Mithra

[324] Mithra (in den späteren Pehlewi- u. Parsischriften: Mihir), eine altarische Gottheit, welche in den Veda's der alten Inder zu den Söhnen der Aditi gehört, als die Gottheit des Lichts zu fassen ist u. gewöhnlich mit Varunas (Uranos der Griechen), dem Gott der Luft od. des Himmels, bes. des nächtlichen, vorkommt. Beide Gottheiten fahren wie Könige auf herrlichen Wagen daher; beiden wird die Wahrhaftigkeit u. der Schutz gegen die Lüge zugeschrieben, während die Allwissenheit wie das Amt eines Zeugen u. Richters für alle Thaten des Menschen mehr ein Attribut des Varuna allein ist. In der Zendreligion erscheint M. als das von Ahura geschaffene, alles durchdringende u. belebende Licht u. zwar in seinem Unterschied von Sonne, Mond u. Gestirnen aufgefaßt; er hat seinen Wohnsitz auf dem hohen Berge Hara, ist mit zehntausend Augen u. gleichviel Ohren begabt, allwissend, unbeirrt, weise, schlaflos u. wachsam, daher Zeuge aller Gedanken, Worte u. Werke u. somit auch Repräsentant der Wahrheit, Gerechtigkeit u. Treue. Als personificirte Wahrheit u. Treue, muß M. zwischen den verschiedenen Ständen, Menschen u. Ländern bestehen, ist Schützer alles Verkehrs unter den Menschen, wird daher auch von allen, namentlich den Armen u. Unterdrückten, aber auch den in die Irre geführten Rindern, um Hülfe angerufen u. läßt seinen furchtbaren Grimm Alle empfinden, welche ihn verletzen. Er fährt als gewaltiger Krieger daher auf seinem Schlachtwagen, angethan mit goldenem Helm, silbernem Panzer u. allerlei Waffen u. begleitet von den Genien der Gerechtigkeit (Raschnu), des Sieges (Verethraghna) des Fluches (Damois upamana) u. der Reinheit (Aschi). Als Repräsentant des Lichtes u. der Wahrheit ist er vorzugsweise der Vernichter der Dämonen u. deren Einflüsse auf die Natur u. den Menschen. Auch wurde der Gott von den Ormuzddienern in nächste Verbindung mit Tod u. Unsterblichkeit gesetzt u. war wahrscheinlich mit Raschnu auch Theilhaber an dem Gericht über die Todten, welches an der Brücke Tschinvat stattfindet. Außer in Bactrien, der Heimat des Zoroastrismus, wurde M. auch in Medien u. Persien allgemein verehrt. Während der Herrschaft der Perser hatte sich sein Cultus fast über ganz Vorderasien verbreitet, mag aber hier schon viel fremde Beimischung erfahren haben. In noch viel höherem Grade war dies der Fall, als sich der Mithradienst seit etwa 70 v. Chr. über den ganzen Occident verbreitete; namentlich wird er in nachchristlicher Zeit von Schriftstellern sowohl, wie auch auf den zahlreichen Monumenten, welche in allen Theilen des Römischen Reiches zum Vorschein gekommen sind, mit dem Sonnengott identificirt (Deo soli invicto Mithrae ist eine stehende Formel). Auf diesen Monumenten wird er dargestellt als Jüngling, am Eingange einer Höhle, mit phrygischer Mütze, fliegendem Mantel u. orientalischem Leibrock. Er hält einem niedergeworfenen Ochsen mit der Linken die Nüstern zu, kniet auf ihm u. stößt ihm mit der Rechten einen Dolch in den Hals. Dabei allerhand Symbole des Laufs der Sonne, z.B. ein Scorpion kneipt den Ochsen in die Zeugungsglieder, ein Hund springt von vorn an ihn heran, eine Schlange beißt ihn in den Vorderfuß. An der Seite zwei männliche Gestalten, ein Jüngling mit aufgerichteter, ein Greis mit gesenkter Fackel, vorwärts ein. Baum mit sprossenden Blättern u. darunter ein Stierkopf mit aufgerichteter Fackel, rückwärts ein anderer mit Früchten, dem Scorpion u. der umgekehrten Fackel; oben über der Höhle sieben Feueraltäre u. an der einen Seite die Sonne mit dem Viergespann nach den vier Weltgegenden gerichtet, an der anderen den Mond mit zwei Rossen. In einigen Darstellungen fehlen manche dieser Embleme, wogegen andere noch reicher sind. M. wird auch oft als ein Löwe, welchem eine Biene in den Rachen fliegt, geflügelt u. mit Schlangen umwunden, auch mit einem Löwenkopfe vorgestellt. Bei den Persern war der Cultus des M. sehr heilig gehalten. Er wurde nach der Zendavesta[324] nicht nur zu einer bestimmten Tageszeit angerufen, sondern es war ihm auch jeder 16. Monatstag, sowie ein eigener Monat, der siebente, geheiligt; das größte Fest (bei den Persern Mihragan) fiel auf den 16. Tag des Monats Mithra u. wurde in römischer Zeit am 25. December gefeiert. Die Mithramysterien (Coracia, Coracica sacra, Hierocoracica) feierte man bei den Römern im Frühlingsäquinóctium in Zoroasterschen Grotten. Man sah im Innern derselben Embleme in Bezug auf die Constellationen der Gestirne u. die verschiedenen Zonen, die Sinnbilder der Fixsterne u. der Planeten, der 12 Zeichen des Thierkreises, der Elemente, die Stufenbahn mit acht Pforten, welche den Weg der Seele durch die Sonne u. Planeten bezeichnet. Das Ritual der Einweihung in diese Mysterien war Symbol des Kampfes, von den Mythraverehrern als Dienern des Ormuzd gegen Ahriman u. seine Dews geführt; daher eine Stufenfolge von Prüfungen, welche immer härter wurden u. bis zur Lebensgefährdung stiegen. Nach diesen kam die Einweihung, wobei eine Wassertaufe merkwürdig war. Man drückte dem Einzuweihenden gewisse Zeichen auf die Stirn u. reichte ihm einen mystischen Trank aus Wasser u. Mehl, welchen er unter Aussprechung gewisser Formeln nehmen mußte. Es gab sieben Grade nach der Anzahl der Planeten, im ersten hießen sie Streiter (Milites, Kämpfer gegen Ahriman); bei der Aufnahme wurde ein Kranz überreicht mit den Worten: M. ist mein Kranz. Im zweiten Grade hießen die Männer Löwen (Leones), die Weiber Hyänen (Hyaenae), theils mit Anspielung auf den in den Prüfungen bewiesenen Muth, theils mit Bezug auf die Seelenwanderung durch den Thierkreis. In einem folgenden Grade (vielleicht dem dritten) hießen sie Raben (Coraces); dann kam die Würde des Perses, wie auch M. selbst hieß, u. nun die Grade des Bromios u. Helios. Im höchsten hießen sie Väter (Patres); in der Mithrasprache Adler (Aquilae) u. Habichte (Accipitres), so wie man die Epopten Greise (Senes) nannte u. als Greise in mysteriöser Verhüllung darstellte. Jeder Grad hatte seine eigenen Lehren u. Gebräuche. Unter die geheimen Symbole der höheren Lehre in diesen Mysterien rechnete man auch jene Stufenbahn mit acht Thüren von verschiedenem Metall, mit Bezug auf Sonne, Mond u. Planeten u. auf den Gang der Seelen durch dieselben. Auch die Strenge u. die Kasteiungen, denen sich die Mithraverehrer in der Römerzeit unterwerfen mußten, sind erst späteren Ursprungs. Vgl. Windischmann, Mithra, ein Beitrag zur Mythengeschichte des Orients, Lpz. 1857; Lajard, Recherches sur le culte public et les mystères de Mithra en Orient et en Occident, Par. 1853 f., 2 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 324-325.
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