[281] Johannes (Johann, hebr. Jehochanán [»Gottesgabe«], griech. Ioannes), 1) J. der Täufer, eine von der christlichen Sage schon früh mit Vorliebe erfaßte und in möglichst nahe Beziehung zu Jesus von Nazareth gebrachte, nichtsdestoweniger aber wahrhaft geschichtliche Gestalt. Er trat in der Wüste Juda und am untern Jordan als Asket und Prophet auf, sammelte Jünger um sich und verkündigte die Nähe des von den alten Propheten geweissagten Reiches Gottes, aber so, daß er als Vorbedingung für dessen Kommen Buße und Bekehrung forderte und der Verpflichtung dazu durch das Symbol der Wassertaufe im Jordan Ausdruck gab. Auch auf Jesus Christus (s. d.) übte J. einen tiefgehenden Einfluß aus, wie ihn jener denn auch geradezu für seinen Vorläufer erklärte, in dessen tragischem Ende er die Weissagung des eignen Geschickes erkannte (Matth. 17,11 f.; Mark. 9,12 f.). Dieses Ende bringen die Evangelien mit der Geschichte der Herodias (s. d.) in Verbindung. Anders berichtet Josephus (Antiqu. XVIII, 5,2) den Hergang, indem er als Motiv der Enthauptung des J. auf der Bergfestung Machärus (spätestens 34 n. Chr.) die Furcht vor der durch seine Reichspredigt hervorgerufenen Volksbewegung angibt, welch letztere leicht zu einer Umwälzung hätte führen können. Vgl. Köhler, Johannes der Täufer (Halle 1884).
2) J. der Apostel, einer der Vertrauten Jesu, Sohn des Fischers Zebedäus und der Salome, Bruder des ältern Jakobus, trieb das Gewerbe seines Vaters am See Genezareth und gehörte zu den Erstberufenen in Jesu Nachfolgeschaft. Die synoptischen Evangelien schildern ihn und seinen Bruder als heftige. ehrgeizige, sogar zur Gewalttat neigende »Donnerskinder«, während das seinen Namen tragende vierte Evangelium in ihm den sanften und treuen Lieblingsjünger sieht, der selbst beim Tode Jesu in dessen Nähe ausharrt und von dem sterbenden Meister die Weisung empfängt, sich der Mutter desselben als Sohn anzunehmen. In der Urgemeinde hat er als eine der »Säulen«, der Autoritäten der judenchristlichen Richtung, eine führende Stellung eingenommen. Daß er mit seinem Bruder Jakobus von Juden getötet wurde, läßt sich aus Mark. 10,19 in Verbindung mit einer bestimmten Angabe bei Papias (s. d.) von Hierapolis wahrscheinlich machen. Der spätern[281] kirchlichen Überlieferung zufolge soll er nach Kleinasien übergesiedelt sein und von Ephesos aus eine oberhirtliche Tätigkeit entfaltet haben. Daß er unter Domitian auf die Insel Patmos verwiesen worden und unter Nerva zurückgekehrt sei, beruht auf Offenb. 1,9 und hängt zusammen mit der Annahme, daß der Verfasser der Apokalypse mit dem Jünger Jesu identisch sei. Aber sowohl diese Annahme wie überhaupt die Tradition von dem ephesinischen Aufenthalt eines Zwölfapostels haben in neuer Zeit starke Anfechtung erfahren, und man will in der judenchristlichen Autorität, die nach den Zeiten des Apostels Paulus in Ephesos unter dem Namen J. auftritt und wahrscheinlich in der Apokalypse sich bezeugt, sogar einen andern J. finden, den der gegen 150 schreibende Papias den Presbyter J. nennt. Dann wären auf diesen J. auch die kirchlichen Zeugnisse zu beziehen, denen zufolge J. zu Ephesos als der letzte der Apostel während der Regierung Trajans eines natürlichen Todes gestorben sein soll. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. verdichtet sich diese Form der Johannislegende, und die spätere Kirche hat sie noch mehr ausgeschmückt. In der katholischen Kirche ist der 27. Dezember sein Gedächtnistag. Den Namen des Apostels J., als des Verfassers, tragen in unserm neutestamentlichen Kanon ein Evangelium, drei Briefe und eine prophetische Schrift, die Apokalypse oder Offenbarung des J.
Das Evangelium des Johannes unterscheidet sich wesentlich von den drei ältern Evangelien. Es gibt in großen Zügen einerseits ein Gemälde des Widerstreits der Welt gegen die in dem menschgewordenen Gottessohn geoffenbarte Wahrheit, anderseits ein Bild der innern Beseligung der Auserwählten, die sich ihm als dem Lichte des Lebens hingeben. Nicht Taten und Aussprüche, vom Gedächtnis bewahrt, sind dem Verfasser die Hauptsache, sondern Ideen, von der Spekulation erzeugt, vom Gefühl empfangen und als Glaube geboren. Soll J. dieses Buch überhaupt geschrieben haben, so müßte es erst gegen Ende seines Lebens in Ephesos geschehen sein, woselbst eine Berührung mit der alexandrinischen Spekulation, wie sie die Ausführung über den Logos (s. d.) im Anfang des Evangeliums voraussetzt, denkbar wäre. Freilich weisen innere Zeitspuren das Werk in das 2. Jahrh., vielleicht schon in die Blütezeit der Gnosis. Aus den zahlreichen Kommentaren verdienen Hervorhebung die von Lücke (3. Aufl., Bonn 1840, 1843, 1856, 3 Tle.), Tholuck (7. Aufl., Gotha 1857), Meyer (8. Aufl. von Weiß, Götting. 1893), De Wette (5. Aufl. von Brückner, Leipz. 1863), Hengstenberg (2. Aufl., Berl. 1867 bis 1870, 3 Bde.), Ewald (Götting. 1862, 2 Bde.), Luthardt (2. Aufl., Nürnb. 1875), Keil (Leipz. 1881), Westcott (Lond. 1882), Schanz (Tübing. 1889), Godet (3. Ausg., Neuchâtel 188185, 3 Bde.; deutsch, 3. Aufl., Hannov. 189092), Wahle (Gotha 1888), Bugge (deutsch, Stuttg. 1894) und H. Holtzmann (2. Aufl., Freiburg 1893). Vgl. außerdem Thoma, Die Genesis des Johannesevangeliums (Berl. 1882); O. Holtzmann, Das Johannesevangelium (Darmst. 1887); Baldensperger, Der Prolog des vierten Evangeliums (Freib. 1898); Wrede, Charakter und Tendenz des Johannesevangeliums (Tübing. 1903); Schwartz, Über den Tod der Söhne Zebedäi (Berl. 1904). S. auch Evangelium und Jesus Christus (besonders S. 247).
Von den Briefen des J. ist der erste der bei weitem bedeutendere. Derselbe bildet ein untrennbares Seitenstück zu dem Johanneischen Evangelium und führt insonderheit die praktische Seite der dort niedergelegten Ideen aus. Er knüpft weit mehr als das Evangelium an die Verhältnisse der Wirklichkeit an und bekämpft namentlich die antinomistische Gnosis, aber der Grundgedanke ist auch hier die Realität des im Fleisch erschienenen Heils und die durch die Gemeinschaft des Glaubens und der Heiligung bedingte Liebe der Gläubigen untereinander. Die zweite und dritte Epistel sind kleine Handschreiben mit vieldeutigen Adressen. Ihr Verfasser nennt sich Presbyter, was auf die Hypothese vom Presbyter J. zurückweist.
Die Offenbarung des J. (Apokalypse) entstand nach herkömmlicher Ansicht, als die Nähe der über Jerusalem hereinbrechenden Katastrophe und die blutige Christenverfolgung unter Nero in den Gemütern, besonders der ehemaligen Juden, die ganz Farbenglut der messianischen Hoffnungen wieder erweckten und man zuversichtlich einer in der nächsten Zukunft eintretenden allgemeinen Umwälzung entgegensah, die mit der Läuterung Jerusalems und mit Roms Untergang beginnen und mit Christi Wiederkunft, der Auferstehung der Toten und mit dem Weltgericht endigen sollte. Kleidet der Verfasser dieie Erwartungen auch in Visionen nach Art der alttestamentlichen Propheten, namentlich Da niels, ein und entlehnt von denselben seine Farben, Symbole und Bilder, so bleibt ihm doch das Verdienst der Vereinigung verschiedener Elemente zu einem Ganzen und einer gewissen Virtuosität in der symmetrischen Anordnung der Bilder und in der stufenmäßigen Entwickelung der Szenen. Als poetisches Werk hat diese Apokalypse alle Eigenschaften morgenländischer Dichtung. Der brennende Hauch des Ostens belebt ihre Bilder, eine üppige Phantasie opferte die Schönheit der Kühnheit, und das Menschlich-Ansprechende weicht dem Gigantisch-Abstoßenden. Das Buch ist frühestens zwei Jahre vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben und setzt die Sage von dem aus dem Tode zum Leben zurückgekehrten Nero voraus. Dagegen paßt die vorausgesetzte Verfolgung der Christen wegen verweigerten Kaiserkultus eher in die Zeit Domitians, in welche die alte Kirche sie verlegte, während neuere Kritiker die doppelten Zeitspuren benutzen, um eine schichtenweise Entstehung des Ganzen auf jüdischer Grundlage wahrscheinlich zu machen. Der Verfasser nennt sich J., und die Überlieferung sieht in diesem den Apostel J., während andre den sogen. Presbyter als den Begründer der judaistisch-apokalyptischen Reaktion gegen die Paulinische Fortbildung der kleinasiatischen Gemeinden darstellen. Sprachliche und sachliche Gründe verbieten, dies Werk und das sogen. Evangelium des J. Einem Verfasser zuzuschreiben. Kommentare schrieben neuerdings Ewald (Götting. 1862), De Wette (3. Aufl. von Möller, Leipz. 1862), Düsterdieck (3. Aufl., Götting. 1877; neubearbeitet von Bousset, das. 1896), Hengstenberg (2. Aufl., Berl. 1862), Bleek (das. 1862), Volkmar (Zürich 1862), Kliefoth (Leipz. 1874), Bisping (Münster 1876), Spitta (Halle 1889), H. Holtzmann (2. Aufl., Freiburg 1893). Vgl. außerdem E. Vischer, Die Offenbarung Johannis eine jüdische Apokalypse in christlicher Bearbeitung (Leipz. 1886); J. Weiß, Die Offenbarung des J. (Götting. 1904). S. Chiliasmus und Apokalyptik.