Genua

[184] Genua (ital. Genova), Hauptstadt des zu Sardinien gehörigen Herzogthums gleichen Namens, an einem nach ihr benannten Meerbusen des mittelländ. Meeres, gewährt namentlich von der Meeresseite einen herrlichen Anblick. Die Stadt liegt dicht am Meere, in einem Halbkreise von beinahe 2000 Klaftern Länge und erhebt sich amphitheatralisch auf mehren Hügeln; zwei gewaltige Hafendämme (Molo) reichen ins Meer hinein, und ein hoher Leuchtthurm zeigt den Schiffern des Nachts den Weg nach dem Hafen. Bis zu einem Umkreise von vier Stunden ist die Stadt mit Festungswerken umgeben. Die Straßen sind, mit Ausnahme dreier: der Straße Balbi, der Strada nuova und Strada novissima, eng, winklich und steil, sodaß man sich weniger der Kutschen und Pferde als der Sänften bedient. Die flachen Dächer der Häuser sind, wie auch anderwärts in Italien, mit Blumen und Orangenbäumen besetzt. G.'s Paläste gelten für die prächtigsten in Italien und sind zum Theil sehr geräumig. Die Außenseite mancher unter ihnen ist mit Frescomalerei, zum Theil von ausgezeichneten Meistern, geschmückt, die sich unter dem herrlichen Klima Jahrhunderte lang erhalten hat. Glanz und Prunksucht scheinen jedoch im Allgemeinen den Genuesern bei ihren Bauwerken mehr gegolten zu haben als großartige Einfachheit. Jetzt stehen die meisten Paläste verödet da. Im weltberühmten Palaste der Doria (s.d.) wächst auf dem Hofe Gras. Die Gemälde, Vergoldungen, Arabesken, voll Staub, Motten und Schmuz zeigen zugleich G.'s vormaligen Glanz und wie tief es herabgesunken ist. Unter den Palästen sind der Durazzo, Carrego, Spinola, Doria, Balbi, Brignole die bedeutendsten; im alten Palaste der Dogen hält jetzt der Senat seine Sitzungen. Unter den Kirchen gehört die des heil. Lorenz, mit dem bekannten Abendmahlgefäße, das, der Sage zufolge, von der Königin von Saba dem König Salomo geschenkt worden sein soll, zu den schönsten Kathedralen Italiens. Von den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten kann das Panuanatore-Hospital 700 Kranke aufnehmen, und das Militairkrankenhaus nicht weniger als 1000. Das Carlo-Felice-Theater ist nächst dem San-Carlo in Neapel und Della Scala in Mailand das größte in Italien. Die Börse ist ein Prachtgebäude und war die erste in Europa gegründete. G. hat ein Universitätsgebäude, das ganz einem oriental. Palaste gleicht; die Hörsäle sind mit Gemälden ausgezeichneter genues. Meister geschmückt, doch steht diese wissenschaftliche Anstalt keineswegs in Blüte; dagegen ist die Marine- und Navigationsschule stark besucht, und auch die Akademie der Tonkünste hat zahlreiche Schüler. – Noch ist der Bagno (s.d.) zu erwähnen, der sich in dem alten Arsenale befindet. Da, wo die Galeeren ausgerüstet wurden. welche den Venetianern die Herrschaft über das Meer streitig machten, rasseln im 19. Jahrh. 700 Verbrecher mit ihren Ketten.

G. hat jetzt noch zwischen 80–90,000 Einw., die sich Kunstliebe, Freisinnigkeit und Liebe zu den Wissenschaften vor der Mehrzahl der übrigen Italiener auszeichnen; die im Allgemeinen schönen Frauen wissen den ihnen eigenthümlichen weißen Schleier, Mezzaro genannt, der Gesicht, Schultern und Arme nur leicht bedeckt, während der Spaziergänge auf den weit ins Meer hinausragenden Hafendämmen, auf den langen Quais, dem Acqua verde u.s.w. mit so vieler Grazie zu tragen, wie die Spanierinnen ihre Mantilla. G. ist ein Freihafen und hat noch immer bedeutenden Handel, besonders nach der Levante; es laufen jährlich zwischen 2–3000 Schiffe in den Freihafen ein, die theils fremde Waaren bringen, theils die Producte der Umgegend, Wein, Oliven, Feigen u.s.w., theils Producte genues. Gewerbthätigkeit ausführen, welche die bedeutenden Seiden- und Sammtfabriken liefern. Auch golddurchwirkte Stoffe, Goldschmiedearbeiten, Parfumerien, künstliche Blumen u.s.w. werden in großer Anzahl verfertigt.

Nur wenige Städte sind so sehr den Launen des Schicksals unterworfen gewesen als G., diese uralte Stadt der Ligurer, welche im Mittelalter mit Recht den Beinamen der stolzen (la superba) erhielt. Schon im hohen Alterthume eine blühende Handelsstadt, wurde sie von den Karthagern, die von ihr benachtheiligt zu werden fürchteten, während des zweiten punischen Krieges gänzlich zerstört, wegen ihrer vortheilhaften Handelslage jedoch von den Römern wieder aufgebaut, unter deren Schutze sie wuchs, gedieh und reich ward, bis sie, als das abendländische Reich zertrümmert und eine Beute der einstürmenden Barbaren wurde, den jedesmaligen Herren Oberitaliens zufiel. Karl der Große nahm sie endlich den Longobarden ab. Allmälig hob sie sich wieder, aber nur, um in der Mitte des 10. Jahrh. von den Arabern beinahe ebenso wie früher von den Karthagern ihrem gänzlichen Ruin nahe gebracht zu werden. Durch die Thätigkeit und Umsicht seiner Bewohner blühte aber G. nochmals empor, sodaß es von den deutschen Kaisern, den damaligen Oberherren Italiens, unabhängig wurde und eine eigne Republik (1099) grade zu derselben Zeit bildete, als die Kreuzzüge Abendland und Morgenland in Bewegung und in einen so regen Verkehr brachten, wie die Welt ihn seit Jahrhunderten nicht gesehen hatte. Die Genueser wurden, gleich Venetianern und Pisanern, reich durch die Schiffahrt nach dem Oriente, wohin sie die Kreuzfahrer auf ihren Fahrzeugen führten; sie trieben Rhederei im ganzen Mittelmeere; allmälig kam der größte Theil des levant. Handels in ihre Hände und sie wurden so mächtig und reich, daß sie nicht nur auf dem ital. Festlande Landschaften wie Montserrat, Nizza, einen Theil der Provence, Monaco eroberten und behaupteten, sondern auch Inseln, wie Elba und Malta, selbst Corsica, Sardinien und Syrakus selbst Sicilien besetzten, glückliche Kriege gegen ihre Nebenbuhlerin Pisa führten und im 13. Jahrh. Niederlassungen am schwarzen und asowschen Meere gründen konnten, wo Kassa oder Feodosia ihr Hauptstapelplatz war. Damals, als G. Zoll- und Handelsfreiheit im byzantin. Reiche hatte, als eine der Vorstädte Konstantinopels, Pera, ihm abgetreten worden war und sein Gesetz dort galt, als es den Welthandel zwischen Orient und Occident vermittelte, als seine Flagge das mittelländ. und schwarze Meer beherrschte und genuesische Handelscomptoire in allen Häfen die bedeutendsten Geschäfte machten, damals stand es auf [184] dem höchsten Gipfel seiner Macht. Aber schon begann der Verfall; denn ein mit längern oder kürzern Unterbrechungen mehr als 100 Jahre dauernder Krieg (von 1250–1381), den es mit Venedig um die Oberherrschaft des Meeres führte, schwächte seine Macht; die Streitigkeiten zwischen Guelfen und Ghibellinen, welche Italien Jahrhunderte lang zerrütteten, hatten auch auf G. nachtheiligen Einfluß. Obgleich G. den langen Kampf gegen die Venetianer bestand, ohne zu unterliegen und sogar die blühende Insel Cypern eroberte, so ward es doch durch die steten Anstrengungen und Fehden allmälig schwächer, und es mußte ihm daher um so empfindlicher sein, daß es seit der Mitte des 15. Jahrh. seine Besitzungen am schwarzen und asowschen Meere an die Türken verlor. Zugleich erloschen auch die bisherigen Privilegien im byzantin. Reiche, das um dieselbe Zeit eine Beute jener Asiaten ward, und zu Ende des 15. Jahrh. ward der Seeweg nach Ostindien gefunden, wodurch der Welthandel, dessen Vermittler bisher die Italiener gewesen waren, in die Hände der Portugiesen kam. Amerika ward entdeckt und lenkte die Blicke von ganz Europa auf sich; der Handel nach der unruhigen Levante ward immer schwächer. Zu alledem kamen nun noch zwischen den großen Familien der Stadt die innern Streitigkeiten um die Herrschaft, sodaß es an Einigkeit fehlte, die doch allein Macht gibt. Diesen Zwiespalt benutzten die Fremden; G. ward ein Spielball in den Händen Frankreichs und der Mailänder, denen es Ludwig XI. als Lehen zu übertragen wagen durfte. Wenn es auch durch den großen Andreas Doria (s.d.) 1528 wieder frei und seine alte Verfassung wiederhergestellt wurde, so gewann es doch nie sein früheres Ansehen wieder. Es trat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. Corsica an Frankreich für Geld ab. Als die Truppen der franz. Republik sich G. näherten, erhob sich die demokratische Partei gegen die Aristokraten und ward von den Franzosen unterstützt; die Verfassung ward demokratisch und G. zur Hauptstadt der ligurischen Republik erklärt. Eine Zeit lang von den Östreichern, 1799, besetzt, nach der Schlacht von Marengo wieder verlassen, ward es 1804 Frankreich einverleibt, 1814 von den Engländern besetzt und durch den wiener Congreß dem Könige von Sardinien zugesprochen. Der freie Transit durch die sardin. Staaten, der Freihafen und ein Schatten von repräsentativer Regierung sind die Überreste der alten Unabhängigkeit, welcher G. Glanz, Reichthum und Macht verdankte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 184-185.
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