Deutschkatholiken

[759] Deutschkatholiken, die Mitglieder der Religionsgesellschaft, die sich 1814 aus Anlaß der Ausstellung des heil. Rockes in Trier von der römisch-katholischen Kirche trennte. Schon ehe Ronge (s.d.) an den Bischof Arnoldi von Trier sein Rundschreiben erließ, war der Kaplan Czerski (s.d.) in Schneidemühl aus der römischen Kirche ausgetreten und begründete 19. Okt. eine christlich-apostolisch-katholische Gemeinde. Diese verwarf die spezifisch römischen Lehren als unbiblisch, erklärte die Heilige Schrift für »die einzig sichere Quelle des christlichen Glaubens«, behielt aber das nicäische Glaubensbekenntnis und die sieben Sakramente bei. Czerski, mehr noch Ronge, waren bald die Helden des Tages. Unter Ronges Einfluß und der regen Teilnahme des Professors des kanonischen Rechts Regenbrecht kam es im Februar 1845 zur Gründung einer »Deutsch-katholischen« Gemeinde in Breslau, deren Seelsorger Ronge wurde, und die bald 1200 Mitglieder zählte. Ihr Glaubensbekenntnis forderte als wesentlich nur den Glauben »an Gott den Vater, der durch sein allmächtiges Wort die Welt geschaffen und sie in Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe regiert, an Jesum Christum, unsern Heiland, der uns durch seine Lehre, sein Leben und seinen Tod von der Knechtschaft der Sünde erlöst, und an das Walten des Heiligen Geistes auf Erden, eine heilige, allgemeine christliche Kirche, Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben.« Nur Taufe und Abendmahl galten als Sakramente, das letztere als Erinnerungsmahl in beiden Gestalten zu empfangen. Anrufung der Heiligen, Verehrung der Bilder und Reliquien, Ablaß und Wallfahrt wurden verworfen. In zahlreichen andern bedeutenden Städten[759] fand die Bewegung rasch wachsenden Anhang, wobei nur wenige Gemeinden, wie die Berliner, sich auf die Seite des konservativen Schneidemühler Bekenntnisses stellten, während die meisten dem Breslauer zustimmten. Ronges Lehrmeinung gewann auch auf dem ersten, vom 23.–26. März 1845 in Leipzig abgehaltenen Konzil überwiegende Zustimmung. Nach den hier beschlossenen »allgemeinen Grundsätzen und Bestimmungen der deutsch-katholischen Kirche« soll der Gottesdienst wesentlich aus Belehrung und Erbauung bestehen, seine äußere Form sich nach Zeit und Ort richten. Der Gebrauch der lateinischen Sprache wurde abgeschafft, die Gemeindeverfassung auf demokratischer Grundlage errichtet. Nach diesen Leipziger Beschlüssen bildeten sich jetzt in allen preußischen Provinzen deutschkatholische Gemeinden, trotz der ablehnenden Haltung der Regierung, die (Reskript vom 17. Mai 1845) den D. den Mitgebrauch evangelischer Kirchen weigerte, ihre Prediger nicht für Geistliche achtete und ihren Amtshandlungen keine bürgerliche Gültigkeit zuerkannte. In Schlesien berechnete man die Zahl der D. schon im Juni 1845 auf 40–50,000. Besondere Verbreitung fand die Bewegung auch im Königreich Sachsen. Aber auch in den meisten andern deutschen Bundesstaaten entstanden Gemeinden. In Bayern unterdrückte die Regierung den in Neustadt a. d. Hardt gemachten Versuch. Hier wie in Österreich blieb der Name D. auch später amtlich verboten und mit dem von Dissidenten vertauscht. Ende August 1845 bestanden im ganzen 173 Gemeinden; davon kamen auf Preußen 118, auf Sachsen 22, beide Hessen 15, Mecklenburg 7, Baden und freie Städte je 3, Nassau und Württemberg je 2, Braunschweig 1.

Weit mehr Eintrag als hemmende Regierungsmaßregeln und Angriffe der römischen Partei taten der Bewegung die im eignen Schoß immer mehr hervortretenden Differenzen. Schon auf dem zweiten Konzil, das 70 Abgeordnete von 142 Gemeinden im Mai 1847 zu Berlin abhielten, kam es zur Absonderung der strenger Gläubigen von der neuen Kirche. Die politische Bewegung von 1848 schien für den Deutschkatholizismus eine neue Blütezeit herbeizuführen. Aber die neu erstarkende Reaktion wendete sich auch gegen ihn, und die demokratischen Wühlereien Ronges entfremdeten ihm viele der religiös gestimmten Anhänger. An manchen Orten lösten sich die Gemeinden auf, in andern erfolgten Rücktritte zur katholischen oder, wie in Dresden, Übertritte zur protestantischen Kirche. Die meisten der fortbestehenden Gemeinden gaben ihre Sympathien mit den seit 1848 zahlreicher gewordenen, aus der protestantischen Kirche hervorgegangenen »Freien Gemeinden« (s.d.) immer deutlicher kund. Am 16. und 17. Juni 1859 wurde zu Gotha die förmliche Vereinigung mit diesen als »Bund freireligiöser (seit 1862: freier religiöser) Gemeinden« beschlossen. Einen Deutschkatholizismus als besondere Organisation gibt es zurzeit nur noch im Königreich Sachsen in drei größern (Dresden, Leipzig, Chemnitz) und einigen kleinern Gemeinden mit etwa 2200 Mitgliedern. Die nichtsächsischen D. gehören dem »Bund« an, und ihre numerische Abgrenzung ist dadurch erschwert, daß sie größtenteils die Bezeichnung »freireligiös« nebenher führen (s. das Nähere unter Freie Gemeinden). 1899 fanden sich unter den 50 zum »Bunde« gehörigen Gemeinden 14, die in irgend einer Form dem Gedanken der Katholizität in ihrer Selbstbezeichnung Ausdruck gaben. Der Bezeichnung deutschkatholisch bedienen sich vorzugsweise die Gemeinden im westlichen und südlichen Deutschland (Hauptgemeinden in Offenbach, Frankfurt, Mainz, diese drei als staatlich anerkannte mit Korporationsrechten, Wiesbaden, Rüdesheim etc.). Vgl. E. Bauer, Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutschkatholischen Kirche (Meißen 1845); Gervinus, Die Mission der D. (Heidelb. 1846); Campe, Das Wesen des Deutschkatholizismus (Tübingen 1850); Derselbe, Geschichte der religiösen Bewegung der neuern Zeit (Leipz. 1860, 4 Bde.); Findel, Der Deutschkatholizismus in Sachsen (Leipz. 1895). Über die Preßorgane der D. s. Freie Gemeinden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 759-760.
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