Verliebter

1. Den Verliebten sind die Meilen nur Schritte.

Die Liebe kennt keine Entfernung. Die Osmanen sagen: Den Verliebten scheint Bagdad nicht weit. (Schlechta, 311.)


2. Der Verliebte hält blaue Flecke für blaue Augen.Dove, 618.

Mit etwas Phantasie sieht man in jedem Tintenflecke den Schattenriss eines Freundes, in blumigen Bettvorhängen die schönsten Engel- und Mädchenköpfe. Balbynus liebte so närrisch, dass er sogar in einem Nasengeschwür seiner Geliebten einen Reiz entdeckte. Daher das lateinische Sprichwort: Balbynum polypus Agnae delectat. (Erasm., 43.)

Holl.: Minnars oogen zijn geen mannen oogen. (Harrebomée, II, 88a.)

It.: Ogni amatore, che ama davvero, ama fino ai difetti della donna amata.

Lat.: Amans iratus multa mentitur sibi. (Philippi, I, 23.)


3. Der Verliebte hat alle seine Sinne bis auf fünf.

Ein römisches Sprichwort nennt sie Narren.

Mhd.: Geloubet, daz wîbes minne manegem nimt die sinne. (Fuchs und Wolf.) – Si jehent, die ir hânt gehôrt, ez name ie diu Minne vil wîsem man die sinne, daz er niht mac wol bewarn, ern müeze dicke missevarn. (Eraclius.) – Diu gewaltige minne der sinne ein rouderinne. ( Aristoteles.) (Zingerle, 91-92.)

Holl.: Kinderen die minnen, hebben geen zinnen. (Harrebomée, II, 405b.)

Lat.: Amantes amentes sunt. (Faselius, 15; Seybold, 21.)


[1564] 4. Der Verliebte ist blind.

Die Spanier: Die Verliebten glauben stets, dass den andern die Augen ausgestochen sind. Die Russen: Verliebte sehen wol den Birkenbusch, aber nicht den Hasen, der aus demselben springt.


5. Der Verliebte sehnt sich zu einem Schatten an der Wand.

Böhm.: Ten mĕ souží, po kom mé srdce nejvič touží. (Čelakovsky, 240.)

Frz.: A gens amoureux les pierres sentent la rue. (Leroux, II, 164.)


6. Der Verliebten Weh heilt weder Arzt noch Thee.

Dän.: Mod elskov hielper ingen lægedom. (Prov. dan., 143.)


7. Die Verliebten glauben, dass andere Leute blind seien.


8. Die Verliebten halten ihre Fesseln für Blumengewinde.

Frz.: Les amans bénissent leurs fers. (Lendroy, 725.)


9. Ein Verliebter muss immer auf dem Platze sein.

Lat.: Militat omnis amans. (Ovid.) (Philippi, I, 249.)


10. Ein Verliebter und ein Narr geben ein gut Paar.

Frz.: Aimer et savoir n'ont mêne manière. (Bohn I, 2.)

Holl.: Twee minnaars aan eene figuur, van eender nering twee gebuur. (Harrebomée, II, 88a.)


11. Ein Verliebter und ein Seemann ist selten zu Hause.

Cato der Aeltere behauptete: die Seele eines Verliebten lebe stets in fremden Körpern.


12. Eines Verliebten Geduld und eines Bettlers Geld sind gleich beständig.Wirth, I, 251.

13. Verliebte haben Affen feil und ziehen stets am Narrenseil.

Lat.: Omnes qui amant, graviter sibi uxorem dari ferunt. (Terenz.)

Schwed.: Alskogs brör nyttig giärna med andra. Grubb, 894.


14. Verliebte haben meist volle Herzen und leere Beutel.

Lat.: Amantium marsupia folio porri vinciuntur. (Philippi, I, 24.)


15. Verliebte sagen einander mehr als sie wissen.

Lat.: Amor secreta prodit. (Seybold, 25.)


16. Verliebte und Gläubige lassen sich nicht belehren.


17. Verliebte und Könige dulden keinen Nebenbuhler.Schlechta, 310.


18. Verliebte und Narren haben immer einen Sparren.Egerbote, 1875, S. 63.


19. Verliebte und Trunkene wissen nicht, was sie (sagen und) thun.

Böhm.: Prudký milenec, jistý šílencc (ztřešt'ĕnec). (Čelakovsky, 240.)

Poln.: Kto miłuje rzewnie, ten szaleje pewnie. (Čelakovsky, 240.)

20. Verliebte wissen immer wie spät (viel Uhr) es ist.Eiselein, 618.


21. Verliebten ist leicht Fallen stellen.


22. Wenn der Verliebte nicht auf Dornen steht, so steht er auf glühenden Kohlen.

Dän.: Elskeren har ingen roe. – Elskeren har torn i fødderne. (Prov. dan., 142.)


23. Zwei Verliebte hüten, heisst, einen Sack voll Flöhe hüten.


*24. Es kommen noch ein paar Verliebte zusammen, falls sie noch nicht beieinander waren.

»Wird gesagt, wenn von zwei Personen derselbe Gedanke ausgesprochen wird. In Tirol sagt man in diesem Falle: Es ist eine arme Seele erlöst.« (Vgl. Zingerle, Sitten, Bräuche und M., 2. Aufl., S. 56.)

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867, Sp. 1564-1565.
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