Wand

1. Alles, was die Wand bepisst, soll sterben, wenn's ein Schurke ist.


2. An den Wänden deines Hauses erkennt man, dass du ein Köhler bist.


3. An eine schwache (schwankende) Wand muss man sich nicht lehnen.

Dän.: Ondt er at støtte sig til ludende væg. (Bohn I, 394.)

Holl.: Tegen eenen zwacken muur zal men niet leunen. (Harrebomée, II, 112a.)


4. An eine Wand, so den Fall droht, pisst kein Hund.Eiselein, 331.


5. Auch die Wände haben Ohren.Eiselein, 627; Simrock, 11175; Tendlau, 861; Burckhardt, 92; Dove, 348 u. 376; Braun, I, 4898.

»Auch die Wände, glaub's nur, da und dort, haben Ohren, hören jedes Wort.« (Ehrmann, 133.) Nicht von allen reden, sagen die Osmanen, denn die Erde hat Ohren. (Schlechta, 448.)

Jüd.-deutsch: Osnajem le-kojssel – a stiefel hot auch Ohjern.

Der erste Satz ist ein rabbinisches Sprichwort, das grosse Verschwiegenheit empfiehlt, indem es sagt, dass auch die Wände Ohren haben. (Vgl. Raschi, Beruchoth, 8; Dukes, 31.) Der andere Satz ist ein Anhängsel des Volkswitzes, welcher hinzufügt, dass auch die Stiefeln Ohren haben. – Wänd hoben Ojern, die gassen hoben Augen. (Dukes, 32.)

Dän.: Muusene og ormene i sæggen see og høre. (Prov. dan., 448.) – Ofte er hwlt hørende nær. (Prov. dan., 319.)

Engl.: Fields have eyes and woods have ears. – Walls hawe cars. (Eiselein, 627.)

Frz.: Les mureilles ont des oreilles.

Lat.: Nullum puta sine teste locum. (Philippi, II, 54.) – Omnis angulus est oculatus. (Gaal, 1234.) – Parietes habent aures. (Bovill, I, 41.) – Sub omni lapide scorpius dormit. (Tappius, 28b; Binder I, 1688; II, 3224; Philippi, II, 204; Seybold, 585.)

Span.: Las paredes tienen vidos. (Don Quixote.)

Ung.: Néha a' házfalnak is vagyon szeme. (Gaal, 1234.)


6. Aus einer dürren Wand lässt sich kein Oel pressen.

Frz.: On ne saurait tirer de l'huile d'un mur. (Bohn I, 43.)


7. Aus vier Wänden baut man einen Stall.

Wortspiel mit dem Volksnamen Wenden. (Vgl. Andree in Unsere Zeit, 1872, Hft. 7.)


8. Binnen beschlossenen Wänden und unter Dach soll niemand Urtheil finden.Graf, 404, 20.

Zum Wesen des alten Gerichtsverfahren gehörte Oeffentlichkeit. Unter Laubbäumen, in der offenen Aue, auf einem hervorragenden Hügel oder grössern Stein setzt sich der Richter und Beisitzer zu Dinge. Die ganze Gemeinde umsteht ihn. Hier und da bildete ein Faden die einzige Schranke zwischen Gericht und Volk. Schon die Karolinger versuchten die Richter durch Errichtung von Gerichtshäusern mehr vor Wind und Wetter zu schützen, als es die Bäume vermochten, aber es dauerte sehr lange, ehe man sich daran gewöhnen konnte, im geschlossenen Raum Recht zu nehmen.

Mhd.: Inrunt geschlossen wenden und under dach sol nymand urteyl vinden. (Senkenberg, Schwabenspiegel, 165, 2; Ficker, 186, 254.)


[1776] 9. D' Wänd händ Ohre und d' Stude-n Auge. Sutermeister, 35.


10. Das ist eine schlechte Wand, welche das Dach nicht trägt.


11. Der muss sich vor den Wänden schämen, der Schlechtes thut.


12. Die Wand hat Ohren, der Wald hat Augen. Birlinger, 521.


13. Ein leinen Wand, eine steinerne Feste.Henisch, 1519, 4.


14. Eine gute Wand braucht keine Stütze.


15. Eine hängende Wand kann der Teufel bald gar umreissen.


16. Eine schwankende Wand ist bald umgestossen.

Dän.: Man driver gierne den vegge, der gange vil. (Prov. dan., 123.)


17. Eine Wand, die Gott stützt, fällt nicht.


18. Einer Wand, die fallen will, gibt jeder gern 'nen Schupp.Sailer, 206; Körte, 6434; Simrock, 11176.

Engl.: If a man once falls, all will tread on him. – If my beard is burnt, others try to light their pipe at it. (Masson, 201.)

It.: Quando un' è per terra, ogmium grida: dagli, dagli! (Masson, 201.)


19. Gehe von der Wand, so zustöst du den hindern nicht.Henisch, 1436, 24.


20. Lieber die Wände des Bauches gesprengt, als dem Wirth ein Groschen geschenkt.


21. Man kann durch eine Wand sehen, wenn ein Loch darin ist.Simrock, 11174.


22. Man kann nicht durch die Wand gehen, wenn kein Loch darin ist.

Unmögliches kann niemand durchsetzen.


23. Schît de Wand langst, segt Johann Schönfeld, brûkst kênen Maler.Schlingmann, 1260.


24. Was man heute der Wand sagt, das erzählt man morgen auf der Strasse.

Die Russen: Was du heute dem Peipus erzählst, wird morgen das Finnische Meer wissen. (Altmann V.)


25. Weisse Wände sind Papier für Narrenhände.Eiselein, 627.

Frz.: Muraille blanche papier des sots. (Eiselein, 627.)


26. Wenn die Wand des Nachbars brennt, ist auch dein Haus in Gefahr.

Lat.: Res tua tunc agitur, paries cum proximus ardet. (Horaz.) (Philippi, II, 157.)


27. Wenn die Wand einstürzen will, so laufe darunter hinweg.Burckhardt, 13.

Denjenigen, dessen Macht zu wanken beginnt, oder den Gefahren bedrohen, fliehe.


28. Wenn ein Wand baufällig wird vnd fallen wil, so seichen die Hund daran.Petri, II, 654.


29. Wenn ein Wand fallen wil, so gibt jhr jedermann ein Stösslein.Petri, II, 654.


30. Wenn mer anfängt bei der Wand, hat's bald e End'.Tendlau, 784; für Köln: Weyden, III, 9.

Es steht schlimm, wenn das verkauft werden muss, was ringsum zur Bequemlichkeit oder zum Schmuck an den Wänden sich befindet.


31. Wer an der Wand liegt, hat nichts zu reden.Frischbier2, 3970.


32. Wer steht hinter der Wand, hört seine eigene Schand'.

Jüdisch-deutsch in Warschau: Steh nit hinter der Wand, west dü nit hören dein eigen Schand.


33. Wer zwischen zwei Wände kommt, muss sich an die weichste lehnen.


*34. Alles, was an die Wand pissen kann.Eiselein, 627.

Z.B. zog mit in den Befreiungskrieg, alle nur einigermassen Mannbaren. (E.M. Arndt, Wanderungen und Wandelungen mit dem Freiherrn von Stein.)


*35. An Wänden gehen.Chaos, 766.


*36. Chapp1 dich un (ans, in) der fauler Wand. Bernstein.

1) Chappen, polnisch chapać = haschen, greifen. – Zur Abwehr einer ungerechten Beschuldigung, falschen Anklage. Um zu sagen: Was willst du von mir? Vergreife dich doch lieber an der Wand.


[1777] *37. Da möchte man ja gleich an der Wand in die Höhe gehen. (Thüringen.)

Jüdisch-deutsch, wenn man jemand seinem Schicksal überlässt: »Reiss' dich auf die gleiche (gerade) Wänd.« D.i. klettere meinetwegen an den Wänden hinauf. »Sich reissen« bedeutet hier: mühsam hinaufklettern.


*38. Da muss ja gleich eine alte Wand wackeln. Klix, 124.

Ausruf des Staunens und der Verwunderung.


*39. Der tauben Wand sein Leid klagen.

Lat.: Coelo ac terrae loqui. – Terrae loquens coeloque philosaphatus es, sed his nulla est cura sermonis tui. (Eiselein, 627.)


*40. Du gehest überall an Wänden.Henisch, 1353, 47.

»Du irrest ganz vnd gar. Sota irras via.«


*41. Durch eine Wand reden.Eiselein, 627.

Lat.: Per parietem loqui. (Eiselein, 627.)


*42. Eine übertünchte Wand.Eiselein, 627.

Böhm.: Na oko svaty – dobrý – pobožny – křest'an. – Stĕna zbílená. (Čelakovsky, 530.)

Lat.: Paries dealbatus. (Eiselein, 627.)


*43. Eine Wand durchtreten.Körte, 6435.


*44. Einen an die Wand drücken.

Zurücksetzen, verachten, unwürdig behandeln. Aus Wien schreibt man: »Wie hier bei jeder Gelegenheit die Deutsch-Oesterreicher an die Wand gedrückt werden, oder sich selber bescheiden in die Ecke stellen, dafür bringt jeder Tag neue Belege.« (Schles. Zeitung, 1871, Nr. 157.)


*45. Er bleibt an der Wand kleben, wenn man ihn daran wirft.

Vom Schmuzigen, Unsaubern.


*46. Er geht an der Wand. (Rottenburg.)

So viel wie: ist auf dem Holzwege.


*47. Er geht bei die Wänd'. (Jüd.-deutsch. Warschau.)

Er macht Umwege, um desto sicherer zum Ziele zu gelangen. Von Blinden entlehnt, die an den Wänden forttappen, um auf einen gewissen Punkt zu gelangen.


*48. Er ist hinter den vier Wänden aufgewachsen.


*49. Er ist nicht über die vier Wände hinaus gekommen.


*50. Er kan zwu Wend auff einmal malen.Eyering, II, 379.


*51. Er schwatzt zwei gegenüberstehende Wände zusammen.

In Warschau jüdisch-deutsch von Lügnern, Ränkemachern, Schwindlern: Er känn zunaufführen (zusammenbringen) zwei Wänd.


*52. Es ist gerade als schwatze man an die Wand (oder: in die Luft).

Ganz erfolg- und nutzlos.


*53. Etwas an der Wand greifen.Luther's Tischr., 459.


*54. Hinter gemalten Wänden wohnen.

Lat.: Parietum picturae, aulea et pristomata preciosa, inertis viri vestimenta. (Bovill, I, 65.)


*55. Man könnte Wände mit ihm einrennen.

So dumm (hartköpfig) ist er. »Wände könnt' man mit euch einrennen, sprach der Alte beifallnickend, wenn ihr einmal warm geworden seid.« (Scheffel, Ekkehard, II, 30.)

Lat.: Caput vacuum cerebro. (Philippi, I, 73.)


*56. Schmiet se an de Wand, on se blôwt klewe. Frischbier2, 3971.

So beschmuzt ist sie. (S. Beschmiert 1.)


*57. Sich (nicht) als spanische Wand brauchen lassen.


*58. Sich an eine baufällige (morsche, schwache, starke) Wand lehnen.Eiselein, 627.

Lat.: Ad felicem inflectere parietem. (Eiselein, 627.) – In caducum parietem inclinare. (Hanzely, 124; Philippi I, 191; Seybold, 234.)


*59. Zu leeren Wänden reden.

Lat.: Allidere caput parieti. – Alloqui murum aut parietem. (Bovill, I, 27.)


[Zusätze und Ergänzungen]

60. Die Wand hat Ohren, der Wind hat eine Stimme.Merx, 255.


61. Leere Wände machen müssige Hausfrauen.

Engl.: Bare walls make giddy house-wives. (Bohn II, 69.)


62. Mit der Wand hat's nicht Noth, deren Stütze Gott.


63. Schît de Wand bilank, denkt de Bûr et blötzt.Frischbier, I, 276.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876.
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