Spanien

[261] Spanien, das Königreich, umfaßt über 5/6 der pyrenäischen Halbinsel od. 8364 QM., mit den balearischen und kanarischen Inseln 8598 QM., liegt zwischen Frankreich, dem Ocean, Portugal und dem mittelländ. Meere. Das kontinentale S. ist ein Hochland, welches sich im Durchschnitt gegen Südwesten hin senkt. Das nördl. Küstengebirge, das von den Pyrenäen auslaufende kantabrische Gebirge, bildet den Nordrand der großen span., durchschnittlich 2 bis 3000' hohen Hochebene, welche durch die Sierra Guadarrama u. die Sierra Morena in die alt- u. in die neukastilische [261] Hochebene getheilt wird. Zwischen den Pyrenäen, dem kantabrischen Gebirge u. dem östl. Rande der kastilischen Hochebenen, dem sogen. iberischen Gebirge (Sierra d'Oca, Moncayo, Daroca etc.) liegt das Flußgebiet des Ebro mit seinen terrassenförmigen Abfällen und der tiefen Thalebene; zwischen Sierra Morena, der über 10000' ansteigenden Sierra Nevada, und östl. der Sierra Saera das Flußgebiet des Guadalquivir, das in die andalus. Tiefebene übergeht. Auf dem Ostrande der großen Hochebene entspringen Duero, Tajo, Guadiana und Guadalquivir, die in westl. Laufe dem Ocean zuströmen; das Mittelmeer empfängt den Ebro, sodann den Guadalaviar, den Xucar, die Segura etc., die von den südöstl. und südl. Randgebirgen des Plateaus herabstürzen. Alle diese Flüsse strömen in tief eingeschnittenen Schluchten und Thalspalten, haben starken Fall und sind mit Ausnahme geringer Strecken oberhalb ihrer Mündung nicht schiffbar; auch Kanalbauten sind wegen der natürlichen Beschaffenheit des Landes nur beschränkt auszuführen (die wichtigste ist der Kaiserkanal von Saragossa bis Tudela, längs des Ebro). Das Klima ist im Norden gemäßigt, auf den mittleren Hochebenen heiß, mit kalten Nächten, am südl. Gebirgsrande nordafrikanisch; daß die Erhebung des Bodens einen Temperaturunterschied bedingt, ist natürlich. Die gewaltige Hochflächenbildung und die entsprechende Zerklüftung bewirkt, daß S. in seinem größeren Theile ein dürres Land ist; bedeutendere Waldungen finden sich nur im Norden, selten jenseits der Sierra Guadarrama. Die Erzeugnisse des Pflanzenreichs sind der natürlichen Beschaffenheit des Landes entsprechend sehr mannigfaltig; es erzeugt die Carnalien, Gemüse, Gräser u. Bäume des gemäßigten Mitteleuropa, außerdem Espartogras u. Korkeichen; in den wärmeren Gegenden süße und sehr feurige Weine, in den südl. Küstenebenen Oliven, Mandeln, Feigen, Citronen, Baumwolle, sogar Zuckerrohr und Datteln. Die Pferde sind schön, besonders in Andalusien, die Zucht der Esel u. Maulthiere ist von großer Bedeutung; das Rind ist in verschiedenen Schlägen vorhanden, wird aber durch die Ziege fast in Hintergrund gestellt; daß die öden Hochebenen Heerden feinwolliger Schafe ernähren, ist bekannt. Die Seidezucht ist besonders in Andalusien und Murcia von Wichtigkeit, die Bienenzucht fast überall vernachläßigt. In den Pyrenäen u. den höheren Sierren kommt neben dem gewöhnlichen Wild der Wolf und Bär nicht selten vor. S. ist metallreich; der Bergbau liefert Silber, Quecksilber, Eisen, Blei, Kupfer, Kobalt, Alaun, Salpeter, Vitriol, Steinkohlen und Steinsalz; an Salz- und Mineralquellen ist kein Mangel. Die Einwohnerzahl S.s beträgt mit Einschluß der Canarien und Balearen 14200000 in 145 Ciudades (Städten), 4350 Villas (Marktflecken), 12495 Pueblos und Aldeas (Dörfer). Die Spanier sind sehr gemischter Abkunst, indem sich neben den Ureinwohnern, den Iberern: Celten, Phönicier, Römer, Gothen, Sueven, Alanen, Vandalen, Araber u. Mauren niederließen; ein iberischer Rest sind vielleicht die Basken, ein maurisch-arab. die Moriscos od. Modejares. Staatskirche ist die röm.