[361] Brüdergemeinde (Evangelische B., Brüderunität, Brüderkirche), die durch das freiwillige Einverständnis der Anbauer Herrnhuts (daher Herrnhuter), unter der Leitung des Grafen Zinzendorf, 1727 errichtete Religionsgesellschaft, weil ihre ersten Glieder, welche diesen Stammort der Gemeinde zu Berthelsdorf in der sächsischen Oberlausitz 1722 gründeten, exilirte Nachkommen der alten Mährischen u. Böhmischen Brüder waren u. ihre Statuten nach deren Kirchen- u. Gemeindeverfassung einrichteten. Mit ihnen vereinigten sich dann auch Protestanten, u. es finden bei ihnen zur Erhaltung der Einigkeit drei Tropen (Arten der Confessionsüberzeugung) statt: der Mährische für die Nachkommen jener Exulanten u. ihre Eingeborenen, der Lutherische u. der Reformirte. Kinder folgen dem Tropus ihrer Eltern, Übertritt von dem einen zum andern ist nicht erlaubt. Sie wollten keine besondere Religionsgesellschaft bilden, nahmen alle die Augsburgische Confession an u. wurden bei verschiedenen Untersuchungen von der sächsischen Behörde als rechtgläubig anerkannt. Sie unterscheiden sich in der Lehre nur durch Hervorheben des Grundsatzes, die Religion mehr empfinden u. genießen, als erkennen zu wollen, u. der Lehre von dem Mittleramte u. Versöhnungstode Jesu über alle anderen Dogmen. Mit den darauf sich beziehenden Sprüchen u. Bildern des N. T. nähren sie ihre Andacht; das Gefühl der Sündhaftigkeit ist ihnen süß u. Jesus in dem Grade Alles, daß sie Gott nur in ihm verehren u. Alles nur von ihm ableiten. Sie glauben, besonderer Offenbarungen fortwährend von Gott gewürdigt zu werden. Um die Brüder zusammenzuhalten u. Spaltungen u. störende Einflüsse des Zeitgeistes zu verhindern, ist ihre Gemeindeverfassung streng. Die Mitglieder jeder geschlossenen Gemeinde sind nach Lebensverhältniß, Alter u. Geschlecht in Chöre getheilt, welche in Chorhäusern u. zwar unverheirathete Männer u. Knaben (Bruderhaus); ledige Schwestern u. größere Mädchen (Schwesterhaus); Wittwer; u. Wittwen gemeinschaftlich wohnen. Jeder Chor, auch der der Eheleute, wird von eigenen Helfern (Seelsorgern u. Sittenaufsehern) u. Dienern seines Geschlechts (die Schwestern durch Diakonissinen) geleitet u. durch diese die der Gemeinde vorgesetzte Ältestenconferenz od. Gemeinrath bestehend aus den Gemeinhelfern od. ersten Vorstehern, Predigern u. Chorbeamten) von dem Zustande jedes Einzelnen unterrichtet. Ihr steht für Polizei, Gewerbe u. als Friedensgericht[361] ein Aufsehercollegium zur Seite. Die einzelnen Gemeinden machen zusammen die B. aus, welche seit dem Tode Zinzendorfs (1760), der als Ordinarius ihr Oberhaupt war, von der seit 1789 in Berthelsdorf residirenden Unitätsältestenconferenz dirigirt wird. Diese aus 10 Bischöfen u. Ältesten bestehende Oberbehörde theilt sich in das Helferdepartement für kirchliche u. disciplinarische Angelegenheiten, die Diakonie für die Finanzen u. die Missionsdiakonie, regiert im Namen des Heilands u. läßt in schwierigen Fällen das Loos entscheiden, welches jedoch seit 1818 nur, wenn Heirathslustige es wollen, über die Zulässigkeit ihrer Ehe abstimmt. Gewählt u. zur Rechenschaft gezogen wird die Direction auf den allgemeinen in Herrnhut abgehaltenen Synoden, welche die Unität durch ihre Beamten u. Deputirte aus jedem Gemeinorte repräsentiren, von einer bis zur anderen gültige Beschlüsse über Hauptreformen fassen u. in den Jahren 1764, 69, 75, 82, 89, 1801, 18, 25, 36, 48 u. 57 gehalten wurden. Zur Ordination der Presbyter od. Prediger, deren Gehülfen die Diakonen sind u. die keinen besonderen Stand ausmachen, u. zu kirchlichen Berathungen hat die Unität Bischöfe, ohne Sprengel, für die Verhältnisse zu den Landesobrigkeiten Civilsenioren. Die täglichen Andachtsversammlungen, deren auch jeder Chor eigene hat, sind kurz u. durch sanften Gesang ansprechend. Hauptsächlich wird die Heilige Schrift erklärt u. erbamiche Lebensgeschichten vorgelesen; des Sonntags wird gepredigt. Sie werden in dem Gemeinsaal gehalten. Außerdem werden als besondere Feste der Stiftungstag der Gemeinde (am 13. Aug.), der Todestag Hussens (6. Juli) u. der Jahresschluß gefeiert. Dem Abendmahle, an jedem 4. Sonnabend Abends, geht keine Beichte, sondern Besprechung der Chorhelfer mit ihren Chorgenossen voran. Vor ihm u. zu Festzeiten finden Liebesmahle Statt, wo bei Gesang u. Gebet im Betaale Thee mit Backwerk (Liebesbrod) genossen wird. Der Heimgegangenen (Verstorbenen) wird am Ostermorgen auf dem freundlichen Gottesacker feierlich gedacht. Der Tod eines Mitgliedes wird durch das Abblasen eines Liedes mit Posaunen vom Thurm bekannt gemacht; getrauert wird nicht. Das sonst allgemeine Fußwaschen ist jetzt nur noch am Grünen Donnerstag üblich. Ihre Kinderschulen u. Erziehungsinstitute sind nach A. H. Franckes Stiftung von Zinzendorf eingerichtet, es wird bes. auf Gewöhnung an gute Zucht u. Ordnung gesehen; ihre höheren Lehranstalten (Pädagogium in Gnadau bei Barby u. Akademie für Prediger in Niesky) sind im Betrieb der Wissenschaften, welche sie überhaupt ihrer Tendenz nicht förderlich achten, weit hinter anderen protestantischen zurück, aber auf Weckung des Gemeingeistes berechnet. Die Sorge für gleiche Ansicht u. Stimmung der Einzelnen zeigt auch die einförmige Tracht der Schwestern (die verschiedene Farbe der Bänder an ihren Mützen zeigt ihr Alter u. ihren Stand, ob Mädchen, Ehefrau, Wittwe, an), das Verbot anderer, als gefahrloser Weltfreuden u. die Strenge gegen ausartende Glieder, welche zurückgesetzt, vom Abendmahle ausgeschlossen (Bann) u. endlich ausgestoßen werden. Den Gewerbfleiß fördern ihre Anstalten sehr; die Arbeiten ihrer Handwerker sind gesucht, u. ihr ausgedehnter Handel muß, nebst den Einkünften ihrer Besitzungen u. den Beiträgen der Glieder, die bedeutenden Ausgaben der Unität decken. Die sämmtlichen Einrichtungen hinsichtlich der äußeren u. inneren Verhältnisse der B. sind enthalten in den Gemeindeordnungen; die erste ist von 1727. Berichte u. Tagebücher, welche die B-en zur Beförderung größerer Gemeinschaften unter sich circuliren ließen, hießen Gemeinnachrichten; sie wurden an besonderen Tagen (Gemeintagen) öffentlich vorgelesen. Die B. zählt jetzt in Europa an 11,000 Glieder in Gemeinorten, u. hat deren in der Oberlausitz (Herrnhut, Niesky, Klein-Welka), in Schlesien (Gnadenfrei, Gnadenberg, Gnadenfeld u. Neu-Salz), bei Erfurt Neu-Dietendorf, bei Barby Gnadau, bei Lobenstein Ebersdorf, in Baden zu Königsfeld, in Neuwied, in Berlin u. Rixdorf, in Schleswig zu Christiansfeld, bei Utrecht zu Zeyst, zu Sarepta in Rußland, in England (Fulneck, Fairfield, Ockbrook), in Irland (Gracehill), Bethlehem u. einige andere in NAmerika (mit etwa 7000 Mitgliedern). Außer diesen Gemeinorten gibt es B-en mit freier Religionsübung in Basel, im Württembergischen, in Amsterdam, London, Kopenhagen, Stockholm, Petersburg, Moskwa u. viele in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Andere Colonien legten sie durch ihre 1732 angefangenen Missionsposten auf St. Thomas, St. Croix, St. Jan in Grönland, Nord- u. SAmerika, auf Jamaica, Antigua, Barbadoes, St. Kitts, in Labrador, in Südafrika u. unter den Kalmücken an u. hatten 185070 Missionsstationen, bes. in WIndien, mit 68,000 bekehrten Heiden. Vgl. Spangenberg, Idea fidei fratrum, Barby 1779; Bruiningk, Ideen im Geiste des wahren Herrnhutianismus, Lpz. 1811; Cunow, Die Herrnhuter, Wien 1839; Franz, Alte u. neue Brüderhistorie, Barby 1772, fortgesetzt von Hegner, Barby 179194, Gnadau 1816, 3 Bde.; Schaaf, Die evangelische Brüdergemeinde, Lpz. 1825; Spangenberg, Historische Nachrichten von der gegenwärtigen Verf. der B., Gnadau, 6. A. 1847; Schulze, Entstehung u. Einrichtung der B., Gotha 1822; Lititz, Blicke in Vergangenheit u. Gegenwart der B., Lpz. 1846; Schrautenbach, Zinzendorf u. die B. seiner Zeit, herausgeg. von Kölbing, Gnadau 1851; Cröger, Geschichte der erneuerten Bruderkirche, 1854, 3 Thle.