[498] Jesuiten (die) oder die Gesellschaft Jesu behaupteten das Ansehen eines geistlichen Ordens, der den Zweck hat, überall die geistliche Herrschaft der Kirche auszubreiten und [498] zu befestigen und der durch die beharrliche und glückliche Verfolgung dieses Ziels eine in ihrer Art einzige welthistorische Erscheinung geworden ist. Der Stifter dieses Ordens war der span. Edelmann Ignatius von Loyola (s.d.), der sich am Himmelfahrtstage 1534 in der Kirche von Montmartre zu Paris mit noch sechs andern Studirenden, Lefèvre aus Savoyen, Xaver aus Navarra, Rodriguez aus Portugal und den Spaniern Lainez, Salmeron und Bobadilla durch feierliche Gelübde zu freiwilliger Armuth, zur Bekehrung der Ungläubigen und zu einer Wallfahrt nach Jerusalem verband. Die Überzeugung, jeden, auch den beschwerlichsten Dienst der Kirche, übernehmen und zur besondern Verherrlichung der Ehre Gottes vollbringen zu müssen, drückte gleich anfangs den Geist aus, der auf dieser Verbrüderung ruhte und der Roms furchtbarer Schutzgeist werden sollte. Nach vollendeten Studien begaben sich die Verbündeten nach Italien, wo sie seit 1537 in der Weise der Bettel- und Predigermönche lebten und neue Mitglieder zu werben suchten, weil ein ausgebrochener Türkenkrieg die heilige Wallfahrt unausführbar gemacht hatte. Erst im Jahre 1539 begab sich Loyola, begleitet von Lefèvre und Lainez, nach Rom, um dem Papste seinen Plan zur Gründung eines neuen Ordens vorzulegen. Paul III., da er glaubte, es sei auf die Stiftung eines neuen Bettel- und Predigerordens abgesehen, trug anfangs Bedenken, ihn zu genehmigen, sah aber später bei näherer Prüfung des Plans die Brauchbarkeit der neu zu gründenden Gesellschaft gegen die unaufhaltsam vorwärts schreitende Reformation ein. In einer besondern Bulle bestätigte er 1540 den neuen Orden als eine Gemeinschaft zum Wachsthume der Seele im christlichen Leben und Glauben, anfangs mit der Beschränkung auf 60 Mitglieder. Außer dem dreifachen Mönchsgelübde, der Armuth, Keuschheit und des blinden Gehorsams gegen die Obern, verpflichtete er sich noch zur Übernahme eines vierten, dem des unbedingten Gehorsams gegen den Papst, in Allem, was den Dienst der Kirche, vorzüglich gegen Ketzer und Ungläubige, beträfe. Loyola nannte den Orden, zufolge einer kurz vorher auf der Reise nach Rom ihm widerfahrenen Erscheinung, die Gesellschaft Jesu und hatte die Freude, im folgenden Jahre bei einer Versammlung zu Rom sich einstimmig von allen Mitgliedern zum General derselben ernannt zu sehen.
Schnell ging von jetzt an der Orden seiner hohen Bestimmung entgegen, fast 200 Jahre lang einen stets mächtigen, allzu oft vorherrschenden Einfluß in den großen Geschäften der Kirche und der Staaten auszuüben, zugleich rohen wie hochgebildeten Völkern Gesetze zu geben, gewisse Ideen zu verbreiten und zu befestigen, und schwache Privatleute zu Herren der Erde und ihrer Könige zu machen. Am wenigsten erhob ihn zu solcher Größe und Macht das zwar unermüdliche, aber beschränkte und oft kleinlichen Außendingen zugewandte Streben Loyola's; sie gründete sich vielmehr auf die Gunst des röm. Stuhls, der dem Orden die ausgezeichnetsten Privilegien verlieh und mehr noch als auf diese, auf die Weisheit seiner Verfassung, welche besonders von Lainez, dem beständigen Rathgeber Loyola's, begründet wurde. Frei von weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit, nur den Ordensgeneral und den Papst als alleinige Oberherren anerkennend, zu jeder Art geistlicher Handlungen befähigt, selbst während eines Interdicts in der Machtvollkommenheit, sich von Sünden und Kirchenstrafen selbst freizusprechen, Gelübde der Laien in gute Werke zu verwandeln, ohne weitere päpstliche Bestätigung überall Kirchen und Güter zu erwerben und Ordenshäuser anzulegen, an strenge Ordensregeln nicht gebunden, viele, wie die Abwartung der kanonischen Stunden, das Fasten und die Speiseverbote zu mildern oder sogar zu unterlassen, nach Befinden der Umstände selbst vermögend, mußten die Jesuiten überall, wo sie hinkamen, eine Macht werden. Paul III. und Julius III. hatten ihnen diese Vorrechte verwilligt und dieselben waren von den nachfolgenden Päpsten bei der fortschreitenden Wirksamkeit des Ordens immer mehr erweitert worden, damit dieser um so leichter seiner Bestimmung, Ketzer und Ungläubige in den Schoß der allein seligmachenden Kirche zu bringen, entsprechen könnte. Durch sie wurde dem Orden um so leichter seine weltgeschichtliche Bedeutung vermittelt, jemehr dessen innere Einrichtung und ganze Verfassung von ihnen den ausgedehntesten und vortheilhaftesten Gebrauch zu machen lehrte.
Die Verfassung des Ordens, von Lainez begründet und von Claude Aquaviva zur Vollendung gebracht, beruhte auf der unumschränkten Freiheit bei blindem Gehorsam, auf der Selbständigkeit des Einzelnen bei gänzlicher Dahingebung an die Gesammtheit, an den sie beherrschenden Willen des Ordensgenerals. Sämmtliche Ordensglieder zerfielen in die vier Stände oder Classen: der Novizen oder der zu Prüfenden, der approbirten Scholastiker oder der geprüften Schüler, der formirten Coadjutoren oder der wirklichen Mitarbeiter und endlich in den Stand der Professen oder der Erwählten. Die Novizen waren Jesuiten des niedrigsten Grades. Se wurden ohne Rücksicht auf Geburt und äußere Verhältnisse aus den talentvollsten und wohlgebildetsten Jünglingen und Männern gewählt und mußten unter allen ersinnlichen Übungen der Selbstverleugnung und des Gehorsams eine zweijährige Prüfungszeit in Novizhäusern unter einem Novizmeister bestehen. Sie waren entweder Schüler, Scholastiker, die sich mit der Wissenschaft beschäftigten, oder dienstthuende Laienbrüder, Coadjutoren, welche zu häuslichen Verrichtungen angenommen wurden oder, wie dies auch von hochgestellten Personen, selbst von Ludwig XIV. geschah, solche, die in der bürgerlichen Gesellschaft sich dem Orden nützlich zu machen suchten. Die in den Rang der approbirten Scholastiker oder geprüften Schüler Aufgenommenen hatten das Gelübde der unverbrüchlichsten Treue gegen den Orden abzulegen und wurden in die Collegien gesandt, wo sie einen tiefer gehenden Unterricht in der Wissenschaft und in allen Kenntnissen und Fertigkeiten erhielten, deren sie als Erzieher und Lehrer der Jugend, zu welchem Geschäft sie der Orden vorzüglich gebrauchte, bedurften. Eine Beförderung aus diesem in den nächstfolgenden Grad der formirten Coadjutoren, wirklichen Mitarbeitern, die sich in die weltlichen und geistlichen theilten, mit dem Unterschiede, daß jene mehr wegen Hingebung an den Orden und lenkbarerer Gemüthsart, diese mehr wegen gründlicher Wissenschaft und erbaulichen Wandels die Auszeichnung dieses Grades erhalten hatten, konnte nur nach sieben fortgesetzten Studienjahren stattfinden. Die geistlichen Coadjutoren waren geweihte Priester, ohne Besitz und Eigenthum und hatten als Professoren, Prediger, Rectoren, Beichtväter, Hofmeister, Gewissensräthe eine ausgebreitete Wirksamkeit. Den vornehmsten Stand und [499] gleichsam das Herz der Jesuiten bildeten die Professen, Männer von Geist, Gelehrsamkeit und bewährter Gesinnung gegen den Orden. Durch ein besonderes Gelübde in die Geheimnisse desselben eingeweiht, war ihnen der höchste und unmittelbarste Einfluß gegeben in Allem, was ihr General Wichtiges unter Ketzern und Ungläubigen, an den Höfen und Universitäten vollbracht wissen wollte. Aus ihrer Mitte gingen die thätigen Heidenbekehrer, die großen Gelehrten, die berühmten Staatsmänner, die schlauen fürstlichen Beichtväter hervor. Vom Jugendunterrichte waren sie völlig frei, und außer Dienst lebten sie in den für die höchste Ausbildung des Ordens bestimmten Profeßhäusern unter einem Superior. Bei der Wahl des Ordensgenerals, der selbst Profeß gewesen sein mußte, hatten sie eine entscheidende Stimme und waren in Allem die nächsten Werkzeuge seiner Macht. So groß ihr Einfluß war, so erstreckte er sich doch nicht weiter, als auf das Gehorchen. Das Haupt der Gesellschaft, der General, war lebenslang gewählt und vereinigte in sich die höchste gesetzgebende, richterliche und regierende Gewalt. Er residirte zu Rom, umgeben von dem Rath der Assi stenten, welche die fünf Nationen der Italiener, Deutschen, Franzosen, Spanier und Portugiesen repräsentirten; ihm zur Seite noch stand ein Gewissensrath, Admonitor, der alle seine Schritte zu Gunsten des Ordens lenken mußte. Der General allein hatte das Recht, selbst mit Ausschließung des Papstes, Mitglieder zu ernennen und auszustoßen, sie zu höhern Graden zu befördern, ihnen Ort und Art der Wirksamkeit anzuweisen und sie über das Geleistete zur Rechenschaft zu ziehen. Ihm hatten die über die einzelnen Provinzen gesetzten Provinzialen monatlich, die Superioren der Profeßhäuser, die Rectoren der Collegien und die Novizmeister vierteljährlich über Alles, was für den Orden von Bedeutung war, besonders über kirchliche und Staatsangelegenheiten, über die Fähigkeiten und die Wirksamkeit der Ordensglieder ausführlichen Bericht zu erstatten, worauf er nachher seine Befehle für Das, was ferner gethan werden sollte, gründete.
Noch war diese in ihrer Art meisterhaft ausgesonnene Verfassung beiweitem ihrer Vollendung nicht nahe, als sich auch der Orden über das ganze Abendland verbreitet sah, während ihm Xaver die Richtung übers Meer zur Heidenbekehrung gab. Wo ihn der Haß gegen die Reformation nicht hinrief, da fanden Fürsten und Völker der katholischen Länder in dem Reize seiner Neuheit, in der Ehrfurcht vor den ihn begünstigenden Beschlüssen des Papstes und in der vielversprechenden Meinung von seiner Bildung und allseitigen Thätigkeit Gründe zu seiner Aufnahme. So ließ sich der Orden noch bei Lebzeiten seines Stifters in Italien, Portugal, Spanien und dem deutsch-katholischen Östreich und Baiern, wo er der Universitäten Ingolstadt, Wien und Prag Meister wurde, nieder und bei Loyola's Tode 1556 war die Anzahl der für ihn anfänglich bestimmten 60 Mitglieder um mehr als das Zehnfache vermehrt. Dagegen erhob sich Frankreich im gleich mächtigen Widerspruch des Parlaments, der Geistlichkeit und der Universität gegen die Aufnahme des Ordens; nur durch die Gunst des Hofs gelang es diesem unter dem Namen der Väter des Collegiums von Clermont zu Paris 1562 festen Fuß zu fassen. Die Bedingungen, unter denen dies mit fast gänzlicher Entsagung seiner Gerechtsame geschah, waren jedoch ein zu geringes Hinderniß, als daß er nicht bald einen überwiegenden Einfluß auf alle Angelegenheiten hätte ausüben sollen. An Umfang und innere Kraft gewann der Orden unter dem gewandten und staatsklugen Jakob Lainez, seit 1558–64 zweiter General, der ihm die Bildung seiner Weltleute angewann. Nicht gesunken unter dem mönchisch-frommen Franz von Borgia, seit 1564–72 dritter General, erhob er sich zu immer größerer Höhe, immer mächtigerer Wirksamkeit, als mit dessen Tode das glanzvolle Generalat Claude Aquavivas, von 1572–1616, des Vertreters und Vollenders der Grundsätze Lainez's, eintrat. Die Thätigkeit, die jetzt der Orden entwickelte, war eine allseitige und in ihren Folgen außerordentliche, führte aber auch denselben weit über das vorgesteckte Ziel seiner Wirksamkeit hinaus zu einer Größe der Macht und des Ansehens, die zuletzt für ihn selbst verderblich wurde. Nicht genug, daß die Jesuiten, dem Beispiele Xaver's folgend, der in heldenmüthiger Aufopferung als rastloser Heidenbekehrer auf einer Reise nach Lima 1551 den Tod fand und seiner Verdienste wegen von der Kirche heilig gesprochen wurde, als Missionare ferne Erdtheile aufsuchten und in dem portug. Ostindien, Brasilien und dem span. Amerika Tausende von Wilden zum Christenthume bekehrten, bemächtigten sie sich auch nach einem von Aquaviva entworfenen Lehrplane des gesammten Erziehungswesens des katholischen Europa, neue fruchtbare Schöpfungen auf diesem Gebiete hervorrufend mit erfinderischer, nie zu ermüdender Kraft. Ihre Schulen, theils Erziehungsanstalten oder Pensionen für Knaben aus allen Ständen, theils Seminarien oder Pflanzschulen für Jünglinge, die in den Orden treten sollten, übertrafen alle damals vorhandenen ähnlichen Anstalten und erlangten eine solche Berühmtheit, daß sie selbst von den Protestanten benutzt wurden und noch im 18. Jahrh. als musterhaft galten. Sie empfahlen sich dem Zeitalter durch den freien Gehorsam der Liebe und des Vertrauens, der, des mönchischen Drucks ermangelnd, dem Schüler eine Quelle der geistigen Thätigkeit wurde. Auch arbeiteten sie nicht auf die Befriedigung des einen Bedürfnisses der Wissenschaft hin, sondern sie waren in einem weiten Sinne Erziehungs- und Lehranstalten, die das Herz vor unlautern Begierden bewahren, die Sitten gefällig, das Wissen fruchtbar und für das Leben anwendbar machen sollten. Selbst für die Körperbildung gab es Übungen, und der äußere Anstand für das gesellige Leben sollte durch theatralische Darstellungen verfeinert werden. Wozu jedoch endlich dieses Erziehungswesen dienen müsse und welche Gebrechen es in sich trage, dies ahnete die Zeit nicht, die, von der glänzenden Außenseite desselben angezogen, in den Jesuiten Weltverbesserer und Wohlthäter des Menschengeschlechts zu erblicken meinte und ihnen überall Mittel zur Bereicherung bot, während diese die talentvolle Jugend für sich gewannen und Männer bildeten, die als ausgezeichnete Gelehrte in allen Zweigen der Wissenschaft den Ruhm des Ordens befestigten. Vertraute man aber den Jesuiten die Jugend, glaubte man überall ihrem Eifer für. das Wohl und Beste der Menschheit zu begegnen, so war es kein Wunder, daß man ihnen auch das Wichtigste, die Sorge für das Heil der Seele, übergab und ihnen Zutritt auf ein Gebiet verstattete, wo sie als Beichtväter der Fürsten und Großen, der Menschen jedes Standes, Geschlechts und Alters, mehr als auf irgend einem andern, die Kunst, Einfluß zu üben und zu herrschen, geltend gemacht haben. Vertraut mit der Lage der Völker, [500] mit der Gesinnung der Höfe, mit den Schwächen und Launen der Fürsten, im Besitze aller Staatsgeheimnisse, war es ihnen ein Leichtes, an der Führung der öffentlichen Angelegenheiten einen Antheil zu gewinnen und den Zustand der Staaten und Völker zum Theil von ihrem Einflusse abhängig zu machen. So war die Regierung Portugals unter Johann III. und Sebastian ganz in ihren Händen und wurde endlich durch sie an Spanien gebracht; so schürten sie in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden das Feuer des Religionskriegs; so stürzten sie den mächtigen Wallenstein; so bildeten sie sogar, wo man ihrem Einflusse widerstand, Verschwörungen gegen Fürsten, wie denn die Ermordung Heinrich IV. in Frankreich, sowie des Prinzen von Oranien und Mordversuche auf das Leben der Königin Elisabeth für ihr Werk ausgegeben werden. Trotz dieser, den Frieden der Völker, die bestehende Ordnung des Staats und das Leben der besten Fürsten gefährdenden politischen Zudringlichkeit der Jesuiten, bestanden sie, die schlimmen Folgen derselben schnell zu ihrem Vortheile verbessernd, doch überall fort, erwarben in Deutschland alle von den Reichsständen zurückgegebenen Kirchengüter, erhielten von dem Papste neue Freiheiten und machten sich aufs Neue den Fürsten, von denen sie, wie von Heinrich IV., vertrieben worden waren, unentbehrlich. Kurz nach dem Tode Aquaviva's zählte der Orden in 32 Provinzen 13,112 Mitglieder und 1640 feierte er unter dem General Vitelleschi mit dem größten Gepränge sein 100jähriges Stiftungsfest. Aber das Fest fand nicht den ungetheilten Beifall der Zeit, vielmehr rüstete sich dieselbe zu einem Kampfe, der, wenn er anfangs auch nur ein Schulstreit war, doch bald eine allgemeinere Theilnahme fand, ein Angriff auf den Orden selbst wurde und vermöge seiner Folgen diesen in seinem ganzen Dasein erschütterte. Es war dies der mit den Jansenisten (s.d.) begonnene Streit über die Rechtfertigung des Menschen aus freier Gnade. Wußten auch die Jesuiten durch die Gunst Ludwig XIV. und des Papstes den Sieg auf ihre Seite zu bringen, so hatten sie doch dadurch umweit mehr verloren, daß durch die vielen Streitschriften, namentlich durch Pascal's Provinzialbriefe, ihre Lehren und Grundsätze vor der Welt anrüchig gemacht worden waren. Ihre Sittenlehre bezeichnete man unter dem Namen des Probabilismus, als ein Gewebe von Grundsätzen für Lasterhafte und Tugendhafte gleich passend, die Alles erlaube, was sich mit wahrscheinlichen Meinungen vertheidigen ließe, die jedes Verbrechen, den Kirchenraub, die Gotteslästerung, die Abgötterei, Unzucht, Meineid, Diebstahl, Todtschlag, Mord, Vater- und Königsmord u.s.w. beschönige, die den Menschen aller Sünde frei und ledig mache, nach dem Grundsatze, daß man nur etwas Anderes denken und wollen dürfe, als man sage und thue (heimlicher Vorbehalt). Der jesuitische Jugendunterricht sei darum unmoralisch und gefährlich, er mache die Jugend nur klug und falsch, da er das Gute dem Nützlichen unterordnen lehre. Auch ihr Verdienst um die Verbreitung des Christenthums suchte man durch den Vorwurf zu schwächen, daß sie sich hierbei einer mit dem Wesen des Christenthums unvereinbaren Freiheit bedient, daß sie dasselbe durch die Grausamkeit der Inquisition befestigt und die Missionen in ihren Händen nur ein Mittel der Herrschsucht gewesen seien. Hafteten diese Vorwürfe auf den Jesuiten, so gesellte sich zu ihnen noch das durch ihr Bestehen verletzte Interesse der Regierungen, der Geistlichkeit und der Mönchsorden. Die Staatsmänner und Rechtsgelehrten sahen sich in den Unternehmungen für das Landeswohl durch das Festhalten der Ordensmänner am Bestehenden gehindert, und mußten jedenfalls den Einfluß auf den Regenten mit den fürstl. Beichtvätern theilen. Die Bischöfe wie die weltlichen Obrigkeiten waren in ihrem Machtbezirke beschränkt durch die gesetzliche Befreiung der Ordensglieder von jeder fremden Gerichtsbarkeit. Die Kleriker und die meisten andern Ordensglieder sahen sich verdunkelt und verdrängt aus dem Vertrauen des Volks. Der Orden bestand überdies nur noch in seiner Unentbehrlichkeit für die geistliche Herrschaft Roms, nicht für die Politik der Staaten; so mußte durch dies Alles sein Fall entschieden werden, dessen vornehmste Ursache sein Wesen war, zugleich das Princip seiner großen Wirksamkeit und seine größte Stütze, also theils die Einmischung in alle Angelegenheiten bei eigner Selbständigkeit, theils die Gründung seiner Existenz und Bestimmung auf die Erhaltung des Bestehenden im Widerspruche mit der Zeit. Noch konnte dem Falle durch eine Reform des Ordens, durch eine Abänderung seiner Verfassung, vorgebeugt werden; hierzu war aber weder Clemens XIII. geneigt, der trotz aller eingegangenen Beschwerden die Gemeinnützigkeit der Jesuiten in einer neuen Bulle rühmte, noch der General Lorenz Ricci, der die Anträge Ludwig XV. um Reform mit der Erklärung zurückwies: »Sint, ut sunt, aut non sint«, d.h. »Sie seien, wie sie sind, oder seien gar nicht!« So wurde der Orden durch den Minister Pombal in Portugal 1759, durch ein königl. Decret in Frankreich 1764, durch den Minister Aranda in Spanien 1767 und gleichzeitig auch in Neapel und Sicilien aufgehoben, bis endlich die Aufhebung des Ordens auch Papst Clemens XIV. (s.d.) am 21. Jul. 1773 nach langem Schwanken und nach dem hartnäckigsten Widerstreben des Generals, den Orden zu reformiren, durch die berühmte Bulle Dominus ac redemtor noster aussprach. Die Jesuiten zählten damals über 22,000 Mitglieder. Ihre Schätze und Papiere hatten sie vorher in Sicherheit gebracht. Maria Theresia vollzog die Aufhebung des Ordens erst, nachdem ihr von Rom Abschriften ihrer Beichtgeheimnisse gesandt worden waren. Auch Friedrich II. hatte den Stolz, ihn noch eine Weile in Schlesien zu dulden, und Katharina II. von Rußland vergönnte den Jesuiten, der Nützlichkeit ihrer Schulanstalten wegen, den Aufenthalt in Polen und später in Rußland selbst. Das Schicksal der Jesuiten war nicht unverschuldet, aber sie wurden ohne Urthel und Recht verdammt. Nach der herrschenden Annahme bestanden sie, außer Italien, bei 9000 unter einem unbekannten General fort, nach der Weissagung Franz Borgia's: »Wie Lämmer haben wir uns eingeschlichen, als Wölfe regieren wir und wie Hunde wird man uns vertreiben, aber wie Adler werden wir uns wieder verjüngen!« einer Auferstehung gewärtig. Nicht so bald war das Andenken ihrer Macht verschwunden da man sie auch in der Zerstreuung noch lange zum Untergange des Protestantismus verschworen und überall Spuren ihres Einflusses wahrzunehmen glaubte, was die meist übertriebene Jesuitenriecherei und den Eifer gegen den Jesuitismus erzeugte, womit man jedes feindliche, mit List und Klugheit verbundene Anstreben wider Alles, was dem Interesse der röm. Kirche und des Papstes entgegen ist, bezeichnet. Versuche der Jesuiten, unter den Namen fremder [501] Gesellschaften, wie der Rosenkreuzer, der Freimaurer, der Vincentiner, wieder aufzuleben, schlugen fehl. Doch hielt sich Papst Pius VII. wegen des übeln Zustandes der Kirche zu einer Wiederherstellung des Jesuitenordens berechtigt, die er am 7. Aug. 1814 in der Bulla Sollicitudo omnium feierlich erklärte. Seitdem bestehen die Jesuiten wieder in Italien, Spanien, Portugal, der Schweiz und Frankreich (aus Rußland wurden sie 1820 wegen Proselytenmacherei vertrieben), ohne den frühern Einfluß auf Staatsangelegenheiten, aber in wiederauflebender Wirksamkeit für die Erziehung der Jugend.
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