Janssen

[171] Janssen, 1) Pierre Jules César, Astrophysiker, geb. 22. Febr. 1824 in Paris, seit 1873 Mitglied der Pariser Akademie und des Bureau des longitudes sowie Direktor des astrophysikalischen Observatoriums in Meudon bei Paris. Seine Arbeiten bewegen sich größtenteils auf dem Gebiete der Spektralanalyse. Bei der totalen Sonnenfinsternis 1868 erkannte er, daß die Protuberanzen der Sonne aus glühendem Wasserstoff bestehen, und es gelang ihm, dieselben, die man bis dahin nur bei Finsternissen bemerkt hatte, auch sonst mit dem Spektroskop zu beobachten. 1870 entdeckte er eine Methode der quantitativen Spektralanalyse. 1874 beobachtete er in Japan den Venusdurchgang, und auf der Reise dahin wurden im Golf von Siam und im Bengalischen Busen magnetische Beobachtungen angestellt. Mit einem großen Photoheliographen erhielt er eine Reihe großer, vorzüglicher Sonnenphotographien. Auf Janssens Veranlassung wurde 1892 das neue Observatorium auf dem Gipfel des Montblanc erbaut, und seitdem führte J., obwohl er lahm ist und getragen werden muß, dort in mehreren Jahren eine Reihe wichtiger Beobachtungen über die atmosphärischen Linien des Sonnenspektrums aus.

2) Johann es, Geschichtsforscher, geb. 10. April 1829 in Xanten, gest. 24. Dez. 1891 in Frankfurt a. M.,[171] studierte seit 1849 in Münster, Löwen, Bonn und Berlin zuerst katholische Theologie, dann besonders Geschichte und Philologie, habilitierte sich im Sommer 1854 in Münster, ging aber schon im Oktober d. J. als Professor der Geschichte für die katholischen Schulen an das Stadtgymnasium in Frankfurt a. M. Er trat hier mit dem eifrig großdeutsch gesinnten, preußenfeindlichen und, obwohl lutherischen, doch ultramontan angehauchten Geschichtsforscher J. Fr. Böhmer (s. d. 4) in freundschaftliche Beziehungen und gab nach dessen Tod sein »Leben, Briefe und kleinere Schriften« (Freiburg 1868, 3 Bde.) heraus. 1860 erhielt er die Priesterweihe; 1875–76 war er Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1880 wurde er zum päpstlichen Hausprälaten und apostolischen Protonotar ernannt. J., einer der tätigsten und bedeutendsten unter den wenigen klerikal gesinnten deutschen Gelehrten, bemühte sich mit großem Fleiß, schriftstellerisch die ultramontane Sache zu fördern. Er schrieb: »Wibald von Stablo und Corvey« (1854); »Frankreichs Rheingelüste und deutschfeindliche Politik in frühern Jahrhunderten« (Frankf. 1861; 2. Aufl., das. 1883); »Schiller als Historiker« (Freiburg 1863, 2. Aufl. 1879); »Zur Genesis der ersten Teilung Polens« (das. 1865); »Frankfurts Reichskorrespondenz von 1376–1519« (das. 1863–73, 2 Bde.); »Zeit- und Lebensbilder« (das. 1875, 4. Aufl. 1889, 2 Bde.); »Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg« (das. 1876–1877, 2 Bde.; Neubearbeitung in 1 Bd., 1.–3. Aufl. 1882) u. a. Sein Hauptwerk ist die bereits in zahlreichen Auflagen erschienene »Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters« (Freib. 1877–94, Bd. 1–8; fortgesetzt und neu bearbeitet von L. Pastor, der auch seit 1898 monographische »Erläuterungen und Ergänzungen« dazu herausgibt). J. will beweisen, die Zustände Deutschlands im Beginn des 16. Jahrh. in Staat und Kirche, Kunst und Wissenschaft seien gesund und blühend gewesen, und diese Blüte habe nur die Reformation vernichtet. Die Gehässigkeit, mit der im 2. und 3. Bande die Reformatoren behandelt wurden, ließ das Buch als einen wohlüberlegten, fanatischen Angriff auf den Protestantismus und den kirchlichen Frieden erscheinen und rief lebhafte Entgegnungen hervor (vgl. besonders Köstlin, Luther und J., Halle 1883, und Lenz, Janssens Geschichte des deutschen Volks, Münch. 1883), gegen die sich J. in den Schriften: »An meine Kritiker« (Freib. 1882 u. ö.) und »Ein zweites Wort an meine Kritiker« (das. 1883, neue Ausg. von Pastor 1894) verteidigte, wobei er seinen ultramontanen Standpunkt noch deutlicher enthüllte. Vgl. Pastor, Johannes J. (5. Aufl., Freib. 1893); Meister, Erinnerung an Johannes J. (3. Aufl., Frankf. 1896); Schwann, Johannes J. und die Geschichte der deutschen Reformation (Münch. 1892).

3) Camille, Generalgouverneur des Kongostaates, geb. 5. Dez. 1837 in Lüttich, studierte daselbst Cameralia, wurde 1865 Unterstaatsanwalt in Hasselt, 1872 Kanzlist der belgischen Gesandtschaft in Konstantinopel mit Konsularbefugnissen und 1875 Vorsitzender des internationalen Gerichts in Alexandria, trat jedoch 1878 wieder in den belgischen Staatsdienst. 1879 wurde er Generalkonsul in Bulgarien, 1882 in Kanada, wo er die Anknüpfung von Handelsverbindungen mit Belgien förderte, und begab sich im August 1885 als Vertreter des belgischen Königs nach dem Kongogebiet, wo er die Verwaltung und die Gerichtspflege des am 19. Juli gegründeten Staates, insbes. das Abgaben- und Zollwesen, organisierte. Nach kurzem Aufenthalt in Belgien (Anfang 1887) ging er abermals für reichlich ein Jahr nach dem Kongo, diesmal als Generalgouverneur; dasselbe geschah 1889. J. kehrte im Juni 1890 heim und wurde abwechselnd mit der Verwaltung des Finanz- und des Justizwesens in der Brüsseler Kongoregierung betraut. 1893 nahm er seine Entlassung als Beamter des Kongostaates und wurde 1894 Generalsekretär des Institut Colonial International, das damals neu geschaffen wurde. Außerdem ist J. gegenwärtig im Verwaltungsrat mehrerer Finanzgesellschaften (z. B. Chemins de fer de la Flandre occidentale, Bruges-Port de Mer, Coloniale Industrielle).

4) Peter, Maler, geb. 12. Dez. 1844 in Düsseldorf, Sohn des Kupferstechers J. Th. J. (geb. 1817 in Ostfriesland, gest. 1894 in Düsseldorf), der sich durch mehrere verdienstliche Stahlstiche nach Hasenclevers Bildern aus der Jobsiade, Jordans Rettung aus dem Schiffbruch und Lessings Luther, der die Bannbulle verbrennt, u. a. einen geachteten Namen erworben hat, wurde im 16. Jahr Schüler der Düsseldorfer Akademie und später Bendemanns und malte 1868 sein erstes größeres Bild: Petrus verleugnet den Heiland. Bei der Konkurrenz, die der Kunstverein für Rheinland und Westfalen für die Ausschmückung des Rathaussaals in Krefeld mit Wandgemälden ausgeschrieben, gewann J. 1868 den ersten Preis, und bei der nächstfolgenden Bewerbung um denselben Gegenstand (1869) wurde ihm die Ausführung übertragen, die er 1873 vollendete. In einem Zyklus von zwei großen und mehreren kleinern Bildern schildert er die Befreiung Deutschlands vom römischen Joch durch Arminius. Dazwischen vollendete er im Sommer 1872 ein kolossales Wandgemälde in der Neuen Börse zu Bremen: die Kolonisierung der Ostseeprovinzen. Es folgten mehrere Darstellungen aus der Religionsgeschichte Deutschlands in der Aula des Seminars zu Mörs. Ein großes Ölbild: Gebet der Schweizer vor der Schlacht bei Sempach, entstand 1874. In demselben Jahr erhielt er den Auftrag, einen Saal der Nationalgalerie in Berlin mit Wandgemälden in Wachsfarben zu schmücken, deren Gegenstand (zwölf Kompositionen) der Prometheussage entnommen ist. In den Jahren 1880–82 führte er in dem Festsaal des Rathauses zu Erfurt sechs große und drei kleinere Wandgemälde ebenfalls in Wachsfarben aus der Geschichte der Stadt aus, gleich ausgezeichnet durch die glänzende koloristische Durchführung, wie durch die dramatische Gestaltung der Kompositionen und die monumentale Haltung. Ein figurenreiches, ebenfalls mit glänzender malerischer Technik ausgeführtes Gemälde: die Kindheit des Bacchus, erschien 1883 auf der Münchener internationalen Kunstausstellung. 1884 malte er in der Feldherrenhalle des Berliner Zeughauses die Schlacht bei Fehrbellin und mehrere Jahre später die Schlacht bei Hohenfriedeberg. In der Zwischenzeit schmückte er die Aula der Akademie in Düsseldorf, an der er seit 1877 als Professor wirkt, mit Friesgemälden (das Menschenleben als Gegenstand künstlerischer Phantasie). 1893 erhielt er für ein von starker dramatischer Kraft erfülltes Ölgemälde mit lebensgroßen Figuren: der Mönch Walter Dodde und die bergischen Bauern vor ihrem entscheidenden Eingreifen in die Schlacht bei Worringen 1288 (in der Kunsthalle zu Düsseldorf), die große goldene Medaille der Berliner Ausstellung. Von 1893–1902 beschäftigte ihn die Ausschmückung der Aula der Universität Marburg mit einem Zyklus von Darstellungen aus der Sage von Otto dem Schütz und mit sieben[172] figurenreichen Bildern aus der Geschichte der Stadt. 1902 entstanden das symbolische Gemälde: der Weg zum Licht (in der Kunsthalle zu Düsseldorf) und ein monumentales Bild für den Saal des Rathauses in Elberfeld (eine Szene nach dem großen Brande der Stadt im 17. Jahrh.). J., der auch als Porträtmaler tätig ist (Bildnis des Feldmarschalls Herwarth v. Bittenfeld in der Berliner Nationalgalerie), gehört zu den begabtesten Geschichtsmalern der Gegenwart. Ein echt monumentaler Stil verbindet sich bei ihm mit einem gefunden Naturalismus. 1885 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste und 1895 zum Direktor der Kunstakademie in Düsseldorf ernannt.

5) Karl, Bildhauer, Bruder des vorigen, geb. 29. Mai 1855 in Düsseldorf, studierte von 1873–1879 auf der dortigen Akademie und schuf außer einigen Grabdenkmälern den Monumentalbrunnen vor dem Ständehaus daselbst. Sein Hauptwerk ist das 1896 enthüllte Reiterstandbild Kaiser Wilhelms J. Seit 1893 ist er Lehrer an der Kunstakademie und königlicher Professor.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 171-173.
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