Kongostaat

[371] Kongostaat (État Indépendant du Congo), unter Souveränität des Königs von Belgien stehendes Gebiet (s. Karte »Äquatorialafrika« in Bd. 1), 2,334,600 qkm groß mit etwa 14–30 Mill. (nach den neuesten Berechnungen 19 Mill.) Einw. Nur mit kleiner Küstenstrecke an den Atlantischen Ozean stoßend, wird es im N. von Portugiesisch-Kabinda und Französisch-Kongo, im O. von Britisch-Ostafrika, Deutsch-Ostafrika, im S. von Britisch-Zentralafrika-Protektorat und Portugiesisch-Angola eingeschlossen. Das Gebiet, trotz der Forschungen von Livingstone, Baker, Stanley, Wissmann, Wolf, François, Müller, Peschuel-Loesche, Kund, Tappenbeck, Graf Götzen, Büttner, Reichard, Wauters noch verhältnismäßig wenig bekannt, zerfällt in drei natürlich begrenzte Abschnitte: in das Gebiet des obern Kongo (2,200,000 qkm), in das des untern Kongo (12,500 qkm) und in die dazwischen liegende, 400 km breite Zone der Fälle (s. Kongo, S. 369). Im allgemeinen eben, nur von einzelnen, mäßig hohen Bergzügen durchsetzt, wird es vom Kongo (s. d.) in seiner vollen Länge durchzogen und stößt östlich an die Westufer des Albert-, Albert Edward-, Kiwu-, Tanganjika- und Meru-Sees. Die geologische Geschichte des Kongobeckens ist schwer aufzuklären, da die Gesteinsschichten großer Gebiete in Laterit aufgelöst sind. Mannigfach wechselnd folgen westöstlich auseinander Glimmerschiefer, Hornblendegneis, Quarzschiefer, dann rote Sandsteine, Granit und große Strecken Laterit auf tertiären Schichten; an der Küste bilden einen schmalen Streifen jüngeres Tertiär und Alluvium, welch letzteres ebenfalls die mittlern Partien des Kongobeckens bedeckt. Das Klima, wegen der relativen Feuchtigkeit und des Dunstdrucks den Europäern wenig zuträglich, ist in Westafrika (kühles Oberflächenwasser des Atlantischen Ozeans längs der Küste) kühler als unter gleichen Breiten in Ostafrika; dies macht sich auch im K. bemerkbar, wozu noch für das Innere die bedeutende Höhenlage in Betracht kommt; es zeigt weder ununterbrochene hohe Wärme noch langdauernde Heiterkeit des Himmels. Nächtliche Abkühlung kommt häufig vor und macht sich sehr bemerkbar. Am untern K. liegt das Jahresmittel um 27° (Vivi 25,1, Brazzaville 27,3, Bangala 26°); im Innern um 24–25°. Dabei kommen nachts Temperaturen (auf den Plateaus) von 5–6° und darunter vor. Die Regenverhältnisse richten sich nach dem Stand der Sonne; z. B. in Katanga Regenzeit November bis April, am mittlern Kongo besonders Zenitalregen, mit häufigen Gewitterregen, die nachmittags oder nachts eintreten. Häufig auch, zumal an der Küste, elektrische Entladungen ohne Regenfälle. Nördlich und südlich vom Äquator treten die Regen zeitlich nach dem höchsten Stand der Sonne ein. Daher werden hier wie dort je zwei Ernten gezeitigt, während am Äquator selbst das ganze Jahr hindurch gepflanzt und geerntet wird. Das Pflanzenkleid des Kongolandes ist vom Klima sehr abhängig. Abgesehen vom Galeriewald an den Wasserläufen, kommt neben der Savanne auf ungeheuern Strecken dichter, dumpfer, an Tierleben armer Urwald vor, auch dieser aber oft von Lichtungen unterbrochen. Man unterscheidet hinsichtlich der Savanne ein westliches (westlich vom 17.° östl. L.), südliches (südlich vom 5.° südl. Br.) und ein Gebiet am Uëlle, letzteres von Galeriewäldern unterbrochen; dazwischen liegt das Gebiet der großen Waldungen. Auf der Grasflur (Kampine) finden sich steife, hohe Gräser neben Buschwerk (charakteristisch die knorrige Anona senegalensis); in den Wäldern, die allerdings den brasilischen an Mannigfaltigkeit nicht gleichkommen sollen, der gigantische Wollbaum (Eriodendron anfractuosum) und Affenbrotbaum, die Öl-, Kokos-, Fächer-, Wein- und wilde Dattelpalme und der Rotholzbaum (Raphia nitida). An wichtigen Kulturpflanzen gibt es Mais und Zuckerrohr, die zwei Ernten liefern, Kaffee, Maniok, Erdnuß, Bohnen, spanischen Pfeffer, Bananen, Pisang, Bataten, Mango- und Melonenbäume, Ananas, Zitronen und Orangen. Die einheimische Tierwelt, durch rücksichtslose Verfolgung (besonders des Elefanten) stark zurückgedrängt, weist an Säugetieren auf: Löwe, Leopard, Hyäne, Schakal, Giraffe, Nashorn, Flußpferd, Büffel, Antilope, Affe (unter andern Gorilla, Schimpanse) etc.; dazu Ottern, Ichneumons, Krokodile, giftige Schlangen, Flamingos, Pelikane, Geier, Riesenhelm- und Nashornvogel, zahllose graue und grüne Papageien; prachtvolle Insekten, Termiten etc. Im Vergleich zu Ostafrika ist aber das Kongoland tierarm zu nennen. Als Haustiere werden Hühner, Enten, Ziegen, Schafe und Schweine gehalten; eingeführt sind einige Rinder, Pferde, Maulesel und Esel.

Die Bevölkerung gehört noch den Bantuvölkern an. Am Oberlauf des Kongostaates sitzen die Warua, die wilden Manjema, die Waregga (Kannibalen); am Mittellauf die Bangala, Bateke u. a.; vom Stanley Pool abwärts die Babwende, Basundi, Bakamba; an der Mündung die Bakongo und Massarongo; am Sankuru und Kassai die Lunda, Baluba, Bakuba, Baschilange, Bassenge, Balunga u. a. Im allgemeinen nicht kriegerisch, treiben sie Ackerbau, Fischfang, Jagd und sind geschickt in der Verarbeitung von [371] Holz, Ton, Pflanzenfasern, Stein, Eisen, Messing, Kupfer und Elfenbein zu Hausgeräten und Waffen, zum Teil auch in der Weberei (Baluba). Warenhandel wird von vielen mit Geschick betrieben. Zwischen Kongo und Schari finden sich Sudânneger, im NO. die Niam-Niam und Mangbattugruppe. Im Innern sind sogen. Zwergvölker versprengt, Akka u. a. Die Mission, protestantisch und katholisch, arbeitet mit 465 Missionaren (1903: 109 Stationen) unter ihnen. Zu selbständigen Staatenbildungen haben es die Eingebornen nicht gebracht; jeder Stamm hat seine eigne Sprache, das Kisuaheli ist weit verbreitet. Als ansteckende Krankheiten treten die auf Europäer sich nicht übertragenden Blattern, ferner die örtlich unbegrenzte Malaria, Elefantiasis und Lepra auf.

Den größten Teil des Kongolandes umfaßt, abgesehen von den eingangs aufgeführten Grenzgebieten, der Kongostaat (Weiteres s. unten: Geschichte). Der K. ist eine absolute, mit Belgien in Personalunion stehende Monarchie, deren Besitzstand (mit Ausnahme des erpachteten Gebiets) für immer neutral erklärt ist. Die Zentralregierung hat ihren Sitz in Brüssel und besteht aus dem König und, unter ihm, dem Staatssekretär (Auswärtiges, Inneres und Finanzen). Ein Generalgouverneur vertritt für die Lokalregierung den König in Boma und übt die Verwaltung in seinem Namen aus. Das Gebiet des Kongostaates zerfällt für die Verwaltung in 14 Distrikte: Banana, Boma, Matadi, Katarakte, Stanley Pool, Ubangi, Bangala, Äquator, Leopold II.-See, östlich Kwango, Kassai-Lualaba, Ostprovinz, Aruwimi, Uëlle, wozu noch das erpachtete Gebiet (s. unter Geschichte) tritt. Hauptorte sind: Boma (s. d.), Léopoldville (s. d.), Vivi, Banana, Bolobo, Isangi, Ponta da Lenha und Equateurville.

Die natürlichen Hilfsquellen sind im K. noch nicht genügend erforscht. Mineralschätze werden sich nur in den Rand- und Grenzgebieten finden, hauptsächlich in den ältern Gesteinen. Katanga gilt als einigermaßen reich an Eisen, die Menge des Kupfers wird wohl überschätzt. Der K. wird überhaupt wahrscheinlich keine große Bergbaukolonie werden; das Hauptgewicht liegt auf dem Handel, zu dem Tier- und Pflanzenreich die Waren liefern. Die Hochflächen im Innern haben teilweise sehr fruchtbaren Boden. Hauptausfuhrartikel sind: Gummi, Palmkerne, Palmöl, Kautschuk, Kakao (dessen Kultivierung ebenso wie beim Kautschuk erfolgreich begonnen hat), Erdnüsse, Kopalgummi und Elfenbein. Von dem letztern kommt aus dem K. das meiste aus ganz Afrika in den Handel, so daß Antwerpen als Markt hierfür Liverpool und (seit 1895) London überflügelt hat. Doch rührt der größte Teil derselben von alten Beständen her (nach Wauters stammten 1897 von etwa 30,000 Zähnen nur 8540 von kürzlich getöteten Elefanten). Es sind Schutzgesetze erlassen. Obwohl alles im K. noch im Werden begriffen ist, gestalten sich die Verhältnisse jetzt günstiger. Während 1893 die Einfuhr aufwies: im Spezialhandel 9,175,000 Frank, im Generalhandel 10,148,000 Fr., betrug sie 1902: 18,080,909, bez. 20,699,724 Fr. (1901: 23,102,064, bez. 26,793,079 Fr.). Die Ausfuhr bewertete sich 1893 auf: 6,106,000, bez. 7,510,000 Fr. und ist 1902 gewachsen auf: 50,069,515, bez. 56,962,349 Fr. (1901: 50,488,394, bez. 54,007,581 Fr.). 1902 waren an der Einfuhr beteiligt Belgien mit: 12,194,000, England 2,600,000, Deutschland 925,000, Frankreich 648,000, Holland 543,000 Fr. Von der Ausfuhr gingen 1902 nach Belgien für 46,543,000, nach England für 287,000 Fr. Die Ansiedelungen bestehen aus Handelsniederlassungen und Stationen (s. oben); es waren im K. 1903: 2365 Europäer (1417 Belgier, 149 Italiener, 136 Schweden, 119 Engländer, 108 Portugiesen, 104 Holländer, 67 Deutsche). Die bewaffnete Macht bestand 1903 aus 13,650 Mann, 207 europäischen Offizieren und 304 Unteroffizieren. Den Verkehr mit dem K. vermitteln fünf Dampfergesellschaften von Antwerpen, Hamburg, Liverpool, Havre, Marseille und Lissabon aus den betreffenden Staaten. Seeschiffe gehen bis Matadi, wo die Kongoeisenbahn bis Stanley Pool beginnt. Die Bahn wurde von der am 9. Nov. 1889 gebildeten Kongobahngesellschaft mit einem Kapital von 20 Mill. Mk. übernommen, an dem sich der Staat Belgien mit 8 Mill. beteiligte. Die erste Strecke Matadi-Nkange (40 km) wurde 4. Dez. 1893, die Reststrecke bis Léopoldville Anfang Juli 1898 eröffnet. 1903 waren 308 km in Betrieb. Vgl. Ziffer, Die Kongoeisenbahn (Wien 1899); Wauters, Carte du chemin de fer du Congo 1:100,000 (3. Aufl., Brüss. 1898). Auf dem untern Kongo verkehren 7, auf dem obern 30 Dampfer, dazu Segel-wie Ruderboote. Der K. gehört dem Weltpostverein an; 1902 wurden durch 22 Ämter im innern Verkehr 188,800, im äußern 442,200 Sendungen befördert. Telegraphenlinien bestehen zwischen Boma-Léopoldville, Léopoldville-Äquator, Lisola-Umangi, Kasongo-Kabambare. Die Gesamtlänge beträgt 888 engl. Meilen. Als Geld kursiert das belgische. Die Finanzen, lange Zeit recht ungünstig, erforderten außer großen persönlichen Zuschüssen des Königs auch solche von seiten des belgischen Staates. 1901 belief sich die Schuld auf 108,8 Mill. Mk. Belgien hat auf die Rückzahlung vorläufig verzichtet gegen spätere Annektierung (s. Geschichte). Die Einnahmen stellen sich voraussichtlich für 1904 auf 29,825,000 Fr. (1903: 28,090,000, 1902: 28,709,000); die Ausgaben auf 32,500,550 Fr. (1903: 30,265,550, 1902: 32,405,494), woraus sich das Erfordernis der Zuschüsse ergibt. Die Flagge des Kongostaates ist blau mit fünfstrahligem gelben Stern in der Mitte (s. Tafel »Flaggen I«, Fig. 32). Das Wappen (s. Tafel »Wappen IV«, Fig. 8) zeigt in blauem Feld einen silbernen gewellten Querbalken (Kongofluß), überlegt mit dem Schilde von Belgien. Im rechten Obereck erscheint ein goldener fünfstrahliger Stern. Der Wappenschild wird von zwei zurücksehenden goldenen Löwen gehalten und ist mit einer zur Hälfte gefütterten Königskrone bedeckt. Die Devise lautet: »Travail et progrès«. Am 30. Dez. 1888 stiftete König Leopold II. den Orden des Afrikanischen Sterns (fünf Klassen).

[Geschichte.] Der K., eine reine Handelskolonie, ist die ureigenste Schöpfung des jetzigen Königs der Belgier, Leopold II. Die Anfänge liegen nach vorbereitenden Schritten (1861) in der Bildung der Internationalen Afrikanischen Assoziation (1876). Nach der epochemachenden Forschungsreise Stanleys (s. d.) wurde sie umgewandelt in das Comité d'études du Haut Congo (1878) und dieser Mann mit der Anlage einer Reihe von Stationen am Kongo vom König betraut, was 1881–83 (Léopoldville u. a.) geschah. Mittlerweile in die Association Internationale du Congo umgewandelt, welche die Gründung eines von den Mächten anzuerkennenden Staates unter dem Schutz des belgischen Königs betreiben sollte, suchten Frankreich von Norden her (s. Französisch-Kongo u. Brazzaville) und Portugal von Süden (Angola) her durch ebenfalls in das Kongo-, bez. die Grenzgebiete entsendete Expeditionen diese Pläne zu durchkreuzen. Die Folge[372] war der Zusammentritt der Kongokonferenz (s. d.) in Berlin 1884, die zur Anerkennung des Kongostaates führten, aber dem König auferlegten, Frankreich wie Portugal große Zugeständnisse zu machen. Die Berliner Akte sprachen Frankreich außer der Loangoküste das rechte Kongoufer von Manjanga bis zum Ubangi (einschließlich der dort bereits gegründeten Stationen) zu und das Vorkaufsrecht (1895 von Frankreich darauf verzichtet) sowie Portugul die Südseite der Mündung nebst Kabinda (im N.), so daß nur eine Küstenlinie von 37 km den Belgiern verblieb. 1885 (am Schluß der Kongokonferenz) wurde der Unabhängige Staat des Kongo (État Indépendant du Congo) gegründet, über den bald darauf der König Leopold II. die Würde eines Souveräns übernahm. Der Regierungssitz wurde (statt Vivi) nach Boma verlegt. Die anfangs überaus hochgespannten Erwartungen brachten in den nächsten Jahren vielfache Enttäuschungen, da die Forschungsreisen (1887 ff.) sowohl die Schiffbarkeit des Kongo und seiner Nebenflüsse wie die Ausbeutung und Besiedelung des Landes als nicht so günstig erwiesen und ferner die Unterdrückung des Sklavenhandels einen gefährlichen Araberkrieg heraufbeschwor, der auch durch die Ernennung des mächtigen Sklavenhändlers Tippu-Tipp zum Vali des obern Kongodistrikts unter belgischer Autorität sich nicht abwenden ließ. Erst 1894 konnte dieser als vorläufig beendet gelten. Inzwischen hatte man (1891) durch Gründung einer Gesellschaft das kupferreiche Katanga am obern Lualaba (im S.) in die Interessensphäre gezogen und 1892 gegen den obern Nil einen Vorstoß gemacht. Die Frucht dieser Bemühungen (s. Mahdi) war 1894 ein Abkommen mit England, das den westlichen Teil von Emin Paschas ehemaliger Äquatorialprovinz dem K. pachtweise überließ (48,200 qkm). Die Neutralitätserklärung des Kongostaates (28. Dez. 1894) bezeichnet den Abschluß der territorialen Entwickelung. Schon 1889 hatte Leopold II. nach seinem Tode zugunsten des belgischen Staates auf den Besitz des Kongostaates verzichtet (1890 und 1901 genauer reguliert).

Im Frühjahr 1901 war Belgien, das dem K. bisher 32 Mill. vorgeschossen hatte, vor die bedeutsame Frage gestellt, ob es von seinem Rechte der Besitzergreifung des Kongostaates gemäß dem zwischen diesem und dem belgischen Staat unterm 3. Aug. 1890 vollzogenen und 18. Febr. 1901 abgelaufenen Abkommen Gebrauch machen solle oder nicht. Da König Leopolds II. Testament von 1889 unangetastet blieb und Belgiens Erbrecht auf den K. folglich ungeschmälert zu Recht bestand, so fiel die Entscheidung 17. Juli 1901 dahin, daß die sofortige Übernahme der gewaltigen Kolonie auf den belgischen Staat vorläufig hinausgeschoben ward: die Kongoschuld wurde gestundet, und König Leopold fuhr in dem Bestreben fort, seinem Land eine durchaus produktive Kolonie zu hinterlassen. Diesem Gedanken trug auch der Mitte September 1901 vorgelegte Entwurf einer Verfassung Rechnung, wonach im Falle des spätern Übergangs des Kongostaates in belgischen Besitz seine Selbstverwaltung unter der unumschränkten Gewalt des jeweiligen Königs der Belgier gewährleistet, der Einmischung des belgischen Parlaments also entzogen wird. Während sich seitdem die wirtschaftlichen Verhältnisse im K. zusehends so konsolidierten, daß seine Entwickelung durch örtlich beschränkte Aufstände nur wenig aufgehalten wurde, begann 1903 eine immer weitere Kreise ziehende Bewegung einzusetzen, die sich der schlecht behandelten Eingebornen, die teilweise einer der Sklaverei ähnlichen Zwangsarbeit unterworfen wurden, energisch annahm und in einer Rundnote gipfelte, die am 8. Aug. 1903 der britische Minister des Auswärtigen, Lord Lansdowne, erließ und unterm 18. Aug. der belgischen Regierung zustellte; namentlich wurde darin auch für die von der Berliner Kongokonferenz (1885) und der Brüsseler Kongoakte (1890) verbürgte, durch die kongostaatliche Kronlands- und Monopolpolitik jedoch vielfach verletzte Handelsfreiheit eingetreten. Obwohl sich der K. gegen die Vorwürfe und Beschwerden (Bericht Casemants Anfang 1904) durch E. Nys u. a. juristisch nicht ungeschickt verteidigte und die Möglichkeit der Zwangseintreibung von Kautschuk als notwendige Vorbedingung eines weitern Gedeihens der Kolonie hinstellte, woran breite Schichten der belgischen Bevölkerung ein materielles Interesse haben, so agitierte anderseits die im März 1904 durch Edmund D. Morel (Herausgeber der »West African Mail«), Sir Charles Dilke, H. R. Fox-Bourne und W. T. Stead begründete und vom Earl Beauchamp geleitete Congo Reform Association derart warm für den Schutz der vergewaltigten oder mißhandelten Eingebornen, daß der K. dem Verlangen nach Reformen und Einsetzung einer aus Staatsanwalt Janssens von Brüssel, Appellrichter Baron Nisco von Boma, Staatsrat v. Schumacher von Luzern und zwei belgischen Schriftführern bestehenden, gänzlich unabhängigen Untersuchungskommission nicht länger widerstand; sie fuhr 15. Sept. 1904 von Antwerpen ab, beendete im Februar 1905 ihre Arbeiten im K. und traf 13. März wieder in Antwerpen ein.

Eine andre Schwierigkeit ergab sich aus einer lokalen Frage: dem Wunsch Englands, den am 12. Mai 1894 abgeschlossenen Pachtvertrag über das Ladògebiet am obern Nil zu kündigen. Damals war vom K. an Großbritannien, das im Banne des Gedankens einer Kap-Kairo-Bahn stand, ein 25 km breiter Streifen vom Nordende des Tanganjikasees bis zum Südende des Albert Edward-Sees verpachtet worden, solange der K. unabhängig oder eine belgische Kolonie unter der koburgischen Dynastie bleibe. Dafür hatte der K. das südliche Bahr el Gazal nebst einer Vorderfront am Westufer des Nils auf Lebzeiten König Leopolds in Pacht erhalten. Während nun diese letztere Verpachtung wirklich in Kraft trat und nur dadurch abgeschwächt ward, daß der König im August 1894 Frankreich zusicherte, bloß in der Enklave von Ladò »politische Aktionen« vornehmen zu wollen, war die obenerwähnte Gegenleistung infolge des Einspruchs von Deutschland fallen gelassen worden; allerdings wurde im März 1899 das strittige Gebiet ausdrücklich von neuem der britischen Interessensphäre zugewiesen. Seitdem nun der obere ägyptische Sudân von den Engländern zurückerobert wurde, hegten diese den begreiflichen Wunsch, auch die exponierte Nordostecke des Kongostaates (wohin übrigens ihre Beschwerden den Hauptschauplatz belgischer Grausamkeiten verlegen) zurückzubekommen, und verhandelten seit April 1903 in dieser Richtung mit König Leopold; doch ohne Erfolg: vielmehr ließ dieser noch im Sommer 1904 dort Befestigungen anlegen.

Literatur: Wauters, Les Belges an Congo (Brüss. 1884) und L'Etat Indépendant du Congo (das. 1899); Stanley, Der Kongo und die Gründung des Kongostaates (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1887); Pechuel-Loesche, Kongoland (Jena 1887); Wissmann, Wolf, v. François und Müller, Im Innern Afrikas (3. Aufl., Leipz. 1891); Wissmann, Unter deutscher Flagge quer durch Afrika (8. Aufl.,[373] Berl. 1902); R. Büttner, Reisen im Kongolande (4. Aufl., Leipz. 1890); Chapeaux, Le Congo (Brüss. 1894); Picard, En Congolie (das. 1896); Hinde, The fall of the Congo Arabs (Lond. 1897); Poskin, L'Afrique équatoriale (Brüss. 1897); Goffart, Traité de géographie du Conge (Antwerp. 1897); Boulger, The Congo State (Lond. 1898); Blanchard, Formation et constitution politique de l'État Indépendant du Congo (Par. 1899); Boshart, Zehn Jahre afrikanischen Lebens (Leipz. 1898); Thonner, Im afrikanischen Urwald (Berl. 1898); Donny, Manuel du voyageur du résident an Congo (Brüss. 1900, 3 Bde.); Cattier, Droit et administration de l'Etat Indépendant du Congo (das. 1898); van Straelen, Missions catholiques et protestantes au Congo (das. 1898); Lancaster und Meuleman, Le climat du Congo (das. 1899); Jozon, L'État Indépendant du Congo (Par. 1900); Ed. Descamps, L'Afrique nouvelle (Brüss. 1903); v. Stengel, Der K., eine kolonial-politische Studie (Münch. 1903; beide zugunsten der belgischen Verwaltung); Fox- Bourne, Civilization in Congoland (Lond. 1903; als Wortführer der Aborigines Protection Society gegen den K.); Morel, King Leopold's Rule in Africa (das. 1904; Anklagen namentlich wegen Sklaverei); Wauters u. Bayl, Bibliographie du Congo (Brüss. 1896); Wack, The story of the Congo Free State (New York 1905); das »Bulletin officiel de l'Etat Indépendant du Congo« und »Annuaire« (1903 ff.). Karten: von A. J. Wauters, 1:2,000,000 (4 Blatt, Brüss. 1900), Du Fief (1900) und Lemaire (1900); Weiteres s. Kongo (S. 370).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 371-374.
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