Falken

[290] Falken (Edelfalken, Falconinae), Unterfamilie der F. (Falconidae) aus der Ordnung der Raubvögel, kleine oder mittelgroße Vögel mit großem Kopf, kurzem Hals, relativ kurzem, kräftigem, auf der Firste stark gerundetem, spitzhakigem Schnabel, langen, spitzen Flügeln, mittellangem, mehr oder minder abgerundetem Schwanz, kurz- oder mäßig langläufigen und langzehigen Füßen. Edelfalken finden sich in allen Erdteilen und allen Gegenden; sie wandern oder streichen weit umher, viele sind Zugvögel; sie leben in Waldungen, auf Felsen und alten Gebäuden, selbst in Städten, fliegen ungemein schnell, anhaltend und geschickt, und die wahren Edelfalken können sich durch zitternde Bewegung (Rütteln) längere Zeit auf derselben Stelle schwebend erhalten; auf dem Boden sind sie sehr ungeschickt. Ihre Nahrung, besonders Vögel, fangen sie meist im Fluge, indem sie von oben herab auf dieselben stoßen (wobei sich die Vögel durch Übersteigen zu retten suchen), tragen sie an einen passenden Ort und rupfen und enthäuten sie auch z. T. vor dem Fressen; niemals fressen sie in der Freiheit Aas. Sie horsten in Höhlungen steiler Felswände, auf hohen Bäumen oder Gebäuden. Das Weibchen, das etwas größer als das Männchen ist, legt 3–7 rundliche, mehr oder minder rauhschalige, blaß rötlichbraune. dunkler punktierte und gefleckte Eier und brütet sie allein aus. Der Jagdfalke (Geier-, Gierfalke,Isländischer Falke, Großer Blaufuß, Falco rusticolus L. s. Tafel »Raubvögel«, Fig. 1), 60 cm lang, 126 cm breit, ist auf der Oberseite dunkel graublau, schwarz gebändert, am Schwanz licht graublau, dunkler gebändert, auf den Schwingen braunschwarz. Die Unterseite ist gräulich- oder gelbweiß, dunkel längsgefleckt, an den Seiten und auf den Hosen quer gefleckt. Er lebt im Norden Skandinaviens, in Nordrußland und in Sibirien, während auf Island, Grönland, Nowaja Semlja in der Größe und Färbung abweichende Vögel wohnen, von denen die der höchsten Breiten rein weiß werden. Er bevorzugt steile Seeküsten in der Nähe der sogen. Vogelberge, und nur die jungen Vögel streifen weit im Innern des Landes umher und verfliegen sich sehr selten auch bis Deutschland. Seevögel, Schneehühner, Hasen und Eichhörnchen bilden die Nahrung der Jagdfalken. Sie horsten in einer Höhle der unzugänglichen Felswand und legen vier in Gestalt und Farbe vielfach wechselnde [290] Eier. In Island und Grönland stellt man dem Jagdfalken eifrig nach, und in Nordasien wird er für die Beize gefangen. In der Gefangenschaft erreicht er selten ein höheres Alter. Der Wanderfalke (Berg-, Wald-, Stein-, Beiz-, Blei-, Blaufalke, Taubenstößer, Kleiner Blaufuß, F. peregrinus Tunst., s. Tafel »Raubvögel«, Fig. 2) ist 47–52 cm lang, 110–120 cm breit, auf der Oberseite hellgrau, dunkel gebändert; die Stirn ist grau, Kehle und die Oberbrust weißgelblich, Unterbrust und Bauch rötlichgelb, erstere braungelb gestrichelt und gefleckt, der Bauch ist dunkel gebändert; die Schwingen sind schieferschwarz, die Steuerfedern hell aschgrau gebändert. Er bewohnt die nördliche gemäßigte Zone, geht im Winter bis Südafrika, Südasien und Westindien, überwintert aber auch (namentlich das Männchen) in höhern Breiten und brütet in fast ganz Europa, Mittelasien und Nordamerika. Zugzeit März, Oktober, November. Er lebt in großen Waldungen, auch in waldlosen Gebirgen und kommt selbst in die Städte; am meisten bevorzugt er steile Felswände; er ist mutig, stark und gewandt, nährt sich fast ausschließlich von Vögeln und richtet unter Tauben, Rebhühnern, Kiebitzen arge Verheerungen an; auch Krähen, Enten, Wildgänse sind vor ihm nicht sicher. Er nistet in Felshöhlungen oder auf hohen Waldbäumen in Nestern andrer Vögel und legt im April und Mai 3–4 gelbrötliche, braun gefleckte Eier (s. Tafel »Eier I«, Fig. 38). Der Wanderfalke überläßt andern Raubvögeln sofort seine Beute, wenn sie herbeifliegen, um sie ihm abzunehmen. In der Gefangenschaft hält er sich recht gut, wenn man ihn mit Vögeln füttert. Der Baumfalke (Weißbäckchen, Lerchenstößer, Hecht-, Schmerl-, Stoßfalke, F. subbuteo L, s. Tafel »Raubvögel«, Fig. 3), 35 cm lang, 83 cm breit, auf der Oberseite blauschwarz, am Kopfe grau, im Nacken weißfleckig, mit schwärzlichen, rostgelb gekanteten Schwingen und schieferblauem Schwanz, deren Federn innen rostgelbrot gezeichnet sind. Die Unterseite ist weiß oder gelblichweiß, schwarz längsgefleckt, Hosen, Steiß- und Unterschwanzdeckfedern sind rostrot. Er bewohnt fast ganz Europa und das gemäßigte Asien, lebt bei uns von April bis September, geht im Winter selten bis Nordafrika und Indien, findet sich besonders in Laubhölzern der Ebene, lebt stets paarweise, jagt Lerchen und Schwalben, auch Heuschrecken, Wasserjungfern etc., horstet auf hohen Bäumen, seltener auf Felsen oder auf dem Boden und legt im Juni und Juli 3–5 weißliche oder rötliche, gelbrötlich und rotbräunlich gefleckte Eier. Er hält sich sehr gut in der Gefangenschaft, wird zahm und wurde früher auch zur Falkenjagd benutzt. Der Turmfalke (Mauer-, Rot-, Mäuse-, Rüttelfalke, Cerchneis tinnuncula L., s. Tafel »Raubvögel«, Fig. 4), 35 cm lang, 74 cm breit, am Kopf, Nacken und Schwanz aschgrau, letzterer mit blauschwarzen, weiß gesäumten Endbinden, mit rostrotem Mantel, alle Federn mit dreieckigen Spitzflecken, an der Kehle weißlichgelb, an Brust und Bauch schön rotgrau oder blaßgelb, schwarz längsgefleckt; die Schwungfedern sind schwarz, heller gesäumt. Das Weibchen ist oben bräunlichrot, schwarz gefleckt, der Schwanz graurötlich, an der Spitze breit und schmal gebändert, der Bürzel rein aschgrau, auf der Unterseite wie das Männchen gefärbt. Der Turmfalke bewohnt Europa und das gemäßigte Asien, weilt bei uns vom März oder Anfang April bis September und Oktober, geht im Winter bis Südafrika und Indien, doch bleiben einzelne auch in Deutschland. Er findet sich besonders in Feldgehölz, Ruinen, auch in Städten, lebt von Mäusen, Kerbtieren, Eidechsen, Fröschen und fängt wohl auch kleinere Vögel, ist aber jedenfalls sehr überwiegend nützlich. Er streicht meist niedrig über den Boden, nistet in Krähen- oder Elsternestern, Mauer- oder Baumlöchern und bildet bisweilen Brutansiedelungen. Das Weibchen legt im April bis Ende Juni 4–9 weiße oder rostgelbe, braunrot gefleckte und punktierte Eier (s. Tafel »Eier I«, Fig. 39), die zuweilen mit vom Männchen ausgebrütet werden. In der Gefangenschaft werden jung eingefangene Turmfalken sehr zahm. Von andern F., die bisweilen in Deutschland erscheinen, sind noch zu erwähnen: der Rotfußfalke (Abendfalke, Cerchneis vespertina L.), in Ostdeutschland ziemlich regelmäßig auf dem Zuge im April bis Mai und im September, ein unregelmäßiger Gast im übrigen Deutschland, in Österreich und der Schweiz, Brutvogel in Osteuropa. Der Merlinfalke (Stein-, Blau-, Zwergfalke, Cerchneis merilla Gerini, F. aesalon Tunst.), Durchzugvogel im April und Oktober, vereinzelt auch im Winter, brütet in Skandinavien und Nordrußland. Der Rötelfalke (C. Naumanni Fleisch., F. cenchris Naum.), in Südeuropa, Nordafrika, Südwest- und Mittelasien, ist seltener Gast in Deutschland. Der Würgfalke (Sakerfalke, Blaufußfalke, F. cherrug Gr., lanarius Naum.), in Südosteuropa, Südwest- und Mittelasien, ein sehr seltener Gast im östlichen Deutschland, brütet in der Umgegend von Wien.

Mythologisches. Falkenjagd.

Der Falke erscheint in der Mythologie gewöhnlich als göttlich, allem Diabolischen feindlich. Indra erscheint oft in Gestalt eines Falken, er tötet die feindlichen Dämonen und bringt den Menschen die Götterspeise. Der Falke ist gewöhnlich eine glänzende Gestalt und tritt oft in Gegensatz zu dem düstern Adler (Kriemhildens Traum). Nach Homer war der Falke der schnelle Bote Apollons. Nach dem Tode hat er die Fähigkeit, zu prophezeien; er wehklagt über einen Leichnam, scharrt Unbegrabene ein, lebt 700 Jahre und besitzt sehr viele Heilkräfte. In Ägypten war er ein heiliger Vogel, ein von einem Quadrat umschlossener Falke war das Symbol der Hathor; auf ägyptischen Reliefs und Gemmen findet sich Osiris mit einem Falkenkopf. Auch im slawischen Altertum wurde der Falke verehrt und in den Götterhainen gehegt. Im Mittelalter galt der Falke als eins der unterscheidenden Zeichen des Ritters (daher auf Grabmälern). Nach einem Gesetz vom Jahr 818 sollten Schwert und Falke im Besitz des Besiegten bleiben. Der Falke war auch das Feldzeichen Attilas.

Zur Falkenjagd (Falknerei, Falkonerie, Falkenbeize, Beizjagd) wurden in früherer Zeit als »Edelfalken« hauptsächlich der im Norden vorkommende Jagdfalke (Falco rusticolus) sowie der weitverbreitete Wanderfalke (F. peregrinus) und der den Südosten Europas bewohnende Würgfalke oder Blaufuß (F. cherrug) abgerichtet. Ritter und Edelfrauen trugen ihre Lieblingsfalken auf der Faust. Hierzu wurden die flügge gewordenen Jungen aus den Horsten genommen, lieber aber alte Vögel gefangen (s. Falkenfang). Man befestigte an ihren Füßen (Händen) schmale Lederriemen, Kurz- u. Langfesseln, und setzte ihnen eine die Augen bedeckende Kappe (Haube) auf. Durch Hunger und Schlaflosigkeit, welch letztere man durch unausgesetztes Schaukeln des Vogels in einem Tonnenreifen verursachte, brachte man sie zuerst dahin. daß sie, an der Fessel gehalten, ruhig auf der linken,[291] mit einem starken Lederhandschuh bekleideten Faust saßen und nach abgehobener Kappe vorgehaltenes Fleisch kröpften (fraßen). Dann wurde der Falke daran gewöhnt, daß er nach der vorgehaltenen Ätzung gestrichen kam und sich zum Kröpfen auf die Faust setzte. Zur Jagd wurde er dadurch abgerichtet, daß man ihn an einem an der Kurzfessel befestigten Faden auf eine an den Flügeln beschnittene Taube, später ohne Faden frei auf eine ungestutzte Taube stoßen ließ. War er so weit gebracht, daß er durch vorgehaltenes Fleisch oder durch die an eine Schnur gebundenen Flügel einer weißen Taube (Federspiel), unter dem Ruf »Hilo« angelockt, mit dem gefangenen Vogel auf die Faust gestrichen kam, so war er zur Jagd fertig abgerichtet (abgetragen).

Die Falkenjagd hatte einen besondern Reiz, weil die Damen sich daran mit Vorliebe beteiligten. Vorzugsweise gebeizt wurde der Reiher (Fischreiher), der deshalb auch zur hohen Jagd gehörte (Reiherbeize). Die berittene Jagdgesellschaft ließ durch Stöberhunde Weiher und Gewässer mit Röhricht absuchen. Wenn diese einen Reiher auftaten, wurde dem Jagdfalken die Kappe abgehoben, und sobald er die Beute gewahrte, ward er von der Faust auf dieselbe geworfen. Der Reiher suchte nun dem Falken dadurch zu entgehen, daß er sich schraubenförmig immer höher erhob, damit ihn der Falke nicht übersteigen könne. Gelang dies dem letztern dennoch, so stieß er auf den Reiher und brachte ihn zu Boden. Öfters glückte es auch diesem, den herabschießenden Falken auf den ihm entgegengestreckten Schnabel zu spießen. Dem gebeizten Reiher pflegte man wohl um den rechten Ständer (Fuß) ein Silberplättchen zu legen, auf dem Tag und Ort des Fanges eingraviert waren. Außerdem wurden auch Fasanen, Rebhühner etc. gebeizt. Die Jäger, die das Abtragen und die Wartung der F. zu besorgen hatten, hießen Falkeniere, Falkoniere, Falkener. Sie trugen ihre mit der Kappe (Falkenhaube, Falkenkappe) bedeckten Beizvögel auf einem etwa 1,5 m langen, 1 m breiten, leichten hölzernen Rahmen, an dem diese angefesselt waren (Falkentrage), und führten am Gürtel das Federspiel. Die Falkenjagd währte vom Dezember bis Juni. Ein gewöhnlicher Falke diente kaum drei Jahre. Schon um 400 v. Chr. richteten die Inder F. ab. 75 n. Chr. jagten die Thraker mit F. Der Sohn des römischen Kaisers Avitus soll die Falkenbeize in Rom eingeführt haben, von wo sie sich schnell weiter verbreitete. Karl d. Gr. regelte die Falkenjagd durch Gesetze und verbot sie allen Unfreien. Kaiser Friedrich I. richtete selbst F. ab, und Friedrich II. war der geschickteste Falkenier seiner Zeit und schrieb darüber »De arte venandi cum avibus« (Augsb. 1596; mit andern Schriften hrsg. von Schneider, Leipz. 1788; deutsch, mit Originalzeichnungen und einem Wörterbuch von Schöpffer, Berl. 1896), das von seinem Sohn, dem König Manfred, mit Anmerkungen versehen wurde. Um 1270 schrieb Demetrius, wahrscheinlich Arzt des griechischen Kaisers Michael Paläologos, ein Buch über die Falknerei (Par. 1612). Franz I. von Frankreich, unter dem die Falkenjagd ihre Glanzperiode feierte, hatte einen Oberfalkenmeister, unter dem 15 Edelleute und 50 Falkoniere standen; die Zahl seiner F. betrug 300. In Preußen errichtete der Hochmeister Konrad von Jungingen 1396 beim Ordenshaus eine eigne Falkenschule. Die besten Falkeniere wurden in dem Dorfe Falkenwerth in Flandern gebildet; sie holten die Vögel aus Norwegen und Island, früher auch aus Pommern, singen auch viele F. in der Umgegend, behielten aber von den gefangenen meist nur die nicht über zwei Jahre alten Weibchen. Im 18. Jahrh. kam die Falkenbeize allmählich aus der Mode, und nur noch in England zu Bedford und zu Didlington Hall in der Grafschaft Norfolk hat sie sich bis in die neueste Zeit erhalten. Auch im Loo, einem Landgut des Königs von Holland, wurde bis 1853 mit F. gejagt. Am großartigsten ist die Falkenjagd von jeher in Mittelasien getrieben worden, und Marco Polo erzählt von 10,000 Falkenieren und Vogelstellern, die ein Chan von Chiwa mit auf die Jagd nahm. Ebenso berichtet Tavernier von den zahlreichen F. des Königs von Persien, die auch auf wilde Schweine, wilde Esel, Antilopen, Füchse dressiert waren. Auch neuere Reisende fanden in Persien, Chiwa, bei Baschkiren und Kirgisen überall abgerichtete F., ebenso jagen die Inder und die Beduinen der Sahara noch heute mit F. Vgl. außer den alten Jagdbüchern von Mynsinger (hrsg. von Haßler, Stuttg. 1863), Hicfelt (hrsg. von Dombrowski, Wien 1886), Pomay (mit Abbildungen von Jost Amman, Stuttg. 1886) u. a.: Schlegel und Verster van Wulverhorst, Traité de fauconnerie (Leiden 1845–53); Salvin u. Brodrick, Falconry in the British isles (2. Aufl., Lond. 1873); Freeman und Salvin, Falconry, its claims, history etc. (das. 1859); Magaud d'Aubusson, La fauconnerie (Par. 1879); Foichtinger, Geschichte der Falkenjagd (Leipz. 1878); Harting, Hints on the management of hawks (2. Aufl., Lond. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 290-292.
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