[11] Wehrsystem (Wehrverfassung), die Gesammtheit der Einrichtungen eines Staates für den Krieg. Abhängig ist jedes W. von der politischen, wie geographischen Lage des Landes u. es ist am deutlichsten dadurch charakterisirt, wie es seine Streitkräfte organisirt, wie es die Truppen beschafft u. welche Pflichten u. Rechte es den Staatsbürgern in Betreff des Kriegsdienstes auferlegt u. zugesteht. Die Heerformen sind: Milizsystem, Cadressystem u. System des stehenden Heeres. Durch mannigfache Verbindungen dieser einfachen Formen ergeben sich sodann complicirte Systeme. Beim Milizsystem bildet der Staat die ganze waffenfähige Bevölkerung, od. doch einen großen Theil derselben, in den Waffen aus, od. legt die Verpflichtung auf sich selbst für den Waffendienst vorzubereiten, zieht aber die so ausgebildete Mannschaft nur für den Krieg zusammen. Im Allgemeinen waren die Heere der klassischen Völker des Alterthums nach dem Milizsystem aufgestellt; da wir jedoch bei ihnen durchweg Herren u. Sklaven, dazwischen noch eine Mittelklasse mit persönlicher Freiheit, aber ohne staatliche Rechte finden, so zeigen sich verschiedene Modificationen des Milizsystems. Die nächste Verpflichtung zum Kriegsdienst ruhte auf den Herren, welche denselben sogar als ihr Recht beanspruchen mußten, da sie der Staat selbst waren u. das höchste Interesse an der Aufrechthaltung des Staatswesens hatten. So waren bei den alten Griechen sämmtliche Bürger Soldaten; die Sklaven wurden theils vom Staate direct in Anspruch genommen, zum Kriegsdienst ausgehoben, nicht aufgerufen, theils wurde es den Besitzern freigestellt, aus wie viel Sklaven sie ihre Begleitung bestehen lassen wollten, theils war ein bestimmter Procentsatz vorgeschrieben. Diese Sklaven waren nun theilweise als Combattanten, theilweise als Diener u. Troß verwendet. Ähnlich wie die Griechen hatten auch die Römer bis zum Verfalle der Republik ein Milizheer; alle Bürger, innerhalb eines gewissen Lebensalters, waren zum Kriegsdienste verpflichtet, aber nur ein Theil von ihnen wurde für jeden einzelnen Krieg, od. wenn während des Verlaufes eines Krieges Verstärkung des Heeres nöthig war, aufgerufen; die Sklaven folgten lediglich als Troß u. wurden nur in Zeiten der Noth in bewaffnete Schaaren zusammengestellt. Große Unterschiede im Milizsystem ergaben sich noch darnach, ob die ganze Klasse der Wehrpflichtigen zum Dienst im Felde u. in jedem Kriege herangezogen werden darf, od. nur ein Theil von ihr, während der andere nur unter besonderen Umständen, in besonderen Kriegsarten u. unter besonderen Kriegsfällen der Pflicht nachzukommen hat. Dieser Unterschied zeigt sich sehr deutlich in den von den Deutschen des Mittelalters gestifteten Reichen in der Zeit des Lehnssystems. Wie bei den Griechen u. Römern bildeten auch bei den Deutschen nur die Freien im Kriegsstande das Heer; von wie viel Hörigen die Freien sich begleiten lassen sollten, war bes. vorgeschrieben. Dieser ganze Auszug hieß der Heerbann, wie das Aufgebot zu ihm. Als die Fürsten, meist zur Erweiterung[11] ihrer Hausmacht, häufigere Kriege führten, stellte sich nicht nur Unlust ein dem Heerbann Folge zu leisten, sondern die Lasten der Kriege hatten zugleich den finanziellen Ruin vieler Freien (womit auch die Freiheit verloren ging) herbeigeführt, der Heerbann mußte. so immer mehr an Stärke abnehmen. Um diesem Übelstande abzuhelfen, griffen die Fürsten zu dem Auskunftsmittel den Besitzlosen die Waffen in die Hand zu geben, indem sie diesen zur Entschädigung nicht nur die Freiheit, sondern von ihren ausgedehnten Domänen auch Grundstücke zur Bewirthschaftung (zu Lehn) gaben. Der Lehnsmann übernahm dagegen die Verpflichtung dem Aufgebot des Lehnsherrn jederzeit zu folgen. Allmälig begannen jedoch auch die Lehnsleute sich die Verlegenheiten ihrer Herren zu Nutze zu machen, ertrotzten sich immer größere Diensterleichterungen, namentlich Verkürzungen der gesetzlichen Dienstzeit, od. erschienen schlecht ausgerüstet. Da nun zudem die Lehnsmannen auch mit ihren Sold- u. Entschädigungsansprüchen den Fürsten sehr theuer zu stehen kamen u. außerdem. das Ritterwesen, welches sich seit dem 10. Jahrh. erhoben hatte, das Lehnssystem vollständig dominirte, so mußten die Fürsten auf einen Ersatz denken. Die Elemente dieses Ersatzes aber waren Söldnerwesen u. Heerbannspflicht, von denen das erstere vorläufig das Lehnsheer in eben der Weise ablöste, wie dieses den Heerbann überflüssig gemacht hatte. Beide Elemente aber waren die Grundlage, aus welcher sich das System des stehenden Heeres entwickelte. Charakter des stehenden Heeres ist, daß seine Mannschaften sich während der ganzen Dauer der Dienstverpflichtung bei der Fahne befinden, es ist also das directe Gegentheil des Milizsystems. Das stehende Heer kann nun entweder gebildet u. ergänzt werden durch Werbung od. durch Conscription (s. b.), der Kriegsdienst wird entweder als ein freies Handwerk betrachtet, welches wählt wer will, od. er wird als eine von der Staatsgewalt ihren Unterthanen aufzuerlegende Pflicht behandelt. Um das Lehnsheer zu beseitigen, begann man seit der Mitte des 15. Jahrh. Söldner zu werben, doch damals noch nicht für ein stehendes Heer, sondern immer nur für die Dauer eines Krieges. Erst gegen Ende des 17. Jahrh. bildeten sich die stehenden Heere. Die Soldaten für diese wurden geworben, wie einst die römischen Soldaten in den letzten Zeiten der Republik u. denen des Kaiserreichs, aber nicht mehr für die kurze Dauer eines Feldzuges, sondern für eine bestimmte Zahl von Jahren, ohne Rücksicht darauf, ob Frieden od. Krieg in dieser Zeit sei. Die Verpflichtung, welche sie übernahmen, nannte man eine Capitulation. Gegenwärtig hat nur noch England ein stehendes Heer in dieser Weise.
Durch die zweite Grundlage des stehenden Heeres, die Heerbannpflicht, verwandelten sich nach u. nach alle stehenden Heere in Cadresheere, welche nur einen Stamm von Mannschaften beständig activ haben, während der Rest, nachdem er für den Waffendienst ausgebildet ist, beurlaubt wird. Der Heerbann u. die Verpflichtung zu ihm wurde eigentlich niemals aufgehoben, er kam nur in Vergessenheit, wurde aber gleichwohl zur Landesvertheidigung wiederholt hervorgesucht. Außerdem machte man verschiedene Versuche die Heerbannpflicht in einer Weise zu ordnen, daß sie ohne Bedrückung der Unterthanen eine bessere Waffe gäbe, namentlich eine verfügbarere, als das Aufgebot in Masse. Zu diesen Versuchen gehörten während des 15. Jahrh. in Frankreich die Freischützen u. die Ordonnanzcompagnien. Die Freischützen waren ein Auszug aus den noch übrigen Heerbannpflichtigen, die Ordonnanzcompagnien waren ein beständig activ gehaltener u. besoldeter Auszug aus dem Lehnsadel. In Deutschland erhoben die Fürsten den Anspruch auf allgemeine Landfolge, die Städte u. die Bauern mußten das Fußvolk stellen. Die so erhaltenen Truppen sind unter dem Namen der Defensioner im 17. u. auch noch im 18. Jahrh. bekannt. Als allgemeines Aufgebot trat jedoch die Landfolge in nur sehr wenigen Fällen auf, vielmehr hatten die Gemeinden u. Bezirke nur ihrer Einwohnerzahl entsprechende Contingente zu stellen. Um die Art, wie diese Contingente zusammengebracht wurden, bekümmerte man sich nicht. Im ganzen 16. u. 17. Jahrh. wurden sie daher weit häufiger geworben als ausgehoben. Anders betrieb es zuerst Ludwig XIV., welcher neben den geworbenen Truppen, bei dem starken Menschenverbrauch seiner langen Kriege, die Unterthanen aus dem Bürger- u. Bauernstande ohne weiteres ausheben od. vielmehr pressen ließ. Im Verlaufe des Spanischen Erbfolgekrieges führte Ludwig XIV. sodann bei den Landbewohnern zuerst die Manier des Loosens ein. Doch blieb das System der Aushebung vorerst noch Ausnahme von der Regel u. war nur im Kriege angewendet, im Frieden begnügte man sich mit den Angeworbenen. Erst Friedrich Wilhelm I. von Preußen machte den Anfang mit einer systematischen Anwendung des Aushebungsprincips auch für die Ergänzung im Frieden. Der Staat wurde (1733) in eine Anzahl Bezirke, Cantons genannt, getheilt; jeder Canton war einem Regiment zur Recrutirung überwiesen. Nach der Ausbildung wurden die Soldaten wieder in ihre Heimath beurlaubt. So war denn dieses sogenannte Cantonalsystem zugleich ein Beurlaubungssystem. Daneben bestanden die geworbenen Regimenter noch fort. Ebenso war es in Österreich, wo man 1781 in den Erblanden die Aushebung einführte, während die Werbebezirke der Regimenter im Gebiete des Deutschen Reiches noch bis 1805 bestehen blieben. Man kannte also vor dem Ausbruch der Französischen Revolution fast in allen europäischen Staaten zweierlei Arten von Truppen, das sogenannte stehende Heer (Geworbene) u. Nationalmilizen; letztere, welche wohl auch Landregimenter, Provinzialtruppen etc. genannt wurden, waren die Nachkommen der älteren Defensioner. Einen Schritt weiter ging man in Frankreich, als 1793 die Kriegsereignisse der Republik Gefahr drohten, indem man die gesammte männliche Bevölkerung innerhalb des Alters vom 18. bis 25. Jahre zum Kriegsdienste aushob u. Nationalgarden bildete (im Gegensatz zu den Garden des gestürzten Königthums), welche aber bald mit den noch vorhandenen Linientruppen völlig verschmolzen wurden. Die Werbung kam dabei ganz in Wegfall, das Heer wurde zu einem nationalen gemacht. Die Dienstpflicht war aber noch nicht geregelt, erst 1798 erschien das Conscriptionsgesetz. Nach diesem Gesetz waren alle Franzosen dienstpflichtig; jedes Jahr sollte durch ein Gesetz die Zahl der Auszuhebenden festgestellt werden, Stellvertretung existirte nicht, erst Napoleon, nachdem er zum Consulate gelangt war, führte dieselbe[12] ein Im Gegensatz zu früher, wo die Dienstverpflichtung meist 20 u. mehr Jahre, oft auch lebenslänglich währte, wurde nun mit Annahme der Conscription die Dienstzeit auf sieben Jahre herabgesetzt, von denen nur vier bei der Fahne zugebracht werden sollten. Hierdurch wurde es möglich, bei einem nicht stärkeren Friedensbestande, dennoch einen viel größeren Theil der Nation in den Waffen auszubilden. Noch weiter ging man in Preußen, nachdem 1809 die Werbung gänzlich abgeschafft worden war, indem man, da seit 1808 nach den Befehlen Napoleons nur eine Armee von 42,000 Mann unterhalten werden durfte, die Dauer der Dienstzeit auf das geringste Maß beschränkte u. so die Möglichkeit erlangte, jährlich eine verhältnißmäßig große Anzahl von Leuten einzustellen u. auszubilden, welche dann beurlaubt im Bedarfsfalle eine sehr starke Reserve gewährten. Man nannte diese Manier das Krümpersystem. Als sodann 1813 der Krieg ausbrach, wurde neben der Linie nicht blos eine zahlreiche Reserve, sondern auch eine Landwehr ins Feld gerufen. Von 1814 an wurde, was sich auf diese Art allmälig gestaltet hatte, gesetzlich geregelt. Die Dienstpflicht wurde eine allgemeine; die Streitmacht bestand aus Linie, Landwehr u. Landsturm; die Dienstzeit bei der Fahne wurde auf drei Jahre festgesetzt. Im Allgemeinen kann man diese W-e Reserve- od. Beurlaubungssysteme nennen; im Speciellen werden sie Landwehrsysteme genannt, wenn die Beurlaubten nicht in die. Verbände des stehenden Heeres bei der Einberufung eingetheilt, sondern in von diesen abgesonderte formirt werden, so daß es gewissermaßen zwei Heere gibt, ein Linienheer u. ein Milizheer (Landwehr); Cadressysteme aber, wenn die Beurlaubten im Kriegsfalle in die Verbände der Linientruppen eingereiht werden. Von den europäischen Mächten hat gegenwärtig nur England das System des stehenden Heeres beibehalten, alle anderen Mächte haben ein, je nach der Dauer der Präsenzzeit, mehr od. weniger ausgebildetes Reservesystem angenommen. Noch weiter als in diesen Staaten ist das Milizsystem der Schweiz vorgegangen, nach welchem alle waffenfähigen Männer dienstpflichtig sind, jedoch der Dienst im Frieden nur in jährlichen kurzen Übungen besteht u. auch für die erste Ausbildung nur wenige Wochen, höchstens Monate in Anspruch genommen werden. Das Milizsystem nähert sich am meisten der Idee der Volksbewaffnung. Vgl. Rüstow, Untersuchungen über die Organisation der Heere, Basel 1855; Schulz-Bodmer, Militärpolitik, Zürich 1857; Hirtenfeld, Allgemeines militärisches Handbuch, Wien 1854.
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