1. Alle Laster nehmen mit der Zeit ab, nur Geiz und Lüge nehmen zu. – Simrock, 3228; Eiselein, 217.
Mhd.: So der gîtig minr des weges hât, so er mê guotes ûf sich lât. (Boner.) (Zingerle, 48.)
[1798] Engl.: When all sins grow old, covetousness grows young.
It.: Ogni cosa si scema con la vecchiezza fuor chè l'avarizia. (Pazzaglia, 22.)
2. Alle laster nemen bey den Menschen ab; allein die begierd zu gelt vnd gütern bleibt bey jhm biss in die Höll. – Lehmann, 251, 25.
3. Alle Laster sind auf dem Dolden. – Eiselein, 129.
4. Alte Laster werden schwer abgewöhnt.
Schwed.: Waanan är dryger. (Grubb, 843.)
5. Bist du in Ein Laster erpicht, so helfen die andern Tugenden nicht.
6. Das Laster aufzublasen, dazu gehören zwei Teufel, einer, der die Zunge, und der andere, der die Ohren dazu ausrüstet.
7. Das Laster straft sich selbst.
8. Dem Laster feind, der Person Freund.
9. Der Laster Verachtung ist der Tugend Lob. – Winckler, XIII, 33.
10. Die Laster all bringen mit sich Gifft vnd Gall. – Petri, II, 5.
11. Die Laster eines andern will jeder strafen, aber seine eigenen will niemand erkennen und strafen lassen.
It.: Il vizio altrui dispiace agl' istessi viziosi. (Pazzaglia, 415, 4.)
12. Die Laster stehlen der Tugend die Kleider. – Lehmann, 762, 34; Sailer, 178; Simrock, 6201; Braun, I, 2170; Körte, 3704; Reinsberg III, 68.
Engl.: Vice is often cloathed in virtue's habit.
It.: Tal sembra in vista agnello, che al di dentro è lupo.
Lat.: Pelle sub agnina latitat mens saepe canina. – Vitia nobis subvirtutum nomine subrepunt. (Seybold, 642.)
Schwed.: Last får offta dygden namen. (Grubb, 449.)
13. Ein Laster befleckt alle Tugend. – Petri, II, 211.
14. Ein Laster bringt das ander vnnd eins folgt dem andern nach. – Petri, II, 211.
Span.: Tras el vicio viene el fornicio. (Bohn II, 259.)
15. Ein Laster kostet mehr als zwei Kinder. – Simrock, 6202; Körte, 3703; Braun, I, 2168.
Auch in der Fassung: Ein Laster zu ernähren kostet mehr als eine Frau und eine Mandel Kinder. Welche Opfer fordert nicht die Trunksucht, die Spielsucht, wie jede andere Sucht. Wenn der französische Finanzminister recht hat, bringt es aber auch mehr ein als irgendeine Tugend. Wenigstens erwiderte er einem Bittsteller, der um Massregeln gegen das Laster des Rauchens und Schnupfens nachsuchte: »Rauchen und Schnupfen mögen Laster sein, aber nennen Sie mir eine Tugend, die dem Staatsschatz jährlich 120 Mill. Franken einträgt.« (Erheiterungen, Stuttgart 1863, Hft. 9, S. 360.)
16. Ein Laster schend dess Mans gantz Leben. – Petri, II, 211.
17. Ein Laster ungestraft, vermehrt sich ungezählt.
18. Einer hat mehr, der andere weniger Laster als Tugenden.
Dän.: Der ere fleere lyder end dyder. – Mange ere meere uden lyder end med dyder. (Prov. dan., 399.)
19. Es ist kein Laster, es ist dafür ein Pflaster. – Eiselein, 411; Simrock, 6206.
20. Es wirt niemand ohn laster geboren; der beste ist, der die wenigsten an jhm hat. – Henisch, 326, 51; Petri, II, 306.
21. Frühe Laster, späte Reue. – Gaal, 972.
It.: Peccato vecchio, penitenza nuova. (Gaal, 972.)
22. Grobe Laster soll man nit mit einem fuchsschwantz straffen. – Henisch, 1273, 50; Petri, II, 357.
23. Kein Laster ist ohne Straff. – Lehmann, II, 321, 53; Reinsberg II, 45 u. 46.
Engl.: Where vice is vengeance follows. (Bohn II, 139.)
Frz.: Nul vice sans supplice. (Leroux, II, 271; Kritzinger, 712b.)
Lat.: Nullus homo poenam sceleris reus effugit unquam. (Seybold, 394.) – Raro antecedentem scelestum deseruit pede poena claudo. (Horaz.) (Bohn II, 139.)
24. Kein Laster ist so gross, das Demuth nicht bedeckt, und keiner Tugend Lob, das Hoffart nicht befleckt. – Seybold, 248.
25. Laster bleiben in der Welt, so lang' noch Unkraut wächst im Feld. – Gaal, 1071.
Frz.: Il y aura des vices au monde, tant qu'il y aura des hommes. (Kritzinger, 712b.)
Lat.: Infelix lolium et steriles dominantur avenae. (Gaal, 1071.)
Ung.: Mindenütt terem gaz. (Gaal, 1071.)
[1799] 26. Laster, die in der Jugend hervorsprossen, muss man abhauen, dass sie nicht zur Aeltern Schande heranwachsen.
27. Laster, die man nicht tadelt, säet man. – Steiger, 76; Simrock, 6205; Körte, 3701.
Frz.: Un vice non puni s'accroît à l'infini. (Kritzinger, 712; Masson, 48.)
Poln.: Sobie szkodzi, kto złego swobodzi. (Masson, 48.)
28. Laster fliehen ist nicht genug, man muss auch die Gelegenheit und den Ort meiden. – Lehmann, 371, 28.
29. Laster führen gern der Tugend Namen.
Schwed.: Laster få offta dygde namen. (Grubb, 606.)
30. Laster haben einen schändlichen Ausgang.
Frz.: Le mal porte se repentir en queue. (Kritzinger, 431.)
It.: Chi serve al vizio attenda il supplicio. (Pazzaglia, 415, 1.)
31. Laster haben einen süssen Anfang, aber ein bitteres Ende.
Frz.: L'homme chet en vice facilement, mais en vertu dresse lentement. (Leroux, I, 168.)
It.: Non vi è cosa più facile da impararsi, chè il vizio. (Pazzaglia, 415, 8.)
32. Laster ist allen Menschen angeboren vnnd klebt denselben an wie Bech. – Lehmann, II, 371, 30.
Dän.: Til udyd behøves ingen skolemester. (Bohn I, 401.)
33. Laster machen das Regiment voll Verderbens.
34. Laster muss man mit dem strengen Eysen der Gerechtigkeit seubern. – Lehmann, 733, 72.
35. Laster schmücken sich gern mit einem Tugendkleid, aber das schmuzige Futter guckt vor.
Lat.: Mala aetas nulla invenit delinimenta.
Schwed.: Odygd smyger offta vnder dygde mantel. – Odygden hielper ingen sminck. (Grubb, 606.)
36. Laster sehwet (säet) man, so mans nit tadelt. – Franck, I, 66b; Lehmann, II, 371, 27.
Lat.: Consueta vitia serimus, ni reprehendimus. (Franck, I, 66b.)
37. Laster sind im Angesicht. – Lehmann, II, 371, 31.
38. Laster und Geld herrschen gern zusammen in der Welt.
Engl.: Vice ruleth where gold reigneth. (Bohn II, 139.)
39. Laster und Rauch steigen gern hoch.
Lat.: Humi jacentem scelera non intrant casam. (Philippi, I, 183.)
Schwed.: Laster stijga högt. (Grubb, 450.)
40. Laster und Unkraut muss man an der Wurzel fassen.
It.: Vizio non punito cresce all' infinito. (Pazzaglia, 415, 7.)
41. Laster wird durch Straffe gereinigt. – Lehmann, II, 371, 29.
42. Man muss die Laster schlagen wie die Parther ihre Feinde durch Fliehen. – Eiselein, 411.
43. Man muss offt ein Laster ein tugend sein lassen. – Lehmann, 763, 43.
»Scham ist ein Tugend, Vnzucht ist zu schelten. Wenn aber eine Hur Scham hat, so ists ihr schad; also ists mit eim Wucherer, mit Geitzigen, mit Finantzern u.s.w.«
44. Manch laster ist wie ein rauch obs, es zeitigt langsam, eh mans brechen kan. – Lehmann, 741, 38.
45. Newe Laster vnnd schand bringen allweg mit sich newe Kranckheit. – Petri, II, 493.
46. Offenbares Laster soll man nicht ungestraft hingehen lassen. – Graf, 425, 214.
In Bezug auf Einschreiten des Gerichts von Amts wegen oder Anklagen des Staatsanwalts. (S. Kaiser ⇒ 45 u. ⇒ 61.)
47. Was ein Laster kostet, kann zwei Kinder ernähren.
48. Wenn alle Laster alt werden, so bleibt (wird) der Geiz jung.
Dän.: Alle laster tage af omsider, gierighed voxer altid til. (Prov. dan., 228.) – Naar alle laster, bliver gamle og affældige, bliver gierighed ung. (Prov. dan., 377.)
Frz.: Quand tous les péchés sont vieux, avarice est encore jeune. (Cahier, 163.)
49. Wenn man geringe (kleine) Laster nit strafft, so wachsen die grossen. – Lehmann, 733, 74; Körte, 3702; Simrock, 6203; Braun, I, 2169.
Poln.: Od guzika do nožyka, od nožyka do konika, a potém na szubienicę. (Masson, 224.)
[1800] 50. Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch. – Eiselein, 411.
Frz.: Contre le vice est vertu médecine. (Kritzinger, 712b.)
51. Wer durch Laster sich geschändet, schwer sich je zum Guten wendet.
»In einer bossheit lauffen starck, mehrt das laster noch so argk.«
Lat.: Animus imbutus malis artibus, haud facile libidinibus caret. (Philippi, I, 31.) – Peius currendo uitium fit, quam residendo. (Loci comm., 106.)
52. Wer Ein Laster liebt, der liebt die Laster alle.
53. Wer ein Laster lobt, der sündigt doppelt.
Die Russen: Wer ein Laster lobt, tadelt die Tugend. (Altmann VI, 434.)
Dän.: Rose last er dobbelt synd. (Prov. dan., 541.)
Schwed.: Rosad last är dubbel Synd. (Wensell, 65; Grubb, 692.)
54. Wer ein Laster nicht bekämpft, der wird dessen Knecht.
Dän.: Man skal stride baade offensive og defensive mod laster. (Prov. dan., 534.)
55. Wer ein Laster nicht tadelt, säet es.
Nach einem alten Gesetze der Sparter war der, welcher einen in seiner Gegenwart begangenen Fehler nicht tadelte, so strafbar, wie der Fehlende selbst.
Dän.: Saa ferdig at straffe laster, saa ferdig at fremme dyder. (Prov. dan., 164.)
Frz.: Qui épargne le vice, fait tort à la vertu. (Bohn II, 49.)
56. Wer einmal geübt Laster und Schand', kommt selten mehr zu Ehrenstand.
57. Wer in ein Laster eingepicht1, dem helffen andere Tugend nicht. – Sutor, 185.
1) In den Loci comm. heisst es: »Wer in eim Laster ist ein Wicht u.s.w.«
Lat.: Omne bonum quod habes, contaminat unica labes. (Sutor, 1850; Loci comm., 106.)
58. Wer mit dem Laster einmal trinkt, der ist geworben.
Lat.: Semel malus semper praesumitur malus. (Seybold, 547.)
59. Wer mit einem Laster nicht bald (früh) bricht, der beherrscht (den verlässt) es später nicht.
»Den lasteren wehr bey der zeit, denn hart lest ab böse gewohnheit.«
Lat.: Prorsus et absque mora, vitium remouere labora. (Loci comm., 106.)
60. Wer von einem Laster scheidet, hat eine gute Tagereise gethan.
It.: Chi lascia indietro il vizio, ha fatto una buona giornata. (Pazzaglia, 415, 9.)
61. Will das Laster haben Ruh, deckt es sich mit Tugend zu.
62. Wo die Laster vor Regier-Vörteil gebraucht werden, thun alle diejenigen sehr übel, die nichts Uebels thun. – Opel, 388.
63. Wo die Laster zu–und die Strafen abnehmen, da ist es um das Regiment geschehen. – Opel, 377.
64. Wo kein Laster, da ist keine Tugend. – Lehmann, 99, 28; Eiselein, 411; Simrock, 6200.
Lat.: Ubi vitia non sunt, ibi nec virtuti locus est. (Lehmann, 99, 28; Binder II, 3389.)
65. Zu einem Laster braucht man keinen Lehrmeister.
Schwed.: Laster lähras vthan Book. (Grubb, 450; Wensell, 48.)
*66. Er ist aller Laster voll.
Frz.: C'est un cloaque d'impureté. (Kritzinger, 148.)
*67. Er ist mit Lastern behaftet wie ein Schlittengaul mit Schellen.
*68. Es sind die alten Laster nach neuester Mode. – Eiselein, 411.
*69. Zu einem Laster kommt man leicht.
Frz.: Au vice on vient facilement, mais à vertu fort lentement. (Kritzinger, 712b.)
70. Das Laster lernt sich ohne Meister.
It.: I vizi s' imparano anco senza maestri. (Giani, 1785.)
71. Das Laster wird im Winkel empfangen, in den Gassen geboren und wandert dann durch die ganze Stadt. – Harssdörffer, 1660.
72. Ein jedes Laster hat seine Vorsprecher. – Gryphius, 53.
73. Ein Laster, das als Kind man treibt, gewöhnlich auch im Alter bleibt.
It.: Chi da giovane ha un vizio, in vecchiaia fa sempre quell' uffizio. (Giani, 773.)
74. Vier laster jrren das Recht: gächhait, zorn, geitz, begierd (affectio) genaigschafft. – Rasch, 124.
75. Vier laster stellen sich als tugend: verschalckthait für fürsichtig; halsstarrigkait für beständigkait; geitzigkait für einzagenhait, greulichkait für gerechtigkait. – Rasch, 53.
[1539] 76. Vier laster, unter andern verwerfflich: den nächsten on vrsach hassen, mit der zung anderm entziehen, frembdes vnrechtlich anemmen, vnbill anderm zuemueten. – Rasch, 49.
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