[605] Lissabon (portug. Lisbóa), Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Portugal und wichtiger Hafen- und Handelsplatz, liegt unter 38°42´ nördl. Br. und 9°11´ westl. L., am nörd lichen Ufer der seeartig erweiterten, 18,5 km langen und 11,1 km breiten Tejomündung (Rada de Lisboa), die westwärts durch die Entrada do Tejo, einen 7,4 km langen und 3,1 km breiten natürlichen Kanal, mit dem Atlantischen Ozean in Verbindung steht.
Die Stadt steigt vom Ufer aus stufenförmig an mehreren Hügeln empor und bietet von der Seeseite aus, etwa wie Neapel und Konstantinopel, einen eindrucksvollen Anblick dar. L. zerfällt in vier Stadtteile (bairros): die Altstadt (Alfama), im O. um das Kastell S. Jorge gelagert; die am Tejo sich hinziehende Unterstadt (baixa); die Oberstadt (bairro alto) und den westlichen Teil (nach dem hier mündenden Flüßchen Alcantara genannt); sie ist offen, hat einen Umfang von mehr als 20 km und steht mit der seit 1885 dem Alcantaraviertel angegliederten Vorstadt Belem sowie mit den benachbarten Ortschaften durch Häuserreihen in Verbindung. Das Klima ist angenehm, Frost und Schnee sind äußerst selten, der Winter ist regnerisch. Die mittlere Jahreswärme ist 15,6°, die des Winters 10,5°. Die jährliche Regenmenge beträgt 747,8 mm. Die Straßen der Stadt sind im östlichen Teil, der von dem Erdbeben 1. Nov. 1755 verschont blieb, eng und unregelmäßig, zum Teil, namentlich um das Kastell S. Jorge herum, noch Reste der alten Maurenstadt; die neuern Teile sind regelmäßiger und breiter angelegt. Der Hauptlandeplatz ist die Praça do Commercio, auch Terreiro do Paço genannt, auf der Südseite vom Tejo, auf den drei andern Seiten von öffentlichen Gebäuden mit Rundgängen begrenzt; die Mitte des Platzes schmückt das bronzene Reiterstandbild Josephs I. (von 1775); mehrere von schönen Geschäftsläden eingefaßte Parallelstraßen, darunter die mit einem Triumphbogen beginnende Rua Augusta, führen zur Praça de Dom Pedro (Rocío), mit merkwürdigem, das Auge störendem Mosaikpflaster. In der Mitte erhebt sich das Bronzedenkmal Dom Pedros IV. (1870 errichtet). Neben dem Rocío liegt der Marktplatz (Praça da Figueira), westlich am Ausgange der kurzen, aber vornehmen und belebten Rua Garrett (Chiado) der Camõesplatz mit dem Denkmal des Dichters (von 1867). Vor dem Stadthaus liegt die Praça do Municipio. Öffentliche Anlagen sind die in nordwestlicher Richtung bis zum neu angelegten Avenidapark laufende, 80 m breite, vornehme Avenida da Liberdade, mit zwei Fahrwegen, baumbestandenen Fußwegen, Springbrunnen und dem 1880 errichteten Freiheitsdenkmal, einem mit den Bronzefiguren des Sieges und der Freiheit geschmückten Obelisken (als Erinnerung an die Befreiung Portugals vom spanischen Joche 1640), die Praça do Principe Real, die Alameda de S. Pedro de Alcántara mit dem Magalhães-Denkmal, der botanische Garten der polytechnischen Schule, der Estrellagarten, der königliche Park, das Necessidades, die Tapada da Ajuda und der Campo Grande. An Denkmälern besitzt L. außer den erwähnten noch Standbilder des Herzogs von Terceira (von 1877), des Marquis de Sá de Bandeira (von 1884), des Seefahrers Vasco da Gama und des Arztes Sousa Martins. Unter den sehr zahlreichen Kirchen der an bemerkenswerten Bauwerken ziemlich armen Stadt ist die Kathedrale (Sé), in der Altstadt am Abhang des Kastellhügels, die älteste, sie ist 1150 angeblich aus einer Moschee umgebaut und nach den Erdbeben von 1344 und 1755 größtenteils erneuert worden; neuere Kirchen sind die Klosterkirche zum Herzen Jesu (Estrella), 177996 erbaut, mit prachtvoller Marmorkuppel, von deren auf schmaler Innentreppe erreichbarer Spitze man einen wunderbaren Blick über die Stadt genießt, die von den Jesuiten 1566 erbaute Kirche S. Roque, mit kostbaren Mosaikbildern, die Klosterkirche S. Vicente de Fora (von 1582, die Begräbniskirche des Hauses Braganza), die Kirche S. Domingo, endlich die architektonisch schöne Kirche des ehemaligen Hieronymitenklosters Belem, von Emanuel d. Gr. 1499 gegründet, ein spätgotischer, reicher, aus maurischen und Renaissancemotiven gemischter Bau, nach dem Kloster in Batalha das schönste Bauwerk in Portugal. Die Kirche enthält einen prachtvollen Kreuzgang um einen Innenhof sowie die Grabmäler Emanuels, Johanns III., des Kardinals Heinrich, Alphons' VI. und des Dichters Herculano, ferner seit 1880 die Gebeine von Vasco da Gama und Camões. Das Gebäude dient jetzt als Waisenhaus, in einem Seitenflügel befindet sich eine ständige Gewerbeausstellung. Bemerkenswerte weltliche Gebäude sind die unweit des Waisenhauses am Tejoufer liegende Torre de Belem, ein weithin von der Seeseite aus sichtbarer, 35 m hoher Turm in maurisch-gotischem Stil, bis 1520 erbaut, die königlichen Paläste das Necessidades, 174350 an der Stelle eines Nonnenklosters errichtet, mit zahlreichen Kunstwerken, und Ajuda, 1816 begonnen, aber noch immer unvollendet, das Nationalmuseum der schönen Künste (1884 eröffnet), das Zollgebäude, das Marinearsenal mit dem Marinemuseum, die Staatsdruckerei, die Münze, das Cortesgebäude (bis 1834 Benediktinerkloster) mit dem Staatsarchiv (Torre do Tombo), das Stadthaus (186580 erbaut), der Zentralbahnhof (Lisboa Rocio), das Koliseu mit sehenswerten Sammlungen der Geographischen Gesellschaft, das bakteriologische Institut, die medizinische [605] Schule, das Sammelbecken der alten Lissaboner Wasserleitung und diese selbst, 172949 erbaut, um das Wasser 18 km weit von Bellas nach L. zu leiten, aber für die Versorgung der Stadt nicht mehr genügend, weshalb L. seit 1880 auch noch aus dem Alviellaflüßchen mit Trinkwasser versehen wird.
L. hatte 1878 eine Bevölkerung von 242,297,1890 dagegen 301,206 Seelen. Die Zählung von 1900 ergab 356,009 Einw., unter denen sich außer vielen Spaniern, besonders aus Galicien (Gallegos, meist Dienstmännern und Wasserträgern), Brasilier, Deutsche, Engländer, Franzosen befinden. Auch sieht man viele Farbige aus den portugiesischen Kolonien. Die Gewerbtätigkeit der Stadt nimmt stetig zu. Besonders werden Gold- und Silber- (Filigran-) sowie Juwelierwaren hergestellt, während unter dem Schutze hoher Einfuhrzölle Spinnerei und Weberei in Baumwolle, Wolle, Hanf und Seide betrieben werden; außerdem gibt es Eisengießereien, Zuckerraffinerien, Maschinenfabriken, mehrere Fabriken für künstlichen Dünger, Chemikalien, musikalische Instrumente, Handschuhe, Hüte, Schuhe und namentlich für Korkwaren, die in größerer Menge ausgeführt werden.
Die Zubereitung des Tabaks und die Herstellung der Zündhölzer sind Monopole und an Gesellschaften verpachtet. Das Marinearsenal, in dem in den letzten Jahren auch Kriegsfahrzeuge gebaut worden sind, sowie die königliche Seilerei beschäftigen zahlreiche Arbeiter. Die Bai von L. bildet einen geräumigen und sichern Hafen, der auch den großen Schiffen gestattet, nahe an der Stadt anzulegen, namentlich seit der Regelung des nördlichen Tejoufers. Durch die Herstellung von Dockanlagen und die Errichtung einer 6 km langen Hafenmauer ist man bestrebt gewesen, den gesteigerten Anforderungen der neuzeitlichen Schiffahrt gerecht zu werden, denn wenn auch der einst so blühende Seehandel Portugals sehr gesunken ist, so hat L. als Handels- und Hafenplatz doch immer noch große Bedeutung. Auch sein Wert als Kriegshafen ist in neuester Zeit gestiegen, da nicht nur die schroffen Höhen des südlichen Tejoufers gedeckte Verteidigungswerke erhalten haben, sondern auch auf dem Nordufer, der Stadtseite, mehrere bisher vernachlässigt gewesene Forts neu befestigt worden sind. Dazu kommt, daß die Einfahrt in die Bai ohne Lotsenführung wegen unterseeischer Risse nicht ungefährlich ist. Die Zunahme des Schiffsverkehrs zeigt sich auffallend im Anwachsen des Raumgehaltes der ein- und auslaufenden Fahrzeuge. 1885 liefen 2882 Schiffe mit 2,033,080 Ton. ein, 1902 hatten die 2913 einlaufenden Schiffe 4,324,026 T. (Brutto) Raumgehalt. Unter den beteiligten fremden Flaggen ist die englische und die deutsche am stärksten vertreten, hiernach die französische, spanische und norwegische. Während aber der englische Anteil am Gesamtverkehr seit längerer Zeit unverändert etwa ein Viertel beträgt, nimmt der deutsche Anteil, der früher kaum ein Zehntel war, stetig zu; 1902 liefen 601 deutsche Schiffe mit 1,380,414 T. ein (31,2 Proz. des gesamten Raumgehalts), 1903: 657 mit 1,412,000 T. Eingeführt werden Gewebe aller Art, Zucker, sehr viel Stockfisch, Baumwolle, namentlich rohe zur Verarbeitung in den neuentstandenen Fabriken, Steinkohlen, Bauholz, Tabak, Kaffee. Die Einfuhr von Getreide hat in den letzten Jahren nachgelassen, da Portugal selbst neuerdings viel Brotfrüchte erzeugt. In der Ausfuhr kommt der Hauptteil auf Wein, Kork und Korkwaren, Fische, Rindvieh, Öl, Salz und Früchte. Der Durchfuhrhandel umfaßt namentlich Erzeugnisse der portugiesischen Kolonien, wie Kaffee, Kakao, Gummi etc. Der Wert der Einfuhr ist seit 1872 von 12,072,433 auf (1902) 36,575,900 Milreis, der der Ausfuhr im gleichen Zeitraum von 8,145,526 auf 20,333,700 Milreis gestiegen. In reger Dampferverbindung steht die Stadt mit England (Liverpool, Southampton, London), Frankreich (Bordeaux, Havre) und Deutschland (Hamburg und Bremen) sowie mit Brasilien, Argentinien und mit den portugiesischen Kolonien in Afrika. L. ist Endpunkt der internationalen Eisenbahnverbindung Paris-Madrid-Valencia de Alcantara-L. sowie [606] Paris-Salamanca-Pampilhosa-L. (Südexpreß). Außerdem bestehen die Eisenbahnlinien: L.-Porto, L.-Badajoz, L.-Guarda, L.-Estremoz, L.-Figueira da Foz, L.-Cintra, L.-Cascaes (während der Sommermonate täglich 40 Züge) und L.-Beja-Faro. Die letztgenannte Linie nimmt ihren Ausgang von dem gegenüberliegenden Barreiro. Dem Verkehr im Innern der Stadt und nach den Vororten dienen elektrische Straßenbahnen, die bedeutenden Höhenunterschiede der einzelnen Stadtteile (bis zu 110 m) werden durch Drahtseilbahnen und Aufzugvorrichtungen überwunden. In L. bestehen die vertragsmäßig zur Ausgabe von Noten und Papiergeld ermächtigte Bank von Portugal, mehrere andre Banken und Versicherungsgesellschaften, eine Börse und Handelskammer. An Wohltätigkeitsanstalten gibt es unter andern das großartige, mehrere kleine Krankenhäuser umfassende Hospital S. José, das Spital Estephania, ein Marine- u. ein Militärhospital, ferner eine Irrenanstalt, ein Blindeninstitut, mehrere Waisenhäuser, ein Invalidenhaus. Am gegenüberliegenden Tejoufer befindet sich das große Quarantänelazarett.
An öffentlichen Anstalten für Bildung und Wissenschaft besitzt die Stadt eine Polytechnische Schule (mit naturgeschichtlichem Museum), eine medizinische Schule (mit anatomischem Museum), eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, mehrere Lyzeen, eine Gewerbe- und Handelsschule, ein landwirtschaftliches Institut mit Tierarzneischule, eine Akademie der schönen Künste, ein Konservatorium für Musik und dramatische Ausbildung, eine Armee- und eine Marineschule, ferner die Nationalbibliothek (200,000 Bände, 10,000 Handschriften und gegen 40,000 Münzen), ein reiches Nationalarchiv, ein astronomisches und ein meteorologisches Observatorium, das Nationalmuseum (besonders Gemälde), ein ethnographisches, ein archäologisches Museum, einen sehr schönen botanischen Garten, eine Akademie der Wissenschaften, eine geographische, eine Ackerbaugesellschaft etc. sowie 7 Theater, darunter die Theater S. Carlos (für die Oper) und Dona Maria II. (für nationale Dramen); auch eine Arena für unblutige Stiergefechte liegt in der nächsten Umgebung der Stadt, auf dem Campo Pequeno. L. ist der Sitz der Volksvertretung, der Ministerien und sonstigen höchsten Staats-sowie Distriktsbehörden, des obersten Gerichts- und eines Appellhofs, des Kommandos der l. Militärdivision, des Patriarchen und zahlreicher auswärtiger Gesandtschaften und Konsulate, darunter auch eines deutschen Generalkonsulats. Die Stadt hat Gas- und elektrische Beleuchtung. Schöne Punkte in der an Landhäusern und Gärten reichen Umgebung sind: Oeiras (mit Schloß des Marquis Pombal), S. João de Estoril, S. Antonio de Estoril, Mont' Estoril (s. d.), Cascaes (Seebad), Carcavellos (gute Weine), Queluz (königliches Lustschloß), Bellas, insbes. aber Cintra (s. d.).
Geschichte. L. hieß anfangs als Hauptstadt der Lusitaner Olisipo. Unter den Römern war es Munizipium und hieß Felicitas Julia; die Goten nannten es nach dem alten Namen Olissipona. In der Folge (716) bemächtigten sich die Mauren der Stadt und nannten sie Al Oschbana (Al Oschbunoch). Vom König Alfons I. von Portugal wurde sie 1147 mit Hilfe französischer, englischer und deutscher Kreuzfahrer erobert und zur Hauptstadt des Landes erhoben. Seitdem kommt der Name L. (Lisboa) vor. Papst Engen III. machte die Stadt zum Sitz eines Bistums. Bereits im 14. Jahrh. war sie ein bedeutender Hafenplatz. 1344 ward sie von einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht, 1348 ein großer Teil der Einwohner von der Pest hingerafft. König Heinrich II. von Kastilien eroberte und verbrannte die Neustadt von L. 1373. Herzog Alba nahm L. 1580 für Philipp II. von Spanien in Besitz. Als aber 1640 das Haus Braganza auf den portugiesischen Thron kam, wurden die Spanier verjagt und durch den Frieden von L. (13. Febr. 1668) die Herrschaft der Braganza bestätigt. Am 1. Nov. 1755 wurde die Stadt abermals durch Erdbeben zu zwei Dritteln zerstört und verlor dabei über 30,000 ihrer Einwohner (vgl. Woerle, Der Erschütterungsbezirk des großen Erdbebens zu L., Münch. 1900). Ende November 1807 wurde sie von den Franzosen besetzt, aber 30. Aug. 1808 durch die Engländer wieder befreit. Seitdem wurde das bis dahin nicht befestigte L. durch eine Linie von Verschanzungen vom Tejo bis aus Meer auch auf der Landseite gedeckt. Seit 1815 war es als die Hauptstadt von Portugal oft der Schauplatz innerer Parteikämpfe. Vgl. B. de Castro, Mappa de Portugal, Bd. 2; Freire de Oliveira, Elementos para a historia do municipio de Lisboa (Lissab. 188598, 9 Bde.); Mumm, Lissabon 1897 (Straßb. 1898); Haupt, Die Baukunst der Renaissance in Portugal, Bd. 1: L. und Umgegend (Frankf. a. M. 1890).
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