-kath.; nach dem Concordat von 1851 zählt S. 9 Erzbisthümer u. 54 Bisthümer; den Nichtkatholiken ist nur die private Ausübung ihres Kults gestattet. Für den öffentlichen Unterricht sorgen 10 Universitäten, 49 Collegien, 10 Normalschulen höhern und 23 niederern Rangs, über 17000 Knaben- und 5000 Mädchenschulen. In den größeren Städten finden sich überall öffentliche Bibliotheken, Museen, Akademien, Sammlungen verschiedener Art, die aber größtentheils aus früherer Zeit herrühren. Landbau und Gewerbsfleiß haben durch die seit 1808 mit kurzen Unterbrechungen fortdauernden Kriege und Revolutionsversuche sehr gelitten; es herrscht Gewerbefreiheit, aber die übermäßig hohen Schutzzölle ermuntern den Schmuggel um so mehr, als die einheimische Industrie den Bedarf jedenfalls nicht deckt. Die industriellste Provinz ist Catalonien, das besonders in Baumwolle und Seide arbeitet, außerdem ist die Leineindustrie von Bedeutung sowie die Fabrikation von Eisen- u. Stahlwaaren, von Leder, [262] gewöhnlichem Wollezeug u. Hüten. Die Einfuhr betrug 1853 nach officiellen Ziffern 734434800 Realen, die Aus fuhr 835822745 Realen; die Hauptgegenstände der Ausfuhr sind: Quecksilber, Blei, Wolle, Wein, Südfrüchte, Olivenöl, Getreide, Korkholz, Kermes, Sumach, Maulthiere, Schnupftabak. S. ist eine constitutionelle Monarchie, Königin ist Isabella II. (s. d.), die Krone erblich in männlicher und weiblicher Linie; die seit 1814 vielfach veränderte Verfassung unterliegt gegenwärtig abermals einer Bearbeitung durch constituirende Cortes. Eingetheilt ist S. in 49 Provinzen; an der Spitze der Civilverwaltung steht der von der Regierung ernannte Gefe politico; die Municipalrechte sind sehr ausgedehnt. In militärischer Beziehung ist das continentale S. in 14 Generalcapitanate eingetheilt. Das stehende Heer beträgt etwa 60000 Mann aller Waffengattungen; daneben gibt es eine Nationalgarde. Die Seemacht ist in neuester Zeit wieder zu einiger Bedeutung gelangt, indem sie auf 410 Schiffen verschiedenen Rangs 1250 Geschütze zählt. An überseeischen Besitzungen hat S. noch in Amerika: Cuba, Portorico u. einige Jungferninseln; in Asien: die Philippinen, Marianen und Carolinen; auf der nordafrik. Küste die sog. Presidios: Ceuta, Penon de Velez, Melilla, die Canarien, einige Guineainseln. Das Budget für 1855 berechnete die Einnahmen auf 1569080914 Realen, die Ausgaben auf 1567389804. Die schwebende Schuld beträgt gegenwärtig etwas zu 600 Mill., die ganze Staatsschuld wurde 1853 auf 14517 Mill. Realen angegeben, ist aber seitdem um 230 Mill. gestiegen (1 Real = 21/3 Sgr. = 61/2 kr. C.-M.). Maß und Gewicht sind nach dem franz. System umgestaltet; früher war 1 Quintal = 4 Arrobas à 25 Libri = 92,02 Zollpfd.; 1 Pipe Wein = 27 Cantaras, 1 Cantara = 251/2 franz. Litr.; 1 Fanega Korn = 54,8, auf Cuba = 105,71, ein Kaban Reis = 98,28 frz. Litr., die Vara (Elle) = 0.835 Metr. (Die besten Werke über S. sind das lexikalische von Madoz und die Schriften von Minutoli.) – Geschichte. Die ältesten Bewohner S.s waren Iberer, vielleicht mit den Berbern im nördlichen Afrika zusammenhängend, und Celten, beide in viele