Phönikien

[83] Phönikien (Phönīke, Phoenicia, Kanaan), 1) im weiteren Sinne das ganze Küstenland von Syrien u. Palästina bis nach Ägypten hinab, da in den dortigen Hafenstädten viele Phöniker wohnten u. den Handel betrieben; 2) im engeren Sinne ein ungefähr 30 Meilen langer u. gegen 2 Meilen breiter Küstenstrich am Mittelmeer (ein Theil des heutigen Syrien), zwischen Syrien, Palästina u. dem Mittelmeer, hier Phönicisches Meer genannt; von der Stadt Arados u. dem Fluß Eleutheros bis unterhalb des Karmel u. Tyros am Leontes; wohl auch bis zum Cherseos. Das Land war sandig u. gebirgig durch den Libanon u. Antilibanon, mit dem Hermon; Vorgebirge: Theuprosopon, Promontorium album u. Carmelum; die dem Libanon entspringenden, sämmtlich unbedeutenden Flüsse waren Eleutheros, Sabbathfluß, Adonis, Lykos, Magoras, Tamyras, Leo, Bostrenos, Belos (Pagida), Kison, Cherfeos; einzelne Districte waren die Ebene Marsyas u. das Gefilde Makras; Producte: Getreide (wenig) u. viel Cedernholz. P. hatte gute Fischereien, die bequemste Lage zur Schifffahrt am Mittelmeere mit vielen, durch die Natur selbst gesicherten Häfen u. in seiner blühenden Periode eine Menge wichtiger u. berühmter Städte, wie Sidon, Tyros, Arados mit Antarados (Constantia), Tripolis, Byblos (Gebal, Zebelet), Berytos (Berotha), Ake (Akko, Ptolemais), Sarepta (s.d. a.) u. m. kleinere Ortschaften. Diese Städte waren Anfangs als Colonien von der Mutterstadt abhängig, sobald aber einzelne derselben mächtiger wurden, machten sie sich unabhängig u. bildeten eigene Staaten, welche nur durch das gemeinschaftliche Interesse des Handels u. die Verehrung der Nationalgottheit zu Einem Volke verbunden waren. So waren Sidon, Tyros, Arados einzelne Staaten mit erblichen Königen an der Spitze u. beschickten, wenigstens in gewissen Zeiten, eine allgemeine Reichsversammlung in Tripolis zur Berathung über die allgemeinen Angelegenheiten. Der mächtigste Staat hatte die Hegemonie, dieser war Tyros in der blühendsten Periode P-s, 1000–6004;. Chr. Die Einw. (Phönikes, s. unten) waren ein seefahrendes u. Handel treibendes Volk (s. u. Handel VI. B) u. Reisen), sowohl zur See als auch durch Karavanen zu Lande, sie legten auch mehre auswärtige Colonien an (s. u. Colonien II. A). Über ihre Reisen in ferne Länder wußten sie allerhand Mährchen von Seeungeheuern, unbesiegbaren Hindernissen, Gefahren etc. zu erzählen, um andere Völker vom Besuch dieser Länder abzuschrecken. Und noch später waren Phönikische Lügen in Griechenland sprüchwörtlich. Sie erfanden nach der Angabe der Alten die Bereitung der Wolle, Purpurfarberei, des Glases, die Kunst Metalle zu schmelzen, den Bau der Seeschiffe, die Rechnen- u. Schreibekunst, vervollkommneten die Astronomie u. Nautik, beobachteten zuerst die Erscheinungen der Ebbe u. Fluth u. erkannten den Einfluß des Mondes auf dieselben, bereiteten seine Linnen, kunstreiche Gefäße u. Schmucksachen aus edeln Metallen u. waren als Baukünstler berühmt. Ihre Religion war ein Naturdienst; eine männliche u. weibliche Naturkraft erschien in verschiedenen Formen u. Modificationen, theils als allgemeine, theils als locale Gottheiten; vorzügliche Götter waren Baal (s.d.), der Gott des Himmels, als Stadtgott von Tyros Melkarth genannt; Astarte (s.d.), bes. in Sidon als keusche Liebesgöttin verehrt, sonst auch als Göttin der gemeinen Liebe; in Byblos war Baaltes (s.d.) die Hauptgottheit; außerdem Adonis, die Kabiren, die Sonne u. der Mond, die Planeten etc. Es gab überhaupt 22 Götter ersten Ranges. Die Kosmologie ist, sehr gräcisirt, von Sanchuniathon aufgezeichnet. Über ihre Sprache u. Literatur s. Phönikische Sprache. Unter den friedlichen Phönikern hausten räuberische Ituräer u. rohe Sicarier.

Den Namen Phönikien leiteten die Alten ab entweder von Phönix (s.d. 1), od. von dem griechischen φοίνιξ, d. i. der Palmbaum od. der Purpur, ab, also Palmen- od. Purpurland. Die eigentlichen Phöniker (Kananiter, Zidonier) waren Aramäer od. Semiten u. zwar Kananiter u. sollten von den Küsten des Erythräischen Meeres, u. zwar aus Arabien od. Ägypten, od. von den Küsten des Persischen Meerbusens, od. auch von den sumpfigen Ufern des Euphrat, u. zwar lange vor den Israeliten, hier eingewandert sein. Vor ihnen wohnten die Riesenvölker der Rephaiter, Emiter, Enakiter, Aviter u.a. hier. Die Phöniker ließen sich zuerst in Sidon nieder u. verbreiteten sich von da nach Süden u. Norden, trieben erst Fischerei u. dann Seefahrt, Handel u. Industrie. Anfangs dehnten sich die Phöniker über die ganze Niederung der Meeresküste aus (s. oben 1), nachmals zogen sie sich vor den Amoritern u. Philistern nach Norden zurück u. concentrirten sich dort, wo sie namentlich für ihre Schifffahrt günstige Lage u. reichlich Holz zum Schiffbau fanden. Bei der Einwanderung der Israeliten kam Sidon u. Tyros auf den Antheil des Stammes Asser, u. obgleich dieser nicht vermochte sich das Gebiet zu erobern, so zogen sich doch die Phöniker nun immer noch enger zusammen u. vereinigten ihre Hauptmacht in dem festen Tyros. In der Richterzeit begann vielleicht die Auswanderung u. Anlegung von Colonien durch die Phöniker, während andererseits in den nördlichen Gegenden die Israeliten in Abhängigkeit von den Phönikern kamen. Zur Zeit der ersten Könige der Israeliten schlossen schon diese u. die Könige von Sidon u. [83] Tyros Verträge u. Bündnisse mit einander; so schloß um 1000 Hiram od. Huram, König von Tyros u. Großkönig über die anderen Fürsten des Landes, mit David u. Salomo Handelsbündnisse u. unterstützte diese mit Holz u. Künstlern bei ihren Bauten; nach Ein. soll Salomo auch eine Tochter Hirams geheirathet haben. Er selbst war ein Freund vom Bauen u. soll bes. seine Residenz verschönert haben. Auf Hiram folgte sein Sohn Beleazar (Baleastartos); diesem sein zweiter Sohn Abdastartos; als dieser von den Söhnen seiner Amme erschlagen worden war, schwang sich einer derselben auf den Thron, u. um der Herrschaft desselben zu entgehen, verließen viele das Land. Damals wurde (1170 v. Chr.) Utica in Afrika gegründet. Nach dem wegen seiner niedern Geburt in den Quellen ungenannten Könige kam Astartos, der älteste Sohn Hirams, zur Regierung; dessen Söhne wurden aber nach seinem Tode übergangen, u. Astarymos erhielt das Reich; diesen ermordete sein Bruder Pheles, welcher jedoch nach 8 Monaten gleiches Schicksal von Ithobaal (Ethbaal) Sydyk, dem jüngsten Sohn Beleazars, erfuhr; dieser, König von Tyros u. Sidon, Vater der Isebel u. Schwiegervater Ahabs, regierte 32 Jahre, baute mehre Städte in P. u. Festungen gegen Syrien, so Botrys, u. bevölkerte Auza in Afrika; er st. 952 v. Chr. Sein Sohn Balezor regierte 8 Jahre u. hinterließ das Reich seinem minderjährigen Sohn Mattan (Mettinos, Matgen). Als dieser nach 25jähriger Regierung starb, sollte nach seinem Testamente neben seinem Sohn Pygmalion auch seine Tochter Elissa (Dido) Antheil an der Regierung haben u. deren Gemahl, der Oberpriester Akerbas (Askarbaal) od. Sychäos (Sicharbaal), die Regentschaft führen. Aber die Volkspartei ermordete den Akerbas, als den Repräsentanten der verhaßten Aristokratie, auf der Jagd u. setzte den Pygmalion als Alleinherrscher ein. Elissa, welche auch sich nicht mehr sicher im Lande wußte, gewann einen Theil der Aristokraten, nahm königliche Schiffe u. Schätze u. entfloh mit ihrem Anhang nach Afrika, wo sie um 890 Carthago (s.d.) gründete. Durch den Sieg der Demokratie kam die Verfassung in Verfall u. damit auch die Macht von Tyros, weshalb sich Sidon wieder zur Selbständigkeit erhob, u. als ebenfalls hier die demokratische Partei die Oberhand bekam, zogen um 760 auch von hier viele edle u. reiche Geschlechter aus u. wendeten sich nach Arados, welches nun nach Tyros u. Sidon die angesehenste phönikische Stadt wurde. Um 740 unterwarfen sich die Assyrier die Nordküste von P.; gegen 730 fielen unter der Regierung des Eluläos in Tyros die Kittäer auf Cypern ab u. riefen die Assyrier zu Hülfe. Doch unterwarf sich Cypern wieder, u. Salmanassar schloß Frieden mit den Tyriern. Gleich darauf empörten sich Sidon, Ake u. andere Städte der Tyrier, unterwarfen sich dem Salmanassar u. gaben demselben ihre Schiffe. Aber 12 tyrische Schiffe zerstreuten die 60 feindlichen, u. die Assyrier mußten die Belagerung von Tyros nach 5 Jahren endlich aufgeben. Um 716, mit dem Niedergange der Assyrischen Herrschaft, unter welcher der phönikische Handel sehr gelitten hatte, verbanden sich die Phöniker mit den Ägyptiern, so namentlich mit den Königen Psammetich u. Necho, während sie gegen Apries u. Amasis wieder eine feindliche Stellung annahmen. Inzwischen war das Chaldäische. Reich mächtig geworden; Tyros u. Sidon gewannen Zedekias zu einem Bündniß gegen Nebukadnezar; allein dieser zog um 600 nach P. u. eroberte das Land; als die Könige von P. wieder abfielen, kehrte Nebukadnezar zurück u. eroberte 586 das Land von Neuem, mit Ausnahme von Tyros, welches er auch nach 13jähriger Belagerung nicht gewinnen konnte, sondern er machte wahrscheinlich einen Vertrag mit den Tyriern, in dessen Folge der größte Theil der königlichen Familie nach Babylon abgeführt wurde; die Einwohner aber waren nach der Inselstadt Tyros geflüchtet, welche von jetzt an Hauptstadt des Welthandels wurde. Der König Ithobaal od. Ethbaal II. blieb bei der Belagerung, u. sein Nachfolger Baal regierte noch 10 Jahre als König. Nach dessen Tode wurde bei der Versetzung des Hauptstammes auf die Insel die Regierungsverfassung geändert; es regierten vom Volke auf Zeit erwählte Obrigkeiten (Suffeten). Doch währte diese Regierung nur 7 Jahre, dann traten wieder Könige von Tyros auf, so Balator, Merbaal, ein Chaldäer, dann dessen Bruder Hiram II. Zur Zeit des Kyros kam 555 Tyros u. ganz P. unter persische Herrschaft. Da inzwischen wieder zahlreiche Auswanderungen aus Tyros nach den Colonien stattgefunden hatten, so wurden nun Sidon u. Arados die Hauptstädte des Landes. In der Schlacht bei Salamis, 480, wurde Mapen, König von Tyros, u. Tetramnestos, König von Sidon, welcher dem Xerxes 300 Schiffe zuführte u. in dem Kriegsrath den Vorrang vor dem Könige von Tyros hatte, die wichtigsten. Anführer auf der persischen Flotte. 361 machten die Phöniker unter Anführung der Sidonier u. im Bunde mit Nektanebos von Ägypten eine Empörung gegen Artaxerxes Ochos; Tennes, König von Sidon unterstützt von Griechen unter Mentor, schlug die Perser; aber als Artaxerxes selbst mit einer Armee erschien, wurde Mentor zum Verräther u. bewog selbst Tennes 350 die Stadt den Persern zu übergeben. Die übrigen phönikischen Städte unterwarfen sich freiwillig. Als Alexander der Große 333 nach der Schlacht bei Issos nach P. kam, unterwarf sich Sidon, wo damals Straton, ein Mann aus niederem Stande, König war; Alexander setzte an die Stelle des persisch gesinnten Straton den Abdolonymos, einen Sidonier aus edelm Geschlechte. Sidon war nachher bald syrisch, bald ägyptisch. In Tyros suchte der König Azemilkos durch Geschenke Alexandern zu entfernen, allein dieser belagerte die Stadt u. nahm dieselbe nach 7 Monaten ein (s. u. Alexanders Zug nach Persien), sie wurde zum Theil verbrannt u. die Einwohner theils getödtet, theils als Sklaven verkauft. Alexander baute zwar die Stadt wieder auf, aber sie erhob sich nie wieder zu ihrem vorigen Ansehen. 313 wurde Tyros 15 Monate hindurch von Antigonos belagert, welchem dann Ptolemäos Soter die Stadt abnahm. Die Streitigkeiten über ihren Besitz dauerten bis 218; in diesem Jahre fiel sie Antiochos dem Großen von Syrien zu u. blieb nachher unter der Herrschaft der Seleukiden, bis sie mit Syrien durch Pompejus unter die Römer kam. Der Haupthistoriker war Sanchuniathon (s.d.); vgl. Movers, Über Alterthümer u. Geschichte der Phöniker, Berl. 1841–50, 2 Bde.; F. Höfer, Caldée, Phénicie etc., Par. 1852; J. Kenrick, Phoenicia, Lond. 1855; Levy, Phönikische Studien, Bresl. 1856 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 83-84.
Lizenz:
Faksimiles:
83 | 84
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon