Gesandter

[257] Gesandter, ein von einem Staat, welcher das Recht hat, Krieg zu führen u. Frieden zu schließen, an einen anderen, welcher dasselbe zu thun befugt ist, abgeschickter Staatsmann, dessen Bestimmung ist, die politischen Angelegenheiten seines Staates bei der Macht, an die er geschickt ist, zu betreiben. Die G-n werden entweder, wie sonst sämmtlich, in besonderen Fällen, z.B. bei Gratulationen zu Krönungen, zu der Geburt eines Erben etc., u. bei Gesandtschaften in weit entfernte Reiche, z.B. nach China, außerordentlich gesendet; od. sie sind, wie jetzt fast durchgängig, bei dem Hofe, an welchen sie gesandt sind, für immer accreditirt. Die G-n erster Klasse repräsentiren ihren Souverän in dessen Person u. genießen daher alle diesem zukommende Ehre. Zu ihnen gehören die Botschafter (Ambassadeurs), die Cardinäle, die Legati a latere (auch Nuntien). Man theilt die G. in ordentliche, die für beständig, u. außerordentliche, die nur für ein bestimmtes Geschäft bevollmächtigt sind. Die G-n zweiter Klasse repräsentiren ihren Staat nur in den Geschäften u. pflegen den Titel außerordentlicher G. u. bevollmächtigter Minister (Envoyé extraordinaire et Ministre plénipotentiaire) zu führen, indem der bloße Titel G. od. Envoyé ordinaire nicht gewöhnlich ist. Die G-n dritter Klasse heißen Ministerresidenten (Ministres résidens u. Ministres chargés d'affaires). Von noch geringerem Rang u. keine eigentlichen G-n mehr sind die Geschäftsträger od. Chargés d'affaires. Nach den Bestimmungen des Wiener Congresses hat man diese Rangordnung der G. noch mehr vereinfacht u. kennt jetzt nur noch Botschafter außerordentliche G. u. Geschäftsträger. Personen, die nur Privatgeschäfte ihres Fürsten od. von dessen Unterthanen an einem Orte besorgen, heißen Agenten u. bisweilen Residenten; erstreckt sich ihre Thätigkeit mehr auf die Handelsbeziehungen der beiden betreffenden Staaten, so heißen sie Consuln (s.d. 4). Alle bei einem G. befindliche Personen[257] bilden die Gesandtschaft. So pflegt ein Ambassadeur mehrere Gesandtschaftscavaliere u. Gesandtschaftsecretäre (Legationssecretäre, Secrétaire d'ambassade, Secrétaire de légation, wohl auch mit dem Titel Legationsräthe), einen Gesandtschaftsprediger od. Gesandtschaftskaplan (wenn er in einem Lande von anderer Religion od. Confession ist), mehrere Kanzlisten, Schreiber u. Livrébedienten in seinem Gefolge zu haben. Der G. zweiter Klasse pflegt sich auf die nothwendigen Personen zu beschränken u. statt der Gesandtschaftscavaliere mehr Legationssecretäre zu haben. Der G. dritter Klasse od. Chargé d'affaires ist endlich noch mehr, wohl gar nur auf einen Legationssecretär beschränkt. Die Wissenschaft eines G-n u. seines Personals (Gesandtschaftswissenschaft) ist die Diplomatie (s.d.); neben genauer Kenntniß der zwischen den Staaten abgeschlossenen Verträge, welche diese zunächst lehrt, erfordert der Gesandtenposten immer zugleich einen gewandten, welterfahrenen, mit dem Boden, auf dem er steht, bekannten Mann. Bei seiner Absendung erhält der G. ein Beglaubigungsschreiben (Creditiv, Lettre de créance), welches er, nachdem er zuvor eine beglaubigte Abschrift desselben dem Staatssecretär eingesendet hat, dem Monarchen, an den er gesendet ist, wenn er ein Ambassadeur ist, in einer öffentlichen, wenn er von den übrigen Klassen ist, in Privataudienz übergibt. Er enthält ferner eine Instruction über sein Verhalten gegen den Hof u. die dort anwesenden fremden G-n u. bekommt die weiteren Befehle durch besondere Depeschen. Sobald er dem Monarchen vorgestellt ist, wozu sonst in der Regel eine feierliche Auffahrt stattfand, ist er als G. anerkannt u. tritt in alle Rechte desselben (Gesandtschaftsrecht) ein. Hierzu gehört bes. das Recht der Exterritorialität (s. d). Sobald der G. nämlich (wenigstens der ersten u. zweiten Klasse) die Grenze des Staates betritt, an den er gesandt ist, wird er, nebst dem ganzen Gesandtschaftspersonal u. selbst seinem Wagen, so betrachtet, als wenn er den Staat, der ihn sendete, nie verlassen hätte. Es ist daher der Civil- u. Criminalgerichtsbarkeit des Landes, in welches er tritt, nicht unterworfen, die Güter, die ihm als G. folgen, können nicht mit Arrest belegt werden u. sind auch gewöhnlich von Zoll- u. anderen Abgaben befreit. In sein Hotel dürfen Polizei-, Gerichts- u. Zollbedienten nicht eindringen, jedoch darf er die Auslieferung von Verbrechern nicht verweigern. Verbrecher unter dem Gefolge eines G-n werden von diesem verhaftet u. seinem Landesherrn zur Bestrafung ausgeliefert. Im Fall der G. selbst Verbrechen begeht, fordert man die Zurückberufung u. Bestrafung desselben von seinem Hofe; bei wichtigen Staatsvergehen bemächtigt man sich entweder seiner Person u. läßt ihn nach vorübergegangener Gefahr wieder los, od. schafft ihn über die Grenze. Streitig ist zuweilen die Gerichtsbarkeit über das Gefolge des G-n. Dem G-n erster u. zweiter Klasse kommt sie fast allenthalben unbestritten zu, denen dritter Klasse wird sie oft verweigert. Sonst erstreckte sich das Gericht sogar so weit, daß an manchen Orten, sobald das Wappen des Souveräns, dem er diente, aufgesteckt war, das ganze Quartier, in welchem der G. wohnte, der bisherigen Gerichtsbarkeit entzogen wurde (Quartierfreiheit.) Außerdem ist der G. unverletzlich u. alle Vergehen an ihm werden als Staatsverbrechen geahndet. Er darf ferner in Ländern, wo seine Landesreligion nicht geduldet ist, einen Hauscaplan halten. Den G. gebühren endlich verschiedene Ceremonialrechte, welche indessen bei den verschiedenen Klassen u. bei den verschiedenen Höfen sehr von einander abweichen. Allgemein anerkannt ist die sogenannte diplomatische Excellenz, d.h. der Titel Excellenz für die G-n erster Klasse; indessen erhalten auch G-n zweiten u. dritten Ranges diesen Titel, wenn sie ihn wegen sonstiger Chargen bei ihrem Hofe führen. Andere Ceremonialrechte für die G-n erster Klasse sind das Recht eines Thronhimmels (Dais) für den Paradesessel im Empfangsaale, das Recht in Gegenwart des fremden Souveräns sich zu bedecken, sobald dieser es gethan hat, das Recht mit 6 Pferden u. mit Fiocchi (s.d. 2) zu fahren, für die Gemahlin des G-n das Vorrecht des Tabourets, d.h. sich in den Cirkeln von Kaiserinnen u. Königinnen auf einem Sessel ohne Lehne niederzulassen. Während seines Aufenthaltes unterhandelt der G. entweder mit dem Monarchen persönlich, od. meist mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Die Gesandtschaft ist beendigt, wenn die Creditive erlöschen, wenn der G. entweder wegen eingetretener feindlicher Stellung der Staaten gegeneinander, od. wegen Unzufriedenheit eines der betheiligten Höfe mit ihm, od. ans sonstigen Ursachen abberufen wird, wenn er wegen einer ihm widerfahrenen Beleidigung abreist od. von dem Staate, dem er gesandt ist, genöthigt wird, aus dem Lande zu gehen (Ausschaffung), od. wenn er stirbt. Auch wenn ein G. das Land verläßt, ist seine u. seiner Leute Person noch unverletzlich. Nur rohe Nationen (so ehemals bis 1813 die Türken), setzten sonst in Kriegsfällen die G-n gefangen.

G. kommen schon früh vor, zugleich mit ihrer Unverletzlichkeit. Gewöhnlich waren G. Männer von bestem Rufe u. hohem Stande, welche durch Rang u. Betragen sich selbst Achtung verschafften. Schon das hebräische Alterthum hat Beispiele von Gesandtschaften, so des Moses Gesandtschaft an den Amoriterkönig, der Gibeoniter an Josua, zwischen David. u. Hiram; u. David nahm blutige Rache an den Ammonitern wegen der, seinem G-n angethanen Beleidigungen. Bei den Athenern waren die G-n durch Stimmenmehrheit gewählt, meist alte, erfahrene Leute (daher Presbeis, Presbeutä); gewöhnlich schickten sie deren 10, zuweilen 2 bis 3. In den hellenischen Städten erhielten sie Gastgeschenke, wurden gastlich aufgenommen (sie wohnten gewöhnlich beim Proxenos, s.u. Gastfreiheit).u. mit dem Vorsitz im Theater beehrt. Für die Reise erhielten sie eine tägliche Auslösung (Ephodion, Poreion) von 2–3 Drachmen (12–171/2 gute Gr.) Sie waren für ihre Handlungen dem Staat verantwortlich, außer wo in ihrer Vollmacht ihnen Verhandeln nach Gutdünken zugestanden war. Die Römer ordneten das Gesandtschaftswesen schon früh mit Klugheit an; Numa errichtete das Collegium der Fetialen, außer welchem die Römer noch besondere G-n (Legati) hatten; sie trugen als Abzeichen goldene Ringe, u. einem in seinem Amte getödteten G-n wurden Statuen errichtet. Die Aufsicht über die Gesandtschaftsgeschäfte führte der Senat. Eine Art von Gesandtschaft war auch die Legatio libera u. Legatio votiva (s.b.). Fremde G-n meldeten sich bei den [258] Praefecti aerarii im Saturnustempel, od. die Quästoren holten sie ein, führten sie in die Gräcostasis u. reichten ihnen Ehrengaben (Lautia) gegen die, gewöhnlich sehr bedeutenden mitgebrachten Geschenke, worauf sie bei einem der höchsten Magistrate um eine Audienz nachsuchten. Dann bekamen sie freie Wohnung, Plätze im Circus u. im Theater (neben den Rittern) u. standesmäßige Verpflegung. G. feindlicher Völker durften nicht in die Stadt kommen, sondern wohnten in der Villa publica auf dem Marsfelde u. erhielten im Apollo- od. Minervatempel Audienz. Unter den Kaisern hießen die G-n Cancellarii, Consiliarii, Secretarii, Referendarii etc. Über das Gesandtschaftsrecht handeln unter den Alten Polybios in dem Buche Περὶ πρεσβειῶν (in Auszügen übrig) u. Dexippos in seiner Geschichte. Der Ursprung der ständigen G-n u. der ganzen Diplomatie ist in der Sitte der römischen Kirche zu suchen, wonach dieselbe, nachdem der Kaiserhof von Rom nach Byzanz verlegt worden war, in Byzanz einen Apocrisiarius od. Responsalis hielt, welcher seine Wohnung im kaiserlichen Palast hatte u. als Vertreter des römischen Bischofs die Angelegenheiten der Kirche vertrat. Nach der Wiederherstellung des abendländischen Kaiserthums waren die Responsales am Hofe des fränkischen Kaisers ebenso, wie vormals in Byzanz, accreditirt, hießen Apocrisiarii od. Responsales negotiorum ecclesiasticorum, Capellani od. Custodes palatii u. gehörten zu den Großbeamten des Reiches. Auch Erzbischöfe, Bischöfe u. angesehene Abteien hatten ihre Responsales in Constantinopel od. in Rom, u. das ursprünglich in Gallien heimische Wort Ambassadeur (Ambassiator, Ambasciator, Ambaxiator) kommt seit dem 9. Jahrh. häufiger auch anderwärts vor, so wie auch das englische Ambassador für jeden G. gebraucht wird. Im Mittelalter blieben, wenn auch einzelne Fälle von Verletzung der G-n bei Barbaren vorkommen, die G-n doch im Allgemeinen heilig. Als nach u. nach die Staaten geordneter wurden u. mehr mit einander in Berührung kamen, kannte man nur Eine Art von G-n, die Botschafter. Nur zuweilen waren Agenten zu Besorgung von Privatangelegenheiten, jedoch auch diese nicht für immer angestellt; zur Besorgung von Ceremonialangelegenheiten sandte man einen Hofbeamten. Im 16. Jahrh. fing man an, da die Botschafter zu kostbar waren u. auch ihre Stellvertretung des Fürsten manche Schwierigkeiten machte, Ministerresidenten an ihre Stelle einzuführen. Die Rangordnung dieser u. der Envoyés wurde erst zu Richelieus Zeit u. zur Zeit des Westfälischen Friedens festgestellt. Vgl. A. de Wicquefort, L'ambassadeur et ses fonctions, Köln 1679 u.ö.; de Martens, Manuel diplomatique, Lpz. 1822, u. Dessen Guide diplomatique, 4. Aufl. Paris 1851; Miruß, Europäisches Gesandtschaftsrecht, Lpz. 1847; E. C. Grenville Murray, Droits et devoirs des envoy és diplomatiques, Lond. 1853.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 257-259.
Lizenz:
Faksimiles:
257 | 258 | 259
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Jean Paul

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.

358 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon