[227⇒] Blutrache, die noch jetzt bei den Arabern und andern Völkern Asiens, Afrikas und Amerikas, in Europa bei den Albanesen, vor kurzem auch noch in Korsika herrschende Sitte, den Mord eines Verwandten durch die Tötung des Mörders oder seiner Verwandten zu rächen. [⇐227]
[98⇒] Blutrache, eine Urform der Rechtspflege, bezweckt die Wiederherstellung des durch die Tötung eines Familiengenossen zerstörten Rechtszustandes auf dem Wege der Selbsthilfe und legt dem nächsten Blutsverwandten eines Getöteten die Pflicht auf, an dem Mörder oder dessen Verwandten mit eigner Hand Rache zu nehmen. Die B. wird oft jahrelang und durch eine Reihe von Geschlechtern ausgeübt und verwickelt nicht selten ganze Familien und Stämme in blutige Fehden. Die Idee der B. ist allen Völkern des Altertums eigentümlich und noch heute hier und da, namentlich im Orient, herrschend, z. B. bei den Arabern, Persern, den Kaukasusvölkern etc. Bisweilen kann die B. durch Geld abgelöst werden, wie z. B. nach dem Koran. Auch bei den alten Germanen hatte sie ihren Preis (s. Wergeld), blieb aber trotz aller Verbote der Kirche und der Kaiser das ganze Mittelalter hindurch lebendig und erlosch erst mit der vollen Entfaltung der Territorialhoheit und dem Ersterben des Familienbewußtseins. Bei den Römern wurde in den frühesten Zeiten die B. nach strengem Wiedervergeltungsrecht (jus talionis) vollzogen. Allen Germanen eigen und besonders üblich in Island waren die Blutbrüderschaften, feierlich geschlossene Verbindungen auf Leben und Tod zwischen Männern, von denen der eine für den andern die B. übernahm und, wenn er sie nicht ausüben konnte oder jener starb, sich selbst tötete. Auch bei Slawen und Illyriern kamen solche Verbindungen vor, und die Karen in Birma sowie die Dajak auf Borneo schließen sie noch jetzt unter Vermittelung eines Priesters, der sie von ihrem Blute trinken läßt. Auch in West- und namentlich in Ostafrika ist B. gebräuchlich. Noch bis um die Mitte des 18. Jahrh. herrschte die B. in Korsika derartig, daß man die Zahl ihrer Opfer jährlich auf 1000 schätzte; alle Bemühungen der französischen Regierung haben sie nicht ganz auszurotten vermocht, während sich in Deutschland diese Totschlagsühne nur bis in die Mitte des 16. Jahrh. nachweisen läßt. Vgl. P. Frauenstädt, B. und Totschlagsühne (Leipz. 1881); Post, Die Geschlechtsgenossenschaft der Urzeit (Oldenb. 1875); Kohler, Zur Lehre von der B. (Würzb. 1885); Miklosich, Die B. bei den Slawen (Wien 1887). [⇐98]
[79⇒] Blutrache. Sie entwickelt sich aus dem Begriffe der altgermanischen Familie, aus dem Gefühl, dass die Gemeinschaft des Blutes auch zur innigsten Gemeinschaft des Beistandes, des Schutzes und der Familienehre verpflichte. Verpflichtet zur Rache, besonders für ungerechten Totschlag, war zunächst der Hausvater, dann alle waffenfähigen Blutsfreunde, also Weiber, Kinder und Greise nicht. Die Blutrache war rechtlich anerkannt, Tacitus Germania, 21. Mit dem Frieden suchte man die Blutrache in Einklang zu bringen, einmal dadurch, dass man den Blutsfreunden des Erschlagenen das Recht gab, statt der Befehdung eine bestimmte Busse, das Wergeld, zu fordern und dasselbe unter sich zu teilen, und zweitens dadurch, dass man die Blutsfreunde des Thäters nötigte, zu dem geforderten Wergeld beizutragen, oder wenn derselbe ohne Vermögen war, es ganz zu zahlen. Mit der Ausbildung geordneter Rechtszustände nach der Völkerwanderung trat das ordentliche Gerichtsverfahren an die Stelle der Blutrache, ohne dass diese ganz ausstarb. Sie bildet das Hauptmotiv der zweiten Hälfte des Nibelungenliedes, kommt im 13. und 14. Jahrh. als Faust- und Fehderecht neuerdings in allgemeinen Gebrauch und ist als eigentliche Blutrache in einzelnen Fällen bis über die Reformation hinaus in Anwendung gekommen. Frauenstädt, Blutrache und Totschlagsühne im deutschen Mittelalter, Leipzig 1881. [⇐79]
[927⇒] Blutrache, die Sitte, nach welcher die Anverwandten eines Erschlagenen die Pflicht haben, am Mörder blutige Rache zu nehmen. Für den unabsichtlichen Mörder bestimmte Moses bei den Juden Freistätten (s. Asyl), wohin er fliehen u. sich da aufhalten konnte bis zum Tode des Hohenpriesters, wo der Blutbann aufgehoben war; wogegen absichtliche Mörder von Gerichten zurückgefordert u. dem nächsten Verwandten u. Erben des Gemordeten zur B. ausgeliefert wurden. Bei den Griechen [⇐927][928⇒] galt die B. für vorsätzlichen u. unvorsätzlichen Mord, u. um der B. zu entrinnen, mußte der Mörder aus dem Lande gehen u. sich bei einem auswärtigen Mächtigen ein Asyl suchen, od. durch ein Lösegeld Sicherheit erwerben. In der nach homerischen Zeit fiel die B. weg, die Mörder mußten aber durch religiöse Weihungen entsühnt werden; wo Gesetze eingeführt wurden, wie in Athen durch Drako. hörte ebenfalls die B. auf, u. die Bestrafung ward den Richtern überlassen. Bei den ältesten Römern wurde die B. durch strenge Talion (s.d.) vollzogen Auch den Germanen war die B. eigen, doch konnte dieselbe durch Geld (Blutgeld), od. Geldeswerth abgewendet werden, s. Wehrgeld. Bei den alten Skandinaviern bestand die B. darin, daß der Rächer dem zu Bestrafenden die Rippen vom Rückgrat losschnitt u. die Lunge herausholte (den Blutaar ritzen). In Abyssinien wird noch jetzt der Mörder dem nächsten Verwandten zur Bestrafung übergeben. Bei den Tscherkessen erstreckt sich die B. auf alle Verwandte des Mörders u. pflanzt sich oft durch viele Generationen fort. So auch bei den Arabern; Muhammed milderte die B. durch Gesetze dahin, daß der Mörder sich durch ein Blutgeld lösen konnte Auch mehrere tatarische Stämme, wie die Nogaier, üben B. In Europa fand sich die B. im 9._ 11. Jahrh. auch bei den Russen, noch jetzt in Irland u. Hochschottland, u. noch bis in die neueste Zeit in Sardinien u. Corsica. Die Übung der B. verwickelt oft ganze Stämme in vernichtende Fehden, indem der Bluträcher, wenn er etwa an einem Unschuldigen Rache nimmt, von Neuem der B. verfällt, u. so fort. Vgl. Tobien, Die B. nach altem russischen Rechte, Dorp. 1840. [⇐928]
[577⇒] Blutrache, bei verschiedenen Völkern (Araber. Hebräer, Griechen, Römer, Germanen, Nordländer) das Recht und die Pflicht der nächsten Verwandten eines Getödteten, am Mörder blutige Rache zu nehmen. An deren Stelle konnte bei den Germanen auch Sühnung durch Geld (Blutgeld, Wehrgeld) treten. Mit der fortschreitenden Staats- und Rechtsentwicklung ging die B. wie die Privatrache überhaupt an den Staat über, d.h. die Verbrechen werden von Staatswegen verfolgt und die Privatrache ist verboten. [⇐577]
[273⇒] Blutrache heißt die manchen Völkern des Alterthums eigne und jetzt bei vielen Bewohnern Asiens, Afrikas und Amerikas und bis vor Kurzem auch in Sardinien und Corsica noch herrschende Sitte, welche die nächsten Verwandten eines Ermordeten verpflichtet, ihn durch die Tödtung des Mörders zu rächen. Da die That des Bluträchers, besonders im Falle des absichtslosen Todtschlags, häufig zur Folge hatte, daß ein neuer Bluträcher gegen ihn aufstand, so führte dies zu blutigen und langwierigen Kämpfen zwischen ganzen Stämmen, die zuweilen nur in der Vertilgung des einen Theiles ein Ziel fanden. Diese grausame Sitte ist eine Folge des vorherrschenden Familien-und Stammverbandes, nach welchem ein dem einzelnen Gliede der Familie zugefügtes Unrecht als ein Angriff auf den ganzen Familienstaat angesehen wurde, wie in ähnlichem Sinne die Römer, bei denen in früherer Zeit ebenfalls die Blutrache stattfand, den Mord eines röm. Bürgers als eine Verletzung der Majestät des röm. Volkes ansahen. Mit den Fortschritten der Civilisation und der Ausbildung der gesellschaftlichen Verhältnisse zum Staatsverbande verträgt sich die Blutrache natürlich nicht, ja sie wird daneben zum Verbrechen, da das Recht der Strafe dem Staate vorbehalten bleiben muß. [⇐273]
[1098⇒] Der Blūtrcher, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welchem es zukommt, vergossenes Blut zu rächen, besonders so fern es der nächste Verwandte des Entleibten ist. Beyde Wörter sind im Deutschen ziemlich ungebräuchlich geworden. Doch kommt Bluträcher noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vor. [⇐1098]
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