[618] Rafael Sanzio, richtiger Santi, durch dessen Umwandlung in das lat. Sanctius das unrichtige, aber später allgemein angenommene ital. Sanzio entstand, der anerkannt größte Maler aus der modernen Kunstperiode, wurde am Charfreitage, den 28. März 1483 zu Urbino im jetzigen Kirchenstaate geboren, was damals der Sitz eines prachtliebenden herzogl. Hofes war.
Sein Vater, Giovanni Santi, war ebenfalls ein Maler und wenn auch keiner von den ausgezeichneten, doch einer der bessern Meister seiner Zeit und hatte sich mit Magia Ciarla, der Tochter eines Handelsmanns zu Urbino, vermählt, die aber schon 1491 starb, worauf er eine zweite Ehe mit der Tochter eines Goldarbeiters einging. Über R.'s Jugendbildung weiß man nichts Näheres, doch war in der Kunst jedenfalls der Vater sein erster Lehrer und erlebte auch die Freude, den vielversprechenden Sohn sich schon hülfreich zur Hand gehen zu sehen, obgleich er bereits 1494 starb. Vorher hatte er noch seinen Bruder Bartolomeo zu R.'s Vormund bestellt, zu welchem dieser aber, sowie zu seiner Stiefmutter, scheint kein rechtes Vertrauen haben fassen zu können, sondern viel mehr an seinem Oheim von Mutterseite, Simone di Battista Ciarla, hing. Im J. 1495 kam R. behufs seiner künstlerischen Fortbildung nach Perugia zu Pietro Vanucci, von seinem Wohnorte Perugino genannt, welcher an der Spitze einer der zahlreichsten Malerschulen seiner Zeit stand und wo R. mit vielen und auch begabten jungen Künstlern in nahe Beziehung trat. Sehr bald wurde er Gehülfe seines Meisters und schon 1500 führte R. in Citta Castellana einige Aufträge selbständig aus; zuerst eine Kirchenfahne, dann eine himmlische Krönung des wunderthätigen Einsiedlers Nicolaus von Tolentino für die Augustinerkirche und ein Altarblatt für eine Kapelle bei den Dominikanern. In dieselbe Zeit glaubt man auch die Entstehung von zwei Madonnenbildchen R.'s setzen zu müssen, welche sich jetzt im Museum zu Berlin befinden. Nach Perugia zurückgekehrt, war R. unermüdlich thätig für seine Entwickelung und im Schaffen für sich und Andere, wie er denn z.B. auch einen seiner ältern Mitschüler, Pieturicchio, bei wichtigen Aufträgen unterstützte, welche derselbe im Dom zu Siena auszuführen hatte. In Citta Castellana malte R. im J. 1504 wieder eine Trauung der Jungfrau, Sposalizio genannt, verweilte dann einige Zeit [618] in Urbino, wohin der von Cäsar Borgia vertriebene Herzog nach Papst Alexander VI. Tode (1503) zurückgekommen war, und ging von da mit überaus ehrenvoller Empfehlung einer Schwester des Herzogs zum ersten Mal nach Florenz. Hier wurde er mit den Meisterwerken der ältern florentinischen Schule bekannt und von dem, den dort lebenden Künstlern durch Leonardo da Vinci und Michel Angelo eingehauchten Eifer für anhaltende Studien mit ergriffen. Was er hier fand, förderte seine Eigenthümlichkeit zum Bewußtsein und machte, daß er allmälig die, wenn auch durch ihn veredelte Art und Weise seines Lehrers Perugino verließ, in der alle keine Werke bis dahin mitunter so treu gehalten waren, daß oberflächliche Beurtheiler bei manchen keinen Unterschied wahrnehmen zu können meinten. Nur wenig ward jedoch während R.'s erster Anwesenheit in Florenz geschaffen, darunter eine Madonna, del Granduca genannt, weil der Großherzog Ferdinand III. von Toscana dieselbe auf allen seinen Reisen beständig mitführte und deren Platz jetzt im Schlafgemache der Großherzogin zu Florenz ist. Allerhand Aufträge führten R. 1505 nach Perugia zurück, wo er auch die erste von ihm bekannte Frescomalerei in einer Kapelle der Camaldulenserkirche anfing, welche die Dreifaltigkeit, umgeben von sechs Heiligen des Camaldulenserordens, darstellt, von der er aber nach Vollendung des obern Theils im Herbst wieder nach Florenz eilte und deren unterer nach R.'s Tode von seinem Lehrer Perugino ausgeführt worden ist. In Florenz fand R. alte und neue Freunde und Gönner, setzte seine Studien eifrig fort, malte aber auch Mehres, z.B. die sogenannte Madonna mit dem Stieglitz, von einem solchen Vogel in den Händen des kleinen Johannes, die Madonna im Grünen, welche mit dem Kindlein auf einem üppigen Wiesengrunde ruht und sich in der Galerie des Belvedere zu Wien befindet, sowie mehre Portraits. Nach einigem Verweilen in Bologna besuchte R. hierauf seine Vaterstadt 1506 wieder, wo er mit mehren Portraits auch sein eignes, jetzt in der Galerie von Künstlerportraits zu Florenz befindliches verfertigte, auf dem er sich in einem Alter von 23 Jahren mit enganliegendem schwarzen Kleide und einem Barett auf dem Kopfe darstellte; Haar und Augen sind braun, die Gesichtsfarbe etwas bleich. Wieder nach Florenz zurückgekehrt, kam dort die jetzt in der Pinakothek zu München befindliche heilige Familie zu Stande und 1507 belegte er die in Florenz fortgesetzte Entwickelung seiner Selbständigkeit durch eine Grablegung Christi für die Franziskanerkirche zu Perugia. Die um diese Zeit geschlossene Freundschaft mit dem schon bejahrten Meister Fra Bartolomeo di S. Marco, einem Dominikaner, eignete sich im Austausche der beiderseitigen. Kenntnisse R. vorzüglich das Schöne der Farbengebung jenes Malers an, in dessen Manier er sogar Mehres arbeitete. Um die Mitte von 1508 ward R.'s künstlerisches Wirken endlich für ein großartiges Feld in Anspruch genommen, indem ihn Papst Julius II. nach Rom berief, wo dieser zur Verschönerung des Vaticans und zum Neubau der Peterskirche die ersten Künstler zu vereinigen suchte. Eilig folgte R. diesem ehrenvollen Rufe und ließ mehre noch unvollständig ausgeführte Bilder in Florenz zurück, zu denen auch jene h. Jungfrau mit einem Büchlein in der Hand, jetzt im berliner Museum, gehört haben mag.
In Rom, wo R. noch von Michel Angelo's (s.d.) großartigen Schöpfungen Gewinn zog und in der Baukunst besonders durch Bramante von Urbino sich vervollkommnete, entwickelte sich rasch seine völlige Meisterschaft in der Malerei und damit ein Ruf, der ihm Aufträge und Schüler von allen Seiten zuführte und auch Albrecht Dürer (s.d.) bewog, seine Freundschaft zu suchen. Er begann im Vatican mit der Ausschmückung des Stanza della Segnatura genannten Zimmers und hatte kaum seine erste Figur ausgeführt, als der Papst beschloß, alle seine Gemächer von R. malen und die darin schon vorhandenen Malereien vernichten zu lassen, wovon jedoch auf R.'s eignen Betrieb Manches verschont wurde. In vier großen Wandgemälden, von dazwischen geordneten beziehungsreichen Darstellungen verknüpft, malte er hier, bedeutungsvoll für den zur Unterzeichnung der Erlasse des geistlichen Oberhauptes der Christenheit bestimmten Ort, die Theologie, Philosophie, Poesie und Jurisprudenz, jede durch eine darüber befindliche allegorische Figur näher bezeichnet. Das zur Theologie gehörende Wandgemälde, bisher gewöhnlich die Disputa oder der Streit der Kirchenväter genannt, ist aber gewiß mit Recht eher als eine Verherrlichung der Einheit der katholischen Kirche zu bezeichnen, indem es im obern Theile die Dreifaltigkeit und Patriarchen, Propheten und Märtyrer, vereinigt um den die Mitte mit Maria und Johannes einnehmenden Heiland, unten aber um das ausgestellte Sacrament des Altars Kirchenväter, ausgezeichnete Gottesgelehrte, Bischöfe, auch Dante als ersten aller christlichen Dichter, die Gemeinschaft der Gläubigen und die Bekehrung zu ihr vorstellt, gegen welche einige vom Sacrament sich abwendende Figuren im Hintergrunde und die eines Abtrünnigen im Vordergrunde nicht in Betracht kommen können. Die andern Wandgemälde dieser Stanza sind als Schule von Athen und Parnaß bekannt; der Gerechtigkeit entsprechend ist Kaiser Justinian, wie er das röm. Recht dem gelehrten Tribonian, und der Papst, wie er die Decretalen einem Consistorialadvocaten übergibt, vorgestellt. Von den Hauptgemälden des angrenzenden Zimmers des Heliodor wurden bei Lebzeiten Julius II., gest. 1513, nur die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel zu Jerusalem und die Messe von Bolsena ausgeführt, bei der 1263 ein an. der Transsubstantiation zweifelnder Priester durch das aus einer von ihm geweihten Hostie fließende Blut überzeugt wurde und welche die Veranlassung zum Fronleichnamsfeste gab. Unter dem nicht minder kunst- und prachtliebenden Papste Leo X. wurde die Befreiung des Apostels Petrus und die Entfernung Attila's von Rom durch Papst Leo I. vollendet. Sodann erhielt R. seit Aug. 1514 die Oberleitung des Baues der Peterskirche, die er bis an seinen Tod behielt, und die weitern Wandmalereien im Vatican, sowie eine Menge anderer Aufträge nahmen ihn nun so in Anspruch, daß er seine Schüler mehr als zeither zu Hülfe nehmen mußte. Das dritte Zimmer im Vatican ward mit den Hauptgemälden: Leo III. Rechtfertigung vor Karl dem Großen, der Krönung des Letztern, des Siegs über die Sarazenen bei Ostia und des von R. selbst ausgeführten Burgbrandes geschmückt, den Leo IV. durch sein Gebet dämpft und nach welchem das Gemach die Stanza des Incendio del Borgo heißt. Ein Vorsaal für die Dienerschaft ward mit Aposteln und Heiligen ausgeziert, von denen aber durch Bauveränderungen fast Alles vernichtet ist, die von R. angegebene, unübertroffen sinreiche Verzierung [619] der Loggien aber, einer zu den päpstlichen Gemächern führenden Galerie, ist noch Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Sie bestehen aus 13 Bogen mit kleinen, kuppelartigen Gewölben und enthalten 48 größere Gemälde aus dem A. T. von der Schöpfung bis zu Salomonis Tempelbau und vier aus dem Leben Jesu, welche Reihe von Darstellungen gewöhnlich Rafael's Bibel genannt wird, umgeben von gemalten Ornamenten und Stuckaturarbeiten. R. verfertigte ferner zehn bunte Cartons (s.d.) für Leo X., der danach für die Sixtinische Kapelle in Rom Tapeten in Seide, Wolle und Gold wirken ließ, welche 1519 zum ersten Mal aufgehängt wurden und noch vorhanden sind. Sie stellen aus der Apostelgeschichte den wunderbaren Fischzug Petri, die Heilung des Lahmen, den Tod des Ananias, Paulus und Barnabas in Lystra, Pauli Predigt in Athen, die Erblindung des Elymas, Christi Gebot an Petrus: »Weide meine Schafe«, Stephani Reinigung, Pauli Bekehrung und Paulus im Gefängniß vor. Von den sieben ersten sind R.'s Cartons noch in England vorhanden und von dem des Fischzugs folgt hier eine Abbildung. Von den bedeutendern Gemälden R.'s, die in Rom entstanden, befindet sich das als Madonna di Fuligno bekannte Altarblatt jetzt im Vatican, die Madonna mit dem Fisch in Spanien, wohin auch eine ursprünglich für Maria dello Spasimo zu Palermo bestimmte Kreuztragung und eine h. Familie gewandert sind, welche den Namen der Perle behalten hat, den Philipp IV. ihr vor Bewunderung gab. Das Altarblatt mit der h. Cäcilie wird in Bologna, die berühmte Madonna im Stuhle, von der unsern