Kamēl [1]

[505] Kamēl (v. semit. gamal; Camelus L., hierzu Tafel »Kamele I und II«), Säugetiergattung aus der Ordnung der Huftiere und der Familie der Kamele oder Schwielensohler (Tylopoda, s. Huftiere, S. 605), mit zwei Arten: K. oder Trampeltier und Dromedar. Das Dromedar (C. dromedarius Erxl., Tafel I, Fig. 1) ist mit dem Schwanz 3–3,3 m lang und 2–2,3 m hoch, mit ziemlich kurzem Kopf, gestreckter, aufgetriebener Schnauze, großen, blöden Augen, kleinen Ohren, hängenden Lippen, eine (besonders in der Brunstzeit) stinkende Flüssigkeit absondernden Drüsen am Hinterkopf, langem, in der Mitte stärkerm, seitlich zusammengedrücktem Hals, bauchigem, nach allen Seiten gerundetem Körper, einem aufrechten, je nach dem Reichtum der Nahrung in der Größe sehr stark schwankenden Höcker auf dem Rücken, schlecht gestellten Beinen, zwei ziemlich langen, breiten Zehen mit kleinen Hufen und schwieliger Sohle, bis zum Fersengelenk reichendem, dünnem, bequastetem Schwanz, weichem, wolligem, auf dem Scheitel, im Nacken, unter der Kehle, an den Schultern und auf dem Höcker auffallend verlängertem Haar, starken Schwielen auf der Brust, dem Ellbogen, Handgelenk, am Knie und Fersengelenk. Die Farbe wechselt von hell sandgelb bis schwarz. Die Stimme ist ein häßliches Brüllen; von den Sinnen ist das Gehör wohl am besten ausgebildet, viel weniger das Gesicht und am mindesten der Geruch. Das Dromedar findet sich nirgends wild oder verwildert, als Haustier in Afrika, vom Mittelländischen Meer bis zum 12.° nördl. Br. und im Somalland bis zum 5.°, ferner im südwestlichen Asien. Von Bochara und Turkmenien, wo das zweihöckerige K. aufzutreten beginnt, ist das Dromedar durch Persien, Kleinasien, Syrien, Arabien und Nordafrika bis zum Atlantischen Ozean verbreitet. Es findet sich auch auf den Kanaren und ist nach Australien, Nordamerika, Italien und Südspanien eingeführt worden. Das K. scheint aus Arabien zu stammen, auf den altägyptischen Denkmälern ist es nirgends abgebildet. mindestens aber zur Zeit des neuen Reiches, vom 14. Jahrh. an, war es in Ägypten bekannt und wurde als Lasttier benutzt, auch zum Tanzen abgerichtet In der Bibel wird es unter dem Namen Gamal oft erwähnt, Hiob hatte deren 6000, auch die Midianiter und Amalekiter waren reich an Kamelen. In Nordafrika aber erscheint es erst im 3. oder 4. Jahrh. unserer Zeitrechnung. Es ist unstreitig das nützlichste[505] Haustier in Afrika und wird in vielen Rassen gezüchtet; das K. der Wüste und Steppe, das Reittier, ist schlank, hochgewachsen, langbeinig, das Lastkamel der fruchtbaren Ebene plump und schwer. Zwischen beiden zeigt sich ein Unterschied wie zwischen dem edlen Pferd und dem Karrengaul. Stets aber verdankt das K. seine Brauchbarkeit der leiblichen, sehr viel weniger der geistigen Befähigung. In der Wüste erlangt es seine höchste Entwickelung, jenseit des 12. Grades geht es schnell zugrunde; es entartet im feuchten Lande. In Europa besteht nur in Toskana eine Zucht seit 1622, und auch im Gebiete von San Rossore bei Pisa und in Spanien gedeiht es vortrefflich. In Nordamerika, im Minendistrikt von Arizona, hat man die Verwendung des Kamels wieder aufgegeben und die Tiere in Freiheit gesetzt; sie sind verwildert und haben sich sehr stark vermehrt. Ende des 19. Jahrh. wurden Kamele versuchsweise nach Deutsch-Südwestafrika gebracht. Im N. und O. Afrikas wird das K. in ungeheurer Anzahl gezüchtet; man findet Herden von mehr als 1000 Stück, die Berbern haben sicherlich mehr als eine Million. Auch im Glücklichen und Steinigen Arabien werden viele Kamele gezogen. Die Araber machen auch Wallachen, um das Tier besser in der Brunstzeit benutzen zu können. Es vermittelt in erster Linie den Verkehr durch die Wüste. Zwischen Kairo und Suez waren vor dem Bau der Eisenbahn täglich 600 Kamele auf dem Marsch. Aber es gehen auch so viele Tiere unterwegs zugrunde, daß auf der Wüstenstraße meilenweit die Gerippe nebeneinander liegen. Das K. ist ungemein genügsam und nimmt mit den dürrsten, schlechtesten Pflanzenstoffen vorlieb; es bevorzugt Baumlaub, frißt ohne Schaden die dornenreichsten Mimosen und wird auch mit Bohnen, Erbsen, Durra, Gerste etc. gefüttert; bei saftiger Pflanzennahrung kann es wochenlang das Wasser entbehren, zur Zeit der Dürre aber muß es fleißig getränkt werden und mindestens alle vier Tage 30–40 Stunden ruhen. Früher deutete man die großen zellenartigen Räume am Pansen irrtümlich als Wasserzellen und benutzte sie zur Erklärung des (ungeheuer übertriebenen) Vermögens der Kamele, längere Zeit zu durften. Daß man Kamele in der Not bisweilen schlachtet, um das in jenen Zellen befindliche Wasser zu trinken, ist eine Fabel. Die Kamele haben einen scheinbar sehr schwerfälligen Gang; aber Reitkamele laufen, wenn man sie in der Mittagszeit ruhen läßt, am Tage 16 Stunden und legen dabei eine Entfernung von 140 km zurück. Eine solche Anstrengung erträgt das Tier 3–4 Tage ohne Rasttag, und der Reiter ermüdet dabei viel weniger als auf irgend einem andern Reittier. Ein Lastkamel durchmißt mit einer Last von 150 kg durchschnittlich 4 km in 1 Stunde, kann aber 12 Stunden und auch noch länger marschieren. Karawanen durchmessen auf kürzern Reisen und guten Wegen 40, auf längern Reisen 25–30 km am Tage. Bei Wüstenreisen wird ein K. mit höchstens 150 kg beladen; in Ägypten muß es viel mehr tragen, doch verbot die Regierung eine stärkere Belastung als mit 250 kg. Der Trab, den das Tier vortrefflich verträgt, ist die beste Gangart für den Reiter, der bei der Paßbewegung unbarmherzig hin und her geschleudert und beim Galopp, wenn er nicht sehr sattelfest ist, sofort abgeworfen wird. Gefährlich durch Beißen und Schlagen wird das männliche K. in der Brunstzeit. Sein Gebaren ist dann höchst abschreckend, indem es die widerwärtigsten Töne ausstößt und beim Anblick eines andern Kamels, besonders eines weiblichen, eine große, ekelhaft aussehende Hautblase, den sogen. Brüllsack, aus dem Halse heraustreibt. Dieser Brüllsack ist ein nur dem erwachsenen K. eigentümliches Organ und wird als ein zweites vorderes Gaumensegel angesehen. Die erwähnten Drüsen am Hinterkopf verbreiten dabei einen sehr übeln Geruch. Ein Hengst genügt für 6–8 Stuten. Nach 11–13 Monaten wirft die Stute ein Junges, das mit ziemlich langem und dichtem, weichem, wolligem Haar bedeckt und etwa 80 cm, nach Verlauf einer Woche aber schon ca. 1 m hoch ist. Es wird vom dritten Jahr an zum Reiten und zum Lasttragen abgerichtet und mit dem Ende des vierten Jahres zu größern Reisen benutzt. Der Reitsattel ruht auf einem festen Gestell und besteht aus einem muldenförmigen Sitz, der auf den Höcker gesetzt wird und sich etwa 30 cm über ihn erhebt. Das Untergestell ist mit vier Kissenpolstern belegt, die zu beiden Seiten des Höckers aufliegen, um letztern möglichst wenig zu drücken. Der Sattel wird mittels drei starker Gurte, von denen zwei um den Bauch und ein dritter um den Vorderhals gehen, festgeschnallt. Der Zaum besteht aus einem geflochtenen Lederstrick, der halfterartig um Kopf und Schnauze des Tieres geschlungen wird und beim Anziehen das Maul zusammenschnürt; die Reitkamele führen noch einen Beizügel, d. h. eine dünne Lederschnur, die in dem einen durchbohrten Nasenflügel befestigt wird. Zum Beladen dient ein einfaches Holzgestell, auf dem die Laststücke im Gleichgewicht hängen. Das Fleisch des Kamels ist hart und zäh und wenig geschätzt, das Fell liefert ein nicht sehr haltbares Leder. Die Milch findet wenig Verwendung, da sie zu dick und fettig ist. Dagegen wird der Mist als Brennstoff gebraucht und zu diesem Behuf aufgespeichert. Über das Kamelhaar s. d.

Das zweihöckerige K. oder Trampeltier (baktrisches K., C. bactrianus Erxl., Tafel I, Fig. 2) ist noch häßlicher als das Dromedar. Die Behaarung ist weit reichlicher als bei jenem, die Färbung dunkler, gewöhnlich tiefbraun, im Sommer rötlich. Die Körpermasse ist größer als die des Dromedars, die Beine aber sind weit niedriger. Die Höhe des Tieres beträgt 2 m und darüber. Der eine Höcker erhebt sich über dem Widerrist, der andre vor der Kreuzgegend. Wilde Trampeltiere leben in Mittelasien von der südlichen Dsungarei durch Ostturkistan und Tibet. Das Trampeltier wird su allen Steppenländern Mittelasiens gezüchtet und dient besonders zur Vermittelung des Warenhandels zwischen China, Südsibirien und Turkistan. Wo die Steppe Wüstengepräge annimmt, wird es durch das Dromedar ersetzt. Was letzteres den Arabern, ist das Trampeltier den Mongolen. Man züchtet es in mehreren Rassen, doch hat es stets so schwerfälligen Gang, daß schnelleres Reisen unmöglich ist. Dabei ist es aber gutartiger als das Dromedar, dem es in seinen übrigen Eigenschaften durchaus gleicht. Es gedeiht am besten bei dürrem, salzreichem Futter und geht auf üppiger Weide ein. Es vermag im Sommer drei, im Winter acht Tage zu durften und halb solange zu hungern. Nach 13monatiger Tragzeit wirft das Weibchen ein Junges, das wie das des Dromedars sich entwickelt. Das Trampeltier paart sich auch mit dem Dromedar, und die bald ein-, bald zweihöckerigen Jungen sind unter sich und mit ihren Erzeugern fruchtbar. Derartige Blendlinge züchtet man in Transkaspien und schätzt sie wegen ihrer Leistungsfähigkeit. Ein kräftiges Trampeltier legt mit 220–270 kg belastet täglich 30–40 km, weniger stark belastet die doppelte Strecke zurück. Man benutzt es aber meist nur im Winter[506] und läßt ihm im Sommer mehr oder weniger Freiheit in der Steppe, wo nur die Stuten täglich fünfmal zusammengetrieben und gemolken werden. Außer der Milch benutzt man auch das Fleisch, die Wolle und das Fell, aus dem die Türken Chagrin bereiten. Das Trampeltier mögen die Israeliten gekannt haben, jedenfalls die Assyrer, bei denen es, wie der Obelisk von Nimrud durch Bild und Inschrift lehrt, Salmanassar II. als Tribut erhalten hatte. Vielfach wurden beide Arten auch im Kriege benutzt, bei den Arabern waren die Kamele meist mit zwei Bogenschützen bemannt, im persischen Heer spielte die Kamelreiterei eine bedeutende Rolle, sie entschied die Schlacht vor Sardes, und auch im Heere des Antiochos gab es zahlreiche arabische Kamelreiterei. Die Perser legen ihm einen schweren Sattel auf, der als Laffete für leichtes Geschütz dient. Napoleon I. errichtete in Ägypten ein Regiment Kamelreiter, und in der Folge haben die Franzosen in Algerien wiederholt das K. benutzt (vgl. Carbuccia, Du dromadaire comme bête de somme et comme animal de guerre, Par. 1853). Auch die Engländer haben bei der Sudanexpedition 1885 eine Kamelreiterei organisiert. Die Völker des Sudân, die Tuareg und Tibbu in der Sahara und manche Nomadenstämme Arabiens bedienen sich der Kamele als Reittiere. Vgl. Vallon, Mémoire sur l'histoire naturelle du dromadaire (das. 1857); Hartmann, Studien zur Geschichte der Haustiere (»Zeitschrift für Ethnologie«, 1860 u. 1870); Lehmann, Das K., seine geographische Verbreitung etc. (Weim. 1891); Leonard, The camel, its uses and management (Lond. 1894) und die Verbreitungskarte beim Artikel »Haustiere«. – Der Bibel spruch, nach dem ein K. eher durch ein »Nadelohr« geht, als daß ein Reicher in den Himmel kommt, erklärt sich in der Weise, daß in der von Christus gesprochenen jüdisch-aramäischen Sprache das Wort, welches das Nadelöhr bezeichnet, die allgemeine Bedeutung Loch, Höhlung hat und somit von Eingängen gebraucht werden konnte, durch die das K. in der Tat nur mit großer Not hindurch kommt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 505-507.
Lizenz:
Faksimiles:
505 | 506 | 507
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon