Ritterwesen

[18] Ritterwesen (Rittertum), der Inbegriff der charakteristischen Eigenschaften und Erscheinungen des mittelalterlichen Kriegerstandes. Die Anfänge des Ritterwesens hängen eng mit denen des Lehnswesens (s. d.) zusammen; insbes. enthalten jene Gefolgschaften (s. d.), in denen sich die germanische Jugend zum Zweck intensiverer kriegerischer Ausbildung um Fürsten oder selbstgewählte Führer scharte, zugleich die Keime des Ritterwesens wie des Lehnswesens. Ebenso war für die Ausbildung beider Institute die Umgestaltung der fränkischen Heeresverfassung im 8. Jahrh. durch Verwandlung der Fußtruppen in Reiterheere von ausschlaggebender Bedeutung. Die hierdurch herbeigeführte Notwendigkeit beständiger Schulung und Übung im Waffenhandwerk hatte die Ausbildung eines berufsmäßigen Kriegerstandes zur Folge. Die Kostspieligkeit des Reiterdienstes ermöglichte die Wahl dieses Berufs nur denjenigen, die auf Grund eignen oder vasallischen Besitzes den pekuniären Anforderungen dieser ritterlichen Lebensweise entsprechen konnten. In Verbindung mit dem Erblichwerden der Lehen setzte sich auch der Ritterberuf vom Vater auf den Sohn fort, und je mehr die Freien im allgemeinen das volle Waffenrecht verloren, desto mehr stieg das Ansehen des Ritterstandes; es entwickelten sich feierliche Formen für den Eintritt in diesen Stand, Grade und Abstufungen innerhalb desselben, der Gebrauch der Wappen etc. So ergab es sich, daß nicht mehr die Übung im Ritterdienst, sondern mehr und mehr die Abstammung von rittermäßigen Eltern als Erwerbsgrund für die Rittereigenschaft galt, sich also der Berufsstand in einen Geburtsstand umwandelte. Zur Ausbildung des Ritterwesens trugen die Kreuzzüge bei, in denen nicht nur die Ritter den Kern des Heeres bildeten. sondern auch durch die Verbindung der Romanen und Germanen die Formen des damals besonders in der Champagne und den südlichen Niederlanden blühenden Rittertums zu allgemein gültigen erhoben wurden. Zudem erhielt das R. durch die Kreuzzüge eine religiöse Weihe und einen hohen idealen Aufschwung, namentlich durch die Gründung der geistlichen Ritterorden, die sich ausschließlich der Sache des Christentums weihten (s. Orden). Diese Entwickelung des Ritterwesens, die sich hauptsächlich vom 11.–14. Jahrh. vollzog, charakterisierte sich durch das höfische Wesen, eine besondere Art von Literatur (s. Ritterpoesie), die Minne und die eignen Ansichten von Ehre und Pflichten sowie durch die Familieneinrichtungen und Feste (s. Turnier). Die Erziehung zum Ritter begann mit dem 7. Jahr, wo der Knabe an den Hof eines Fürsten oder auch zu einem Ritter gesandt wurde, dem er als Edelknabe (Bube) diente. Mit dem 14. Jahre wurde der Edelknabe zum Knappen erhoben und nach rühmlich bestandener Knappschaft in der Regel im 21. Lebensjahr zum Ritter »geschlagen« (Schwertleite). Fasten und Beten gingen der Erteilung des Ritterschlags voraus wie auch der Genuß des heiligen Abendmahls. Wer die Ritterwürde erhalten wollte, stellte zwei rittermäßige Männer als Zeugen, daß er rittermäßíger Geburt, christlichen Glaubens und unbescholtenen Lebens sei, und daß er die Pflichten des Standes zu erfüllen vermöge. War dies verbürgt, so kniete er, wohlgerüstet, aber ohne Helm, Schwert und Schild, zwischen den Zeugen nieder, und der die Würde Erteilende gab ihm mit der Fläche des Schwertes bald einen Schlag an den Hals, bald drei Schläge, einen auf jede Schulter und den dritten an den Hals. Dazu sprach er: »Zuo gotes unde Marîen êr, disen slac un de keinen mêr! wis küene, biderbe und gerecht; bezzer ritter denne knecht!