Völkerschaften getheilt; die vielen und beträchtlichen Städte bezeugen, daß vor der phönic. Einwanderung eine gewisse Kultur verbreitet war. Zuerst ließen sich Phönicier an der Küste nieder, dann Griechen (Sagunt), endlich Karthager, welche unter Hamilkar, Hasdrubal u. Hannibal einen beträchtlichen Theil der Halbinsel eroberten. Der 2. pun. Krieg führte die Römer nach S., welche mit Hilfe der span. Völkerschaften die Karthager vertrieben u. hierauf nach langem Kampfe ganz S. unterwarfen; erst 25 v. Chr. unterlagen die Cantabrer und nun war S. über 400 Jahre röm. u. zeigt sich schon unter Nero vollständig romanisirt. Die Wogen der Völkerwanderung erreichten 412 n. Chr. S.; zuerst kamen Sueven, Alanen und Vandalen, dann die Westgothen, welche Alanen und Vandalen nach Afrika drängten, die Sueven aber unterwarfen, so daß am Schlusse des 6. Jahrh. die ganze Halbinsel ein Reich bildete, das die germanische Verfassung hatte. Indessen verschmolzen hier Romanen und Germanen um so vollständiger, als die Gothen sich vom Arianismus zu der kath. Kirche wandten (586) und die Romanen gleiche Rechte erhielten. Thronstreitigkeiten u. Vasallentrotz gegen die Krone mangelten auf der Halbinsel so wenig als in den andern german. Reichen; ein Prinz, dem ein anderer, Roderich, den Thron entrissen hatte, rief mit dem Grafen Julian, der auf maurischem Boden die gothischen Besitzungen kräftig vertheidigt hatte, die Araber herbei, welche unter Tarik und Musa landeten und 711 bei Xerez de la Frontera in 7tägiger Schlacht den goth. Heerbann vernichteten oder zerstreuten. Nur im nordwestl. Gebirge (von Galizien bis an die Pyrenäen) hielt sich ein Kern Gothen unter dem Prinzen Pelayo u. von dort ging auch die Neubildung der span. Nation aus; die unterworfenen Christen wurden von den Arabern als Rajas geduldet, zahlten Kopfsteuer und verloren den größten Theil des Grundbesitzes, da zahlreiche arab. Stämme einwanderten, [263] Vom Khalifat trennte sich S. schon 756, als der Ommajhade Abderahman I., der dem Untergange seines Hauses entging, nach S. flüchtete u. dort Anhang fand. Er gründete das Khalifat Cordova und unter demselben trat eine Zeit der Blüte für S. ein, wie sie ihm seitdem nie mehr zu Theil wurde; auch war S. ein Hauptsitz der arab. Bildung, welche sich von dort aus dem christlichen Abendlande mittheilte. Das span. Khalifat zerfiel seit 976 nach dem gewöhnlichen Gange der großen orientalischen Staaten; die Statthalter machten sich unabhängig u. stifteten Königreiche: Toledo, Sevilla, Valencia, Saragossa etc., wodurch die Ausbreitung der christlichen Macht außerordentlich begünstigt wurde, und wären nicht zahlreiche fanatische Schwärme aus Afrika nachgerückt (s. Almoraviden und Almohaden), welche vorübergehend die Einheit des Reichs unter neuen Dynastien wiederherstellten, so wäre das letzte arab. Fürstenthum in S. um einige Jahrh. früher gefallen. Der kleine Staat Don Pelayos im astur. und galiz. Gebirge erweiterte sich schnell zu einem Königreiche Oviedo, später Leon genannt; von diesem machte sich die ehemalige Grafschaft Kastilien unabhängig u. zum Königreiche (1028), wurde aber 1037 mit ihm wieder vereinigt. Im nordöstl. Gebirge bildete sich im 8. Jahrh. das kleine Königreich Pampelona (Navarra), durch den Einfall Karls d. Gr. die sog. span. Mark (Grafschaft Barcelona, Fürstenthum Katalonien); im 8. Jahrh. hatten sich auch die Christen am