Ehe

[396] Ehe (v. althochd. êwa, altsächs. êo, »Bündnis, Vertrag, Gesetz«; vgl. Ehehaft), die nach gesetzlichen Vorschriften eingegangene Vereinigung eines Mannes und Weibes zur lebenslänglichen und ungeteilten Gemeinschaft aller Lebensverhältnisse. Die Grundlagen der E. sollen Liebe, Achtung und gegenseitige Hingebung, ihre Bedingungen gegenseitiges Sichfreuen, Dulden und Beistehen sein. In diesem Wesen der E. liegt es auch, daß dieselbe ihre Bestimmung nur als Monogamie (E. Eines Mannes mit Einer Frau) im Gegensatze zur Polygamie (Vielweiberei oder Vielmännerei) vollkommen erfüllen kann, indem nur so eine durch gegenseitige Ergänzung hervorgebrachte Einheit der Person denkbar ist.

Vorstufen und Urgeschichte der Ehe.

Die E. bestand nicht immer in den gegenwärtig vorherrschenden, geregelten Formen; so wird von [396] Skythen, Äthiopiern, Babyloniern und selbst von in Griechenland einheimischen Stämmen berichtet, bei denen sehr von unsern Ehebegriffen abweichende Verhältnisse herrschten, z. B. von einer allgemeinen Preisgebung der Weiber zu Babylon an religiösen Festen. Auch in der Neuzeit fand man bei zahlreichen Naturvölkern Zustände freiern geschlechtlichen Verkehrs, die ziemlich nahe an ein als Urform vorausgesetztes Verhältnis streifen, das man als Hetärismus, Weibergemeinschaft oder Gemeinschaftsehe (s. d.) bezeichnet hat. Gewisse Sitten und Gebräuche, Rechtsgewohnheiten und Anschauungen über die gegenseitige Verwandtschaft lassen sich nicht nur bei den gegenwärtigen Naturvölkern Amerikas, Afrikas und Australiens, sondern auch bei den Bewohnern Alteuropas und Asiens nachweisen, wie z. B. die Namens- und Erbschaftsfolge (von Besitz, Stand und Regierungsgewalt) nach der Mutter oder dem mütterlichen Oheim statt nach dem Vater, so daß z. B. die Häuptlingswürde nicht auf den leiblichen, sondern auf den Schwestersohn übergeht (Neffenrecht). Dies führte Bachofen u.a. zu der Überzeugung, daß ehemals die Mutter, statt des Vaters, ziemlich allgemein an der Spitze der Familie gestanden haben müsse, daß also das Mutterrecht (s. d.) oder Matriarchat dem Vaterrecht (Patriarchat) vorangegangen sei. Auch die alte Sitte der Adoption und Anerkennung der eignen Kinder durch den Vater deutet darauf hin, daß ehemals die Kinder Eigentum der Mutter waren, deren Namen sie erbten. Auf gleiche Ergebnisse führten sprachliche Studien über die Begriffe von den Verwandtschaftsgraden der Familienangehörigen, so z. B. die weitverbreitete Anschauung, daß der Vater mit seinen Kindern gar nicht blutsverwandt sei, so daß die Kinder bei asiatischen und amerikanischen Völkern in seine Verwandtschaft, niemals aber in diejenige der Mutter heiraten dürfen. McLennan, Morgan und andre Forscher fanden außerdem, daß in den Anredeformen und Bezeichnungen der Naturvölker Söhne und Töchter vielfach gar nicht von Neffen, Nichten und ganz fremden Kindern unterschieden werden, daß sie ebenso wie die Väter und Mütter, Großväter und Großmütter vielmehr der ganzen Geschlechtsgenossenschaft gemeinsam gewesen seien. Nach Lubbock, Post, Giraud-Teulon u.a. haben sich erst allmählich aus dieser Gemeinschaft Gruppen und Paare ausgesondert, die in polygynischer, polyandrischer oder monogamischer E. zu leben begannen, dies aber nur ausführen konnten, indem die Männer durch Raub, gewöhnlich aus fremden Stämmen (s. Exogamie), Frauen gewannen, wodurch der weitverbreitete Brauch des Brautraubes (s. Frauenraub) seine Erklärung fände.

Gegenüber dieser Auffassung haben Ad. Bastian, Starcke und namentlich Westermarck darauf hingewiesen, daß die Monogamie ein schon bei vielen Tieren bestehendes und dem Menschen durch natürliche Bedingungen, wie gleiche Geschlechterzahl der Geburten, Schwierigkeit von Haushalt und Eigentumsverhältnissen, und durch das moralische Gefühl vorgeschriebenes Verhältnis sei, das seit jeher bestanden habe, daß an dem steten Übergewichte des Mannes in der Verbindung nicht zu zweifeln sei, und daß jene Erblichkeit von Namen und Würden in weiblicher Linie, die spätere Adoption der Kinder durch den eignen Vater sowie ähnliche Sitten nichts als Ausflüsse des Mißtrauens gegen die Treue der Weiber seien. Wahrscheinlich sind diese widerstreitenden Ansichten dahin zu vereinen, daß bei niederer Kultur die Monogamie aus Mangel an Festigkeit des Bündnisses leicht in Zustände übergeht, die der Weibergemeinschaft nahekommen. Dies gilt besonders von den Geschlechtsgenossenschaften, Familien- oder Gruppenehen, wie sie unter dem Namen Punalua auf den Hawai-Inseln herrschen, und bei denen die Brüder ihre Frauen, die Schwestern ihre Männer gemeinsam haben. Im Kululande des westlichen Himalaja, auf Ceylon und sonst findet man oft 4–6 Brüder mit einer Frau zu einer Familie verbunden, deren Oberhaupt der älteste Bruder ist; die Kinder unterscheiden dann ältere und jüngere Väter. Eine ähnliche Vielmännerehe (Polyandrie), bei der die Männer aber nicht Brüder zu sein pflegen, hat man in Indien und auf Ceylon, bei den Toda, Kong, Nair und andern Stämmen im Nilgirigebirge, ferner in Tibet, an der Malabarküste, bei den Eskimo, Alëuten, Koljuschen, bei australischen und amerikanischen Indianerstämmen (z. B. bei Irokesen und am Orinoko), bei den Herero in Südafrika etc. angetroffen; hier ist dann gewöhnlich die Frau Besitzerin des Hauswesens, wie letzteres auch bei germanischen Stämmen gefunden wurde. Auf Tahiti bilden sich geheime Gesellschaften (Arreoy), deren Mitglieder ihre Frauen gemeinsam haben.

Bedeutung der Ehe bei den Kulturvölkern.

Bei den orientalischen Völkern finden wir fast überall Polygamie, und zwar als Polygynie (Vielweiberei), doch meist nur bei reichern Leuten; denn nur in seltenen Fällen vermag der Mann mehr als eine Frau zu ernähren. So ist sie bei den Chinesen erlaubt; ebenso ist in allen buddhistischen Staaten das Halten von Nebenfrauen gestattet. Bei den Persern war den Fürsten, wie auch in Ägypten, sogar die Geschwisterehe gestattet, die sich auch bei den alten Slawen fand. Die Zustände der Inder haben viel Ähnlichkeit mit denen der Chinesen; Polygynie ist erlaubt, kommt aber selten vor. Hier besteht die Unsitte der Kinderheiraten, d.h. der ehelichen Verbindung im zartesten Alter. In Ägypten war die Polygynie beschränkt, und man begegnete dort den Frauen mit mehr Achtung. Sicher ist es, daß der Priesterkaste nur Monogamie gestattet war. Bei den Juden wurde die Vielweiberei auch von Moses nicht abgeschafft; meist hatte der Mann vier Frauen, zwei wirkliche und zwei Sklavinnen. Er konnte sich ohne alles Weitere von dem Weibe scheiden und war nicht einmal verpflichtet, der Verstoßenen Unterhalt zu gewähren. Die Mädchen wurden verkauft, bisweilen um sehr sonderbare Kaufpreise (vgl. 1. Sam. 18,21 bis 27). Erst nach der Babylonischen Gefangenschaft schwand die Polygynie. Durch die höhere Bildungsstufe, auf der Griechen und Römer standen, wurde bei ihnen auch eine humanere Behandlung des weiblichen Geschlechts und eine würdigere Regelung der ehelichen Verhältnisse herbeigeführt. Von einem eigentlichen Familienleben war aber auch bei ihnen noch nicht die Rede. Durch den ihnen angebornen politischen Sinn wurden die Griechen zur Monogamie hingeleitet. Bei den Römern blieb trotz des Versuchs mehrerer Kaiser, der Polygamie Eingang zu verschaffen, die E. monogamisch. Ehelosigkeit wurde bestraft, fruchtbare Ehen dagegen begründeten gewisse Rechte (jus liberorum). Das strenge römische Zivilrecht erkennt von jeher nur eine Art der E. an unter den Namen nuptiae, justae nuptiae, justum matrimonium; aber selbst diese konnte verschiedenerlei Wirkungen haben, je nachdem sie die Ehefrau in die volle Familiengewalt (manus) des Mannes brachte oder[397] nicht. Sie war nur bei römischen Bürgern möglich und unterschied sich dadurch von dem matrimonium juris gentium, der E. zwischen Peregrinen oder zwischen römischen Bürgern und Peregrinen. Außerdem bestand noch ein gesetzlich zulässiges außereheliches Verhältnis, das Konkubinat, das nur darin von der E. verschieden war, daß die Konkubine nicht Genossin des Ranges und Standes ihres Mannes ward. Die eheliche Verbindung der Sklaven hieß Contubernium (s. d.). Bei den altgermanischen Völkern finden wir Polygynie erlaubt, kommt aber nur sehr selten (»Standes halber«, wie Tacitus sagt) vor. Besonders ausgezeichnet sind die Germanen durch ihre strenge Bewahrung der ehelichen Treue und durch die schweren Strafen, die auf deren Verletzung gesetzt waren. Bei einzelnen Völkerschaften bestand die Sitte, daß nur Jungfrauen, nicht auch Witwen, heiraten durften.

Auf mehrere Aussprüche Christi und der Apostel gestützt, erkannte die christliche Kirche von Anfang an nur die Monogamie an, die übrigens schon vorher durch die Römer verbreitet worden war. Gestützt auf Eph. 5,32, wo die E. ein Mysterium genannt wird, was die Vulgata mit Sacramentum übersetzt, legte man der E. selbst das Prädikat Sacramentum bei, und noch heutzutage erkennt die katholische Kirche die E. als eins der sieben Sakramente an. Von nur vorübergehendem Einfluß war in der ersten Zeit des Christentums der übergroße Purismus, der alle Sinnenlust und so auch den Umgang der beiden Geschlechter als etwas Sündliches betrachtete und die E. fast nur als ein notwendiges Übel duldete. Erst im Mittelalter bildete sich in der E. ein eigentliches Familienleben heraus. Das Konkubinat ward durch die Reichspolizeiordnung von 1577 als unsittlich und gemeingefährlich verboten. Neben der vollwirksamen E. kommen bei germanischen Völkern noch vor die Ehen zur linken Hand (morganatische Ehen, matrimonium ad morganaticam, matrimonium ad legem salicam), bei denen die Frau nicht Rang und Stand des Mannes teilt und die Kinder bezüglich der Sukzession in Lehen und Fideikommisse nicht die vollen Rechte haben. Ursprünglich auf die E. zwischen einer freien und einer unfreien Person beschränkt, kommt die E. zur linken Hand noch jetzt bei dem hohen Adel vor (s. Ebenbürtigkeit). Die Juden regeln heute ihre Eheverhältnisse nach den in den Ländern, wo sie sich aufhalten, herrschenden gesetzlichen Grundbestimmungen. Bei den Mohammedanern herrscht Polygynie, doch auch nur unter der reichern Klasse. Der vornehme Türke hat gewöhnlich gemäß den Bestimmungen der vierten Sure des Korans vier Weiber und außerdem noch Sklavinnen, die ihm als Konkubinen dienen. Verbo len ist die E. mit den Weibern des Vaters, mit den Müttern, Schwestern, Töchtern, Muhmen, mit den Töchtern der Brüder und Schwestern, mit den Säugammen und Milchschwestern, den Müttern der Weiber, den Stieftöchtern sowie mit schon verehelichten Weibern, mit Ausnahme der Sklavinnen. Bei den Mormonen (s. d.) gilt die Polygynie als göttliche Einrichtung. Vgl. Unger, Die E. in ihrer welthistorischen Entwickelung (Wien 1850); Post, Die Geschlechtsgenossenschaft der Urzeit und die Entstehung der E. (Oldenb. 1875); Starcke, Die primitive E. (Leipz. 1888); Giraud-Teulon, Les origines du mariage et de la famille (Par. 1884); Achelis, Die Entwickelung der E. (Berl. 1893); Westermarck, History of human marriage (3. Aufl., Lond. 1901; deutsch, Jena 1893); Kohler, Zur Urgeschichte der E. (Stuttg. 1897); Wilutzky, Vorgeschichte des Rechts, Bd. 1: Die Eheverfassungen (Bresl. 1903). – Über die Formen und Voraussetzungen der Eheschließung, Ehescheidung, Verfahren in Ehesachen s. Eherecht; über eheliches Güterrecht s. Ehegüterrecht; Statistisches s. Ehestatistik.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 396-398.
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