« Darauf wurden dem Aufgenommenen bald von dem die Würde Erteilenden, bald von verschiedenen Rittern das Schwert umgegürtet, der Helm aufgebunden, der Schild an den Arm gegeben und die goldenen Sporen angeschnallt und jede dieser Handlungen mit einem schicklichen Spruch begleitet. Der Ritter führte sein eignes Wappen und seinen Wahlspruch oder seine Devise auf dem Schild, mitunter auch auf der Rüstung. Über die Rüstung s. d. (mit Tafel »Rüstungen und Waffen« und Tafel »Kostüme I«, Fig. 11–13). Roß und Waffen waren die Symbole[18] der Ritterschaft; keinem, der ihr angehörte, durften sie schuldenhalber genommen werden. Einem gefangenen Ritter wurden keine Fesseln angelegt (ritterliche Hast). Sein Ritterwort genügte, ihn gegen ein versprochenes Lösegeld freizulassen. Auch von allen Abgaben und Zöllen war er frei, während er von seinen Insassen die sogen. Rittersteuer erheben durfte. Eins der Hauptvorrechte des Ritters aber war, daß er die ihm verliehene Würde wieder andern, selbst Fürsten und Königen, erteilen konnte. Diese Umbildung vollzog sich im 12. Jahrh., seitdem erscheint der Ritterstand als Adel (s. d.). Störend für die öffentliche Sicherheit und Ruhe waren die sogen. irrenden oder fahrenden Ritter, die besonders in Spanien und Frankreich nach Abenteuern umherzogen und wesentlich zum Verfall des Rittertums beitrugen. In Friedenszeiten lebte der Ritter auf seiner Burg ein höchst einförmiges Leben, das nur durch die Besuche von Genossen, Pilgern oder wandernden Sängern einige Mannigfaltigkeit erhielt. Nur zu den äußern Religionsübungen angehalten, den Wissenschaften meist fremd, hatten die Ritter selten Sinn für Recht und begannen oft grundlos mit Nachbarn und der reichen Geistlichkeit Fehden (s. d.). Durch das Faustrecht (s. d.) artete die Ritterlichkeit in freche Waffengewalt aus, und bald gab es zahlreiche Ritter (Raubritter), die ein Handwerk daraus machten, Klöster zu überfallen und zu plündern und Reisenden, besonders Kaufleuten, aufzulauern, um sie gefangen auf ihre Burg (Raubschloß) zu schleppen und ein hohes Lösegeld von ihnen zu erpressen. Es bedurfte der durchgreifendsten Maßregeln von seiten der Reichsgewalt und der vereinten Macht der Fürsten, um diesem Unwesen für immer ein Ende zu machen. Das R. selbst kam nach der Erfindung des Schießpulvers, durch welche die ganze Art der Kriegsführung eine andre wurde, und durch die Ausbildung des Söldnerwesens immer mehr in Verfall, und seine Blüte wenigstens endete mit dem Tode Kaiser Maximilians I., der deshalb der letzte Ritter genannt wird. Gleichwohl erhielt sich der bevorzugte Ritterstand noch lange Zeit, und bis in das 19. Jahrh. dauerten die Vorrechte der Rittergüter (s. d.). Ein Teil der Ritterschaft hatte sogar bis zur Auflösung des frühern Deutschen Reiches die Reichsunmittelbarkeit behauptet (s. Reichsritterschaft). Vgl. Sainte-Palay de la Curne, L'ancienne chevalerie (1759–81, 3 Bde.; neue Ausg. 1826, 2 Bde.; deutsch von Klüber, Nürnb. 1786–91, 3 Bde.), das wichtigste der ältern Werke; Büsching, Ritterzeit und R. (Leipz. 1824, 2 Bde.); Jakob Falke, Die ritterliche Gesellschaft im Zeitalter des Frauenkultus (Berl. 1862); A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger (2. Aufl., Leipz. 1889, 2 Bde.); L. Gautier, La chevalerie (3. Aufl., Par. 1895); Roth v. Schreckenstein, Die Ritterwürde und der Ritterstand (Freiburg 1886); Henne am Rhyn, Geschichte des Rittertums (Leipz. 1893); E. Mayer, Mittelalterliche Verfassungsgeschichte (das. 1899, 2 Bde.); H. v. Wedel, Deutschlands Ritterschaft (Görlitz 1904); Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Bd. 1 u. 2.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 18-19.
Lizenz:
Faksimiles:
18 | 19
Kategorien: