Hildesheim [2]

[328] Hildesheim (neulat. Hildesia), Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks (s. unten) in der preuß. Provinz Hannover und Stadtkreis, an der Innerste, 89 m ü. M., besteht aus der Altstadt und Neustadt, die seit 1583 zu einem Gemeinwesen vereinigt sind, und der sogen. Freiheit (Residenz des Bischofs).

Wappen von Hildesheim.
Wappen von Hildesheim.

Der uralte Ort enthält im Innern noch viele enge und winklige Straßen, besetzt mit altertümlichen Häusern, deren obere Stockwerke überragen und mit Erkern und reichem Schnitzwerk versehen sind. Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (4 evangelische und 5 kath. Kirchen und eine Synagoge) behauptet der katholische Dom, ein 62 m langes, 30 m breites Gebäude, die erste Stelle. Der Grundbau stammt aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrh., hat aber später manche Veränderung erfahren. Neuerdings sind die Innenwände restauriert und farbig ausgemalt worden. Besonderes Interesse gewähren die aus dem frühesten Mittelalter stammenden Kirchengeräte (Domschatz), die ehernen Torflügel (von 1015) mit Reliefs vom Bischof Bernward (s. d.) aus der Geschichte der ersten Menschen (s. Tafel »Bildhauerkunst VII«, Fig. 2) und Jesu Christi, ein ehernes Taufbecken aus dem 13. Jahrh., zwei romanische Reliquienkasten des heil. Godehard und des heil. Epiphanius und zwei große Kronleuchter aus dem 11. Jahrh. Die etwas unansehnlichen Türme tragen ein herrliches Geläute. Vor dem Ausgang zum Chor steht die sogen. Irmensäule (s. d.), und an der Außenwand der Grabkapelle breitet der berühmte tausendjährige Rosenstock, 8 m hoch und 10 m weit, seine Zweige aus (vgl. darüber die Schriften von Römer, Hildesh. 1892, und Bank, das. 1904); den innern Friedhof umgibt ein romanischer Kreuzgang. In einem Seitenraum endlich (früher auf dem Domhof) erhebt sich die 4 m hohe Christussäule (von 1022) aus Erzguß, auf der die Geschichte Christi dargestellt ist (vgl. Wiecker, Die Christus- oder Bernwardsäule, Hildesh. 1874). Auf dem Domhof befindet sich das Standbild des Bischofs Bernward, von Hartzer. Von den übrigen Kirchen verdienen Erwähnung: die St. Godehardikirche (1133–72 erbaut, 1863 restauriert), ein Meisterwerk romanischen Stiles mit drei pyramidenförmigen Türmen; dann die Michaeliskirche, eine großartige romanische Basilika mit einer kürzlich hergestellten, das Grab des Bischofs Bernward enthaltenden Unterkirche und einer kunstvoll bemalten Holzdecke aus dem 12. Jahrh.; die Magdalenenkirche mit zwei kostbaren Leuchtern aus Bernwards Werkstatt und dem sogen. Bernwardskreuz; die Martinikirche, die das städtische Museum enthält; die Andreaskirche, die Hauptkirche der Evangelischen, ist mit einem 118 m hohen Turm versehen. Andre ausgezeichnete Gebäude sind: das alte angebliche Tempelherrenhaus, das Rathaus (um 1440 erbaut), mit einer Halle, die durch Hermann Prell mit Freskomalereien aus der Geschichte Hildesheims geziert ist, davor ein schöner Springbrunnen, das frühere Trinitatishospitalgebäude, das Michaeliskloster (jetzt als Irrenanstalt benutzt), die alte Kartause, das Knochenhaueramthaus von 1529, überaus reich an plastischem Schmuck, das Wedekindsche Haus von 1598, das Rolandhospital von 1611, das Kaiserhaus von 1586, der Wiener Hof von 1609, die Neustädter Schenke von 1550 und viele andre reichgeschmückte Fachwerkhäuser. Außer dem Bernwarddenkmal hat die Stadt noch ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (modelliert von Professor Lessing) und ein Denkmal des Senators Römer. Die Zahl der Einwohner beläuft sich (1900) mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 79) auf 42,973 Seelen, davon 14,236 Katholiken und 617 Juden. H. hat eine Zuckerraffinerie, Gummiwarenfabrik, Eisengießereien, bedeutende Konservenfabrik, Mühlsteinfabrikation und Steinhauerei, Fabrikation von Ofen, Kochherden, Maschinen, Wagen, Turmuhren, Hohlglas, Wasserglas, Tapeten, Malz, Schokolade, Tabak, Zigarren etc., Glockengießerei, Lohgerberei, Bierbrauerei und zwei Kunstmühlen. Ein Elektrizitätswerk ist im Bau. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Produktenbörse sowie durch eine Reichsbanknebenstelle etc., befaßt sich außer den dort gewonnenen Fabrikaten vorzugsweise mit Zucker, Getreide, künstlichen Dungmitteln und andern Erzeugnissen und Bedürfnissen der Landwirtschaft. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Bahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Braunschweig-Löhne und Lehrte-Grauhof sowie der H.-Peiner Kreisbahn. An Bildungs- und sonstigen Anstalten befinden sich dort: ein evangelisches und ein kath. Gymnasium, ein Realgymnasium, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, eine Landwirtschaftsschule mit Ackerbauschule, kath. Schullehrerseminar, kath. Priesterseminar, Baugewerk-, Handwerker- und Handelsschule, ein städtisches Museum (Römermuseum) mit wertvollen Sammlungen, das Andreasmuseum, besonders für Architektur, Konservatorium für Musik, Taubstummenanstalt, Irrenanstalt,[328] 2 Waisenhäuser, Rettungshaus, 3 Damenstifter, ein Kloster der Barmherzigen Schwestern etc. H. ist Sitz der königlichen Regierung für den Regierungsbezirk H., der Landratsämter für den Landkreis H. und den Kreis Marienburg in Hannov., eines Landgerichts, Hauptsteueramts, einer Spezialkommission, eines Generalsuperintendenten, eines Bischofs, Domkapitels und Generalvikariats. Die städtischen Behörden zählen 8 Magistratsmitglieder und 18 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk H. gehören die elf Amtsgerichte zu Alfeld, Bockenem, Burgdorf, Elze, Fallersleben, Gifhorn, Goslar, H., Liebenburg, Meinersen und Peine. Im W. von H. liegt auf einer Anhöhe das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz (um 1054 gegründet, 1810 aufgehoben); im O. lag das Stift St. Bartholomäus zur Sülte (1147 errichtet, 1802 aufgehoben); im S. liegen das Gut Söder, mit einem Schloß, und Ottbergen, ein Wallfahrtsort.

H. entwickelte sich erst mit der Verlegung des Bistums von Elze hierher (s. oben). Bischof Bernward (gest. 1022) ummauerte die Stadt. Handel und Gewerbe gediehen daselbst; namentlich waren die Hildesheimer Goldschmiedearbeiten bis zum Ende des Mittelalters hochberühmt. Daneben wurden Künste und Wissenschaften gepflegt, und zahlreiche Fürstensöhne (darunter die Kaiser Otto III. und Heinrich II.) sind auf der Domschule von H. erzogen worden. 1249 erhielt H. vom Bischof eine schriftliche Auszeichnung des Stadtrechts und trat später der Hansa bei. H. lag, zuweilen von den Welfen unterstützt, mit seinen Bischöfen häufig in Fehde und schloß seit dem 14. Jahrh. wiederholt Schutzbündnisse mit dem Haus Braunschweig-Lüneburg. Die Hildesheimer Stiftsfehde (s. oben, S. 327) brachte mit dem Stift auch die Stadt in die Acht, doch schlug sie 1522 den Angriff der Herzoge von Braunschweig ab. 1542 ward in derselben die Reformation eingeführt; am 10. Okt. 1632 wurde sie von den Kaiserlichen unter Pappenheim eingenommen, doch erhielt durch die Kapitulation vom Juli 1634 die protestantische Partei wieder die Oberhand. 1802 kam die Stadt an Preuf;en, 1807 an Westfalen, 1813 an Hannover und 1866 mit dem Königreich Hannover abermals an Preußen. Vgl. »Urkundenbuch des Hochstifts H.«, herausgegeben von Janicke und Hoogeweg (Hannov. 1896–1903, Bd. 1–3, bis 1310); Lüntzel, Geschichte der Diözese und Stadt H. (Hildesh. 1858, 2 Bde.); W. Wachsmuth, Geschichte von Hochstift und Stadt H. (das. 1863); Delius, Die Hildesheimische Stiftsfehde des Jahres 1519 (Leipz. 1803); Bertram, Geschichte des Bistums H. (Hildesh. 1899 ff., 2 Bde.) und Die Bischöfe von H. (Denkmäler und Geschichte, das. 1896); Bauer, Geschichte von H. (das. 1891); Mithoff, Kunstdenkmale und Altertümer im Hannoverschen, Bd. 3: Fürstentum H. (Hannov. 1874); Döbner, Urkundenbuch der Stadt H. (Hildesh. 1880–1901, Bd. 1–8, bis 1597 reichend) und Studien zur Hildesheimischen Geschichte (das. 1902); Lachner, Die Holzarchitektur Hildesheims (das. 1882); Cuno, Hildesheimer Künstler und Kunsthandwerker im Mittelalter (das. 1886); Römer, Geologische Verhältnisse der Stadt H. etc. (Berl. 1883); Seifart, Sagen, Märchen, Schwänke und Gebräuche aus Stadt und Stift H. (2. Aufl., Hildesh 1889); Führer durch H. von Behr (6. Aufl. 1902), Cassel (5. Aufl. 1903), Moormann (7. Aufl. 1904).

Der Regierungsbezirk Hildesheim (s. Karte »Hannover«), 5352 qkm (97,20 QM.) groß, zählt (1900) 526,758 Einw. (98 auf 1 qkm), davon 437,299 Evangelische, 85,657 Katholiken und 2697 Juden, und besteht aus den 17 Kreisen:

Tabelle

Über die betreffenden Reichstagswahlkreise des Regierungsbezirks s. Karte »Reichstagswahlen«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 328-329.
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328 | 329
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