Schweiz

[147] Schweiz, republikanischer Bundesstaat, zwischen Frankreich, Deutschland und Italien, 718 QM. groß, ist zu 3/4 von den Ketten u. Zweigen der Alpen (s. d.) erfüllt, die von Südwesten gegen Nordosten, vom Genfer- bis zum Bodensee reichen. Im Südwesten werden sie nur durch die Spalte des Genfersees u. der Rhone von dem Jura getrennt, der sich bis Schaffhausen, die westlichen Spitzen des Bodensees fast berührend, hinzieht (s. Jura). Die meisten Alpenthäler öffnen sich gegen Norden und Nordwesten (Thal der Thur, Töß, Glath, Limath, Reuß, Aar) und münden in das Thal des Rheines aus, der deßwegen über 2/3 der Alpengewässer nach Norden führt. Oestlich wendet sich der Inn der Donau zu, südl. der Tessin dem Po, westl. die Rhone. Auf beiden Seiten der Alpen bilden die Flüsse und Bäche, indem sie die tieferen Thalbecken am Ausgange der Gebirgszweige ausfüllen, eine Reihe Seen; auf der Nordseite: Genfer-, Thuner-, Brienzer-, Vierwaldstätter-, Sarner-, Zuger-, Lowerzer-, Aegeri-, Zürcher-, Wallenstätter-, [147] Bodensee; von dem Seenkranze der Südseite des Gebirgs, der 300 bis 700' tiefer liegt als der nördl., berührt die S. nur den Lago maggiore (Langen-) und Luganersee. Zwischen dem Jura und den nördl. Vorbergen der Alpen breiten sich der Neuenburger-, Bieler-, Murtener-, Hallwyler- und Baldeggersee aus. Dieser Theil der S. (zwischen dem Jura und den Ausläufern der Alpen) liegt niederer als die oberschwäb. und bayer. Hochebene und ist reich an Getreide, Obst und Wein; noch milder ist das untere Tessinothal mit seinen Seitenthälern, wo Mais, Kastanie, Feige und Maulbeere das italien. Klima ankünden; sicilische Sommerwärme hat das tief in das Felsengebirge eingeschnittene Unterwallis, daher dort die feurigsten Weine reisen. In Gegenden, die mehr als 2500' über der See liegen, überflügelt die Viehzucht bereits den Ackerbau; mit 4000' fangen die Alpen (die Weiden an den Bergen) an, bis 6200' steigen die Wälder, dann folgt ein mit Gesträuch, Alpenkräutern und Steinen bedeckter Streifen bis zum ewigen Schnee, der in der Regel mit 8000' Höhe beginnt. Gletscher zählt man gegen 400, sie bedecken vielleicht 50 QM. Von dem Gesammtareal kommen (nach einer Berechnung, die zum geringsten Theil auf Landesvermessung gegründet ist) 20% auf Wiesen und Weiden, 11% auf Acker-, 1% auf Rebland, 17% auf Wald, 51% nehmen Seen, Flüsse, Straßen, Wohnungen u. unbenutzbares Land ein. Obwohl Gebirgsland hat die S. wenig Bergbau; der Jura hat reiche Bohnerzlager, es bestehen aber nur wenige Hüttenwerke, weil die Holzkohle zu theuer ist, Steinkohlen gar nicht, Braunkohlen sich nur in geringen Flötzen finden; man gewinnt ferner etwas Blei, Zink u. Kupfer, schönen Marmor, Gyps, Thonschiefer, noch immer nicht hinreichend Salz. Mineralwasser sind zahlreich: Baden, Schinznach, Pfäffers, St. Moritz, Fideris, Leuk, Gurnigel, Stachelberg etc. Die S. erzeugt vielleicht nicht etc. ihres Bedarfs an Brotfrüchten, nicht hinlänglich Wein, sie verbraucht an Colonialwaaren so viel als Bayern, Württemberg und Baden zusammengenommen, muß ihren Bedarf an Eisen- u. Metallwaaren, an Wollezeug, Leinen, die Rohstoffe für die wichtigsten Fabrikationszweige vom Ausland beziehen, so daß die Einfuhr 40 Mill. Thlr. übersteigt. Dies Verhältniß findet seine Ausgleichung und zwar zu Gunsten der S. durch den Ertrag der Viehzucht, durch eine hoch entwickelte Baumwolleindustrie (Thurgau, St. Gallen, Appenzell, Glarus, Aargau, Basel, Genf, Neuenburg), die Seideweberei (Zürich, Basel, Aargau), die Uhrmacherei, die ihren Hauptsitz in Genf, Neuenburg und dem bernischen Jura hat und jährlich eine fabelhafte Anzahl goldener und silberner Taschenuhren liefert; Strohflechterei, Holzschnitzerei etc. haben nur für einige Gegenden Bedeutung. Große Summen bringt der Fremdenbesuch während des Sommers in die S. Die Zahl der E. beläuft sich auf 2400000, von denen 75% deutsch, 20% franz., 5% ital. und ungefähr 40000 Personen das sog. Romanisch (vgl. Graubünden) sprechen; protest. sind 60%, kath. 40%; Juden, die nur in 2 aargauischen Dörfern Heimathrecht haben, zählt man über 3000. Das Schulwesen ist ungefähr wie in Deutschland bestellt; Universitäten sind in Basel, Bern und Zürich, ein eidgenössisches Polytechnicum in Zürich; die meisten Kantone haben eine sog. Kantonsschule, eine Art Gymnasium, wo jedoch die Realien besser vertreten sind als in den meisten deutschen Gymnasien. Ferner gibt es eine Menge Privatinstitute, von denen die meisten, namentlich in der franz. S., als industrielle Unternehmungen zu betrachten sind. Die durch den Wiener Congreß als neutral erklärte Bundesrepublik (Eidgenossenschaft) besteht aus 24 Staaten (in 22 Kantonen): Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden (seit Anfang 2 Staaten, Ob- und Nidwalden bildend), Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel (in 2 Staaten: Baselstadt u. Baselland seit 1834 getrennt), Schaffhausen, Appenzell (seit der Reformation in Inner- und Außerrhoden getrennt), St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf. Nach der Bundesverfassgegenwärtig.[148] ung von 1848 ruht die oberste Bundesgewalt in der Bundesversammlung, die aus einem Nationalrathe, von den Kantonen nach dem Verhältniß der Volkszahl gewählt, u. einem Ständerath besteht, in welchem jeder Kanton gleich repräsentirt ist. Die höchste vollziehende Gewalt hat der aus 7 Mitgliedern bestehende Bundesrath, der von der Bundesversammlung ernannt wird. Es besteht ferner ein Bundesgericht für Civilstreitigkeiten zwischen den einzelnen Kantonen, zwischen einzelnen Bürgern, Corporationen etc. und Kantonen; ein Geschwornengericht spricht über Verbrechen gegen den Bund und das internationale Recht. Die Kosten der Bundesgewalt werden aus dem Ertrag der Gränzzölle, der Post und der Pulverfabrikation bestritten; dieselben belaufen sich auf 15 (, Mill. Frcs., die Einnahmen auf mehr als 16 Mill. Die neue Bundesverfassung gewährt den christlichen Bekenntnissen Gleichberechtigung u. dem S.erbürger das Niederlassungsrecht im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft. In neuester Zeit ist der frz. Münzfuß eingeführt worden; die Grundlage für Maß und Gewicht ist gleichfalls franz.; 1 Fuß = 3 Decimeter = 10 Zoll = 100 Linien = 1000 Strichen; der Juchart ist = 40000 Quadratfuß; das Viertel = 15 franz. Litr., 1 Malter = 10 Vierteln; die Maß = 11/2 Litr.; 100 Maß = 1 Saum. Jeder S.erbürger wird mit dem 20. Jahre wehrpflichtig u. bleibt es bis zum 44.; eingeübt werden die Milizen von Kantonalinstructoren; in Thun befindet sich eine eidgenössische Kriegsschule, besonders zur Ausbildung von Unteroffizieren bestimmt. Der Bundesauszug beträgt 64000 Mann, die Reserve ebensoviel, die Landwehr fast das Doppelte, so daß die S. bei ihrer zur Vertheidigung trefflich geeigneten Gebirgsnatur auch von einer großen Macht nicht leicht überwältigt werden kann, wenn die ganze Bevölkerung zum energischen Widerstande entschlossen ist. Garnisonen, überhaupt stehende Truppen hat die S. nicht; verhältnißmäßig ist auch die Uebungszeit für alle Waffengattungen eine sehr kurze; die natürliche Anlage des S. ers zum Soldaten und die fast allgemeine Vertrautheit mit dem Schießgewehre ersetzen indessen viel. Ueber die Kantonalverfassungen s. die einzelnen Kantone. (Vergl. »Gemälde der S.« bei Huber in St. Gallen, enthält bis jetzt zum Theil sehr weitläufige und ihrem Werthe nach sehr ungleiche Beschreibungen der Kantone: Appenzell, Aargau, Thurgau, Schaffhausen, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Tessin, Solothurn, Freiburg, Baselland, Graubünden. »Franscini, Statistik der S.« 1849, Nachtrag 1851, theilweise sehr unzuverlässig; Lutz »Topographisches Lexikon der S.« Aarau 1827.) – Die heutige S. war zur Zeit von Chr. Geburt größtentheils von dem gallischen Stamme der Helvetier bewohnt, Graubünden aber der Kern Rhätiens. Schon Cäsar unterwarf Helvetien der röm. Herrschaft, Augustus Rhätien; das ganze Land wurde romanisirt und hatte eine ziemliche Anzahl bedeutender Städte (Geneva, Aventicum (Avenches), Vindonissa (Windisch), Augusta Rauracorum (Basel-Augst). Zur Zeit der Völkerwanderung ließen sich im westl. Theile, von Wallis und Genf bis Eglisau am Rhein die Burgunder nieder, im Osten und Nordosten die Alemannen, so daß die S. die Schicksale Alemanniens und Burgunds theilte (s. d.). Bei dem Verfalle der deutschen Kaisergewalt entwickelten sich in der S. dieselben Verhältnisse wie in Deutschland; geistliche und weltliche Herren, freie Städte u. theilweise freie Bauern waren nebeneinander, bald feindlich, bald verbündet, der Friede ein seltener Zustand. Nach dem Untergang der Hohenstaufen waren die Grafen von Habsburg sowohl durch ihre Besitzungen als durch ihr Landgrafenamt im Aargau u. Thurgau die mächtigsten Herren; Rudolf I. erweiterte als Kaiser die Macht seines Hauses, Albrecht I. dagegen, der dasselbe Streben befolgte, wurde durch verschworne Adelige ermordet (1308). In diese Zeit versetzt die schweiz. Volkstradition die Entstehung der Eidsgenossenschaft und verbindet damit die bekannten Namen Geßler und Tell; der geschichtliche Verlauf, die Bedeutung der einzelnen Namen etc. ist wohl nicht mehr [149] auszumitteln und hat auch nur wissenschaftliche Bedeutung, indem die Tradition ein für allemal bei dem schweiz. Volke in Saft und Blut übergegangen ist. Der Kern ist jedenfalls dieser: die freien Bauern in Uri, Schwyz u. Unterwalden benutzten (1308) die Gelegenheit sich der habsburg. Gerichtsbarkeit, die von habsburg. Ministerialen zur Unterdrückung des freien Bauernstandes mißbraucht wurde, zu entziehen; sie verbündeten sich, wie es seit dem Interregnum in allen deutschen Landen die Schwächeren zu ihrem Schutze thaten, und fanden bei Kaiser Heinrich VII. und noch mehr bei Ludwig dem Bayer, deren Politik gegen Haus Habsburg eine feindselige war, Unterstützung. Der Sieg am Morgarten (1315) über Herzog Leopold hob ihr Selbstvertrauen so, daß sie sich zu einer ewigen Eidgenossenschaft verbündeten. Sie erweiterten ihre Selbständigkeit dem Kaiser gegenüber in derselben Weise, wie in Deutschland die Fürsten, und daß sie sich endlich vom Reiche förmlich trennten, davon lag die Ursache in der erblichen Feindschaft gegen das Haus Habsburg-Oesterreich, welches den Thron inne hatte, in der geographischen Lage des Landes, in den Einwirkungen der französ. Politik und hauptsächlich in der Verkommenheit des deutschen Reichs. Die Eidgenossenschaft vergrößerte sich auf Kosten Oesterreichs 1332 durch die Aufnahme von Luzern, von 1350–53 traten die Reichsstädte Zürich u. Bern sowie die unter österr. Oberherrlichkeit stehenden Glarus und Zug in den Bund, der sich gegen den Angriff des Herzogs Albrecht sowie gegen den nicht ernst gemeinten Kaisers Karl IV. behauptete. Als später Luzern sich mit unzufriedenen österr. Ortschaften verbündete, erhob Herzog Leopold 1386 einen Rachekrieg, blieb aber selbst in der Schlacht bei Sempach u. eine neue Niederlage der österr. Schaaren 1388 bei Näfels sicherte den Eidgenossen ihre Errungenschaften. Der Aufstand der Appenzeller (1393–1411) gegen den Abt von St. Gallen wurde von Schwyz und Glarus unterstützt, Appenzell selbst ein sogen. zugewandter Ort d.h. ein Bundesgenosse, der aber bei eidgenössischen Tagsatzungen keine Stimme hatte. 1415 griffen die Eidgenossen den vom Constanzer Concil gebannten Herzog Friedrich von Oesterreich an u. eroberten den schönsten Theil des Aargau; was gemeinschaftlich erobert wurde, wurde gemeinschaftliche Vogtei d.h. die Kantone setzten der Reihenfolge nach die Landvögte ein und bezogen die Abgaben, ein Verfahren, das oft zur Landplage wurde. Es war überhaupt Grundsatz der Eidgenossen, in eroberten und erkauften Herrschaften das Recht des früheren Herrn im vollsten Umfange geltend zu machen und nicht einmal den Loskauf von den Feudallasten zu gestatten. Der Tod des letzten Grafen von Toggenburg führte 1436–40 einen Krieg zwischen der Eidgenossenschaft u. Zürich herbei, das seine Ansprüche auf einen Theil der toggenburg. Erbschaft aufgeben mußte; er erneuerte sich, als Zürich sich mit Kaiser Friedrich III. verband (1444–46), aber die Schlachten bei Zürich, St. Jakob bei Basel und Ragatz sicherten und befestigten den eidgenössischen Bund aufs Neue. Friedrich III. hatte französ. Truppen (vergl. Armagnac und Ludwig XI.) herbeigerufen, der Dauphin (Ludwig XI.) lernte aber bei diesem Zuge die Verhältnisse am Oberrhein näher kennen und unterhielt seitdem eine Verbindung mit den schweiz. Standeshäuptern. Ihm gelang es 1474 die S.er mit dem Herzog Karl dem Kühnen von Burgund in einen Krieg zu verwickeln, durch den Frankreichs Uebermacht begründet wurde, den S.ern aber außer Beute u. Waffenruhm nichts einbrachte. 1481 wurden die früher zugewandten Orte Solothurn und Freiburg in den Bund aufgenommen, 1460 war der Thurgau erobert und zur gemeinschaftlichen Vogtei gemacht worden, 1478 war dasselbe mit dem Tessin geschehen u. fast gleichzeitig mit dem Rheinthal von Graubünden abwärts bis zum Bodensee. Schaffhausen, Basel, St. Gallen, der Abt von St. Gallen, der Bischof von Basel, der Graf von Neuenburg, Wallis u. der Bischof von Sitten, zuletzt auch Graubünden, waren Schutzverwandte, so daß die S. so ziemlich dieselbe politische Machtstellung hatte wie [150] Sie machte von derselben aber einen unwürdigen Gebrauch; statt den Herzog von Mailand zu schützen, stellte sie ihre Söldner zuerst dem Herzoge, dann Frankreich und zuletzt auch Oesterreich zu Gebote, verlor einen großen Theil der wehrbaren Mannschaft bei Novara, Bicocca und Marignano u. mußte zuletzt zusehen, wie das Herzogthum Mailand, dessen Bestand im höchsten politischen Interesse der S. war, einer europ. Großmacht zufiel. 1499 gerieth die S. mit Kaiser Max I. in Krieg, der sie der neuen Eintheilung des Reichs einreihen wollte; die S.er siegten bei Frastenz, auf der Malserhaide, bei Ermatingen und Dornach u. traten thatsächlich aus dem Reichsverbande. 1501 wurde Basel u. Schaffhausen, 1513 Appenzell aufgenommen u. bei dieser Zahl der Kantone (Orte) blieb es bis 1798. Die Reformation erschütterte den schweizer. Staatenbund nur vorübergehend; Bern und Zürich wollten sie anfänglich benutzen um die kleinen kathol. Kantone ihrer bisherigen Bedeutung im Bunde zu berauben, allein deren Sieg bei Kappel rettete 1531 sie und für die gemeinschaftlichen Vogteien die Religionsfreiheit; in den eigenen Vogteien duldeten reformirte und kath. Kantone nur Unterthanen ihres Glaubens. Genf, das mit seinem Bischofe haderte, erklärte sich ebenfalls für die Reformation u. Bern benutzte die Schwäche Savoyens, das den Bischof unterstützte, die ganze Waadt zu erobern (1536) und zur Vogtei zu machen; Genf wurde bald darauf der Schauplatz von Calvins folgenreicher Thätigkeit u. erlangte seine Bedeutung als Metropole der romanischen Reformirten (s. Calvin und Genf). An den Welthändeln betheiligte sich die S. nicht ferner als Gesammtstaat, sondern die einzelnen Kantone stellten nach ihrem Gutdünken Regimenter in auswärtigen, vorzugsweise jedoch in französ. Dienst; selbst in den 30jährigen Krieg, der die Gränzen vielfach berührte und selbst verletzte, ließ sich die S. nicht verwickeln u. gestattete nur, daß ein französ. Heer unter dem Herzog von Rohan das österr.-span. Heer aus Graubünden vertrieb, das durch Parteikämpfe die fremde Intervention herbeigeführt hatte. 1648 wurde die S. im westfälischen Frieden als von Deutschland unabhängiger Staat anerkannt; damals wurden die Adler in Zürich etc. von den Rathhäusern und Thürmen abgenommen. 1653 schlugen Luzern, Zürich, Bern und Basel einen Bauernaufstand blutig nieder u. 1656 besiegten die Luzerner die Berner bei Vilmergen, als diese und die Züricher abermals sich in die innern Angelegenheiten der kathol. Kantone einmischten; 1712 kam es wegen der Toggenburger, den Unterthanen des Abts von St. Gallen, abermals zum Kampfe, in welchem die kathol. Kantone bei Vilmergen geschlagen wurden, ohne daß jedoch eine wesentliche Veränderung der früheren Rechtsverhältnisse erfolgt wäre. Von da bis 1796 genoß die S. zwar des einheimischen Friedens, wiederholte Verschwörungen und »Händel« in Genf, Freiburg, Bern, Zürich, Basel, Schaffhausen beweisen, daß keine allgemeine Zufriedenheit herrschte, obgleich der Wohlstand der S. für die anliegenden Länder beneidenswerth erscheinen mußte. Die Unzufriedenheit hatte ihren Sitz in den Vogteien, die das Unterthanenverhältniß gegen die Stadtbürger od. die Bauern der alten Kantone haßten; in den herrschenden Städten selbst hatte sich eine Aristokratie ausgebildet, die nicht geeignet war, Ehrfurcht und Vertrauen einzuflößen. Nach dem Ausbruche der franz. Revolution mußte die Genfer Aristokratie nachgeben u. 1792 wurde der Bischof von Basel von seinen Unterthanen (im heutigen kathol. bernischen Jura) vertrieben; sein Land wurde 1793 von den Franzosen besetzt; dasselbe widerfuhr den aufgestandenen graubündnischen Vogteien Cleven u. Veltlin 1797, Genf 1798 und als die Waadt sich gegen Bern erhob, fand das franz. Directorium die Gelegenheit günstig, die ganze S. zu revolutioniren und auszubeuten. Die Uneinigkeit der S.er und die Unentschlossenheit der Regierungen machten das Werk so leicht, daß es von 18000 Franzosen unter Brune und Schauenburg ausgeführt werden konnte. Nun wurde eine helvetische Einheitsrepublik[151] aus 18 Kantonen hergestellt, eine Bundesgenossin Frankreichs, die aber nur so lange hielt als die Franzosen im Lande lagen. 1802 war vollständige Anarchie ausgebrochen, da schritt aber der erste Consul ein und dictirte zu Paris den schweiz. Abgeordneten eine Verfassung, die sogen. Mediationsakte, welche zu den 13 alten Kantonen St. Gallen, Graubünden, Thurgau, Aargau, Tessin und Waadt fügte, den größeren Kantonen 2 Stimmen in der Tagsatzung einräumte, die bürgerliche Ungleichheit u. die Vogteien beseitigte und den innern Verkehr frei machte; dagegen wurden Neuenburg u. Wallis von der S. getrennt. Nach der Schlacht bei Leipzig dirigirten die Verbündeten ein Heer durch die S. gegen Frankreich u. nun wurde von den alten Städten und Kantonen die Mediationsverfassung gestürzt; eine neue Anarchie drohte auszubrechen, der aber der Wille der Großmächte und die unter ihrer Vermittlung zu Stande gekommene Verfassung von 1815 ein Ende machte. Die S. erhielt zu den 19 Kantonen noch Wallis, Neuenburg u. Genf u. das Recht der Neutralität; eine Bundesregierung wurde durch die neue Verfassung nicht gegeben, indem die 3 abwechselnden Vororte Zürich, Bern und Luzern außer dem Präsidium auf der Tagsatzung sowie der Repräsentation der S. gegenüber dem Auslande nur sehr beschränkte Befugnisse hatten; da überdies bei den wichtigsten Gegenständen 3/4 Stimmen der Tagsatzung zu einem gültigen Beschlusse nothwendig waren, so war eine Reform der Bundesverfassung eine Unmöglichkeit. Indessen hatte die S. von 1815 bis 1830 eine glückliche Zeit; Handel und Gewerbe blühten, die Kantonalverfassungen konnte man nur insofern aristokratisch nennen, als in der Repräsentation der Besitz ein beträchtliches Uebergewicht hatte, jedenfalls aber muß zugegeben werden, daß die S. noch nie besser administrirt gewesen als während dieses Zeitraums. Es brauchte auch ziemlich viel, bis von 1830–34 die Volksbewegung in Fluß kam; sie endete mit der Demokratisirung der Verfassung, indem die Kopfzahl zum Maßstabe der Repräsentation gemacht wurde und mit der Spaltung des Kantons Basel in Stadt u. Land; die Revision der Bundesverfassung scheiterte jedoch an der Theilnahmlosigkeit des Volks. Unbesonnenes und ungerechtes Vorgehen einzelner Regierungen in kirchlichen Dingen störte in Bern u. Aargau den Frieden (1835) u. die Gewaltthat der aargauischen Regierung gegen die Klöster (1841) bewegte die S. einige Jahre, ohne daß die Tagsatzung die flagrante Verletzung der Bundesverfassung, welche die Klöster ausdrücklich garantirte, zu hindern vermochte. Die radicale Partei benutzte nämlich den leicht aufregbaren Haß der reformirten Bevölkerung gegen kathol. Institutionen zur Verdrängung der conservativen Regierungen in den einzelnen Kantonen; die Berufung einiger Jesuiten als Professoren nach Luzern (1844) regte umsomehr auf, als auch die deutschen, franz. und engl. Blätter die schweiz. Radicalen unterstützten. Zuerst versuchten dieselben den Sturz der luzernischen Regierung, indem sie die luzernischen Radicalen durch Freischaarenzüge unterstützten (9. Dezbr. 1844 und Ende März 1845); es mißlang, aber die Niederlage des letzten großen Freischaarenzugs erbitterte die reformirte Bevölkerung noch mehr, besonders im Kanton Bern, und so glückte es endlich eine Tagsatzungsmajorität herbeizuführen, welche von Luzern die Austreibung der Jesuiten u. von Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Freiburg u. Wallis die Aufhebung des von ihnen 1843 geschlossenen Bündnisses verlangte, das nichts anders bezweckte als gegenseitigen Schutz gegen ungerechte Angriffe wie z.B. gegen Freischaaren. Die Weigerung derselben führte im Herbste 1847 zu dem sogen. Sonderbundskriege, den die radicale Partei aber ohne die Aufmunterung Englands und die Passivität Oesterreichs und Frankreichs, welche Mächte durch die Gährung in Frankreich, Deutschland und Italien sich paralysiren ließen, nie gewagt hätte. Der rasche Fall des Sonderbunds war unrühmlich und unerwartet, dem kriegerischen Ruhme der kath. Kantone gar nicht entsprechend, die Folge desselben die [152] Bundesverfassung vom 12. Sept. 1818. Neuenburg sah die Februarrevolution zu Paris als das Signal an, sich als Republik zu constituiren, die indessen von dem König von Preußen bis jetzt nicht anerkannt ist. Seit 1853 machte der Kanton Tessin der Bundesregierung viel Verdruß; wegen Verletzung internationaler Pflichten wies Oesterreich die in der Lombardei sich aufhaltenden Tessiner aus und brach allen Verkehr zwischen dem Kanton und der Lombardei ab, bis es 1854 Genugthuung erhielt; ebenso nahmen die erbitterten Parteikämpfe im Tessin den Bundesrath mehrfach in Anspruch. Durch die Bundesverfassung ist die Werbung von S.ern für fremde Dienste streng verboten; als jedoch 1854 England u. Frankreich S.erlegionen anwarben, fand die Bundesbehörde für gut der Sache ihren Lauf zu lassen. (Ueber die Geschichte der S. besitzen wir eine Unzahl von Schriften; so die Chronik von Aegid. Tschudi, das bekannte Werk von Joh. v. Müller, mit dessen Fortsetzungen von Glutz-Blotzheim, Hottinger u. Vuillemin; ein Handbuch in 2 Bdn. von Meyer v. Knonau; von dem auf Quellenstudium gegründeten Werke E. Kopps sind bis jetzt 4 Theile erschienen, Leipzig bei Weidmann 1845–49. Zahlreiche Monographien einzelner Kantone, Bezirke u. Städte, darunter einzelne treffliche z.B. von K. Zellweger über Appenzell, von Bluntschli über Zürich, Tillier über Bern; über das Kloster St. Gallen von Ildefons von Arx.)

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 147-153.
Lizenz:
Faksimiles:
147 | 148 | 149 | 150 | 151 | 152 | 153
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon