Samen [2]

[835] Samen, 1) (Semen, Bot.) ist das bei den Phanerogamen zu seiner Vollkommenheit gelangte Pflanzenei (s.u. Ei 2), welches in der Fruchthülle sich befindet u. den Keimling umschließt, d.i. die vorgebildete neue Pflanze, durch welche die Art fortgepflanzt werden soll. Man unterscheidet an dem S. die Samenschale u. den Kern. Die Samenschale od. Samenhülle (Epispermium) besteht aus der äußeren (Testa, Tunica externa s. Membrana externa) u. der inneren od. Kernhaut (Eudopleura s. Tunica vel Membrana interna), welche oft mit einerdritten, der Fleischhaut (Sarcodermis) verwachsen ist. Der Kern (Nucleus) wird entweder vom Keimling (Embryo) allein od. von ihm u. dem Eiweißkörper (Albumen) gebildet, letzter ist der zellige Körper, von welchem oft der Keimling eingeschlossen u. welcher entweder von einem, aus dem flüssigen Inhalte des Keimsackes neu gebildeten Zellgewebe (Endospermium) od. von dem ursprünglichen Zellgewebe (Parenchym) des Kernes gebildet wird. Gewöhnlich bildet sich nur eins dieser beiden Zellgewebe in dem S. aus, nur bei wenigen z.B. Nymphäaceen, Cacombeen u. Piperaceen, treten beide zugleich auf. Oft fehlen aber auch beide ganz, indem der Keimling den Keimsack vollkommen erfüllt u. ihn selbst zuletzt resorbirt, so daß er unmittelbar von den Eihäuten eingeschlossen wird. An dem Keime, d.i. der vorgebildeten Pflanze, unterscheidet man das Würzelchen (Radicula), das Stängelchen (Cauliculus) u. das Knöspchen od. Federchen (Gemmula s. Plumula). Dazu treten aber noch, mit Ausnahme der kryptogamischen Gewächse, die Samenlappen (Cotyledones) hinzu (vgl. Keim 1). Samengrund (Basis) nennt man die Stelle, wo der Same befestigt ist; Samenspitze (Apex) aber die dieser entgegengesetzte freie Stelle. Im Verhältnisse zu dieser Spitze u. Basis bestimmt man die Lage des S-s auf folgende Weise: denkt man sich die Frucht aufrecht, so sind die S. aufrecht, wenn sie im Grunde der Fruchthöhle befestigt sind; aufsteigend, wenn sie sich von der Seitenwand erheben; hängend, wenn die Spitze tiefer liegt als der Grund; wagrecht, wenn Spitze u. Basis in gleicher Höhe stehen; schildförmig, wenn die Linie vom Grunde des S-s bis zur Spitze nicht der längste, sondern kürzeste Durchmesser des S-s ist. Der Nabel od. die Samengrube (Umbilicus, Hylus) ist die Stelle, wo der Samenstrang (Funiculus umbilicalis s. Chorda seminalis s. Podospermium) in den S. eintritt. Nabelgrund (Omphalodium) ist die Stelle der Samengrube, wo die Gefäßbündel des Nabelstranges in die Samenhülle eindringen. An der Oberhaut bemerkt man zuweilen häutige Flügel, od. auch Warzen, Punkte, Gruben, einen Haarschopf (Coma), Stacheln, Rippen, zuweilen auch einen oft warzigen Ring od. Kamm (Strophiolum, Crista), welcher dicht neben dem Nabel mancher S. vorkommt u. immer eine andere Farbe als die Samenhülle hat, z.B. bei Chelidonium, Corydalis, Sanguinaria, Ulex etc. Samenmantel od. Samendecke (Arillus) ist eine besondere äußere, weiche, mehr od. weniger vollständige Samenhülle, welche sich erst bildet, wenn der S. schon vollendet ist. Oft wird aber auch jede weiche Haut, welche äußerlich den Samen umgibt u. eine wirkliche Samen- nicht Fruchthaut ist, Samenmantel genannt, Samenbrei (Fruchtbrei, Pulpa) endlich nennt man ein saftreiches, lockeres Gewebe, welches oft allmälig den ganzen inneren Raum erfüllt, so daß die einzelnen S. in besondere, mit zarter Membran bekleidete Höhlungen zu liegen kommen, wie z.B. bei Tamarindus. Freie od. nackte S. nennt man S., welche nicht von einer Fruchthülle umgeben sind, wie die Beerensamen von Viscum, die Zapfenbeere (Galbulus) von Juniperus, die Zapfenbeere mit Arillus von Taxus, die Zapfennüsse von Pinus etc. Samenknospe (Gemmula) nennt Schleiden das Eichen (Ovulum). Samenträger (Spermophorum) ist die Stelle od. der hervorragende Theil in der Frucht, welcher den S. trägt. 2) (Landw.). Beim Bau der Feldfrüchte hat man darauf zu sehen, daß der S. ganz reif, vollkommen gesund, rein u. nicht zu alt sei. Zu dem Ende legt man bei der Ernte die besten Früchte besonders u. nimmt von dem Gedroschnen nur den Vorsprung zum S.; auch legt man besondere Samenschulen an, um in diesen die erforderlichen S. zu züchten. Je schwerer der S. ist, desto mehr Kraft hat er, den Keim zu nähren; leichter S. ist kraftlos, kränklich,[835] schadhaft od. unreif, kann also keine gesunden u. starken Pflanzen erzeugen. Alter S. muß zeitiger gesäet werden, als neuer, weil jener mehr Zeit zum Aufgehen braucht, nur vom Weizen wird alter S. gesäet, weil dieser keinen Brand erzeugt. Ein öfteres Wechseln od. ein Austausch des S-s (Samenwechsel) aus anderen Gegenden zur Erzielung reicher Ernten u. zur Verhütung des Ausartens der Gewächse, wird dann für nützlich gehalten, wenn die betreffende Pflanzenart im Rückgehen begriffen ist. Die Wahl der Gegend, woher man den anderen S. bezieht, hinsichtlich ihrer Bodenbeschaffenheit u. klimatischen Verhältnisse, muß zwar der praktischen Erfahrung überlassen bleiben, im Allgemeinen hat man aber für warmes Klima Samen aus rauhem Klima, für leichten Boden Samen aus schweren Boden u. umgekehrt zu beziehen. Zur Beförderung eines schnellern u. kräftigeren Wachsthums der Pflanzen dient das Einbeizen in einer Düngerlange od. Einquellen; dies Verfahren ist aber nur vortheilhaft bei Sämereien, welche alt sind u. von Krankheiten (z.B. der Weizen vom Brand) ergriffen werden, od. welche lange im Boden liegen, ehe sie keimen, wie Möhren, Runkelrüben, Mais, Lupinen. Nicht alle S. behalten ihre Keimkraft gleich lange Zeit. Bei einigen dauert sie kaum 2, bei andern 4, 7 u. mehr Jahre, ja man hat S. gefunden, welche Jahrhunderte lang in der Tiefe der Erde vergraben gelegen hatten u. dennoch keimten. Bes. bleiben die öligten S. am längsten keimfähig. Zur Erhaltung der Keimkraft müssen die S. an luftigen Orten, nicht in dumpfigen od. verschlossenen Kisten, Gartensämereien bes. in ihrer eigenen Hülle aufbewahrt werden. 3) (Semen, Sperma virile), der den männlichen Thieren eigene Zeugungsstoff, welcher die Fähigkeit u. die Bestimmung hat das im weiblichen Körper sich aus dem Eierstocke treunende Ei zu befruchten, sowie er bei der durch den Geschlechts- u. Zeugungstrieb herbeigeführten Begattung (Beischlaf, Coïtus) od. bei unwillkürlichen Samenergießungen (Pollutionen) ausgeleert wird, mit dem gleichzeitig abgesonderten Saft der Prostata u. der Cowper'schen Drüsen u. der Schleimhaut der Samenbläschen u. Harnröhre gemischt. Der S. wird, wenigstens bei den höheren Thieren, in den Hoden abgeschieden u. von da durch den Samengang u. Samenstrang zu den Samenbläschen (s. Genitalien) geleitet, wo er sich bis zur Aussonderung anhäuft. Der S. ist eine dickflüssige, gallertartige, weiße, klebrige, fadenziehende undurchsichtige Flüssigkeit von eigenthümlichem Geruche, bedingt durch einen flüchtigen Stoff, den Samenduft (Aura seminalis), u. scharfem, schrumpfendem Geschmacke. Der S. ist schwerer als andere thierische Flüssigkeiten u. sinkt im Wasser zu Boden, er reagirt alkalisch u. es entwickeln sich aus ihm viele Luftblasen. Einige Stunden nach seiner Ausleerung scheidet er sich allmälig in ein helles, durchsichtiges Serum u. in Faserflocken; in sehr trockener Luft vertrocknet er zu einer hornartigen, zerbrechlichen, durchscheinenden Substanz. Bei mäßig warmer Luft bekommt er ein Häutchen u. setzt phosphorsauren Kalk ab. In kaltem u. heißem Wasser ist er unauflöslich. Seiner chemischen Zusammensetzung nach besteht er aus 90 Procent Wasser, einer eigenthümlichen extractartigen schleimigen Materie (Spermatin), phosphorsaurem Kalk u. Natron u. einem flüchtigen Stoffe, dem Samenduft. Im frischen S. eines gefunden Körpers lassen sich mikroskopisch folgende Formelemente nachweisen: a) Samenfäden, sogenannte Samenthierchen (Spermatozoen, Spermatozoiden), welche den bei weitem größten Theil bilden u. sich frei bewegende, fadenförmige, mit einem scharf abgesetzten knötchenartigen Ende (Kopf, Scheibe) versehene, spitz endigende Fäden darstellen, in denen keine Spur von Organisation aufzufinden ist u. welche den neuesten Ansichten nach von höchst zweifelhafter thierischer Natur sind u. sich nur im fruchtbaren S. finden u. nach der Samenergießung bald ihre Bewegung verlieren. Ihre Entwicklung geht innerhalb von Zellen vor sich, welche den Inhalt der Samenkanälchen des Hodens bilden helfen. In ihnen tritt zuvörderst eine Vermehrung der Kerne auf, u. von diesen geht dann die Entwicklung der Samenfäden aus. In den Samenkanälchen der Hoden finden sich nie fertige Samenfäden, sondern nur Zellen mit zahlreichen Kernen gefüllt u. Kernbläschen, welche einen Samenfaden enthalten. Im Nebenhoden treten schon freie Fäden u. vorzüglich Bündel von Samenfäden auf, welche sich erst im Samenleiter auflösen u. nun ihre Bewegung erhalten. b) Samenkörner, rundliche, blasse, sein gekörnte, den farblosen Blutkörperchen ähnliche Bildungen, welche sich im Zellenkerne verhalten; c) Elementarkörner in verschiedener Menge u. Größe; d) Krystalle, kleine mehr od. weniger regelmäßige Rhomboëder aus phosphorsaurem Kalk, welche sich erst beim Verdunsten seines Wassergehaltes bilden. Die Bedeutung des S-s bei der Begattung s. Zeugung. Die Absonderung des S-s beginnt mit den Jahren der Pubertät u. hängt von dem Eintreten dieser Periode ab; eben so wird die Samenabsonderung in den spätern Lebensjahren eine immer geringere, hört aber erst im allerspätesten Alter völlig auf. Die Samenabsonderung steht mit dem ganzen körperlichen u. physischen Leben in dem engsten Bezug; mit ihrem Anheben wird der Mann erst als solcher ausgebildet u. nur durch sie erhält er sich kräftig. Die Absonderung erfolgt sehr allmälig, u. eben so bildet sich der abgesonderte S. erst nach u. nach zu einem kräftigen, zeugungsfähigen aus. Der Bildungstrieb wirkt bei der Samenabsonderung nach zwei entgegengesetzten Principien, einmal nach dem Princip der Sparsamkeit, indem der zur Fortpflanzung nöthige Stoff nur langsam bereitet wird; dann aber auch nach dem Princip der Fürsorge für Erhaltung des Geschlechts, indem nach jeder Samenentleerung das nächste Streben der Natur darauf gerichtet ist, durch vermehrten Trieb nach den Zeugungstheilen hin, u. in diesen den Abgang sobald als möglich wieder zu ersetzen, u. dies auch auf Kostenanderer Lebensverrichtungen, welche blos auf das individuelle Wohl Bezug haben. So störend für das gesammte organische Leben zu häufige u. unzeitige Samenentleerungen sind, so ist doch für den völlig zur Reise gelangten männlichen, völlig gefunden u. kräftigen Körper die von Zeit zu Zeit zur Befriedigung des Zeugungstriebes erfolgende Samenergießung Naturforderung, u. der Mangel dieser erheischt zur Erhaltung des körperlichen u. geistigen Wohlseins Ausgleichungen (vgl. Pollution). Die Menge des S-s, welche bei gesunden Männern im gewöhnlichen Zustande in den Samenbläschen sich anhäuft, ist sehr verschieden nach ursprünglicher Körperconstitution, nach kürzerer od. längerer Dauer des Nichtergusses des S-s, nach Verschiedenheit der Nahrung, endlich nach der öfteren Hintreibung od. Ableitung der Phantasie auf die[836] Geschlechtsverrichtung. Der Betrag des für die Vollziehung der Geschlechtsverrichtung von einem gesunden, kräftigen, nur selten den Beischlaf ausübenden Manne abgehenden S-s ist schwer mit Sicherheit zu schätzen, indem nach Verschiedenheit der Reizbarkeit die Samenbläschen sich dabei mehr od. minder völlig entleeren, auch der zugemischte Vorsteherdrüsensaft dabei in Abgang gebracht werden muß. Nur uneigentlich u. in enger Bedeutung wird auch von einem weiblichen S. gesprochen, indem die Vorgänge bei der Begattung u. Erzeugung neuer Wesen darauf hindeuten, daß auch den weiblichen Geschlechtsorganen in dem zur Befruchtung günstigen Momente ein Stoff entweiche, welcher ein höheres Leben zu haben scheint, als ein einfacher Schleim, obgleich die Anatomie u. die physiologische Untersuchung weder auf ein Organ, noch auf einen im Voraus gebildeten Stoff hindeuten, welcher als ein Eigenstoff mit dem, was man im männlichen Körper als S. unterscheidet, in Parallele gestellt werden könnte.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 835-837.
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