Frauenvereine

[45] Frauenvereine, Vereinigungen von Frauen zur Verfolgung allgemein humanitärer Zwecke.

I. Die Frauenvereine vom Roten Kreuz.

verfolgen dieselben Zwecke wie die auf Grund der Genfer Konferenz vom 26. Okt. 1863 wirkenden Männervereine und bilden einen integrierenden Teil der nationalen Organisation des Roten Kreuzes für die Verwundeten und Kranken im Kriege. Deshalb ist die Tätigkeit im Kriege der Hauptzweck, aber bei den meisten tritt eine sehr umfangreiche Friedenstätigkeit hinzu, teils die Vorbereitung auf die Tätigkeit im Kriege, teils Hilfeleistung auf allen Gebieten der Wohlfahrtspflege, speziell bei allgemeinen Notständen und in der Armenkrankenpflege. In Deutschland ist diese Friedenstätigkeit ganz wesentlich in den Vordergrund getreten. Die Hauptvereine: in Preußen der Vaterländische Frauenverein, in Bayern der Bayrische Frauenverein, in Sachsen der Albertverein, in Württemberg der Wohltätigkeitsverein, in Baden der Badische Frauenverein, in Hessen der Alice-Frauenverein, im Großherzogtum Weimar das patriotische Institut der F. und in Mecklenburg der Marien-Frauenverein bilden zusammen den Verband der deutschen F. vom Roten Kreuz, dessen Geschäfte durch einen ständigen Ausschuß geleitet werden (Beschluß des Würzburger Vereinstages vom 12. Aug.[45] 1871 und des zweiten Verbandstages zu Dresden 25.- 27. April 1878). Dieser aus je einem Delegierten der Hauptvereine bestehende Ausschuß leitet die gemeinsame Vereinstätigkeit und soll im Kriegsfall das Zusammenwirken mit den Männervereinen durch das Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz vermitteln. Im Frieden ruft er die Verbandstage der deutschen F. zusammen. Vereinsorgan ist »Das Rote Kreuz« (hrsg. von Pannwitz, Berlin). Der am 11. Nov. 1866 gegründete, unter dem Protektorat der Kaiserin stehende Vaterländische Frauenverein umfaßt Preußen, die Reichslande und noch 70 Vereine auf außer preußischem Gebiet. Er gliedert sich in 12 preußische Provinzialverbände, je 2 Bezirksverbände in Hessen-Nassau und Landesverbände in den Reichslanden, Braunschweig, Anhalt, Oldenburg und Koburg, so daß 19 Verbände vorhanden sind. Die Zahl der Zweigvereine beträgt (1902) 1050, und zwar entfallen: 136 auf Ostpreußen, 62 auf Westpreußen, 92 auf Brandenburg, 44 auf Pommern, 55 auf Posen, 132 auf Schlesien, 85 auf Sachsen, 68 auf Schleswig-Holstein, 63 auf Hannover, 93 auf Westfalen, 57 auf Hessen-Nassau, 71 auf Rheinland, 4 auf die hohenzollerischen Lande. Der Vaterländische Frauenverein besaß Ende 1901 ein Vermögen von 13,121,660 Mk. Die Zahl der Mitglieder beträgt 234,741. Zur Aufnahme in den Verein ist nach der neuen Satzung vom 7. Nov. 1900 jede unbescholtene Frau oder Jungfrau ohne Unterschied des Glaubens und des Standes befähigt, sobald sie sich zu einem bestimmten Jahresbeitrag verpflichtet und nach Maßgabe des Bedürfnisses und ihrer Kräfte für die Vereinszwecke tätig sein will. In Kriegszeiten arbeitet der Vaterländische Frauenverein unter Oberleitung des Preußischen Vereins vom Roten Kreuz. Für Erledigung gemeinsamer Angelegenheiten in bezug auf die für die Kriegszwecke vorbereitende Friedenstätigkeit besteht ein gemeinsamer Ausschuß. In ähnlicher Weise sind die Vereinsorganisationen in den außerpreußischen Bundesstaaten gegliedert. Die Zweigvereine aller dieser Landesvereine verfolgen, abgesehen von den satzungsmäßigen Leistungen in Kriegszeiten, hauptsächlich folgende Friedenszwecke: 1) Hilfe in allgemeinen Notständen; 2) Unterstützung der Gemeinde-, Armen- und Krankenpflege im Anschluß an die Organe der staatlichen, kommunalen und kirchlichen Armenpflege; 3) Krankenpflege, namentlich Gemeindekrankenpflege, insbes. Beteiligung an der Tuberkulosebekämpfung; 4) Ausbildung von Krankenpflegerinnen; 5) Unterhaltung, bez. Unterstützung von Krankenanstalten, Heilstätten, Genesungsheimen, Siechenhäusern, Armenhäusern, Kinderhospitälern und Waisenhäusern; 6) Mitwirkung bei der Beaufsichtigung der Pflege- und Ziehkinder; 7) Errichtung von Krippen, Kleinkinderbewahr- und Rettungsanstalten sowie Fürsorge für verwahrloste Kinder; 8) Unterhaltung von Näh- und Flickschulen, Industrie-, Arbeits- und Sonntagsschulen; 9) Unterstützung von Taubstummen, Blinden und Idioten sowie der bezüglichen Anstalten; 10) Unterhaltung von Asylen, Gesellen- und Mägdeherbergen; 11) Unterstützung Überschwemmter und Abgebrannter und sonstiger Verunglückten; 12) Unterhaltung und Einrichtung von Volksküchen, Schulküchen und Suppenanstalten; 13) Weihnachtsbescherungen für Arme und Kinder; 14) Fürsorge für arme Konfirmanden; 15) Wöchnerinnenunterstützung; 16) Beschäftigung alter, schwacher sowie arbeitsloser Arbeiterinnen und Beförderung der Hausindustrie; 17) Anfertigung von Wäsche, Errichtung von Wäschedepots; 18) Einrichtung und Unterhaltung von Volksbibliotheken; 19) Unterstützung von Invaliden-, Landwehr- und Reservistenfamilien; 20) Unterhaltung von Mustersammlungen von Lazarett- und Verbandgegenständen und 21) Vorarbeiten für die Errichtung von Hilfslazaretten, Erfrischungsstationen, Gestellung von Krankenpflegepersonal etc. im Kriegsfall. Dem Vaterländischen Frauenverein schließt sich an der Deutsche Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien. Er beschäftigt Schwestern in den Gouvernementskrankenhäusern, ist ohne konfessionellen Charakter und darf das Rote Kreuz führen; Sitz des Vereins ist Berlin, Organ die Monatsschrift »Unter dem Roten Kreuz« (Berlin).

In Österreich-Ungarn nehmen die F. vom Roten Kreuz nicht, wie in Deutschland, eine selbständige, mehr oder weniger gesonderte Stellung ein, sondern sind vollständig eingefügt in die allgemeine Vereinsorganisation, sie bilden integrierende Teile in Zisleithanien: der österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, in Transleithanien: des Vereins vom Roten Kreuz der Länder der heiligen Krone Ungarns. Ihre Tätigkeit beschränkt sich vorwiegend auf die Vorbereitungen zur Kriegstätigkeit, namentlich die Ausbildung von Pflegerinnen. Eine eigentliche Friedenstätigkeit kennen die Vereine nicht. Protektorin ist die Kaiserin. In Zisleithanien existieren in allen Kronländern patriotische Frauenhilfsvereine, die unter Wahrung ihrer Autonomie in eignen Vereinsangelegenheiten in der Bundesversammlung der österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz durch Delegierte vertreten werden und einen jährlichen Beitrag zum Zentralfonds leisten. In Ungarn dagegen bilden die F. lediglich eine Sektion des Gesamtvereins, und diese Sektionseinteilung ist bei allen Filialen (Zweigvereinen) durchgeführt. Die Vorsitzende der Frauensektion ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der betreffenden Filiale. Auch in Frankreich existieren im Anschluß an das Rote Kreuz zwei Frauenkomitees, allerdings mit weniger umfangreicher Tätigkeit. Ähnlich ist es in Rußland, Spanien, Dänemark etc.; auch das amerikanische Rote Kreuz kennt keine getrennten Frauen- und Männervereine mit einer umfassenden Friedenstätigkeit, wie sie die deutschen F. vom Roten Kreuz planmäßig entwickeln. Vgl. die offizielle Vereinszeitschrift »Das Rote Kreuz« (Charlottenburg-Berlin); die damit verbundene »Auskunftsstelle vom Roten Kreuz« macht über alle einschlägige Fragen Mitteilung.

II. Andre Frauenvereine.

Die Bestrebungen zur Hebung und Erweiterung der Erwerbsfähigkeit und Erwerbstätigkeit des weiblichen Geschlechts haben als praktische Resultate der Frauenfrage (s.d.) die Gründung zahlreicher F. zur Folge gehabt. Nach dem Vorbilde der 1860 in London gegründeten Society of promoting the employment of women und ähnlicher Unternehmungen in Frankreich bildete sich 1865 in Berlin der unter dem Protektorat der damaligen deutschen Kronprinzessin Viktoria stehende, von dem Präsidenten Lette gegründete Lette-Verein. Dieser besitzt eine Handels-, Gewerbe-, Zeichen- und Modellierschule, eine photographische Lehranstalt, Setzerinnenschule, ein Kunsthandwerkatelier, eine Haushaltungsschule, Wasch- und Plättlehranstalt. Sein Viktoria-Stift ist für die Aufnahme weiblicher Pensionärinnen bestimmt. Außerdem hat der Verein ein Arbeitsnachweisungs- und Stellenvermittelungs-Bureau eingerichtet, ferner[46] den Viktoriabazar für den Verkauf weiblicher Handarbeiten, ein Damenrestaurant mit Kochschule, eine Darlehnskasse (Lette-Stiftung). Ähnliche Lette-Vereine sind in vielen größern Städten gebildet worden. Sie haben sich 1869 zu dem »Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine« unter dem Vorsitz des Berliner Lette-Vereins zusammengeschlossen. Ihr Organ ist der »Deutsche Frauenanwalt«. Luise Otto-Peters gründete 1865 den Allgemeinen deutschen Frauenverein in Leipzig, der gleich dem Lette-Verein bestrebt ist, für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und für die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken. Zwischen dem Lette-Verein und dem Allgemeinen deutschen Frauenverein, der in vielen andern Orten Zweigvereine und in den »Neuen Bahnen« sein Vereinsorgan besitzt, besteht insofern ein prinzipieller Unterschied, als der letztere die weibliche Selbsthilfe vorzugsweise betont, die Männer, abgesehen von einer Ehrenmitgliedschaft, daher gänzlich ausschließt, und als er durch Wanderversammlungen für die Ausbreitung der vertretenen Ideen wirken will. Der Verein Reform, mit dem Sitz in Weimar, später Hannover, arbeitete für die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium und errichtete 1893 in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium; sein Organ ist der »Frauenberuf« (Weimar). An die Stelle dieses Vereins trat der über ganz Deutschland verbreitete Verein Frauenbildung-Frauenstudium, der an mehreren Orten Mädchengymnasien geschaffen und Lokalvereine zu deren Errichtung und Unterhaltung gegründet hat. Vgl. Luise Otto-Peters, Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (Leipz. 1890); Jenny Hirsch, Geschichte der 25jährigen Wirksamkeit des Lette-Vereins (Berl. 1891); L. Morgenstern, Frauenarbeit in Deutschland (Geschichte und Statistik, das. 1893, 2 Tle.). – F., die ähnliche Ziele verfolgen wie die deutschen, bestehen auch in Österreich, so der Wiener Frauenerwerbverein und verwandte Vereine in andern größern Städten (die in dem Allgemeinen österreichischen Frauenverein ihren Mittelpunkt haben), in Pest ein Frauenbildungsverein, in Holland der Verein »Tesselschade«, der die Ausführung von Bestellungen auf Frauenarbeiten und durch eine Anzahl von Depots im Lande den Absatz von weiblichen Arbeitsprodukten vermittelt. Die Zunahme der Frauenbewegung seit Ende der 1880er Jahre hat in Deutschland Vereine unter dem Namen Frauenwohl entstehen lassen, die, vielfach über die Ziele der bisherigen F. hinausgehend, eine weitgehende rechtliche und tatsächliche Gleichheit des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen im privaten und öffentlichen Leben erstreben und sich auch der Interessen der Arbeiterinnen wärmer annahmen.

Frauengewerkvereine für die Arbeiterinnen wurden zuerst in den 1870er Jahren in Nordamerika und England gegründet. Sie verbreiteten sich in England besonders seit 1889, nachdem sich die Gewerkvereine der Arbeiter für die Organisation der weiblichen Arbeit ausgesprochen haben. Diese Bewegung wird unterstützt durch die Womens Provident Society und die Womens Trade Association in London. In den Vereinigten Staaten, wo die Frauenbewegung mehr politischer Natur ist und im Anschluß an die Antisklavereiagitation entstand, bildete sich, seit 1848 vorbereitet durch Frauenkongresse, die National Women Suffrage Association und die American Suffrage Association, die 1890 zu der National American Suffrage Association verschmolzen und die Erlangung des Frauenstimmrechts erstreben. Ähnliche Vereine hat England mit der 1867 gegründeten National Society for Women Suffrage als Führerin.

Immer mehr haben sich die F. zu nationalen Verbänden zusammengeschlossen; aber auch internationale Vereinigungen haben sich gebildet. 1868 entstand in Genf die Ligue internationale des femmes, und in Paris besteht die Union universelle des femmes, die alle Vereine zur Hebung der Lage der Frau zu verbinden sucht. 1891 vereinigten sich die amerikanischen F. in dem National Council of Women zu einem Gesamtverband. Nach diesem Vorbilde hat sich im Frühjahr 1894 auch in Deutschland ein allgemeiner Bund deutscher F. unter Ausschluß aller politischen Bestrebungen gebildet. Der neue Bund soll alle zwei Jahre eine allgemeine Versammlung abhalten und eine Vertreterin zu den alle fünf Jahre stattfindenden internationalen Frauenkongressen entsenden. 1888 entstand in Chicago der International council of women, dem zurzeit elf nationale Frauenverbände, darunter der Bund deutscher F., angehören.

Eine weitere Kategorie von Frauenvereinen bilden die zahlreichen reinen Wohltätigkeitsvereine, wie die Vereine zur Fürsorge für die Erziehung des heranwachsenden Geschlechts in Waisenhäusern, die Bestrebungen für Rettungsanstalten verwahrloster Kinder, gesunkener Mädchen u. dgl., die Vereine für Gesundheitspflege etc. Über die F. der Gustav- Adolf-Stiftung s.d. Eine gleichmäßig fortschreitende Tätigkeit entwickelt der Kinderschutzverein zu Berlin, der die Aufgabe verfolgt, durch Austun von Säuglingen und Kindern im ersten Lebensalter an Pflegemütter und durch Überwachung der letztern der abscheulichen »Engelmacherei« entgegenzuwirken. In seinem Weitergang will dieses System der Beaufsichtigung von Haltekindern Ersatz bieten für die Findelhäuser. Der Frauenverein »Oktavia Hill« in Berlin widmet sich nach einem Londoner Vorbild der Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der ärmern Klassen. In den Vereinigten Staaten gründeten 1873: 50 Frauen die Womens Christian Temperance Union, die jetzt ca. 200,000 Mitglieder zählt und zur sittlichen Hebung der Bevölkerung auch Jugenderziehung, Armenwesen, Krankenpflege, Gefängniswesen etc. ohne kirchlichen Einfluß in den Kreis ihrer Wirksamkeit zieht. Sitz der Union ist Chicago. Die eigentlich wirtschaftlichen F. stellen eine Art genossenschaftlicher Unternehmung dar auf der Basis freier Vereinsbildung und beruhen auf dem Prinzip der Selbsterhaltung aus eignen Geschäftserträgnissen. Reine Unternehmungen sind sie nicht, weil die oberste Geschäftsleitung unentgeltlich als Ehrenamt von Frauen in Verbindung zugleich mit Männern wahrgenommen wird. Hierher gehören die Volksküchen (s.d.) und die Hausfrauenvereine (s.d.), Schöpfungen, die durch Lina Morgenstern (s.d.) ins Leben gerufen und lebensfähig gemacht sind. Sie gibt seit 1874 die »Deutsche Hausfrauenzeitung« heraus, neben der auch die »Wiener Hausfrauenzeitung« (hrsg. von Taußig, seit 1875) zu erwähnen ist.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 45-47.
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