[2] Ionische Inseln, eine schon aus Homers »Odyssee« bekannte Gruppe von sieben größern und mehreren kleinern, häufig von Erdbeben heimgesuchten Inseln im Ionischen Meer, an der Westküste Südalbaniens und Griechenlands (s. Karte »Griechenland«). Die nur durch seichtes Meer vom Festland getrennten Inseln, die als eine zerstückelte, wald- und wasserarme Bergkette die Arkadischen Kalkgebirge fortsetzen und deshalb vorwiegend aus Kreide- und Tertiärkalk, dann aber auch aus Neogenschollen, die ein fruchtbares, trefflich bebautes Hügelland bilden, zusammengesetzt sind, erreichen in Kephallinia ihre größte Höhe (1620 m). Die reich gegliederte Innenseite, an der auch meist die Hauptorte der Inseln liegen, ist dem Festland zugekehrt; die wenig gegliederte Außenseite dagegen stürzt steil zu großer Meerestiefe ab, weil hier der die Inseln tragende Festlandsockel endet. Die durch ein herrliches Klima ausgezeichneten Inseln führen vornehmlich Korinthen, Wein, Öl und Südfrüchte aus, doch sind Fischfang, Schiffahrt und schwunghaft betriebener Seehandel Hauptbeschäftigung. Da die Inseln niemals als Ganzes unter türkisches Joch gebeugt waren, so haben sie die dichteste Bevölkerung Griechenlands und bilden wegen der hohen Entwickelung von Bodenbewirtschaftung und Handel den wirtschaftlich bestgestellten Teil des Königreichs. Sie zerfallen in drei Gruppen, von denen die nördliche die Inseln Korfu (Kerkyra) und Paxos, die mittlere die Inseln Leukas, Ithaki, Kephallinia und Zakynthos (Zante), vor dem Busen von Patras, umfaßt, während zur südlichen Gruppe die bereits im Ägäischen Meer an der Südspitze des Peloponnes gelegene Insel Kythira (Cerigo) nebst mehreren kleinen Eilanden (Cerigotto, Pori) gehört. Administrativ bilden gegenwärtig die Ionischen Inseln (von Kythira abgesehen, das zu Argolis gehört) die drei Nomen des Königreichs Griechenland:
Genaueres s. bei den einzelnen Inseln.
[Geschichte.] Durch Homers Gesänge und Odysseus' Irrfahrt im Andenken der spätesten Nachwelt erhalten, blühten die sieben Eilande in alter Zeit als besondere kleine Staaten, doch ohne hervorragende politische Bedeutung. Nur das heutige Korfu, das Scheria der Sage, das Land der Phäaken, das im Altertum Korkyra (Corcyra) hieß, und wo im 8. Jahrh. v. Chr. Korinth eine Kolonie anlegte, wetteiferte bald an Macht und Schiffahrt mit der Mutterstadt. Später, als Griechenland unter Roms Herrschaft gekommen war, verloren die Ionischen Inseln ihre Selbständigkeit und unter Vespasian ihre Freiheit. Bei der Teilung des römischen Reiches 395 n. Chr. fielen sie an das byzantinische Kaisertum. 466 ward Korfu von den Wandalen unter Geiserich und 550 von Ostgoten und slawischen Scharen verheerend heimgesucht; 1147 eroberte es der Normanne Roger von Sizilien, und seitdem gehorchte es den Königen von Neapel. 1401 erkaufte die Republik Venedig den Besitz Korfus für 30,000 Dukaten von Neapel, um die Stadt Korfu als eine Vormauer gegen die Türken zu befestigen, und bemächtigte sich sodann auch der übrigen Ionischen Inseln, die sie durch Provveditoren regieren ließ. Die Ionischen Inseln bildeten damals, nebst den venezianischen Besitzungen auf dem festen Land (in Albanien), die Provinz Levante Veneto. Die vier Jahrhunderte der venezianischen Herrschaft waren für die Inseln nicht glücklich. Die Beamten waren ausschließlich geborne Venezianer, die ihre Stellen nach Möglichkeit zu ihrer Bereicherung benutzten. Die Sprache sank unter dem Überhandnehmen italienischer Formeln und Wendungen zu einem Mischdialekt herab. Nach der Teilung der Republik Venedig 1797 kamen die Inseln an Frankreich; aber schon 1799 bemächtigten sich ihrer die verbündeten Türken und Russen, worauf der Kaiser Paul die alte Freiheit scheinbar wiederherstellte, indem er durch den Vertrag mit der Pforte vom 21. März 1800 den Freistaat der sieben vereinigten Inseln gründete, der, von den Vornehmen des Landes regiert, unter der Hoheit der Pforte stehen und dieser tributär sein sollte. Indes dieser Freistaat, von innern Unruhen und Verfassungskämpfen zerrissen, bestand nicht lange, und nach dem Frieden zu Tilsit (1807) kamen die Inseln wieder an Frankreich; die Ionischen Inseln wurden ein Bestandteil der illyrischen Provinzen. Am 2. Okt. 1809 erschien jedoch eine Abteilung der englischen Flotte vor Zante und verdrängte in kurzem die französische Garnison von sämtlichen Inseln, Korfu ausgenommen. Der erste Pariser Friede von 1814 bestimmte die Abtretung der Republik der Ionischen Inseln an die Alliierten, und diese entschieden 5. Nov. 1815 in Paris dahin, daß die sogen. Sieben Inseln als Vereinigte Staaten der Ionischen Inseln einen unabhängigen Staat bilden und unter das Protektorat Großbritanniens gestellt werden sollten. Die englische Krone ernannte Sir Thomas Maitland zum Lord-Oberkommissar. Dieser bearbeitete nach der ihm erteilten Vollmacht mit einem im Januar 1817 aus den »edlen Herren« berufenen Primärrat von elf Ioniern den Verfassungsentwurf, der, der britischen Verfassung nachgebildet, den Rechten aller Klassen Rechnung zu tragen suchte, und ließ denselben von der durch eben jenen Primärrat berufenen Gesetzgebenden Versammlung prüfen. Nachdem der König von England die neue Konstitution genehmigt, trat sie 1. Jan. 1818 in Kraft. Indes, obwohl unter Maitland und seinen Nachfolgern in Korfu eine Universität gegründet, ein Freihafen daselbst angelegt, Straßen gebaut und sonstige Vorkehrungen für die Hebung des geistigen und materiellen Wohls getroffen wurden, konnte sich die englische Herrschaft nicht populär machen. Die Ionier neigten sich mehr und mehr Griechenlands Interessen zu, und das Parlament ließ sogar den Wunsch nach Vereinigung mit Griechenland laut werden, weswegen es wiederholt aufgelöst oder vertagt werden mußte. Als sich jedoch im Juni 1858 selbst der Lord-Oberkommissar Young für die Abtretung der südlichen Inseln an Griechenland aussprach, sandte die englische Regierung Gladstone als außerordentlichen Oberkommissar nach den Ionischen Inseln, um die Beschwerden der Inseln zu prüfen. Als Philhellene allenthalben mit Vertrauen empfangen, übernahm[2] er im Januar 1859 auf eine kurze Zeit das Amt eines Oberkommissars der Ionischen Inseln und eröffnete 25. Jan. zu Korfu das Parlament, das in einer Adresse die Königin ersuchte, bei den Mächten eine Abänderung der Verträge von 1815 bezüglich der Ionischen Inseln zu beantragen. Die Antwort lautete ablehnend, ebensowenig führten weitere Verhandlungen zu einer Versöhnung der Gemüter. Kaum hatte daher die englische Regierung im Oktober 1860 die geschehene Umwälzung im Kirchenstaat, in Neapel und Sizilien anerkannt, als das Parlament in entschiedener Sprache die Forderung der Entlassung der sieben Inseln aus dem englischen Protektorat an das englische Kabinett stellte und gegen drohende Zwangsmaßregeln einen Protest bei der Königin erhob. Da endlich erklärte nach der Vertreibung des griechischen Königs Otto die englische Regierung 10. Dez. 1862 der provisorischen Regierung in Athen, daß es, falls Griechenland einen der Königin von England genehmen König wähle, geneigt sei, in die Vereinigung der Ionischen Inseln mit dem Königreich Griechenland zu willigen, »um letzteres zu stärken«, und legte 1. Okt. 1863 durch den Lord-Oberkommissar dem neu einberufenen ionischen Parlament die Bedingungen vor, unter denen jene Vereinigung erfolgen solle. Sie wurden sofort angenommen, und nun unterschrieben 4. Nov. 1863 die Vertreter sämtlicher fünf Großmächte in London das Protokoll, durch das England der Schirmherrschaft über die Ionischen Inseln entsagte und dieselben an Griechenland abtrat. Am 21. Mai übergab der Lord-Oberkommissar die Staatsarchive dem Bevollmächtigten des Königs Georg, General Zaimis, der darauf das ionische Parlament für aufgelöst erklärte, 6. Juni hielt der König Georg seinen Einzug in Korfu, nachdem es 30. Mai der Lord-Oberkommissar mit sämtlichen englischen Truppen und Kriegsschiffen verlassen hatte, 31. Juli traten die Deputierten der Ionischen Inseln ins griechische Parlament ein. Vgl. Bory de Saint-Vincent, Histoire et description des îles Ioniennes (Par. 1823); Liebetrut, Reise nach den Ionischen Inseln (Hamb. 1850); (Davy) The Ionian Islands under British protection (Lond. 1851) und Storia delle Isole Ionie sotto il reggimento dei repubblicani francesi (das. 1860); Pauthier, Les îles Ioniennes pendant l'occupation française et le protectorat anglais (1863); Ansted, The Ionian Islands (Lond. 1863); Kirkwall, Four years in the Ionian Islands (das. 1864, 2 Bde.); v. Warsberg, Odysseeische Landschaften (Wien 187879, 3 Bde.); Riemann, Recherches archéologiques sur les îles ioniennes (Par. 1879, 3 Tle.); Rodocanachi, Bonaparte et les îles Ioniennes, 17971816 (das. 1899); W. Miller, The Ionian islands under Venetian rule (in der »English Historical Review«, April 1903).
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