Friesen [1]

[745] Friesen (in ihrer eigenen Sprache Frisan od. Fresan, im Mittelalter lat. Frisiōnes, Frisŏnes genannt), ein germanisches Volk, das von Alters her an den Gestaden der Nordsee wohnte, dessen Name jedoch zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Verbreitung hatte. Zur Römerzeit saßen die F. (Frisii) hauptsächlich in der heutigen niederländischen Provinz Friesland, von wo sie sich jedoch auch weiter östlich (nach Ptolemäus) bis zur Ems (genauer wohl nur bis zum Laubach im Gröningischen), sowie westlich an der Nordseeküste bis zur Mündung des südlichsten Rheinarmes u. der Maas herab ausdehnten. Nach Plinius war dieses westliche Friesenland, od. die späteren Provinzen Nord- u. Südholland, von mehreren kleineren Völkerschaften bewohnt, die er Frisii, Chauci, Frisiabones, Marsacii u. Sturii nennt, aber anderwärts zu den Friesen gerechnet werden. Die Friesen waren streng von den benachbarten Bructerern u. Batavern unterschieden. Tacitus unterscheidet Frisii majores u. F. minores, entweder nach ihrer Stärke, od. wahrscheinlicher nach ihren Wohnsitzen, östlich u. westlich der Zuiderzee. Durch Drusus den Römern zinspflichtig gemacht, blieben sie denselben treu, bis sie 28 n. Chr. durch den Druck der römischen Herrschaft erbittert, aufstanden u. die Römer theils verjagten, theils aufrieben. Man hatte den römischen Primipilar Olennius dort gelassen, welcher den Tribut mit unmäßiger Strenge eintrieb; nur mit wenigen Soldaten rettete er sich in das römische Castell Flevum, wo er von den F. belagert wurde. Zwar wurde er durch L. Apronius entsetzt, doch erlitt dieser bald darauf bei Baduhenna eine Niederlage. Corbulos Versuch, die freigewordenen F. wieder zu unterwerfen (47 n. Chr.), blieb, wegen seiner Zurückberufung, ohne Erfolg. Unter Nero drängten sich F. in das römische Gebiet am Rhein u. der Yssel ein, mußten sich aber wieder zurückziehen. Bei dieser Gelegenheit werden die friesischen Fürsten Verritus u. Malorix genannt, welche Unterhandlungen halber nach Rom kamen, hier mit edlem Nationalstolz auftraten u. das römische Bürgerrecht zum Geschenk erhielten. Übrigens lebten die F. schon damals von Ackerbau u. Viehzucht, bes. hielten sie große Ochsenheerden, weshalb ihr Tribut an die Römer zuerst aus Ochsenhäuten bestand. Als Anwohner des Meeres werden sie zur römischen Kaiserzeit öfter mit den benachbarten Sachsen als tüchtige Seefahrer u. kühne Seeräuber genannt. Schon frühzeitig mochten F. nach Britannien übergesiedelt sein; im 5. Jahrh. werden die F. neben den Sachsen u. Angeln als Eroberer u. Colonisten Britanniens genannt. Nach der Völkerwanderung, etwa vom 6. bis 11. Jahrh. herab, finden sich einerseits die Friesen von der Maasmündung bis zu dem Busen Sinkfal in der Gegend Brügges, also über die niederländische Provinz Zeeland vorgeschoben, während andererseits nach Osten zu der friesische Name an der Nordseeküste[745] von der Ems über die Weser u. die Elbmündung hinaus bis Tondern in Schleswig begegnet. Sie bewohnen hier zwischen Ems u. Weser Ostfriesland (s. d) u. die nördlichen Theile des Großherzogthums Oldenburg, zwischen Weser u. Elbe einige kleine Küstengebiete, wie namentlich das Land Wursten, u. dann an der Westküste der cimbrischen Halbinsel den in neuerer Zeit unter dem Namen Nordfriesland (s.d.) bekannten Uferstrich. In den Gebieten zwischen Ems u. Elbe sind die F. jedenfalls als Nachkommen der alten nahverwandten Chauken zu betrachten; ihr Name (bei den Angelsachsen Hugas) hat sich hier noch in dem Namen des Gaues Hugmerke an dem Ufer des Laubach in der Provinz Gröningen erhalten. Auch die Nordfriesen scheinen weniger friesisch-chaukische Einwanderer zu sein, sondern haben ihren Namen wahrscheinlich ebenfalls nur durch Übertragung erhalten (s. Nordfriesland).

Nach Befestigung des Fränkischen Reiches wird alles friesische Gebiet zwischen Schelde u. Weser unter dem Namen Frisia zusammengefaßt u. in drei Theile getheilt: zwischen Sinkfal u. Fly (Mündung des Zuiderzee), zwischen Fly u. Laubach, zwischen Laubach u. Weser; die übrigen friesischen Gebiete östlich der Weser wurden nicht mit einbegriffen. Gegen die südwestlichen F. waren die ersten Angriffe der Franken gerichtet, welche auch wenigstens einen Theil derselben im 7 Jahrh. unter ihre Botmäßigkeit brachten. Der Frankenkönig Dagobert ließ 636 zu Wiltenburg (Utrecht) die erste christliche Kirche in Friesland erbauen, von wo aus St. Eligius das Christenthum, doch nur mit geringem Erfolg, zu verbreiten suchte. In dem von den Franken noch nicht unterworfenen Theile des westlichen Frieslands war 677 der englische Bischof Wilfried glücklicher, weil seine Bekehrungsversuche durch den Herzog Adgill I., der etwa zwischen 630–679 (688) in dem heutigen Holland herrschte u. zu Medenblick od. Stavern residirte, begünstigt wurden. Adgills Nachfolger, Radbot I., wurde 693 bei Dorstedt durch Pipin von Heristall besiegt, mußte sich den Frankenkönigen unterwerfen u. die Ausbreitung des Christenthums gestatten. Der englische Missionar Willebrord wurde zum Erzbischof der F. geweiht u. nahm die Wiltenburg zu seinem Sitze, die nun den Namen Utrecht erhielt. Zwar suchte Radbot nach Pipins Tode 714 das Frankenjoch abzuschütteln u. das Christenthum zu verdrängen, doch blieben seine Anstrengungen gegen Karl Martell vergeblich, so daß er 717 nach einer völligen Niederlage versprechen mußte, selbst Christ zu werden. Er st. 719 noch als Heide. Sein Nachfolger war Poppo, Herzog des östlichen Frieslands, der in Westfriesland als Vormund für Adgill II., den minderjährigen Sohn Radbots, regierte u. ebenfalls Vasall der Franken war. Aus letzterem Grunde fand das Christenthum auch nnter den F. östkich der Fly Verbreitung, wo namentlich Winfried od. Bonifacius als sehr thätiger Prediger des Evangeliums auftrat. Poppo, der einen Aufstand der F. erregt hatte, fiel 734 in einer Schlacht gegen Karl Martell u. hatte Adgill II., den ersten christlichen König od. Herzog der F., als Vasallen der Franken zum Nachfolger. Doch war das Heidenthum u. die Freiheitsliebe der F. noch nicht besiegt, bis endlich 784 Karl der Große den damaligen König Radbot II. verbannte, ganz Friesland bis zur Weser mit seinem Reiche vereinigte, u. 785 durch St. Liudgar die Bekehrung der F. zum Christenthum erzwang. Auch ließ er nun 802 das Recht der F. in der Lex Frisfonum aufzeichnen.

Bei der Theilung des Frankenreiches unter die Söhne Ludwigs des Deutschen fiel Friesland westlich des Zuiderzee an Karl, während die beiden anderen Drittel an Deutschland kamen. In jenem fränkischen Drittel, Westfriesland genannt, gewannen namentlich in den südlich frühzeitig unter fränkische Herrschaft gekommenen Theilen, die fränkischen Einrichtungen die Oberhand über die immer mehr schwindende friesische Eigenthümlichkeit, die alte friesische Verfassung u. auch die friesische Sprache, aus welcher sich hier unter fränkischen niederdeutschen Einflüssen das Niederländische bildete. Auch entwickelte sich in diesem Theile des Friesenlandes zuerst die Landeshoheit; bereits zu Anfang des 10. Jahrh. trat hier Diederich I. als Graf von Holland auf; weiter entstanden die erblichen Grafschaften Zeeland, Geldern mit Zütphen. das Stift Utrecht mit Yssel. Im 11. Jahrh. verschwand der Name der F. in den heutigen Provinzen Holland u. Seeland; westlich vom Fly behauptete er sich nur auf den Inseln Texel u. Wieringen, so wie in einem kleinen ihnen benachbarten Gebiete nördlich von Altmaar, welcher die Gegend von nm Medenblick, Enkhuizen u. Hoorn umfaßt, erst nach harten Kämpfen im 13. Jahrh. mit Holland vereinigt wurde u. noch heutiges Tages unter dem Namen Westfriesland bekannt ist. Der mittelere Theil des friesischen Landes, zwischen Fly u. Laubach, war unter den ersten Karolingern in Gaue getheilt, denen Grafen u. Schukzen (Secheta) vorstanden. Doch erlosch hier bald die Herrschaft der Grafen bei der schwachen Regierung der Karolinger, u. es entstand eine Art von Bundesstaat, der Bund der sogenannten Sieben Seelande, deren Bewohner sich im Gegensatz zu den dem Fränkischen Reiche unterworfenen Stammesgenossen Freie F. nannten. Adel u. Bauern bildeten die freien Landgemeinden, deren auf ein Jahr gewählte Richter die Gemeinden der Gaue, aus welchen die Seelande bestanden, bildeten. Ein Ausschuß der Letzteren u. die Richter traten jährlich zu einem großen Landtag zusammen, der bei Upstalsboom bei Aurich gehalten wurde. Durch innere Fehden, bes. der Häuptlinge, wurde jedoch der Bund zerrüttet; 1323 wurde er noch einmal erneuert, der allgemeine Landtag hörte aber im 14. Jahrh. auf. Die Gaue zwischen Laubach u. Ems traten mit der Stadt Gröningen in Verbindung, mit welcher sie allmälig zur Provinz Staden Lande (Groningen en Ommelanden) verwuchsen. Zu Anfang des 15. Jahrh. kamen die Provinzen von Gröningen u. Drenthe an das Stift Utrecht, welches schon vorher die Grafschaft über beide besaß. In dem nun vorzugsweise genannten Frieslande, zwischen Fly u. Laubach, dessen größter Theil die gegenwärtige niederländische Provinz Friesland (s.d.) bildet, wehrten die Friesen, obgleich in Parteien zerspalten, ihre Freiheit tapfer gegen die holländischen Grafen (s. Schieringer u. Vetkoper) ab, unterwarfen sich aber 1457 dem Deutschen Reiche. Bis 1498 behauptete sich hier Herzog Albrecht von Sachsen als Erbstatthalter; 1523 wurde Friesland durch Karl V. mit seinem burgundischen Erbe vereinigt. Im Friesenlande [746] östlich der Ems wurde den beständigen Fehden durch Erwählung Edzard Cirksenas zum Anführer des Bundes ein Ende gemacht. Sein Bruder Ulrich Cirksena, der ihm als Anführer folgte, wurde durch Kaiser Friedrich III. 1454 zum Reichsgrafen erhoben u. mit dem Lande zwischen Ems u. Weser, der Reichsgrafschaft Ostfriesland, erblich belehnt. Sein Haus starb 1744 mit Karl Edgard aus, worauf Ostfriesland an Preußen kam (s. Ostfriesland). Östlich der Weser im friesischen Wangerland u. Ostringen bildete sich die Herrschaft Jever, während das friesische alte Rüstringen mit dem sächsischen Ammerland u. Nordstedingen unter die sächsischen Grafen von Oldenburg kam. Das von F. bewohnte Land Wursten an dem östlichen Ufer der Weser wurde später mit dem sogenannten Herzogthum Bremen vereinigt. Nordfriesland, zu welchem auch später das entferntere Helgoland gehörte, führte ein von Deutschland getrenntes Leben Vgl. Ubbo Emmius, Rerum frisicarum historia, Franeker 1590; Leyden 1015; Sjoerd, Beschryvinge van Okko-en Nieuw Friesland, Leeuwarden 1765, 2 Bde.; Hamconius, Frisia, Franeker 1620; Okko van Scharls Chronik, herausgegeben von Cornelis, 1742; Vinsem, Cronique ofte hist. Geschiedenis van Vrieslandt, Leeuwarden 1646; Schotanus, Gesschiedenissen van Friesland, Franeker 1658; Thaborita, Historie van Friesland, Leeuwarden 1824, 2 Bde.; Schwarzenberg, Groot Placaat-en Charter-book, Leeuwarden 1768; de Crane, Gesta Fresonum, Workum 1837; Wiarda, Ostfriesische Geschichte. Aurich 1790–1817, 10 Bde etc. An Zeitschriften für friesische Geschichte u. Alterthum besteht in Deutschland Ehrentrauts Friesisches Archiv, Osnabrück 1847 ff., in den Niederlanden De vrije Fries, Gröningen 1850 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 745-747.
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