Orangefluß-Republik

[326] Orangefluß-Republik, Freistaat im östlichen Südafrika, ist südlich durch den Orangefluß (Nu Garip) vom Caplande, östlich durch das Quathlambagebirge von der Colonie Natal, nördlich durch den Vaalfluß von der Transvaalischen Republik getrennt u. gegen Westen ebenfalls von dem Vaal begrenzt, erstreckt sich zwischen 27° u. 31° südlicher Breite u. 41°40' bis 46°20' östlicher Länge von Ferro u. nimmt ein Areal von 2310 QM. ein, das zu zwei Drittheilen von den Bewohnern europäischen Ursprungs, deren Gesammtzahl man auf 20,000 Seelen schätzt, u. zu einem Drittheile von etwa 80,000 Eingebornen eingenommen ist. Der letztere Theil liegt hauptsächlich im Osten, längs des Quathlambagebirges, u. ist unter die verschiedenen Stämme ver- u. von den Besitzungen der Europäer durch bestimmte Grenzlinien abgetheilt; der Boden bildet ein hohes Tafelland, welches sich westwärts allmälig senkt u. eine mittlere Höhe von 5000 Fuß haben mag; der westliche u. nördliche Theil breitet sich zu weiten Ebenen aus, steigt südwärts allmälig zu den Wit-Bergen u. östlich zu dem von den Eingeborenen bewohnten Hochlande an, das östlich vom. Caledonflusse zu den Blauen Bergen aufsteigt, welche dem Quathlamba parallel streichen u. von diesem nur durch das Thal des oberen Orangeflusses getrennt sind; diese einförmig gestalteten Berge bilden auf ihrem Gipfel häufig ein großes Tafelland mit weiten Strecken urbaren Landes. Flüsse, welche fast sämmtlich in dem gebirgigen Osten entspringen, sind: Caledon, welcher mit dem obern Orange den Nu Garip bildet, Mull, Wilge mit dem Eland- u. Liebenbergfluß, Donkin od. Namagari, Sand- u. Vetfluß u. Modder gehen dem Vaal (Hai Garip) zu. Das Klima ist trocken, gemäßigt u. sehr gesund; es gibt große Grasebenen, welche von unzähligen Wildheerden belebt sind, von Antilopen, Gnus, Quaggas, Elennthieren, Rhinoceros, Elephanten u. Löwen; die Flußthäler gewähren längs der Ufer durch ihren Reichthum an Mimosen gute Weiden, u. hier treibt man bes. Viehzucht (Hornvieh, Pferde u. Schafe); in den östlichen, gebirgigen Gegenden auch Ackerbau, namentlich auf Weizen, Mais u. Kafferkorn. Die Mineralien des Landes sind noch wenig bekannt, doch hat man Steinkohlen, Eisen u. andere Erze gefunden, am Caledon auch Goldkörner entdeckt. An der Spitze des Freistaates steht ein Präsident (gegenwärtig I. T. Hoffmann), u. diesem zur Seite ein Volksraad; Geistliche u. Lehrer sind in allen Districten angestellt. Außer mehren andern guten Straßen durchzieht eine Hauptstraße vom Orangeflusse im Süden das ganze Land bis zur Grenze der Transvaalschen Republik im Norden, Administrativ zerfällt der Staat in fünf Districte, von denen vier, nämlich Caledon od. Smithfield, Bloemfontein Winburg u. Harrysmith od. Vaalflußdistrict, von[326] Europäern bewohnt sind, während der fünfte hauptsächlich den Eingebornen zum Wohnsitz angewiesen ist; jeder District wird von einem Landdrost, welchem ein Heemraad zur Seite steht, verwaltet; Hauptstadt des Landes u. Sitz des Präsidenten ist Bloemfontein.

Die natürliche Abneigung der holländischen Boers in den östlichen Theilen des Caplandes gegen die Briten, welche sie bei ihrem Mangel an Streitkräften gegen die stets sich erneuernden Raubanfälle der benachbarten Kaffern nicht zu schützen vermochten, wuchs, als das britische Gouvernement den Boers sogar die Selbsthilfe gegen die Kaffern u. die seit Abschaffung der Sklaverei im Caplande (1833) entstandenen farbigen Vagabunden verbot, u. als darauf 1835 das britische Gouvernement sogar anordnete, daß das östliche Grenzgebiet, welches neutral u. unbewohnt hatte bleiben sollen, an die Kaffern zurückgegeben u. eine Commission zur Untersuchung der angeblich von den Boers gegen die Kaffern verübten Mißhandlungen eingesetzt werde, begannen schon 1835 einzelne Abtheilungen der Boers nordwärts über den Orangefluß auszuwandern; die Einen ließen sich am Zout-Pansberge nieder, die Andern unter Orich zogen an die Delagoabai, wo sie aber bald dem Klima erlagen; eine andere Abtheilung, welche bald folgte, wurde auf ihrem Zuge von dem Matebelehäuptling Mosilikatze im August 1835 überfallen u. ihrer Heerden beraubt u. zog sich an den Modder zurück, von wo sie, verstärkt durch zahlreiche Zuzüge aus der Capcolonie, unter Gerrit Maritz wieder vordrangen u. Mosilikatze bei Mosiga am 17. Jan. 1836 schlugen. Nach diesem Siege gewann die Auswanderung aus der Capcolonie an Ausdehnung, so daß im Gebiete des Vaalflusses bald Tausende streitbarer Männer beisammen waren. Pieter Retief, zum Anführer gewählt, organisirte die Gesellschaft, führte militärische Ordnung ein, ordnete das Dienstverhältniß der den Boers gefolgten Farbigen u. schloß mit den benachbarten Stämmen Friedensverträge. Als die englischen Colonisten in Natal (s.d.) die Boers aufforderten, zu ihnen an die Küste zu kommen, zog Pieter Retief im Jan. 1837 mit einer großen Anzahl Boers dahin, wurde aber von dem Suluhäuptlinge Dingaan während der Friedensverhandlungen verrätherisch niedergemacht, die Boers geschlagen, ebenso die unter Pieter Uys u. H. Potgieter angekommenen Zuzüge, u. erst am 16. Dec. 1837 gelang es ihnen mit Hülfe des unter Pretorius angekommenen Zuzugs Dingaan eine völlige Niederlage beizubringen. Als sich die Boers darauf zu organisiren begonnen hatten, wurde ihnen von dem britischen Gouverneur der Capcolonie (1840) das Recht bestritten, eine selbständige Genossenschaft zu bilden; die Boers protestirten hiergegen, trotzdem erschien 1842 eine britische Truppenabtheilung, es kam zu Streitigkeiten, u. in Folge dessen wanderten die meisten Boers abermals aus, theils zu den an dem Vaal Angesiedelten, theils weiter nordwärts; die in dem Gebiet der Colonie Natal Zurückgebliebenen, zuerst von den Kaffern belästigt, dann von den Briten ohne Schutz gelassen u. sogar bedrückt, folgten größtentheils in den nächsten Jahren nach u. zogen ebenfalls aus, um sich westlich des Quathlambagebirges von Neuem eine Heimath zu suchen. Als nun der Gouverneur des Caplandes, Sir Harry Smith, nach der Colonie Natal kam u. den Boers Vortheile zugestehen wollte, war es zu spät, da die Meisten der Boers ber eils sich am Vaal angesiedelt hatten. Dort war es den Boers gelungen, unter Pretorius neben den Griquas u. den Betschuanstämmen sich ruhig niederzulassen. Als am 3. Febr. 1646 der Governeur der Capcolonie auch das Land am Vaal unter dem Namen Orange River Sovereignty als britisches Gebiet erklärte, griffen die Boers zu den Waffen; Pretorius an ihrer Spitze nahm Bloemfontein in Besitz, wurde aber 29. August bei Boomplaats von Harry Smith angegriffen u. geschlagen, wanderte mit der Mehrzahl der Colonisten über den Vaal u. gründete nördlich desselben unter dem Namen der Transvaalschen Republik einen neuen Freistaat; nur etwa 12,009 Boers blieben auf dem Gebiete des Orangeflusses zurück. Indeß war die Besetzung des Orangegebietes britischer Seits nur von kurzer Dauer; erst der Krieg gegen die Kaffern 1847–49, dann noch mehr der im Jahre 1851 ausgebrochene überzeugte das britische Gouvernement, daß es ersprießlicher sei, an den Boers freiwillige Bundesgenossen, als gezwungene Unterthanen zu haben. Daher entschloß sich die ritische Regierung im Frühjahr 1853 die Orangefluß-Souveränetät aufzugeben, schickte im Sept. 1853 G. Clark als Commissär nach Bloemfontein, u. am 23. Febr. 1854 wurde der Vertrag mit den Boers abgeschlossen, welcher die Bewohner der ehemaligen Orange River Sovereignty der Unterthanenschaft Ihrer Britischen Majestät entband u. als freies Volk des Orangefluß-Freistaates anerkannte. Der junge Staat berieth eine neue Verfassung, welche schon am 10. April 1854 unterzeichnet u. vom britischen Gouvernement anerkannt wurde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 326-327.
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