht, höchstens wird einmal eins od. das andere bekannte Kunstwerk dargestellt. Heiterkeit u. Muthwille ist überall vorherrschend, selbst derbe Späße kommen vor Die Polizei schützt jede Maske u. erhält strenge Ordnung auch durch Militärwachen, die überall aufgestellt sind; Waffen, bes. heimliche, sind streng verpönt, das Asylrecht, wo es besteht, für das C. aufgehoben. Fast jede Stadt in Italien hat einen Corso, d.h. eine lange, breite Straße, so daß mehrere Wagenreihen neben einander fahren können, an den Seiten mit Trottoirs für die Fußgänger. Hier ist der Platz, wo sich die Masken zusammendrängen, u. 2 lange Reihen Wagen an Wagen langsam hinfahren; zwischen ihnen bleibt ein freier Raum. Auch diese Wagen sind mit Masken, bes. von schönen Frauen besetzt. Man fährt in offenen od. bedeckten, Omnibus ähnlichen Wagen, Bediente u. Kutscher sind maskirt, letztere meist als Frauen; beide nehmen von Bekannten beiderlei Geschlechts so viel mit auf ihren Tritt u. Bock, als diese nur zu fassen vermögen; zuweilen sind auch die Pferde maskirt, u. der Haushund sitzt oft gleichermaßen, als Dame angezogen, zwischen des Kutschers Füßen. Um diese Wagen herum u. zwischen ihnen wogt nun das Maskengedränge, viele sitzen auch maskirt auf den Balcons u. in den Fenstern, od. gehen, stehen u. sitzen auf freien Plätzen, u. Alles wird von der Allegria (Lebenslust) mit fortgerissen. Den allgemeinen Jubel erhöht noch das Werfen mit Confetti, ursprünglich kleinen Zuckerplätzchen, später in Gyps u. Kalk nachgeahmt, jetzt von Korianderkörnern, Mehl u. Zucker, am meisten werden die Wagen damit geneckt, u. komische Masken, z.B. Pulcinells auf ihnen, sind einem ungeheuren Bombardement mit Consettis ausgesetzt. Vornehme u. Reiche werfen sich mit Blumen u. echten Zuckerconfettis; solchen Wagen folgt stets ein Haufen Kinder, welche die Blumen u. Consettis auflesen. Wenn die Dämmerung eintritt, erfolgt ein Wettrennen von Pferden ohne Reiter; Cavallerie räumt meist zuvor, in Front den Corso hinunterreitend, den Raum zwischen den Wagen, u. ein Kanonenschuß pflegt das Zeichen des Abrennens der Pferde zu geben, welche von stachlichen Kugeln, die an ihnen angebracht sind, gespornt u. von Rauschgold, das an sie angeklebt ist, noch wilder gemacht, den Corso in Carrière durchrennen; wenn das erste am andern Ende ankommt (wofür dessen Herr als Siegeszeichen il Pallio, ein golddurchwirktes Stück Zeug, erhält), fällt wieder ein Kanonenschuß, u. somit ist die Ordnung der Wagen gelöst u. Alles eilt demaskirt in die Theater, wo große Stücke gegeben werden. Im Parterre erscheint man allgemein in bürgerlicher Kleidung, nur in den Logen sieht man einige Masken. Andere eilen den Festines, den deutschen Maskenbällen ähnlich, zu, noch Andere in die Osterien, wo bis zum Morgen geschmaust wird. Den Schluß des italienischen C-s bezeichnen noch die Moccolis, kleine Kerzen, die von Beginn der Dämmerung an Jeder anzündet u. die im Nu in der Hand aller Masken sind. Jeder sucht den Moccolo seines Nachbars auszulöschen u. dieser eben so schnell es wieder. anzuzünden. Dabei ertönte sonst das Geschrei: Sia ammazato chi non porta moccolo (ermordet werde, wer kein Moccolo hat), das sich aber jetzt in das Senza il moccolo (Ohne den Moccolo!) od. Ecco il moccolo (Ey, der Moccolo!) gemildert hat. Erschöpft auch von diesem Scherz, eilt dann Jeder nach Hause od. in die Osterien, um sich durch eine tüchtige Mahlzeit mit Fleischspeisen zu stärken auf die Fasten, welche dieselbe Nacht mit dem Glockenschlag der Mitternacht zur Aschermittwoch beginnen. In Frankreich wurde das C. lange nicht anders gefeiert, als daß eine größere Freiheit für Tanzvergnügungen, namentlich für Maskenbälle, u. ein lebendigeres geselliges Leben in Privatzirkeln stattfand. Nur das Aufhören des Fleischessens wurde dadurch angedeutet, daß der Boeuf gras (Fastnachtsochs), ein fetter Ochse mit vergoldeten Hörnern u. mit Bändern verziert durch die Straßen zur Schlachtbank geführt wurde. Diese Umführung des Fastnachtochsen in Begleitung historischer Costüme findet jetzt noch jährlich am Sonntag vor Fastnacht in Paris statt. Außer den drei Jems gras (fetten Tage), welche mit dem Sonntag vor Fastnacht beginnen u. mit dem Mardi gras (fetten Dienstag) endigen, feiern einige französische u. schweizerische Orte auch die Mi-carème (Mittfasten), u. gestatten an diesem Tage einen Maskenaufzug. Bei den germanischen Völkern fielen in den ersten Zeiten des neuen Jahres Feste, welche mit Schmausereien u. Verkleidungen gefeiert wurden, so in Skandinavien das Julfest, in Niederdeutschland das Schoduvellaufen (s. b.). In Deutschland bildete sich im Mittelalter Ähnliches wie in Italien unter dem Namen Fasching aus, u. man trieb dort als Mummenschanz allerhand Kurzweil (Fastnachtspossen) u. Verkleidungen, die der Hanswurst durch seine plumpen Scherze würzte. Auch dramatische Vorstellungen (Fastnachtsspiele) fanden seit dem 13. bis ins 17. Jahrh. statt, indem Anfangs Jeder den durch Verkleidung übernommenen Charakter durchführte, später ganze Gesellschaften verabredete Späße extemporirten, was nach u. nach geschriebene Fastnachtsspiele, wie sie Hans Folz, Hans Rosenplüt, Hans Sachs lieferten, veranlaßte. Sie wurden die erste Veranlassung zu dem entstehenden Theater. Im 17. Jahrh. kam der Fasching wieder ab, u. erst die Franzosen, als sie 1796–1814 Italien erobert hatten, führten den C. auch in französischen u. deutschen Städten ein, so daß selbst in Paris eine Art C. auf den Straßen war. Gleiches fand am Rhein, in den Städten Köln, Koblenz, Strasburg, in Süddeutschland, z.B. in Nürnberg, München etc. statt. Doch fehlte dort immer ein Corso u. die ganze südliche Nationalität. Jetzt ist der C. dort bedeutungsloser geworden. u. zeigt sich mehr in der Weise der Nordländer in Sälen u. Hallen durch Fastnachtsaufzüge (bes. glänzende in München u. Düsseldorf durch die Mitglieder der Kunstakademie ausgeführt) u. Fastnachtsscherze, Spiel u. Tanz. Nur an einigen Orten, so in Basel, wo die Fastnacht eine Woche später, als sonst üblich, begangen wird, in Mainz u. vornehmlich[702] in Köln, blieb der C. lebensfrisch u. eine Art Volksfest. Verschiedene Gesellschaften haben sich dort zum Zweck der C-sfeier gebildet, welche nach Neujahr zur Berathung über die aufzuführenden Scherze zusammentreten Die Mitglieder erscheinen in den Sitzungen mit der Narrenkappe u. tituliren sich während der Dauer derselben »Narr.« Der Festzug geht gewöhnlich von einer allgemeinen Idee (z.B. der Hochzeit des Prinzen C-s mit irgend einer allegorischen Prinzessin, od. Besuche ähnlich fremder Personen beim Kölner C.) aus, die launig u. witzig durchgeführt wird, u. an die sich die andern, oft satyrischen Maskenscherze anreihten. Vor Allem durften ehedem die Kölner Funken (vormaliges roth uniformirtes Stadtmilitär zur kurfürstlichen Zeit) nicht fehlen, welche den Zug anführten u. schlossen. Der Abend wurde auf dem alterthümlichen Saal Gürzenich unter Sang, Schmaus u. Tanz maskirt verbracht. Manche C-sscherze sind von da ausgegangen u. durch ganz Deutschland verbreitet worden; z.B. der Kölner Carnevalswalzer, wo ein Theil von Instrumenten begleitet, der andere mit abwechselnd taktmäßigem Klopfen, Gläserklingen, Husten, Lachen, Niesen u. dergl. begleitet wird. Seit dem Jahre 1848, wo die Aufzüge ihre Stoffe gewöhnlich aus dem politischen Gebiete holten, hat die C-s freiheit in Köln polizeiliche Beschränkungen erfahren, wodurch die Festfeier an Bedeutung verlor. Eine dem römischen C. ähnliche Volksbelustigung ist in Brasilien der Intrudo, s.d.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 701-703.
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