Art. Maria (s.d.) eine Abbildung begleitet, in Florenz verwahrt; für Franz I. von Frankreich wurde 1517 der h. Michael, dann ein großes Bild der h. Familie, eine h. Margarethe und das Bildniß der berühmten Schönheit Johanna von Aragonien gemalt, die im pariser Museum sind. Zu den berühmtesten Portraits von R. gehört das Papst Leo X. mit zweien seiner Verwandten und ein weibliches unter dem Namen der Fornarina bekanntes, jetzt in Florenz, das bisher, wie es scheint mit Unrecht, für das seiner Geliebten gehalten worden ist, die zwar [620] bei ihm lebte, aber von der man nichts Näheres weiß. In Deutschland befinden sich außerdem eine Madonna R.'s, genannt mit dem Vorhange (della Tenda) nebst einer andern in München und die berühmteste und letzte von allen, die er für das Kloster des h. Sixtus in Piacenza malte, mit dem h. Papst Sixtus und der h. Barbara zur Seite, in Dresden. Sein letztes, nicht völlig ausgeführtes Gemälde war sine Verklärung Christi, das sich im Vatican befindet, wo er auch noch einen großen Saal auszumalen übernommen hatte, aber nur Entwürfe und den Carton zur Schlacht zwischen Konstantin dem Großen und Maxentius hinterließ, als ihn am Charfreitage 1520 ein Fieber hinraffte, das er sich vielleicht bei der Untersuchung und Aufnahme der Ruinen des alten Roms zugezogen hatte, mit denen er damals lebhaft beschäftigt war. Allgemein war die Trauer in Rom um den auch im Privatleben durch Liebenswürdigkeit, durch die zuvorkommendste Gefälligkeit gegen seine Freunde und das herzlichste Wohlwollen gegen seine Schüler ausgezeichneten Künstler, dem Neid und Misgunst gänzlich fremd waren. Seine Leiche ward in seinem Hause, welches er sich in der Nähe der Peterskirche erbaut hatte, das aber bei späterer Vergrößerung des Petersplatzes abgebrochen worden ist, von Kerzen umgeben und zu seinem Haupte das Bild der Verklärung ausgestellt und nachher im ehemaligen Pantheon, der Kirche Sta.-Maria della Rotonda, an dem von ihm selbst schon früher zu seiner Ruhestätte ausersehenen Orte beigesetzt. Im J. 1833 ward seine Gruft, auf welcher eine vom Volksglauben als wunderthätig bezeichnete Bildsäule der Jungfrau stand, geöffnet und R.'s vollständiges Skelett vorgefunden, auch nach genommenen Gypsabgüssen vom Schädel und der rechten Hand, unter großer Feierlichkeit dort wieder bestattet. Seinen ansehnlichen Nachlaß hatte R., der unverheirathet blieb, obgleich er die Frauen gern sah, an seine Geliebte, seine Verwandten, an Kirchen und Stiftungen und seine Schüler vertheilt, von denen Giulio Romano, Polidoro Caldara da Caravaggio, Penni il fattore, Giovanni da Udine zu den ausgezeichnetsten gehörten und in seinem Geiste mit ihren Schülern fortarbeiteten. Den Glanzpunkt von R.'s Werken machen die vollendet harmonische und ausdrucksvolle Auffassung aus und er ließ es zu seinen großen Gemälden deshalb an Studien auch nicht fehlen. Um so bewundernswürdiger ist bei seinem kurzen Leben die große Anzahl seiner Bilder und beweist ebenso für sein Genie und die Leichtigkeit, mit welcher er arbeitete, wie ihre zunehmende Vollkommenheit für den Fleiß, mit dem er fortwährend seine künstlerische Ausbildung betrieb. Seine Gemälde und auch die von ihm erhaltenen Zeichnungen sind zum Theil von den ausgezeichnetsten Kupferstechern mehrfach vervielfältigt, auch in neuerer Zeit lithographirt worden. Das neueste und gründlichste Werk über R.'s Leben und Wirken ist I. D. Passavant's »Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi« (2 Bde., mit Abbildungen, Lpz. 1839).
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