Ceremoniel

[824] Ceremoniel, Inbegriff der Gebräuche, welche, nach Wohlstand u. Herkommen, bei feierlichen Gelegenheiten zu beobachten sind. Man theilt das C. gewöhnlich in: a) Staats- od. völkerrechtliches C., dazu gehört der gegenseitige Rang der Fürsten, bei Zusammenkünften (Hofcérémoniel), im schriftlichen Verkehr (Kanzleicérémoniel), das C. der Gesandten u. Minister unter einander (diplomatisches C.), das C. sich begegnender Truppen (militärisches C.) u. Schiffe (Seecérémoniel) etc. Es entstand in Folge wiederholter päpstlicher Entscheidungen u. des Völkerrechts, welches sich von dem Anfange des 16. Jahrh. an immer mehr ausbildete, u. seit dem Westfälischen Frieden u. in Folge mehrerer diplomatischer Verhandlungen wurde es immer genauer bestimmt u. an ihm lange fest gehalten. Auf dieses C. legte man früher einen großen Werth, da mit dem C. die Anerkennung des größeren od. geringeren Ranges eines Staates, seiner Unabhängigkeit u. Machtstellung verbunden war. Wenn demnach einzelne Staaten durch Umgehung desselben gegen andere, diese in den Schein eines Abhängigkeitsverhältnisses zu sich zu setzen suchten, so war es im Interesse aller anderen, dieses nicht zuzugestehen. Am entschiedensten trat das C. bei. dem Utrechter Frieden hervor, wo sich die Gesandten des Kaisers, Frankreichs, der Niederlande, Spaniens u. Englands in einem runden Zelte versammelten, in welches für jeden eine besondere Thüre führte u. wo sie an einem runden Tische saßen, damit keiner den Vorrang vor dem Andern sich anmaßen könne. Durch die Französische Revolution hat das Staats-C. an Wichtigkeit verloren, u. es halten sich jetzt wenigstes die 5 Großmächte für gleichen Ranges u. unterzeichnen nach dem Anfangsbuchstaben des Namens ihres Staates in französischer Sprache, nämlich Autriche, France, Grande Bretagne, Prusse, Russie, od. man bedient sich dabei des Alternates, d.h. in demjenigen Exemplar der Verhandlungen, welches jeder Hof für sich selbst erhält, steht der Name desselben an der Spitze. b) Hof-C., wozu die Anordnung von Hoffeierlichkeiten an Gallatagen, bei Couren, Vermählungen, Taufen, Begräbnissen, Trauern, Huldigungen, Festen aller Art, die Bestimmung des Ranges der Hofleute, Anordnung der Hoftrachten, der Audienzen, Einführung der Fremden etc. gehört. C. gab es von jeher überall, an den Höfen der Orientalen, bes. ausgebildet an den Höfen der Byzantinischen Kaiser (über welches Kaiser Constantin Porphyrogennetos ein besonderes Buch, Ἔκϑεσις τῆς βασι λείου ιάξεως, schrieb), der Chinesischen Kaiser. Das C. an den europäischen Höfen rührte ursprünglich von dem des Byzantinischen Kaiserhofes, welches schon Karl der Große nachahmte, her u. wurde durch die Vermählung des Kaisers Otto II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophania noch mehr verbreitet. Karl V. brachte durch Einführung des spanischen C-s eine große Veränderung im C. an den Höfen hervor, zugleich aber eine solche Grandezza in dasselbe, daß alles Leben in der Gesellschaft u. den Unterhandlungen gelähmt wurde. Der französische Hof ging nie ganz auf das steife spanische Wesen ein, sondern behauptete stets eine gewisse Leichtigkeit u. Lebendigkeit. Man unterschied dort ein strengeres Residenz- u. ein weniger strenges Campagne-C., das man bei Reisen u. im. Felde beobachtete. Dem Beispiele des französischen Hofes folgten die protestantischen, dem des österreichischen die. katholischen Fürsten Deutschlands. Die neuere Zeit hat seit der Französischen Revolution u. schon seit Friedrich d. Großen, die Strenge des C-s bedeutend gemildert, u. fast existirt dasselbe nur noch bei besonderen Feierlichkeiten in seiner alten Strenge. An Napoleons Hofe wurde das C. mit fast mehr Strenge, als an irgend einem andern Hofe beobachtet, was auch an dem neuen französischen Kaiserhofe der Fall ist. Das C., welches die Höfe jetzt unter einander beobachten, die sogen. Staatsgalanterie, richtet sich zum Theil nach der Rangordnung der Staaten, wobei die großen Republiken, wie die Nordamerikanische Union u. die Schweiz, auch die Großherzöge u. der Kurfürst von Hessen, königliche Ehren genießen, zum Theil nach dem Grade der Verwandtschaft der Souveraine. Dieses wechselseitige Hoscérémoniel hat seinen Charakter dem Familienleben entlehnt, was darin seinen Grund hat, daß fast alle europäischen Dynastien in einem verwandtschaftlichen Verhältniß zu einander stehen. So tituliren sich Souveraine gleichen Ranges Bruder, zeigen Heirathen, Todesfälle u. dergl. einander an, beglückwünschen sich bei freudigen Anlässen, verordnen Hoftrauer beim Tode eines fremden Souverains, etc.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 824.
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