Worms [3]

[751] Worms, 1) ehemals freie Reichsstadt und Sitz eines gleichnamigen Bistums, jetzt Kreisstadt der hess. Provinz Rheinhessen, links am Rhein, über den hier eine Straßen- und eine Eisenbahnbrücke führen, im sogen. Wonnegau, 86–102 m ü. M., ist in den ältern Teilen unregelmäßig gebaut und zum Teil noch mit alten Mauern und Türmen umgeben.

Wappen von Worms.
Wappen von Worms.

Hauptplätze sind der Markt, der Domplatz, der Luther- und Ludwigsplatz. Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (6 evangelische und 5 kath. Kirchen und zwei Synagogen) steht der katholische Dom obenan. Er ist eine große Pfeilerbasilika romanischen Stils, an Stelle eines ältern Gebäudes zu Anfang des 11. Jahrh. vom Bischof Burkhart erbaut; wiederholt beschädigt und den Einsturz drohend, wurde er wiederhergestellt und 1181 abermals geweiht. Im 14. und 15. Jahrh. entstanden mehrere gotische Anbauten, Kapellen, Portal etc. Der durch die beiden Kuppeln und die vier Türme vorteilhaft gegliederte Bau wird an beiden Enden durch Chorbauten abgeschlossen. Das Innere ist 109 m lang und 27 m (im Querschiff 36 m) breit und imponiert durch großartige Einfachheit. Bemerkenswert ist auch die außerhalb der innern Stadt liegende Liebfrauenkirche, ein Bau aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. mit schönem Portal. Um die Kirche befinden sich Rebenpflanzungen, welche die bekannte »Liebfraumilch« liefern. Zu nennen sind noch die evang. Kirche im Stadtteil Hochheim mit altem romanischen Turm, die kath. Kirche ebendaselbst. der Rest des Klosters Himmelskron mit Grabdenkmälern des 13. und 14. Jahrh., die evang. Dreifaltigkeitskirche im Barockstil (1725). Die eine der Synagogen ist eins der ältesten jüdischen Gotteshäuser in Deutschland; der Judenkirchhof ist reich an alten Inschriften. Andre bemerkenswerte Bauwerke sind: das Stadthaus, das Paulusmuseum (in der ehemaligen Pauluskirche) mit vielen vorgeschichtlichen, römischen und fränkischen Altertümern, das Volkstheater mit Festspielhaus (s. Tafel »Theaterbau III«, Fig. 1); auf dem Unterbau des ehemaligen Bischofshofes (Sitz des Reichstages von 1521), auf der Nordseite des Doms, steht gegenwärtig das ältere Heylsche Haus, in dessen sehenswertem Garten sich großartige Treibhäuser befinden. Bemerkenswert sind auch die Hafenanlagen. An Denkmälern ist besonders hervorragend das großartige Lutherdenkmal, entworfen von Rietschel, ausgeführt 1868 von Kietz, Donndorf und Schilling (s. Tafel »Bildhauerkunst XVI«, Fig. 6). Außerdem hat W. noch ein Bismarck-, ein Krieger-, ein Hagen- und ein Küchlerdenkmal und einen Monumentalbrunnen. Die Zahl der Einwohner belief sich 1905 mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 118) auf 43,841 Seelen, davon 14,048 Katholiken und 1307 Juden. Die Industrie besteht in Fabrikation von Leder (5000 Arbeiter), Maschinen (namentlich für Brauereien), Kunstwolle, Tuch, Wasserglas, Schmierseife, Kaffeesurrogaten, Knochenpräparaten, Schiefertafeln, Öl, Malz, Mühlenfabrikaten, Buchdruckpressen, Drahtwaren, Konserven, Kunststeinen, Möbeln, Schaumwein, alkoholfreiem Wein etc., auch hat die Stadt ein Elektrizitätswerk, Dampfmühlen, Farbwerke, Bierbrauerei und berühmten Weinbau. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer und eine Reichsbanknebenstelle, ist besonders bedeutend in Leder, Wein, Getreide, Holz, Kohlen, Mühlenfabrikaten etc. Im dortigen Hafen kamen 1905 an: 3778 Schiffe mit 301,630 Ton. Ladung; es gingen ab: 3306 Schiffe mit 31,388 T. Ladung. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Straßenbahn. Für den Eisenbahnverkehr ist sie Knotenpunkt der preußisch-hessischen Staatsbahnlinien Mainz-W., W.-Bingen, Darmstadt-W., W.-Bensheim, W.-Gundheim u. a. W. hat ein Gymnasium, eine Oberrealschule, 2 höhere Mädchenschulen, eine Gewerbeschule für Hochbau, Maschinenbau und Kunstgewerbe, eine Akademie für Bierbrauer, ein Technikum für Müllerei, Mühlen- und Maschinenbau, eine landwirtschaftliche Winterschule, ein Konservatorium für Musik etc., ein Museum, einen Altertumsverein und ein Theater. Von Behörden finden sich dort: ein Kreisamt, ein Amtsgericht, ein Hauptsteueramt und eine Oberförsterei; die städtischen Behörden zählen ll Magistratsmitglieder und 36 Stadtverordnete. W. ist ein in der deutschen Heldensage vielgenannter Ort und Schauplatz der Nibelungensage; ein Distrikt jenseit des Rheins heißt der »Rosengarten«. In den letzten Jahren ist im N. von W., nur 200 m westlich vom Rhein, ein großes Gräberfeld aufgedeckt worden, desgleichen an der Südseite zahlreiche Gräber und Wohnstätten aus der Zeit des Übergangs von der Steinzeit zur Bronzezeit, ferner vier Grabfelder aus römischer Zeit (2. u. 4. Jahrh. n. Chr.) und zwei aus der fränkischen Zeit (4.–7. Jahrh.).

Geschichte. W., das alte Borbetomagus, zu Ariovists Zeiten Hauptstadt der Vangionen, ward von Drusus befestigt, im 5. Jahrh. Residenz der burgundischen Könige, von den Hunnen zerstört, aber von den Merowingern wieder aufgebaut. Früh Bischofssitz und seit dem 8. Jahrh. Stätte einer königlichen Pfalz, fiel W. bei der Teilung von 843 an Ludwig den Deutschen, war aber um 1000 bereits eine bischöfliche Stadt. Burchard I. (s. oben) zerstörte die Stammburg des salischen Geschlechts und baute ein Münster. Die Feindschaft der Städter gegen ihren Stadtherrn offenbarte sich in der Parteinahme für Heinrich IV. 1073, der sie 18. Jan. 1074 durch einen Freibrief belohnte und auf einer Synode zu W. 1076 Papst Gregor VII. absetzen ließ. Heinrich V. kam durch das Würzburger Abkommen (1121) in den Besitz der Stadt, baute im N. davon eine Burg und verlieh W. Privilegien, die Friedrich I. bestätigte. Trotz dauernder Versuche der Bischöfe, sich die Stadt wieder zu unterwerfen, blieb W. bis 1801 Freie Stadt. Unter den Reichstagen, die in W. gehalten worden, sind der von 1495 unter Maximilian I., auf dem der Ewige Landfriede verkündet und das Reichskammergericht gestiftet wurde (s. Deutschland, S. 808), und der von 1521 unter Karl V., auf dem Luther verhört wurde, die berühmtesten. (Vgl. F. Soldan, Der Reichstag zu W. 1521, Worms 1883.) Es fanden daselbst 1540 und 1557 Religionsgespräche statt. 1632 eroberten die Schweden und 1635 die[751] Kaiserlichen W.; 1644 nahmen es die Franzosen durch Kapitulation ein; 31. Mai 1689 legten es die Franzosen unter Mélac in Asche. Am 13. Sept. 1743 schlossen hier England, Österreich und Sardinien den Wormser Traktat, ein Offensivbündnis. Zu Anfang Oktober 1792 nahmen die Franzosen unter Custine die Stadt durch Überfall. 1801 kam W. an Frankreich, 1814 wieder an Deutschland und 1815 durch den Wiener Kongreß an Hessen-Darmstadt. Am 29. Mai 1849 wurde die von badischen Freischärlern besetzte Stadt durch Mecklenburger und Preußen erstürmt. Vgl. Zorn, Wormser Chronik (hrsg. durch Arnold vom Literarischen Verein in Stuttgart, 1857); Arnold, Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte im Anschluß an die Verfassungsgeschichte der Stadt W. (Gotha 1854, 2 Bde.); Fuchs, Geschichte der Stadt W. (Worms 1868); Boos, Quellen zur Geschichte der Stadt W. (Berl. 1886–93, 3 Bde.) und Geschichte der rheinischen Städtekultur mit besonderer Berücksichtigung der Stadt W. (das. 1896–1901, 4 Bde.); G. Wolf, Zur Geschichte der Juden in W. (Bresl. 1862); Nover, Das alte und neue W. (Worms 1895). – 2) Stadt in Oberitalien, s. Bormio.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 751-752.
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