Aragon, Gallego und der obern Cinca befreit und ein Königreich Aragonien gegründet. Aragonien erwarb 1131 Katalonien; Alfons VI. vereinigte 1073 Kastilien, Leon u. Asturien (dauernd vereinigt sind Kastilien und Leon seit 1230) und drang siegreich über den Tajo vor, wo er Toledo zum Königssitze machte; derselbe gründete zwischen dem Minho u. Tajo die unabhängige Grafschaft Portugal (s. Portugal). Aragon dehnte sich 1250 über Valencia bis Murcia aus, eroberte die Balearen, Ferdinand III. von Kastilien (seit 1217 regierend) nahm Cordova, Cadiz, Sevilla, Jaen, während Portugal bis 1250 den Arabern seine jetzige Ausdehnung abgewann, so daß auf der ganzen Halbinsel nur noch Granada als muselmännisches Fürstenthum bestand, wohin sich die arab. Bevölkerung zusammendrängte. Während dieser Jahrh. dauernden hartnäckigen Kämpfe bildete sich der span. Volkscharakter aus, dessen Ernst, Würde, Redlichkeit, todesverachtenden Muth und Glaubenstreue bis jetzt nichts zu brechen vermocht hat. In Asturien, Leon und Kastilien war jeder Christ Soldat und deßwegen Edelmann, die Eroberungen über die Mauren schufen aber einen mächtigen Lehenadel; neben demselben entstanden nach Art der Templer und Johanniter geistliche Ritterorden (s. Calatrava). Ein Theil der Bevölkerung drängte sich in den Städten zusammen, war zum Waffendienst verpflichtet, wählte seine Obrigkeiten, beschickte die Reichstage – jene Bürgerschaft, die zuerst mit dem Adel u. später mit der Krone zusammenstieß. In Aragonien entwickelte sich unter der fränk. Einwirkung der Lehenstaat mehr nach fränk. Weise, doch waren auch da Städte (z.B. Barcelona, Saragossa) mit großen Freiheiten, so daß den Ständen gegenüber die Macht der Krone so weit herunterkam, daß bewaffneter Widerstand gesetzlich war und der König sogar die ausübende Gewalt mit der Justicia (Staatsgerichtshof) theilen mußte. Beide Reiche wurden durch den Streit der Stände (Geistlichkeit, hoher Adel, Ritterorden, Städte) mit der Krone untereinander zerrüttet, weßwegen auch der Krieg gegen die Mauren erschlaffte. Die Vermählung Ferdinands V. (des Katholischen) von Aragonien, der Navarra an sich brachte, mit Isabella von Kastilien (1469), leitete die Vereinigung der beiden Reiche ein (1491), Granada wurde 1492 erobert, durch Columbus Amerika entdeckt, und durch alles dies das Ansehen und die Macht der Krone befördert. Isabella, die in dem Kardinal Ximenez einen vollendeten Staatsmann besaß, brach die Uebermacht des Adels vorzüglich durch die hl. Hermandad, und Ferdinand verschaffte sich in der Inquisition (s. d.), die ursprünglich gegen die Kryptomohammedaner und Kryptojuden (Mohammedaner und Juden,[264] die sich scheinbar zum Christenthum bekannten) gerichtet war, ein Tribunal, durch das die Krone alle Stände, namentlich die höheren, überwachte u. zähmte; die span. Inquisition war eben darum viel weniger ein geistliches Gericht als ein königliches, das mit der richterlichen Gewalt die polizeiliche vereinigte. Ferdinand eroberte auch Neapel zu Sicilien, welche Insel die aragon. Krone schon seit dem 13. Jahrh. besaß; durch die Heirath sein er und Isabellas Erbtochter Johanna mit Kaiser Max I. Sohn Philipp, dem Erben Burgunds, u. durch die Eroberungen in Amerika wurde S. die größte Macht auf der Erde und als Philipps Sohn Karl I. als Karl V. deutscher Kaiser wurde und auch das Herzogthum Mailand den Franzosen entriß, beherrschte er ein Reich, dem an Ausdehnung kein anderes je gleichgekommen ist. Gegen ihn brach 1519 ein Aufstand der Städte aus, der die erste franz. Revolution anticipirte, von der Krone aber mit Hilfe des Adels schnell überwältigt wurde (vergl. Padilla); Karl V. berief indessen noch einmal die Stände, als er aber zur Ueberzeugung kam, daß mit ihnen nicht zu regieren sei, herrschte er unumschränkt. Aragonien hatte an dem Aufstande keinen Antheil genommen und verlor seine ständischen Freiheiten unter Philipp II., Katalonien erst 1720 durch den ersten span. Bourbon. Unter Karl V. erreichte der span. Kriegsruhm seinen Höhepunkt, Gewerbe u. Handel blühten, Amerika wurde kolonisirt, Tunis erobert, auf Malta der Johanniterorden angesiedelt u. nach menschlicher Anschauungsweise hat Karl V. den Triumph der Reformation durch seinen unerschütterlichen Widerstand vereitelt (vgl. Karl V.). Unter Philipp II. dauerte der Glanz S.s noch kurze Zeit fort; der Abfall der Niederlande u. der Krieg mit England kostete S. seinen Kriegsruhm, seine Ueberlegenheit zur See u. häufte eine erdrückende Staatsschuld auf; die Vertreibung der Moriskos (1609) sicherte bei der Uebermacht, welche die Barbaresken und Osmanen zur See gewannen oder zu gewinnen drohten, S. allerdings vor einem Einfalle der Moslemin, kostete es aber auch über 1/2 Mill. der fleißigsten ackerbauenden Bevölkerung, selbst die vorübergehende Erwerbung Portugals nützte S. nichts. Unter Philipp III. (1598 bis 1621), Philipp IV. (1621–65) und Karl II. (1665–1700) nahm die Schwäche des Reichs in der Weise zu, daß die europ. Mächte an eine Theilung der span. Monarchie denken konnten. Als mit Karl II. der span.-habsburg. Stamm erlosch u. gemäß dem Testamente des Königs Philipp V., der Enkel Ludwigs XIV von Frankreich den span. Thron einnehmen sollte, entbrannte der span. Erbfolgekrieg; Philipp V. behauptete den Thron, obwohl Katalonien und Aragonien das österr.-engl. Heer, das Karl VI. bis Madrid führte, unterstützte, da sich die span. Nation in ihrer Mehrheit für ihn erhob und wie später für Ferdinand VII. kein Opfer scheute; doch verlor S. die Niederlande, die Insel Sardinien, Neapel und Sicilien. Zum Erstaunen Europas entfaltete S. unter dem Ministerium Alberoni (s. d.) eine militärische Macht und eine Kühnheit, die nur das Zusammenwirken Oesterreichs, Englands u. Frankreichs 1719 von der Eroberung Neapels u. Siciliens abzuhalten vermochte, welche 1735 dennoch gelang sowie die Erwerbung Parmas (1748), das gleich Neapel einer Secundogenitur zufiel. Unter Ferdinand VI. (1746–59) und Karl III. (1759–88) machte sich theilweise auch in S. jenes reformatorische Treiben vom Throne herab geltend, das im benachbarten Portugal unter Pombal (s. d.) culminirte; namentlich verfuhr Karl III. gegen die Jesuiten sehr hart (s. Jesuiten). Doch fand sich S. beim Ausbruch der ersten franz. Revolution in seinen Institutionen unter den kontinentalen Staaten am wenigsten erschüttert und als es 1793 von der franz. Republik zum Kriege herausgefordert wurde, focht die Armee mit großer Tapferkeit, wenn auch zuletzt mit entschiedenem Nachtheile; übrigens verlangte der Friede zu Basel 1795 von S. keine Opfer. König Karl IV. (1788–1808) ließ sich ganz von Godoy, dem Herzog von Alcudia (s. d.) leiten; 2 gerechte, aber schlecht geleitete und im Bunde mit Frankreich unglücklich geführte Kriege [265] gegen England kosteten die span. Seemacht und viele der kleineren Kolonien, was die Nation mißstimmte, die ohnehin durch das Verhältniß der Königin zu Alcudia geärgert wurde. Das Zerwürfniß der königl. Eltern mit dem Kronprinzen Ferdinand benutzte Napoleon, der den Herzog von Alcudia vollständig gewonnen hatte, zu einem tückischen Gewaltstreiche; er rief die königl. Familie 1808 nach Bayonne, wo er sich von dem halb blödsinnigen König die span. Krone übertragen u. den Kronprinzen in Frankreich zurückhalten ließ. Die span. Nation nahm aber Napoleons Bruder Joseph nicht als König an u. ließ sich nicht zum Werkzeug der napoleonischen Herrschsucht mißbrauchen, sondern erhob sich u. setzte einen beispiellosen Krieg von 1808 bis 14 fort; sie wurde von England unterstützt, eigentlich aber 1809 durch den Krieg Oesterreichs gegen Napoleon gerettet, weil dieser dadurch von seinem Siegeslaufe in S. mit dem Kern seiner Streitkräfte an die Donau gerufen wurde; später hinderte ihn der Krieg gegen Rußland an einem wiederholten nachdrücklichen Stoße gegen S. und seine Niederlagen in Deutschland zwangen ihn sein Heer in S. sich selbst zu überlassen. Als Ferdinand VII. im März 1814 nach S. zurückkehrte, fand er von den Cortes, die während seiner Gefangenschaft S. regiert hatten, eine Constitution eingeführt, welche selbst nach dem Urtheile der entschiedenen Anhänger des Constitutionalismus die königl. Gewalt übermäßig beschränkte. Ferdinand VII. warf dieselbe am 4. Mai um u. verhieß eine neue Verfassung, die mit den alten Cortes vereinbart werden sollte. Bald erfolgten Verschwörungen und Aufstände, besonders unter den Offizieren (s. Porlier, Mina), die mit Strang u. Galeeren bestraft wurden. Gleichzeitig erklärten auch die meisten Kolonien in Amerika ihren Abfall und der zu ihrer Unterwerfung begonnene Krieg erschöpfte vollends die Finanzen, während der fortwährende Ministerwechsel zeigte, daß der König die Kraft S. zu regieren nicht besitze. Am 1. Januar 1820 rief ein Theil der Truppen, welche zu Cadix nach Amerika eingeschifft werden sollten, die Constitution von 1812 aus (s. Quiroga und Riego) u. der König wurde zu der Annahme derselben durch das Militär und die Bürgerschaft von Madrid gezwungen. Die Mehrzahl der Nation war jedoch gegen eine solche Schmälerung der königl. Autorität, zumal sie auch die Rechte u. das Eigenthum der Kirche von der in den Cortes herrschenden Majorität bedroht sah. So entstanden gegen die Cortes zahlreiche Aufstände, die sich hauptsächlich unter dem Landvolke rekrutirten; dieselben wurden zwar von den Truppen unterdrückt, als aber nach Beschluß des Congresses zu Verona 1823 eine franz. Armee intervenirte, fand dieselbe nirgends energischen Widerstand. Es erfolgte nun eine Reaction gegen den Liberalismus od. vielmehr eine allgemeine Anarchie, indem Ferdinand VII. der entschiedenen reactionären Partei, welcher sein Bruder und wahrscheinlicher Nachfolger Carlos angehörte, so wenig traute als der constitutionellen und gerne einen Mittelweg eingeschlagen hätte. Seit 1828 kam etwas Ordnung in den Staatshaushalt, 1829 aber vermählte der König sich in 4. Ehe mit der neapolitan. Prinzessin Maria Christina und hob am 29. März 1830 das salische Gesetz auf, welches die Erbfolge in männlicher Linie feststellte. So war sein Bruder Don Carlos der Nachfolge verlustig, nachdem am 10. Octbr. desselben Jahres die Kronprinzessin Isabella geboren worden. Der König wurde von Maria Christina geleitet, der Bruch in der königl. Familie unheilbar gemacht und Marie Christine mußte in den Constitutionellen eine Stütze suchen, da die Absolutisten für Don Carlos waren. Ferdinand VII. st. 29. Sept. 1833, nachdem er der Königin die Regentschaft übergeben und die früher verfolgten Constitutionellen theilweise begnadigt hatte. Die Protestation des Don Carlos, der sich zu Dom Miguel nach Portugal gewendet hatte u. der auf allen Punkten S.s organisirte Aufstand der Carlisten, zwangen Marie Christine sich gänzlich in die Arme der constitutionellen Partei zu werfen. Die Städte schlossen sich dieser entschieden an und bewaffneten sich, während selbst das Landvolk sich nur in wenigen Bezirken allgemein[266] für Don Carlos erhob. Die Stärke des carlistischen Aufstandes lag in den baskischen Provinzen, welche ihre Fueros durch die Constitutionellen bedroht sahen (s. Basken). Für Don Carlos waren die unbedingten Anhänger des Alten, ferner diejenigen, welche die willkürliche Aufhebung des salischen Gesetzes um so mehr verdammten, als ihnen die Folgen einer Weiberregierung zuerst unter Marie Christine u. dann unter Isabella klar vor Augen standen. Der Bürgerkrieg wurde mit der Wuth geführt, die den Romanen charakterisirt; in mehren Städten z.B. Madrid und Barcelona wurden die Mönche von dem Pöbel mit den Klöstern verbrannt oder auf die öffentlichen Plätze geschleppt u. abgeschlachtet, die Kriegsgefangenen wurden erschossen und zuletzt auch Weiber und Kinder der andern Partei nicht geschont. Don Carlos errang durch seinen Feldherrn Zumala Carregui glänzende Erfolge, ließ sich aber von seiner Umgebung leiten statt jenem die militärischen Operationen zu überlassen, u. als derselbe vor Bilbao geblieben war, verwirrte der Parteihader in der Umgebung des Prinzen alle Unternehmungen und Entwürfe, so daß die Waffen der Christinos durch Espartero allmälig bedeutende Vortheile erkämpften. Die vor Aller Augen tretende Unfähigkeit des Don Carlos bewog die Basken 1839 zum Abfalle und sie schlossen den Vertrag zu Bergara (s. Basken), worauf Don Carlos und die ihm treu gebliebenen Schaaren unter Cabrera, Balmaseda etc. über die französ. Gränze flüchten mußten. Marie Christine mußte nicht viel später den gleichen Weg einschlagen; sie war so wenig constitutionell gesinnt als irgend ein Glied der königl. Familie zu Neapel, und suchte nur aus Noth eine Stütze in der constitutionellen Partei, daher gab sie auch in dem Estatuto Real eine Verfassung, welche der von 1812 bei weitem nicht analog war; ihre Räthe wählte sie aus der Partei der sogen. Moderados d.h. den aristokratischen Constitutionellen, welche die Klöster nicht aufheben, sondern höchstens allmälig eingehen lassen, die Censur nur mildern, die Organisation von Nationalmilizen verhindern, die Carlisten mit Hilfe Englands, Frankreichs und Portugals (Quadrupelallianz) besiegen wollte. Die demokratischen Constitutionellen (Progressistas), denen sich die Republikaner und Anarchisten zugesellten, besaßen jedoch das Uebergewicht; sie erzwangen die Aufhebung der Klöster, die Einziehung des Kirchenguts, ein liberaleres Wahlgesetz und (1836) durch die Soldatenemeute von La Granja die Constitution von 1812. Die Cortes modificirten dieselbe zwar zu Gunsten der Krone, aber Marie Christine hatte durch ihre Heirath mit einem ehemaligen Gardisten (s. Munnoz) und die Habsucht, mit der sie ihrer neuen Familie Reichthum verschaffte, ihre Würde als Königin und Frau bei der Nation verloren und konnte darum bei der Rivalität der Moderados und Progressistas nicht den Ausschlag geben. Nicht sie regierte, sondern die Häupter der siegreichen Partei, und als nach dem Vertrag von Bergara Marie Christine mit den Moderados die Rechte der Ayuntamientos (s. d.) schmälern u. die Nationalmiliz reduciren wollte, stellte sich Espartero an die Spitze der Unzufriedenen und nöthigte 1840 die Königin der Regentschaft zu entsagen u. S. zu verlassen. Nun wählten die Cortes Espartero zum Regenten während der Minderjährigkeit Isabellas; er verletzte aber das Volk durch eine bis zum förmlichen Bruche gehende Entzweiung mit dem hl. Stuhle, die andern Generale und Parteihäupter wollten ihm nicht untergeordnet sein, Louis Philipp durfte von ihm nicht erwarten, daß er ihm in seinen Plänen für die Verheirathung Isabellas u. deren Schwester willfährig sein werde: daher erfolgten bald Handstreiche u. Aufstände gegen den Regenten, zuletzt vereinigten sich die Häupter aller Parteien gegen ihn und stürzten ihn 1843, indem sie die Armee mit dem Gelde, das Marie Christine opferte, zum Abfalle verleiteten. Die Königin wurde mündig erklärt, Marie Christine kam mit Munnoz und ihren Kindern zurück, die Moderados an das Ruder und die dupirten Progressistas versuchten vergebens durch neue Aufstände ihre Verbündeten[267] von gestern zu stürzen. Die Anwesenheit der Königin Mutter zeigte sich alsbald unheilvoll; häufiger Ministerwechsel, Finanznoth der Regierung neben schmutzigen Speculationen der Marie Christine (sie war z.B. mit den cuban. Sklavenhändlern im Bunde u. nahm sich ein Stück des königl. Hausschatzes nach dem andern); auch die frz. u. engl. Intriken waren in ihrem Geleite zurückgekommen od. erstarkten durch ihre Anwesenheit. Der franz. Einfluß triumphirte endlich, Isabella wurde am 10. Oct. 1846 mit ihrem geistesschwachen Vetter, dem Infanten d'Assis, ihre reiche Schwester Donna Luisa an Louis Philipps jüngsten Sohn, den Herzog von Montpensier, verheirathet; durch Louis Philipps Bemühung kam 1847 der fähige und entschiedene General Narvaez an die Spitze der Regierung, der sie musterhaft führte, bis auch er 1851 muthwilliger Weise entfernt wurde, worauf die alte Wirthschaft wieder begann, bis ein neuer Aufstand, den 28. Mai 1854 durch eine Militäremeute unter O'Donnell eingeleitet, die Königin Mutter vertrieb und die Verfassung stürzte. Espartero trat an die Spitze eines neuen Ministeriums, in dem auch sein ehemaliger Todfeind O'Donnell sitzt; die republikanischen u. carlistischen Aufstände sind bisher niedergeschlagen worden, die Cortes arbeiten an einer neuen Verfassung, haben aber auch die Aufhebung des 1851 abgeschlossenen Concordats u. den Verkauf aller Kirchen-, Staats- u. Corporationsgüter decretirt u. theilweise ausgeführt. S. ist demnach gegenwärtig so gründlich umgekehrt als Frankreich es durch seine Revolutionen ist; daß das alte S. nicht mehr besteht, ist auch dadurch bewiesen worden, daß der ehemals so mächtige, stolze u. ritterliche span. Adel bei den letzten Aufständen u. Revolutionen nirgends mehr als eine Macht erscheint.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 261-268.
Lizenz:
Faksimiles:
261 | 262 | 263 | 264 | 265 | 266 | 267 | 268
Kategorien:

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon