Galle [1]

[865] Galle, 1) (Bilis, Fel), eine allen Thieren, die mit einem Herzen u. einem Blutcirculationssystem versehen sind, eigeue, aus dem Blute durch die Leber abgesonderte gelbe, grüne od. braune Flüssigkeit. Die Function der G. bei der Verdauung besteht darin. mi. dem Darmfaste in Gemeinschaft zur seinen Zertheilung der Fette mitzuwirken, die vorschnelle Fäulniß des Darminhaltes zu verhüten, den Speisebrei zu verdünnen u. sich durch ihr Harz mit den schlechten unlöslichen Stoffen derselben zum Kothe zu verbinden, u. hilft die Säure des Speisebreies tilgen. Auch bei vielen niederen Thieren, denen die Leber fehlt, findet man gelb gefärbte Gefäße in der Gegend des Magens u. einen gallenähnlichen Stoff, der sich in den Magen ergießt. Bei den Menschen u. vielen Thieren wird sie, zugleich mit dem Bauchspeichel, in den Zwölffingerdarm nur dann ergossen, wenn sich Speisebrei darin befindet, außerdem aber in der Gallenblase angesammelt. Hiernach unterscheidet man Lebergalle (Bilis hepatica) u. Gallenblasengalle (Bilis cystica), die dann beide während der Verdauung sich ergießen; letztere ist in jeder Rücksicht intensiver. Die bei Menschen in der Gallenblase sich befindende G. beträgt im Durchschnitt eine Unze u. bei jungen Personen meist etwas mehr als bei alten. Die G. ist leicht Veränderungen unterworfen, spielt daher auch eine wichtige Rolle in Krankheiten, die dann, wenn sie als Ursache anderer pathologischen Erscheinungen erscheint, als Gallenkrankheiten (s.d.) u., wenn diese fieberhafter Natur sind, als Gallenfieber (s.d. u. Fieber B) a) bb) bezeichnet werden. Schon die Alten erkannten es, daß die G. für die Gesundheit höchst wichtig sei; die Ärzte der Hippokratischen Schule stellten sie nicht nur, nebst dem Blute u. dem [865] Schleime, als Elementarfeuchtigkeit des Körpers auf, sondern unterschieden auch eine gelben. schwarze G., welche letztere aber nur eine in Krankheiten vorkommende Verderbniß des Blutes der Pfortader ist. Auch brachte man die G. mit der Temperamentenlehre in Beziehung, so daß das Vorwalten der G. unter den vier Elementarseuch-tigkeiten dem cholerischen Temperamente, wie das der schwarzen G. dem melancholischen zum Grunde liegen sollte. Erfahrungsmäßig ist auch die G. mit dem psychischen Leben in einem nächsten Zusammenhange, so daß bes. Zorn u. Ärger durch Nerveneinwirkung auf die Leber die Natur der G. verändern u. ihre Erzeugung u. Aussonderung befördern, daher die Störungen der Verdauung durch dergleichen Gemüthsbewegungen; daß aber auch gegenseitig reichliche Erzeugung einer intensiven od. auch reizenden G., wie dergleichen bei Lebensaffectionen häufig Statt hat. Zum medicinischen od. auch technischen Gebrauch wird bes. die Rindsgalle benutzt. 2) (Chem). Die G. bildet im frischen Zustande eine gelbliche braune od. grüngefärbte schleimige fadenziehende durchscheinende Flüssigkeit von eigenthümlichem Geruch u. bitterem, hinterher süßlichem Geschmack, zeigt gewöhnlich eine schwach alkalische, nur in Krankheiten selten sauere Reaction, oft ist sie ganz neutral Auch in sehr geringen Mengen zeigt sie die Pettenkofersche Gallenreaction, welche darin besteht, daß das alkoholische Extract mit einem Tropfen Zuckerlösung u. wenig englischer Schwefelsäure versetzt, sich erst kirschroth, dann purpurfarben u. zuletzt intensiv violett färbt. Die Ochsengalle, welche am genauesten untersucht ist u. von der sich die G-n anderer Thierklassen meist nur durch die quantitative Zusammensetzung unterscheidet, besteht aus den Natronsalzen der Glykocholsäure (Cholsäure od. Gallensäure) u. Taurocholsäure (Choleïnsäure), Gallenschleim, Gallenfarbstoff, Cholesterin, Fett u. unorganischen Salzen. a) Die Glykocholsäure = C52H42NO11 + HO, wird erhalten, indem man frische Ochsengalle im Wasserbade zur Trockne abdampft, den Rückstand in absolutem Alkohol auflöst u. die Flüssigkeit mit Äther versetzt. Es bildet sich ein harzartiger Niederschlag, der sich mit der Zeit ganz od. zum Theil in ein Haufwerk nadelförmiger, sternförmig gruppirter Krystalle von glykocholsauerem Kali u. Natron (Platners krystallisirte G.) verwandelt, Man wäscht diese Masse mit einer Mischung von Äther u. Alkohol, sodann mit Wasser aus u. behandelt den Rückstand mit siedendem Wasser, in welchem er sich zum größten Theile löst. Der unlösliche Rückstand ist eine in Wasser unlösliche Modification der Glykocholsäure (Paracholsäure). Die wässerige Lösung wird durch Bleiessig gefällt, der Niederschlag dnrch kohlensaueres Nation zersetzt, abgedampft, in absolutem Alkohol gelöst u. mit Äther gefällt; das so erhaltene reine glykocholsäure Natron wird mit verdünnter Schwefelsäure zerlegt u. die sich in Krystalle abscheidende Glykocholsäure durch Auswaschen mit Wasser gereinigt; sie krystallisirt in seinen weißen Nadeln, die sich in viel Wasser lösen, in Alkohol sind sie leicht, in Äther schwer löslich. Die wässerige Lösung ist von bittersüßem Geschmack u. röthet Lackmus, Mit Alkalien zerfällt sie unter Aufnahme von 2 Äquiv. Wasser in Glycin u. eine stickstofffreie Säure, die Cholalsäure (Cholsäure Lehmanns), C48H40O10, welche in Tetraëdern krystallisirt, farblos, glänzend u. spröde ist, sich in Alkohol u. Wasser löst u. Lackmuspapier röthet. Durch verdünnte Säuren wird die Glykocholsäure auf gleiche Weise wie durch Alkalien zersetzt; die hierbei auftretende Cholsäure wird aber sogleich zersetzt u. gibt, je nachdem die Einwirkung längere od. kürzere Zeit gedauert hat, Choloïdinsäure od. Dyslysin. Die Choloïdinsäure, C48H39O9. entsteht aus der Cholalsäure durch Elimination von 1 Äqniv. Wasser; sie erscheint als amorphe harzige Masse, die sich nicht in Wasser, leicht in Alkohol löst; die weingeistige Lösung röthet Lackmus; sie schmilzt bei 150 u. geht unter Abgabe von 3 Äqniv. Wasser über in Dyslysin, C48H36O6, eine grauweiße Masse, die sich nicht in Wasser u. kaltem Alkohol, etwas in heißem Alkohol, leicht in Äther löst. Durch Sieden mit einer weingeistigen Kalilösung od. durch Schmelzen mit Kalihydrat wird aus dem Dyslysin wieder Choloïdinsäure regenerirt. b) Die Taurocholsäure (Choleïnsäure), C52H45NO14S2, früher auch Vilin genannt; ist bis jetzt noch nicht rein dargestellt worden. Sie findet sich in dem Niederschlage, der durch basisch essigsaueres Bleioxyd in frischer G. entsteht, nachdem die Glykocholsäure vorher durch neutrales essigsaueres Bleioxyd entfernt worden ist. Die Taurocholsäure scheint nicht krystallisirbar zu sein, löst sich leichter in Wasser als die Glykocholsäure u. löst Fette, fette Säuren u. Cholesterin in großer Menge auf. Bein Kochen mit Mineralsäuren zerfällt sie in Choloidinsäure u. Taurin, C4H7NO6S2, mit Alkalien gekocht, entsteht Cholsäure u. Taurin. Mit Alkalien bildet die. Taurocholsäure in Wasser u. Alkohol lösliche, in Äther unlösliche Salze, deren wässerige Lösungen süß schmecken, durch Säuren, schwefelsauere Alkalien, neutrales essigsaueres Bleioxyd u. Silbersalze nicht gefällt werden; basisch essigsaueres Bleioxyd gibt einen harzähnlichen Niederschlag, der in kochendem Wasser u. in kochendem Alkohol löslich ist. Um die Taurocholsäure möglichst rein darzustellen, fällt man die G. erst mit neutralem essigsaurem Bleioxyd, dann mit basisch essigsaurem Bleioxyd; dieser letztere niederschlag wird mit kohlensaurem Natron zerlegt, der feste Rückstand mit Alkohol extrahirt u. aus der alkoholischen Lösung durch Äther das taurocholsäure Natron ziemlich rein ausgefällt. Es bildet einharzige dickflüssige Masse; diese wird in Wasser gelöst, essigsaueres Bleioxyd gefällt; der Niederschlag wird mit Schwefelwasserstoff zerlegt u. die so erhaltene Taurocholsäure im Vacuum abgedampft. Diese beiden Säuren finden sich in den G-n der meisten Thiere, deren Verschiedenheiten nur in dem verschiedenen Verhältniß begründet ist, in denen die Natronsalze dieser Säuren auftreten. Eine Ausnahme hiervon macht die G. der Schweine. Gundelach u. Strecker fanden, daß der Hauptbestandtheil derselben das Natronsalz einer eigenthümlichen stickstoffhaltigen Säure sei, welche sie c) Hyocholinsäure nannten. Die aus dem Natronsalze abgeschiedene Säure ist weiß, harzähnlich, schm ilzt in heißem Wasser u. läßt sich zu Fäden ausziehen. Sie ist unlöslich in Äther, wenig löslich in Wasser, leicht löslich in Alkohol. Ihre Formel ist C54H43NO10 + HO. Beim Kochen mit Schwefelsäure od. Salpetersäure zerfällt sie in Glycin, Glykocholsäure u. eine der Choloidinsäure ähnliche Säure[866] Man stellt sie dar, indem man frische Schweinsgalle mit Glaubersalzlösung fällt, den Niederschlag in Alkohol löst, mit Äther fällt u. den Niederschlag, welcher aus hyocholinsaurem Natron besteht, durch Schwefelsäure zerlegt. d) Gallenschleim (Gallenblasenschleim) ertheilt der G. die schleimige fadenziehende Beschaffenheit, er ist mit Epithelialzellen vermengt u. kann durch Filtriren theilweis, durch Essigsäure od. Alkohol vollständig gefällt werden, wodurch die G. flüssiger wird. Er geht leicht in Fäulniß über, welche sich auch auf die anderen Bestandtheile der G. überträgt. Daher von Schleim be freite G. nicht so schnell in Zersetzung übergeht. e) Gallenfarbstoff findet sich im Organismus in verschiedenen Modificationen, die gewöhlichste derselben ist: aa) das Gallenbraun (Cholepyrrhin Berzel., Biliphäin Sim.), es bildet ein rothbraunes krystallinisches, geruch- u. geschmackloses Pulver, welches sich in Wasser nicht, wenig in Ather, leichter dagegen in Alkohol mit gelber Farbe löst, ebenso in Alkalien; die alkalischen Lösungen werden an der Luft gelblichbraun. Mit Salpetersäure allmälig versetzt färbt sich der Gallenfarbstoff erst grün, dann blau, violett roth u. dann gelb. Salzsäure fällt ihn aus seinem Lösungen mit grüner Farbe; der Niederschlag ist in Salpetersäure mit rother, in Alkalien mit grüner Farbe löslich. bb) Gallengrün (Biliverdin Berzel.), ein dunkelgrünes amorphes Pulver, geruch- u. geschmacklos, unlöslich in Wasser, wenig in Alkohol, leichter u. mit rother Farbe in Äther löslich. Berzelius hielt diesen Stoff für identisch mit dem Chlorophyll. cc) Bilifulvin nannte Berzelius einen in Alkohol löslichen, in kleinen rothgelben Krystallen sich ausscheidenden Farbstoff der G. Die grünen Stuhlausleerungen werden zuweilen von Gallenfarbstoff veranlaßt, aber nicht immer, wie man sonst glaubte; in vielen Fällen ist es der Blutfarbstoff, nach Genuß von Calomel aber Schwefelquecksilber, sowie nach längerem Gebrauch von etsenhaltigen Wassern Schwefeleisen, welches in sein zertheiltem Zustande die grüne Farbe hervorbringt. f) Cholesterin (Cholestearin, Gallenfett) bildet perlmutterglänzende, dünne rhombische Blättchen, im Wasser unlöslich, im kochenden Alkohol löslich u. sich beim Erkalten krystallinisch abscheidend, löslich in fetten Olen u. Taurocholsäure. Durch concentrirte Schwefelsäure wird es roth gefärbt u. zerfällt in drei polymere Kohlenwasserstoffe (Cholesteriline), Phosphorsäure bewirkt eine ähnliche Zersetzung u. die Bildung zweier den vorigen isomeren Kohlenwasserstoffen (Cholesterone); es läßt sich nicht verseifen. Es findet sich außer in der G. in den meisten thierischen Flüssigkeiten, in größter Menge aber in den Gallensteinen (s.d.). Berzelius u. Mulder nehmen in der G. einen einzigen Bestandtheil on, das Bilin (Gallenzucker), derselbe sollte gummiartig u. gelblich gefärbt sein, Stickstoff u. Sch: esel enthalten u. durch seine Zersetzung harzartige Säuren liefern; durch längeres Behandeln mit Säuren entstehen Fellinsäuren. Cholinsäure; es verbinde sich mit Fellinsäure u. Cholinsäure in mehreren Verhältnissen u. es entstehen auf diese Weise gepaarte Säuren: Bilisellinsäure u. Bilicholinsäure, die erstere sollte identisch mit dem Gallenstoff Berzel (Pikromel Thenard) sein, der früher von Berzelius als der Hauptbestandtheil der G. angesehen wurde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 865-867.
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