[391] Brentāno, 1) Klemens, Dichter der romantischen Schule, Sohn des aus der Lombardei eingewanderten Frankfurter Kaufmanns Peter Anton B. und der Maximiliane, geborne Laroche, einer Tochter der Schriftstellerin Sophie Laroche, Bruder der Bettina v. Arnim, wurde 8. Sept. 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz geboren, wo sich gerade seine Mutter zum Besuch bei ihrer Mutter aufhielt, und starb in Aschaffenburg 28. Juli 1842. Gegen seine Neigung wurde er zum Kaufmann bestimmt, besuchte dann, da er auf keinem Kontor guttat, eine höhere Schulanstalt und ging nach seines Vaters Tod (1797) nach Jena, wo er zuerst mit den Führern der romantischen Schule in Verkehr trat und allerlei Extravaganzen ausführte. Bis 1804 reiste er dann viel und lebte abwechselnd in Dresden, Jena, Marburg (bei Savigny), Frankfurt, Wien und wieder an der Lahn und am Rhein (bei Lasaulx). Während dieser Zeit schrieb er den sinnlich-phantastischen Roman »Godwi, oder das steinerne Bild der Mutter« unter dem Pseudonym Maria (Brem. 18001802, 2 Tle.; vgl. A. Kerr, Godwi. Ein Kapitel deutscher Romantik, Berl. 1898), 1801 das von tollen Wortspielen sprudelnde, geistreiche, aber verworrene Lustspiel »Ponce de Leon« (Götting. 1804; Bühnenbearbeitung des Verfassers u. d. T.: »Valeria, oder Vaterlist« hrsg. von R. Steig, Berl. 1901; gründliche Monographie von G. Roethe: »Brentanos Ponce de Leon«, das. 1901), 1802 in Düsseldorf das Singspiel »Die lustigen Musikanten« (Frankf. 1803), 1803 die »Chronika eines fahrenden Schülers« (neue Ausg., Berl. 1872) u. a. 1803 verheiratete er sich mit Sophie Mereau, der geschiedenen Frau eines Professors in Jena, welche selbst »Gedichte« (Berl. 18001802, 2 Bde.) und mehrere Romane (»Kalathiskos« u. a.) veröffentlicht hat. 1805 siedelte er nach Heidelberg über, wo er in enger Freundschaft mit Görres und Achim v. Arnim lebte. In Gemeinschaft mit letzterm gab er die sehr verdienstliche Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« (Heidelb. 18061808, 3 Tle.; genauer Neudruck von Birlinger und Crecelius, Wiesb. 187377, 2 Bde.) und 1808 die »Einsiedlerzeitung« (»Tröst-Einsamkeit«, Neudruck von Pfaff, Freiburg 1893) heraus, die ihn und die übrigen Romantiker in Streitigkeiten mit dem alten Rationalisten J. H. Voß verwickelte. Auch schrieb er damals den »Ersten Bärenhäuter« u. a. Am 31. Okt. 1806 starb plötzlich seine Gemahlin. 1808 verlobte er sich in Frankfurt mit Auguste Busmann, der exzentrischen Nichte des Bankiers Bethmann, die er in Kassel heiratete, um sich nach kurzer Zeit wieder von ihr scheiden zu lassen. B. wandte sich nun zunächst nach Landshut, dann 1809 nach Berlin, wo er die schon früher begonnenen poesievollen »Romanzen vom Rosenkranz«, eine romantische Faustiade, aber mit antiintellektueller Tendenz, fortsetzte, die Erzählung »Der Philister vor, in und nach der Geschichte« (Berl. 1811, nur in wenigen Exemplaren gedruckt) verfaßte und seines sprühenden Witzes wegen allgemein gefeiert wurde; dann begab er sich nach Böhmen auf das Familiengut Bukowan, das sein jüngerer Bruder, Christian (geb. 1784 in Frankfurt a. M., gest. 1851; vgl. seine »Nachgelassenen religiösen Schriften«, Münch. 1854, 2 Bde.), verwaltete, und nach einjährigem Aufenthalte daselbst, während dessen er das historisch-romantische Schauspiel »Die Gründung Prags« (Pest 1815) schrieb, nach Wien (vgl. Grigorovitza, Die Quellen von K. Brentanos »Gründung der Stadt Prag«, Berl. 1901). Hier verfaßte er 1813 für das Hoftheater in wenigen Stunden das Festspiel »Am Rhein, am Rhein!« und für das Theater an der Wien das Festspiel »Viktoria und ihre Geschwister« (Berl. 1817), das jedoch nicht zur Ausführung kam, und begab sich dann wieder nach Berlin, wo er die vortrefflichen Erzählungen: »Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl«, »Die mehreren Wehmüller« und »Die drei Nüsse« schrieb. Hier vollzog sich in ihm eine tiefgehende religiöse Wandelung, durch die er, der geborne Katholik, von äußerer Weltlichkeit zu streng ultramontaner Kirchlichkeit überging. Im Herbst 1818 zog er sich nach Dülmen im Münsterschen zurück, wo er bei der visionären Anna Katharina Emmerich (s.d.) bis zu deren Tode (1824) blieb, ganze Bände ihrer Betrachtungen aufschreibend, von denen später mehrere im Druck erschienen. Dann lebte er wieder unstet in Bonn, Winkel am Rhein, Wiesbaden, Frankfurt, Straßburg (bei Görres) und Koblenz, wo er einige Zeit blieb, bis er sich 1833 in München niederließ. Als sein letztes Werk erschien 1838 das reizende, schon viel früher niedergeschriebene und damals nur überarbeitete Märchen »Gockel, Hinkel und Gackeleia« (neue Ausg., Regensb. 1880). Als er im November 1841 erkrankte, holte ihn sein Bruder Christian zu sich nach Aschaffenburg.
B. war ein Dichter von üppig wuchernder Phantasie und inniger Gefühlstiefe, der aber nicht das Höchste erreichte, weil es ihm an Gestaltungskraft und an Beharrlichkeit des Willens fehlte, seinen Werken eine künstlerisch durchgearbeitete Form zu geben. Als Lyriker (»Gedichte«, Frankf. 1854, in neuer Auswahl 1861, Paderb. 1898 u. ö.) ist B. in kleinern Liedern und Romanzen am bedeutendsten, von denen manche durch volksmäßige Einfachheit des Tons einen erquicklichen Eindruck machen. Seine »Märchen« (schon 1811 geschrieben, hrsg. von Guido Görres, Stuttg. 1848, 2 Bde.; 2. Aufl. 1879; vgl. Cardauns, Die Märchen C. Brentanos, Köln 1895) fesseln sowohl durch ihre romantische Phantastik als durch den ansprechenden Vortrag. Brentanos »Gesammelte Schriften« (hrsg. von seinem Bruder Christian) erschienen in Frankfurt 185255 in 9 Bänden, die kleinern prosaischen Schriften in neuer Ausgabe 1862 in 2 Bänden. »Ausgewählte Schriften« gaben Diel (Freiburg 1873, 2 Bde.) und J. Dohmke (Leipz. 1892) heraus. Vgl. Diel, K. B., ein Lebensbild (Freiburg 187778, 2 Bde.).
2) Lorenz, bad. Revolutionär, geb. 4. Nov. 1813 in Mannheim, gest. 18. Sept. 1891 in Chicago, studierte in Heidelberg die Rechte und ward 1837 Advokat, 1846 Abgeordneter von Mannheim in der badischen Zweiten Kammer, 1848 Mitglied der Nationalversammlung. Den republikanischen Bestrebungen von 1848 unter Hecker (s.d.) und Struve (s.d.) blieb B. fern, war aber ihr Verteidiger vor den Geschwornen zu Freiburg, in der Kammer und in der Presse. Als im Februar und März 1849 die radikale Partei zum größern Teil die Kammer verließ, trat auch er aus. Am 14. Mai übernahm er an der Spitze des Landesausschusses die Regierung Badens und vertrat die gemäßigte Richtung, und als Struve auf der Flucht zu Freiburg 28. Juni den Antrag durchsetzte, daß Unterhandlungen mit dem preußischen Okkupationsheer als Vaterlandsverrat anzusehen sei, entwich er nach Schaffhausen, von wo aus er in einem Manifest seine eigne ehemalige Partei schonungslos kritisierte. Aus der Schweiz ausgewiesen, ging B. 1850 nach Nordamerika, wo er in Michigan eine Farm bewirtschaftete. 1859 zog er nach Chicago, praktizierte hier zuerst als Advokat und leitete dann 186067 mit Erfolg als Chefredakteur die republikanische »Illinois[391] -Staatszeitung«. Auch vertrat er 1862 Chicago in der Legislatur von Illinois und stand 1868 als Präsident an der Spitze des Erziehungsrats von Chicago. 187276 war B. amerikanischer Konsul in Dresden, dann einige Zeit Mitglied des Kongresses als Repräsentant des Staates Illinois.
3) Franz, Philosoph, geb. 16. Jan. 1838 in Marienberg bei Boppard, Sohn von Christian B., dem Bruder Klemens Brentanos (s. oben 1), ursprünglich kath. Theolog, ward 1866 Privatdozent, später Professor der Philosophie zu Würzburg, legte infolge des Infallibilitätsdogmas 1873 seine Professur freiwillig nieder und übernahm 1874 eine ordentliche Professur der Philosophie an der Universität zu Wien, von welcher er 1880 gleichfalls freiwillig zurücktrat, ohne indes seine Lehrtätigkeit (als Privatdozent daselbst) aufzugeben. Außer mehreren populären Vorträgen schrieb er: »Über die mannigfache Bedeutung des Seienden nach Aristoteles« (Freiburg 1862); »Psychologie des Aristoteles« (Mainz 1867) und im Anschluß an Lotze und die neuere englische Assoziationspsychologie sein (noch unvollendetes) Hauptwerk: »Psychologie vom empirischen Standpunkt« (Leipz. 1874, Bd. 1); »Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis« (das. 1889). Durch B. ist eine Anzahl jüngerer Männer besonders angeregt worden, die dann in selbständiger Weise weitergearbeitet haben.
4) Lujo, Nationalökonom, Bruder des vorigen, geb. 18. Dez. 1844 in Aschaffenburg, studierte seit 1861 in Dublin, München, Heidelberg, Würzburg und Göttingen, begleitete 1868 den Statistiker Ernst Engel auf einer Reise nach England, wo er sich dem Studium der englischen Gewerkvereine widmete. Die Frucht desselben ist das Werk »Die Arbeitergilden der Gegenwart« (Leipz. 187172, 2 Bde.). 1872 zum außerordentlichen, 1873 zum ordentlichen Professor der Staatswissenschaften an der Universität Breslau ernannt, folgte er 1882 einem Ruf nach Straßburg, 1888 nach Wien, 1889 nach Leipzig und 1891 nach München. Andre Arbeiten von ihm sind: »Über Einigungsämter. Eine Polemik mit Dr. Alex. Meyer« (Leipz. 1873); »Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung« (2. Aufl., das. 1893); »Das Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht« (das. 1877); »Die Arbeiterversicherung gemäß der heutigen Wirtschaftsordnung« (das. 1879); »Der Arbeiterversicherungszwang, seine Voraussetzungen und seine Folgen« (Berl. 1881); »Die christlich-soziale Bewegung in England« (2. Ausg., Leipz. 1883); »Agrarpolitik« (Stuttg. 1897, Bd. 1); »Gesammelte Aufsätze« (das. 1899, Bd. 1). Mit E. Leser gibt er eine »Sammlung älterer und neuerer staatswissenschaftlicher Schriften« (Leipz., seit 1893), mit W. Lotz die »Münchener volkswirtschaftlichen Studien« (Stuttg., seit 1893) heraus.
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro