Tugendbund

[923] Tugendbund (Tugendverein) Der Frieden von Tilsit u. das Unglück, welches vor u. mit ihm über Preußen hereinbrach, führten in den Herzen patriotisch gesinnter Männer den Gedanken einer Regeneration des Staates herbei. Gespräche u. Schriften, welche über diesen Gegenstand zwischen einigen denkenden Offizieren u. Civilisten in Königsberg gewechselt wurden, führten auf Veranlassung Heinrich Bardelebens, eines patriotischen Mannes, im Sommer 1808 auf den Gedanken, eine Gesellschaft, den Sittlich-Wissenschaftlichen Verein, zu errichten, welche die durch das allgemeine Unglück aufgeregten Gemüther beruhigen u. zur Ausdauer ermahnen; die Liebe für den König u. sein Haus erhalten u. die Liebe zum Vaterland erwecken u. vermehren; das Unglück des Staates im Einzelnen kennen lernen, Vorschläge zu dessen Minderung u. Abhülfe thun u. kräftig zu deren Ausführung mitwirken; eine zweckmäßige Einrichtung des Militärs herbeiführen; für die Verbesserung der Erziehung sorgen, einen guten Sinn im Volke erhalten u. dasselbe ermuntern wollte im Hinweisen auf eine bessere Zeit; die Noth Einzelner mildern; die Polizei unterstützen; die Literatur beleben u. die Lügen der Libellenschreiber, welche das Volk unzufrieden machen, aufdecken wollte. Mit diesem offenen Zweck war noch der geheime u. eigentliche Hauptzweck verbunden das französische Joch zu brechen, wenigstens dessen Abwerfung vorzubereiten. Die Mitglieder, Anfangs 20 an der Zahl, theilten ihre Statuten den höchsten Beamten, ja dem Könige selbst mit, welcher die Statuten genehmigte u. sich von Zeit zu Zeit über ihre Arbeiten Bericht erstatten ließ. Der Minister von Stein war übrigens weder Stifter, noch Mitglied des T-es, aber mit seinen Zwecken wohl vertraut, hielt ihn jedoch für unpraktisch. Der Andrang zu der Gesellschaft wurde groß, u. bald mußte sie sich, trotz der sorgfältigsten Auswahl, in fünf Kammern theilen: für Erziehung u. Volksbildung, Staats- u. häusliche Ökonomie, Polizei, Literatur u. Militär, in deren eine jeder bei der Aufnahme nach Wahl eintrat u. deren jede wöchentlich einen Arbeitstag hatte. Diese Theilung wurde aber wieder aufgehoben, als sich der Verein ein eigenes Local gemiethet hatte. Als die Arbeiten im Gange waren, beschloß man Töchtervereine in den anderen Städten des Königreichs zu bilden, welche aber mit dem in Königsberg in Verbindung bleiben sollten. In Braunsberg kam der erste zu Stande, bald befand sich aber fast in jeder Stadt Preußens ein T. Ander Spitze des T-es stand ein Hoher Rath von fünf Mitgliedern, welche aus dem Stammverein, d.h. den zuerst eingetretenen 20 Mitgliedern, gewählt wurden; einer dieses Hohen Rathes war der Censor, welcher auf die Aufrechthaltung der Gesetze sah u. die Streitigkeiten unter den Mitgliedern schlichtete. Der Hohe Rath wurde von Zeit zu Zeit neu gewählt. Aufgenommen konnte jeder unbescholtene, christliche Bewohner des Königreichs werden, welcher von einem Mitgliede vorgeschlagen war u. von welchem der Censor nichts Nachtheiliges erfuhr; Ausländer waren ausgeschlossen. Die Mitglieder durften nichts über den Verein schreiben u. mit keinem Nichtmitgliede über denselben reden. Es gab keine verschiedenen Grade in der Gesellschaft. Die erste Frucht des T-es war die Aussöhnung zwischen Militär- u. Bürgerstand, welche damals in gespannten Verhältnissen lebten. Er gab das Gesetz, daß jedes bürgerliche Mitglied in einer Gesellschaft, wo ein Offizier angegriffen würde, diesen vertheidigen müsse u. eben so der Offizier den Civilisten. Bes. thätig wirkten die Militärs auf die Regeneration der Armee. Scharnhorst, obgleich nicht Mitglied des T-es, kannte die Arbeiten desselben genau, u. berichtigte u. benutzte vieles davon; mehre Offiziere seiner nächsten Umgebung, bes. Gneisenau, waren eifrige Mitglieder des T-es. Der T. erregte bald bei den französischen Machthabern in Deutschland Argwohn, bes. 1809, als der Major von Schill, Mitglied des T-es, seinen Zug über die Elbe begann. Aufgefangene Briefe des Ministers von Stein an den Fürsten von Witgenstein bestärkten die Franzosen in dem Verdacht, als beabsichtige Stein, das angebliche Haupt des T-es, eine allgemeine Erhebung Deutschlands gegen Frankreich. Stein mußte seiner Ministerstelle entlassen werden u. der König nach seiner Rückkehr nach Berlin im Decbr. 1809 durch eine Cabinetsordre die Aufhebung desselben u. die Einsendung aller Acten u. Arbeiten befehlen. Im Stillen wirkte der T. aber, ohne eigentlich organisirt zu sein, fort. Als im Decbr. 1812 Stein, um eine Bewaffnung zu organisiren, mit den Russen nach Ostpreußen zurückkam, benutzte er die Mitglieder des aufgelösten T-es, u. als im März die Aufforderung des Königs erschien, waren dort alle Vorarbeiten schon getroffen. Lange nach seiner Auflösung, im Spätjahr 1815, erfuhr der T. harte Angriffe vom Geheimrath Schmalz in Berlin, in Schutz wurde er dagegen von Krug genommen, welcher selbst als Professor in Königsberg das Censoramt im T. bekleidet hatte, durch die Schriften: Das Wesen u. Wirken des T-es, Lpz. 1816, u. Darstellung des unter dem Namen des T-es bekannten sittlich-wissenschaftlichen Vereins, nebst Abfertigung seiner Gegner, Berl. 1816. 1819, bei den Untersuchungen über Demagogismus, wurde der T. auch vielfach verdächtigt, als habe er durch Aufreizung der Einzelnen zu außerordentlichen politischen Anstrengungen den ersten Anstoß zu der späteren Demagogie gegeben. Vgl. I. Voigt, Geschichte des sogenannten T-es, Berl. 1850.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 923.
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