[419] Cholera (die) oder Brechruhr, auch asiatische, epidemische, bösartige Cholera und Brechdurchfall, jene Krankheit, welche die Welt in der neuesten Zeit durch ihre schnelle Tödtlichkeit, wie durch ihre Verbreitung über den größern Theil der bewohnten Erde mit Schrecken erfüllt hat, ist ursprünglich in Indien einheimisch, und war vor 1831 in Deutschland unbekannt. Sie befällt oft plötzlich, oft auch gehen ihr mancherlei Vorboten um Stunden oder Tage voraus, und wo sie herrscht, sind Erkältungen, Diätfehler, heftige Gemüthsbewegungen häufig nächste Veranlassung derselben. Sie kündigt sich durch eigenthümliches unangenehmes Ziehen in den Beinen, schmerzhaften Druck in der Nabelgegend, Veränderung im Ausdruck der Gesichtszüge und mehr oder weniger heftigen Durchfall an, durch welchen anfänglich noch dünnflüssiger Darmkoth, bald aber nur eine geruch-und geschmacklose, gelblichweiße Flüssigkeit in großer Menge ausgeleert wird. Hierzu gesellen sich öfters Übelkeiten, Würgen und wirkliches Erbrechen eines gelblichweißen Schleimes, wobei die Zunge warm und feucht bleibt, vermehrter Durst, Schwindel, große Mattigkeit und Abspannung. Die Haut fühlt sich zwar noch warm an, scheint aber von ihrer natürlichen Elasticität verloren zu haben, indem besonders an der Seite des Halses oder am Unterleibe gebildete Falten derselben sich nur ganz allmälig wieder verziehen. Dabei ist jedoch die Stimme unverändert, die Urinabsonderung ungestört, der Puls noch deutlich fühlbar, ja bewegt, die Eßlust nicht vermindert. Dieser choleraähnliche Krankheitszustand, welcher dem Ausbruche der wirklichen Cholera voranzugehen pflegt, oder mit dieser gleichzeitig und dann sehr allgemein vorkommt, ist von den Ärzten mit der Benennung Cholerine belegt worden, und geht entweder in die bösartigern Formen der Cholera oder, was häufiger der Fall ist, nach mehrtägiger Dauer und bei zweckmäßigem Verhalten, oft ohne ärztliche Hülfe in Genesung über. Befällt aber die Cholera ohne Vorausgang der Cholerine plötzlich oder nimmt diese einen bösartigern Charakter an, so werden die Stuhlausleerungen und das Erbrechen immer stürmischer, wiederholen sich alle Viertelstunden und noch öfter und entleeren, nachdem die etwa genossenen Speisen abgegangen sind, eine wässerige, molkenartige, weißliche, dem abgekochten Reiswasser oder dünner Hafergrütze ähnliche, mit kleinen häutigen Flocken untermengte, geruch- und geschmacklose Flüssigkeit oft in ungeheurer Menge, in welcher sich höchstens im Anfange, später aber gar keine Galle auffinden läßt, während die Urinabsonderung fast oder völlig unterdrückt ist. Der Unterleib fällt zusammen und bleibt nur ausnahmsweise aufgetrieben und gespannt; die Kranken klagen über heftige Schmerzen in der Nabel-oder Lebergegend, und haben häufig das Gefühl, als läge ihnen eine glühende Kohle auf dem Magen. Das Gesicht verfällt sehr schnell, die Augen sinken tief in ihre Höhlen, verlieren ihren Glanz, die Oberlippe zieht sich zurück, sodaß die Zähne sichtbar werden; die Gesichtsfarbe wird bläulich, manchmal gar graublau oder zeigt auch wol eine umschriebene Wangenröthe. [419] Wangen, Nasenspitze, Kinn und Zunge fühlen sich kalt an, letztere zeigt sich weißlich, seltener gelblich oder schmuzig belegt und auffallend breit, sodaß sie beim Herausstrecken die ganze Mundspalte ausfüllt; das Athmen wird immer beschwerlicher, oft kaum merklich; die ausgeathmete Luft ist kalt; die Stimme wird heiser, belegt, dumpf, bei alten Frauen oft auffallend sein, verschwindet auch ganz; das Herz schlägt nur schwach, ebenso der Puls, der jedoch jetzt noch immer beschleunigt, weich und zuweilen an der einen Hand fühlbarer als an der andern ist. Dabei quält die Kranken unlöschbarer Durst, besonders nach kalten Getränken, namentlich kaltem Wasser; am auffallendsten ist jedoch die Umwandlung der Haut, welche die ihr zukommende Lebenswärme verliert, kühl, später eisig kalt, welk und teigig, bleich, bläulich gefleckt und leichenartig wird und sich an Fingern und Zehen, an den Hand- und Fußflächen der Länge nach runzelt; Lippen und Nägel färben sich ganz blau und das bisher vorhandene Ziehen in den Beinen wird zum Krampfe, der vorzugsweise die Waden und Vorderarme befällt, Finger und Zehen zu den ungewöhnlichsten Bewegungen zwingt, sich aber oft auch über den ganzen Körper verbreitet. Schlaflosigkeit und unaussprechliche Angst begleiten diese Zufälle, das Bewußtsein aber bleibt fast bis zum letzten Augenblicke frei, weshalb auch die Kranken auf an sie gerichtete Fragen treffend und bestimmt antworten. Trügerisch ist die um diese Zeit manchmal eintretende scheinbare Besserung, denn bald folgen ihr Betäubung, Schlafsucht, Irrereden, ja selbst Tobsucht und kurz darauf der Tod. Zeigt das Übel gleich von Anfang einen bösartigen Charakter, so macht es den Menschen schon im Beginn zum lebendigen Leichname; der ganze Körper wird starr und steif, eisig kalt und blau gefärbt, das bläulichrothe oder blaugraue Antlitz verräth das tiefste Leiden, und die obigen Erscheinungen treten mit erhöhter Heftigkeit ein. Der Puls wird zitternd und endlich unfühlbar, ebenso der Herzschlag, das etwa abgelassene Blut ist fast schwarzgefärbt, dick und geronnen, und der Tod erfolgt unter solchen Umständen gewöhnlich schon nach zwei bis drei Stunden, ja in seltenen Fällen stürzen die von der Cholera Befallenen plötzlich zusammen und Erkrankung und Tod ist fast eins. Überhaupt dauert die Krankheit, wenn sie tödtlich endet, nicht lange, und die große Mehrzahl der Todesfälle ereignet sich schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Erkrankung.
Gelingt es der Heilkraft der Natur oder der ärztlichen Kunst, Genesung herbeizuführen, so erwacht zuerst die Thätigkeit des Herzens wieder, der Puls wird wieder deutlich fühlbar, die Körperwärme kehrt zurück, die völlig unterdrückte Hautausdünstung stellt sich her, es bricht ein wohlthätiger warmer Schweiß hervor, Erbrechen und Durchfall lassen nach, an die Stelle des letztern treten nun gallige, grünlichschwärzliche, breiartige Ausleerungen, die übrigen Zufälle verschwinden, die Urinabsonderung tritt wieder gehörig ein, und so stellt sich die Gesundheit allmälig wieder her. Oft geht aber die Krankheit in gallige oder nervöse Fieber, in Gehirnentzündung mit allen ihren Zufällen, in Entzündungen der Unterleibseingeweide über, oder hinterläßt Lähmungen einzelner Sinneswerkzeuge, der Blase, der untern Gliedmaßen, und wenigstens anhaltende große Schwäche und Reizbarkeit des Magens und der Gedärme, fortwährende Neigung zu Durchfall und allgemeine Mattigkeit. Die asiatische Cholera muß sonach zu den gefährlichsten und schwersten bekannten Krankheiten gezählt werden. Wenngleich sie im Allgemeinen weder Alter noch Geschlecht verschont, sind ihr doch Kinder, Greise und Frauen weniger ausgesetzt als Jünglinge und Männer; vorzugsweise wählt sie aber durch Ausschweifungen, Strapatzen, Anstrengungen, Gemüthsbewegungen oder schon früher überstandene Krankheiten Erschöpfte und namentlich Trunkenbolde zu ihren Opfern. Ihre Entstehungs- und Verbreitungsart ist, trotz der zahllosen darüber erschienenen Schriften, noch heutiges Tages eine unentschiedene Streitfrage. In ihrem Vaterlande Indien, wo sie schon lange bekannt ist und von den Eingeborenen als der Gott Mahadera in Gestalt eines vierarmigen Mannweibes mit einem hohen Kopf-. putze und einer langen Kette von Todtenköpfen, mit gekreuzten Beinen auf einem Jüngling sitzend, dargestellt wird, hat sie bereits zu verschiedenen Malen furchtbare Verwüstungen angerichtet. Örtliche und Witterungsverhältnisse, namentlich große Hitze und die dadurch entwickelte Ausdünstung sumpfiger, mooriger Gegenden und stehender Gewässer, schneller Wechsel in der Temperatur, scheinen dort ihre Entwickelung besonders zu begünstigen. Unter ähnlichen Umständen reichen aber auch an andern Orten, wo die Cholera grade herrschend ist, oft geringfügige Ursachen, wie z.B. eine Erkältung oder Gemüthsbewegung, eine Überladung des Magens, ja schon der Genuß einer schwerverdaulichen Speise, unreifen Obstes, schlecht ausgegohrener Getränke u.s.w. hin, in Menschen, die entschiedene Empfänglichkeit für die Krankheit haben, sie zu erzeugen. Diese Empfänglichkeit ist zu ihrer Entstehung in beiweitem höhern Grade nöthig als bei andern Krankheiten, und deshalb befällt die Cholera vergleichsweise eine weit geringere Anzahl von Menschen als andere Weltseuchen.
Daß die Cholera übrigens bei besonderer Bösartigkeit und weiterer Verbreitung auch einen Ansteckungsstoff entwickeln könne, dürfte nach vielen und völlig beglaubigten Erfahrungen keinem Zweifel mehr unterliegen, und deshalb ihre Verbreitung auf doppeltem Wege, d.h. durch die Luft und unmittelbare Übertragung von Kranken auf Gesunde, mit Recht anzunehmen sein, darum werden aber auch die zur Verhütung oder wenigstens Beschränkung der Ansteckung empfohlenen und hier und da in Anwendung gebrachten Maßregeln keineswegs so nutzlos sein, als von Vielen behauptet worden ist. Die neueste Verbreitung der Cholera über den größern Theil der bewohnten Erde hat im J. 1817 in Ostindien begonnen, nachdem daselbst auffallende Abweichungen in der beim Wechsel der Jahreszeiten regelmäßig eintretenden Witterung stattgefunden hatten. Die Krankheit breitete sich von da östl. nach China, schneller noch aber westl. aus, und erschien 1821 zuerst am pers. Meerbusen. Von da folgte sie den Handelsstraßen nach dem südl. Rußland und der Küste des mittelländ. Meeres, und brach hier 1823 zu Antiochia in Syrien, dort in den Provinzen am kasp. Meere aus, und scheint in diesen Gegenden mehre Jahre verweilt oder vielmehr geschwiegen zu haben, denn 1830 drang sie vom kasp. Meere aus ans schwarze Meer vor, und erreichte zugleich über Orenburg und Kasan im Sept. Moskau. Nun breitete sie sich nördl. und westl. aus und war am 21. Apr. 1831 in Warschau, am 22. Jul. in Königsberg, am 31. Aug. in Berlin, sowie durch Galizien und Ungarn [420] am 14. Sept. in Wien angelangt. Während sie hier nur bis nach Wels, der Kreisstadt des Hausruckviertels, und nördl. bis Prag vordrang, war sie im nördl. Deutschland am 3. Oct. in Magdeburg, am 7. in Hamburg ausgebrochen, und mit Umgehung Sachsens durch Thüringen, gegen Ende 1831 in Kassel angelangt, wo sie ebenfalls Halt machte. Schon im Nov. 1831 war sie in England, im Jan. 1832 in Nordamerika angelangt, und begann auch in Europa ihre Verheerungen von Neuem, indem sie am 26. März in Paris sich zeigte und von da über Frankreich, Holland, Belgien und die deutschen Rheinländer sich verbreitete, zu Ende des Jahres aber in Europa überall erloschen schien. Allein 1833 wurden dennoch Portugal und Spanien von ihr heimgesucht, die auch 1834–35 nicht frei davon blieben, wo die Krankheit außerdem an mehren Orten im südl. Frankreich und in Italien ausbrach, auch die von ihr schon früher heimgesuchte afrikanische Nordküste wieder verheerte.
Was nun die Behandlung der Cholera betrifft, so müssen dabei natürlich wie bei andern Krankheiten Klima, Jahreszeit, äußere Lebensverhältnisse, körperliche Beschaffenheit der Erkrankten nothwendig berücksichtigt werden. Entschiedene Schutzmittel gegen die Krankheit, wie man deren hier und da empfohlen und vielfach versucht hat, gibt es nicht; die besten und zuverlässigsten sind Furchtlosigkeit, eine einfache nüchterne Lebensweise, Vermeidung von Erkältungen, Schwelgereien, Ausschweifungen, übermäßigen geistigen und körperlichen Anstrengungen. Ist die Cholera einmal ausgebrochen, so erfodert sie schnelle ärztliche Hülfe, denn obgleich in einzelnen sehr gutartigen Fällen ein zweckmäßiges Verhalten von Seiten der Erkrankten hinreichen mag, baldige Genesung herbeizuführen, spottet doch andererseits ihre bösartigste Form aller ärztlichen Kunst. Bei der großen Verschiedenheit der Ansichten der Ärzte aller Länder und Staaten über die Entstehungsart und das Wesen der Krankheit darf es nicht Wunder nehmen, daß bisher alle nur mögliche Heilmethoden, sowie der gesammte Arzneivorrath gegen sie angewendet worden sind, ohne daß es bis jetzt hat gelingen wollen, eine in der großen Mehrzahl der Fälle zuverlässige Behandlungsweise aufzufinden.
Mit der eben beschriebenen Krankheit darf die bei uns einheimische, zur Unterscheidung wol auch abendländische, nicht ansteckende sporadische genannte, gutartige Cholera nicht verwechselt werden. Hat sie gleich bei einem hohen Grade von Heftigkeit in ihrer äußern Erscheinung zuweilen große Ähnlichkeit mit der asiatischen Cholera, so scheint sie doch ihrem innern Wesen nach ganz verschieden von ihr, wird nie ansteckend, geht gewöhnlich schnell, ohne Nachwehen zu hinterlassen, in Gesundheit über, und nimmt nur in außerordentlich seltenen Fällen, bei besonders ungünstigen und gefährlichen Nebenumständen, einen tödtlichen Ausgang. Bei ihr sind das Erbrechen und der Durchfall, zu denen es bei manchen Arten der asiatischen Cholera zuweilen gar nicht kommt, durchaus wesentliche und wichtige Erscheinungen und entleeren meist gallige Stoffe, dagegen fehlen ihr die auffallende Veränderung der Gesichtszüge, des Blickes, die eigenthümliche Beschaffenheit der Haut, der eiskalte Athem, die Pulslosigkeit, die heftigen Krämpfe, die fast oder ganz unterdrückte Urinabsonderung u.s.w., welche die asiatische Cholera auszeichnen. Sie entsteht in unserm Klima meist nur im Spätsommer, wenn auf sehr heiße Tage kühle Abende und Nächte folgen, in der Regel durch Erkältung, aber auch nach Diätfehlern, heftigen Gemüthsbewegungen, tritt in der Mehrzahl der Fälle plötzlich ein, oder allenfalls auch, nachdem ihr Zufälle vorangegangen sind, welche auf das Vorhandensein einer in zu großer Menge abgesonderten und gewöhnlich zugleich fehlerhaft beschaffenen Galle schließen lassen.
Buchempfehlung
Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.
188 Seiten, 6.40 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro