Wodan

[329] Wodan (s. Nikolaus).


Wode, Wode, hal dinen Rosse nu Voder; nu Distel und e Dorn, tom andren Jahr beten Korn.

Wie in Resten von Volksbräuchen und -Sitten die Verehrung Wodan's als des weihnachtlichen Neulichts, in andern die als des siegreichen Maikönigs zu erkennen ist; so wird er im obigen Spruche in einigen Gegenden Deutschlands, wie Mecklenburg und Pommern, als Erntegott (Herbst-Wodan) angerufen. Auch andere Erscheinungen im Volksleben deuten darauf hin, wie der »Schimmelreiter« und »Haferbräutigam« bei den Erntefesten. In dem bereits erwähnten Mecklenburg, wie in der Mark, lässt man bei der Kornernte einen Büschel Getreide stehen, welcher der Vergodentheil heisst. Um diesen Büschel, der oben zusammengeflochten und mit Bier besprengt wird, sammeln sich die Arbeiter im Kreise, nehmen die Hüte ab, richten die Sensen aufwärts und rufen Wodan dreimal mit obigem Spruche an. Sie lassen den Aehrenbüschel also ausdrücklich für Wodan's Ross stehen und hoffen dafür im nächsten Jahre noch besseres Korn zu erhalten. Der Vergodentheil ist gleich »Für-Wodan« oder »Fro-Wodens«, d.i. Herrn Wodan's Theil. Wode wechselt nämlich vielfach mit Gode. Nach der erwähnten Ceremonie, welche »Erntesegen« heisst, gibt der Gutsherr den Knechten ein Gelage, das »Wodelbier« heisst. Das Bier scheint beim Wodansdienst, und besonders bei der Erntefeier, eine namhafte Rolle gehabt zu haben. Der heilige Columban traf seinerzeit heidnische Schwaben bei einem Opfer für Wodan, in deren Mitte eine Kufe stand, die dreissig Mass Bier enthielt. Bis zur Neuzeit, noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, war es z.B. im Schaumburgischen Sitte, dass die Schnitter, unmittelbar nachdem die letzte Garbe gebunden war, den Acker mit Bier begossen, dann selbst tranken und nun, um die letzte Garbe, den »Waulroggen«, entblössten Hauptes in friedlichem Reigen tanzend, einen alten Vers sangen, der hochdeutsch lautet: »Wode, Wode, Wode! Himmelsriese weiss, was geschieht, immer er nieder vom Himmel sieht. Volle Krüge und Garben hat er, auch in dem Wald wächst er mannichfalt; er ist nicht geboren und wird nicht alt. Wode, Wode, Wode!« Noch jetzt tanzen am Steinhuder Meer, in Lippe und Hessen die Schnitter um die letzte Garbe, durch welche sie einen blumenbekränzten Stab geschoben, schlagen an die Stufen, und rufen: »Wauden, Wauden!« oder sie begehen diese Erntefeier gar auf einem »Heidenhügel«, indem sie hutschwenkend um ein loderndes Feuer tanzen. Am deutlichsten aber tritt die uralte Verehrung Wodan's, des Erntegottes, in einigen bairischen Gegenden hervor, wo die stehengelassenen Roggenbüschel zu einer Menschengestalt zusammengebunden und mit Blumen geschmückt werden. Die Gestalt heisst der Oswald (s.d.) oder Oanswald, d.i. Answalt, Walter der Ansen oder Asen, der Herrscher der Götter – Wodan. (Vgl. Wodan als Jahresgott (Herbstwodan) von M. Jähns in Grenzboten, Leipzig 1871, Nr. 8, S. 292. )

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 5. Leipzig 1880, Sp. 329.
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