[253] Sprache (die) ist das heiligste Eigenthum des Menschen, in welchem sich sein Vorzug als geistiges, selbstbewußtes Wesen vor allen Thieren beurkundet. In der Sprache gibt sich der Mensch dem Menschen als geistiges Wesen zu verstehen. Mit dem Thiere hat der Mensch die Stimme gemein, aber das Thier benutzt seine Stimme nur zum unmittelbaren Ausdruck seines Gefühls, es kann höchstens dahin gebracht werden, mit gewissen Sinneseindrücken gewisse Laute zu verbinden; der Mensch dagegen reflectirt auf seine Gefühle und Sinneswahrnehmungen, faßt sie als solche auf, welche nicht nur als einzelne ihm, dem Einzelnen, angehören, sondern welche unter ähnlichen Verhältnissen jeden Menschen wie ihn afficiren, erhebt sie dadurch zu etwas Allgemeinem und macht aus ihnen einen Schluß auf das sie erzeugende Gegenständliche, und der Ausdruck für das so als Allgemeines gefaßte Gefühl, sowie für das auch als Allgemeines gefaßte Gegenständliche ist der Anfang der Sprache, deren weitere Ausbildung darin besteht, daß für alle Verhältnisse, in welche der Mensch zum Gegenstande kommt, auch, indem er sich selbst zum Gegenstande der Betrachtung nimmt, Beziehungen erfunden werden. Daß die Sprache nicht unmittelbarer Ausdruck des Gefühls, sondern durch das Denken zum bewußten Ausdrucke vermittelt ist, sieht man am besten daraus, daß auch der Mensch, sobald das Gefühl so mächtig in ihm ist, daß es die Vermittelung zum Bewußtsein unmöglich macht, nicht zum Aussprechen seines Gefühls gelangen kann, sondern alsdann nur wie das Thier mit seiner Stimme laut wird. Er unterscheidet sich von dem Thiere nur durch die Mannichfaltigkeit der Laute, welche er hat, um seine Gefühle zu bezeichnen. Das Schreien, Wimmern, Jauchzen, Lachen, Stöhnen, Seufzen u.s.w. sind solche unmittelbare, nur dem thierischen Dasein des Menschen entsprechende Laute. Der Dichter wird darum so anerkannt und so geliebt, und zwar besonders unter Völkern, welche noch auf einer niedrigen Entwickelungsstufe des Geistes stehen, weil er kraft seiner Genialität die von Allen gehegten Gefühle und Empfindungen zum Bewußtsein zu bringen und auszusprechen vermag. Den Dichtern verdanken daher auch die Völker ihre Herausbildung aus dem thierischen Standpunkte, weil sie es sind, welche die Innerlichkeit ihres Volkes zur verständlichen Äußerung, zum Bewußtsein, zur Sprache bringen, und dadurch den Geist zur Macht über das thierisch-sinnliche Dasein erheben.
Stellen wir uns den Menschen vor, wie er sich aus dem unmittelbaren thierischen Zustande allmälig entwickelt hat, so kommen wir dadurch zu einer Vorstellung von der Entstehung der Sprache. Diese Entwickelung ereignet sich mit jedem Kinde, nur daß sie hier durch eine bereits zur Geistigkeit entwickelte menschliche Umgebung gezeitigt wird, sodaß das Kind in wenigen Jahren, ja in wenigen Monaten Perioden durchmacht, zu deren Überwindung das Menschengeschlecht vielleicht Jahrhunderte oder Jahrtausende gebraucht hat. Von Anfang hat der Mensch nichts als die Stimme und den thierischen Laut, dann aber gelangt er zunächst dahin, die Gegenstände außer sich von sich selbst zu unterscheiden; er weist mit der Hand auf sie hin, wenn sie seine Sinne berühren, oder wenn er nach ihnen begehrt. Seine Gefühle und Begierden drückt er nicht mehr blos durch den Laut aus, sondern deutet sie theils nach ihrem Sitz, theils schon auf eine mehr willkürliche Art an, und so gelangt er zu bezeichnenden Geberden. Dabei besinnt er sich auf die bisher ganz unwillkürlich ausgestoßenen Laute, und fängt an, dieselben willkürlich zu gebrauchen; er ahmt ferner die Töne nach, welche von außen in sein Ohr dringen, und beginnt die Gegenstände mit diesen nachgeahmten Tönen zu bezeichnen, von welchen jene ursprünglich ausgingen. So entsteht schon ein Vorrath bezeichnender Laute, aus denen künftig eine Sprache sich bilden kann, und derselbe wird noch größer dadurch, daß die [253] Sinne untereinander verwandt sind, und daß die Wahrnehmungen durch die übrigen Sinne unwillkürlich auf sie durch das Gehör bezogen und durch nachgeahmte Laute angedeutet werden. Der Mensch hat von der Natur bestimmte Sprach, organe erhalten, und indem er Naturlaute nachahmt, gestalten sich diese gemäß der natürlichen Beschaffenheit seiner Sprachorgane um. Da bei der Nachahmung die Laute minder heftig hervorgestoßen waren, als da sie nur noch des Menschen eigne Gefühle unmittelbar ausdrückten, so werden sie endlich immer geordneter nach den innerhalb seiner Organe liegenden Möglichkeiten hervorgebracht, und so gehen sie über in articulirte Töne, welche sich von den unarticulirten Lauten eben durch die bestimmte Hervorbringung durch die Sprachorgane unterscheiden. Aus dem Angegebenen folgt, wie nothwendig ein großer Theil der eine Sprache bildender Worte onomatopoetisch (klangnachahmend) sein muß und wie ein anderer Theil aus den dem Menschen zur Bezeichnung seiner Empfindung eigenthümlichen Naturlauten sich herausbilden muß. Dieser zweite Theil umfaßt die Interjectionen. Auch in den verschiedensten Sprachen findet man wegen des angegebenen gemeinschaftlichen Ursprungs aller Sprachen eine Menge von Worten, welche mehr oder weniger miteinander übereinstimmen. Die weitere Entwickelung der Sprache geschieht so, daß der Mensch endlich zur Bezeichnung aller ihn umgebenden Gegenstände und zur Andeutung ihrer Verhältnisse untereinander und zu ihm Worte erfindet. Erst viel später gelangt er aber dahin, auch für die Welt des Gedankens, welche er in sich trägt, eine Sprache zu erfinden, und dieses geschieht zunächst nur so, daß von dieser die aus der Sinnenwelt entlehnten Worte in übertragener Bedeutung gebraucht werden. Wesentlich trägt zur Vervollkommnung einer Sprache die Erfindung der Schrift bei. Es macht sich nämlich bald bei einigermaßen lebhafter werdendem Verkehr das Bedürfniß geltend, sich auch mit Solchen in geistige Verbindung zu setzen, welche nicht in unmittelbarer Nähe sind, zu denen man also nicht mit dem Munde sprechen kann. Nun liegt es nahe, daß dieses am besten so geschehen kann, daß man für die Augen eine ähnliche bezeichnende Ausdrucksweise erfindet, wie man sie in der Sprache für das Ohr besitzt, daß man die Wahrnehmungen durch das Ohr in Wahrnehmungen durch das Auge umwandelt. Zunächst behilft man sich damit, daß man die anzudeutenden sinnlichen Gegenstände und deren Verhältnisse selbst bildlich darzustellen unternimmt; aber eine solche Darstellung ist ebenso schwer zu geben wie zu verstehen, und man muß bald darauf sinnen, die Bezeichnung abzukürzen und allgemein verständlich zu machen. Die Zeichenschrift gelangt so zu einem höhern Grade von Ausbildung, ist aber noch immer unvollkommen, besonders darum, weil es schwer hält, die Verhältnisse der Gegenstände zum Menschen in ihr wiederzugeben. Es wird daher zur Aufgabe, eine Schrift aufzustellen, welche sich noch genauer an die Sprache anschließt, und so wird man zur Erfindung der Buchstabenschrift gelangen, sobald man nur erst auf die einzelnen Laute aufmerksam geworden ist, wie sie die Sprachorgane articuliren. Für die Sprache selbst hat dieses den Vortheil, daß man sich nun auch der Articulation in ihr noch mehr als früher befleißigt. Man bemerkt dann, daß es eine bestimmte Anzahl von Lauten gibt, welche der Mensch hervorzubringen vermag, die Vocale oder Selbstlauter, und eine bestimmte Anzahl von möglichen Verbindungsarten derselben, sie verknüpfenden Übergängen, die Consonanten oder Mitlauter. Weil diese Buchstaben durch die Einrichtung der Sprachorgane von der Natur selbst gegeben sind, so stimmen in Bezug auf sie auch alle Sprachen im Allgemeinen überein, und nur darin weichen sie voneinander ab, daß einige Sprachen bei Bezeichnung der Buchstaben auf besondere Mischlaute oder auf die Art der Aussprache der einzelnen Laute (ob hell oder dumpf, mit rundem oder mit breitem Munde) Rücksicht nehmen, andere nicht.
In der Betrachtung der Entstehung von Sprache und Schrift sind wir schon zu einer Eintheilung der Sprache gekommen. Auf der niedrigern Bildungsstufe nämlich war die Sprache mehr oder weniger Geberdensprache, während sie auf der höhern Bildungsstufe zur Wortsprache wurde. Der Geberdensprache entspricht die Zeichen- oder Bilderschrift, welche jedoch auch noch neben einer bereits bestehenden Wortsprache bestehen kann, und der Wortsprache entspricht die Buchstabenschrift. Noch jetzt muß der Mensch zur Geberdensprache seine Zuflucht nehmen, wenn er sich einem Andern verständlich machen will, der seine Wortsprache nicht versteht, oder wenn er selbst Worte zu sprechen gar nicht vermag, stumm ist. Die Geberdensprache hat, weil sie ganz in die anfänglichste Bildungsstufe des Menschen fällt, den Vorzug der Allgemeinverständlichkeit, und den, daß sich in ihr viel leichter Gefühle ausdrücken lassen, als in der Wortsprache, weil diese erst die Vermittelung durch den Gedanken ins Bewußtsein voraussetzt. Stets, wenn den Menschen ein Gefühl mächtig ergreift, drückt er sich daher auch auf der höchsten Bildungsstufe noch durch Geberden aus, während ihm die Worte mehr oder weniger fehlen. – Die Verschiedenheit der Wortsprachen unter den verschiedenen Völkern ist sehr begreiflich, wenn man bedenkt, wieviel in ihr durch Willkür und Zufall bestimmt wird. Dieselbe deutet keineswegs auf eine ursprüngliche Verschiedenheit des Menschengeschlechts. Wollte man jetzt eine Menge deutsch redender Menschen auf eine Insel des Südmeers versetzen, so würde sich im Laufe der Jahrhunderte ihre Sprache so verändert haben, daß sie nur noch wenige Ähnlichkeiten mit der in Deutschland gesprochenen darböte, denn nicht nur der Bildungsgang, welchen die Menschen nehmen, gestaltet die Sprache um, sondern auch das Klima, in welchem sie leben. Mit dem Klima ändern sich auch die den Menschen umgebenden Gegenstände, und der Südländer muß eine Menge von Bezeichnungen erfinden, deren der Nordländer nicht bedarf, und umgekehrt. Bemerkenswerth ist, daß die Sprachen auf eine bestimmte Weise, namentlich in den Bezeichnungen für die Verhältnisse der Gegenstände zum Menschen, eine Abhängigkeit von dem Bildungszustande nachweisen lassen, sodaß z.B. alle neuern Sprachen der auf ziemlich gleicher Bildungsstufe stehenden Völker einen eigenthümlichen Charakter haben, welcher unterschieden ist von dem der ältern Sprachen, welche einer andern Bildungsstufe entsprechen. So, um nur Eins anzuführen, haben alle neuere europ. Sprachen einen Einheitsartikel, welchen die Griechen und Römer nicht kannten. Man hat oft daran gedacht, ob es nicht möglich sei, eine allgemeine Weltsprache oder Universalsprache zu erfinden, d.h. eine solche, welche jeder Mensch, ohne besondere Erlernung, verstände. Dieses ist schon darum nicht [254] möglich, weil die Sprache ihrer Bestimmung nach ein Ausdruck des Geistes auf derjenigen Bildungsstufe ist, auf welcher er sich eben befindet; da nun die verschiedenen Völker des Erdbodens auf so außerordentlich verschiedenen Bildungsstufen stehen, so werden sie auch niemals Eine Sprache reden und verstehen können. Selbst unter ziemlich gleichgebildeten Völkern ist eine Universalsprache nicht möglich, weil das Klima ebenso wie die Färbung der Haut, Gesichts- und Körperbildung auch die Sprache umbildet. Mit andern Worten: die einzige mögliche Weltsprache ist diejenige, welche eben von allen Menschen gesprochen wird, welche aber wie die Völker selbst, so auch sich nothwendig in sich gliedert und daher als eine Vielheit von Sprachen sich darstellt. Es ist eine Aufgabe der Wissenschaft, in den vielen Sprachen die einander entsprechenden Bestandtheile der Weltsprache, trotz ihrer volksthümlichen Umbildung, zu erkennen und nachzuweisen. Als wahre allgemein verständliche Weltsprache kann, wie schon erinnert worden, die Geberdensprache betrachtet werden, doch sie verdankt ihre Allgemeinverständlichkeit nur ihrer Unvollkommenheit. Wenn man in neuester Zeit von einer Universalsprache mit Hülfe der Musik gesprochen, so beruht dies auf einer Täuschung; denn eine solche Sprache kommt nur dadurch zu Stande, daß den Tönen bestimmte Bedeutungen beigelegt werden, und ist mithin eine Zeichensprache, welche ebenso erlernt werden muß, wie jede andere Zeichensprache.
Man theilt die Sprachen auch ein in lebende und todte. Lebend ist jede Sprache, welche von einem noch bestehenden und im Fortschritte seiner Entwickelung begriffenen Volke gesprochen wird, welche sich also diesen Fortschritten gemäß selbst noch weiter ausbildet. Es kommt endlich für jedes Volk die Zeit, in welcher es seine höchste Blüte erreicht hat, und alsdann geht es rückwärts, indem es sittlich und zugleich auch sprachlich verdirbt. Mit ihm stirbt seine Sprache ab. Die Zeit der höchsten geistigen Blüte eines Volks ist auch diejenige, in welcher es schriftlich seine besten Sprachwerke niederlegt, und diese bleiben dann auch für die Folge die unerreichbaren Muster der Sprache, welchen die Schriftsteller nachstreben, während sich die Sprache im Munde des Volks immer mehr verschlechtert, unter dem Einfluß anderer, jüngerer Sprachen sich umbildet, bis so endlich das Volk selbst als ein regenerirtes neues auftritt mit einer neuen Sprache, die es nun selbständig ausbildet. Die frühere Sprache ist nun allmälig zur todten, nicht mehr im Munde des Volks lebenden geworden. Ein merkwürdiges Beispiel ist in dieser Beziehung Italien. Nachdem bis zur Zeit des Kaisers Augustus das röm. Volk und die röm. Literatur in der Ausbildung fortgeschritten waren, verdarben nachher Sitten und Sprache. Die letztere war längst unter dem Einflusse der german. Sprachen eine ganz andere im Munde des Volks geworden, als die ital. Schriftsteller noch immer den alten Autoren aus der ersten Kaiserzeit nachstrebten und sich also einer todten Sprache, welche dem Bildungsstande ihres Volks nicht mehr entsprach, bedienten. Indessen hatten sich der ital. Volksgeist und die ital. Sprache im Munde des Volks so ausgebildet, daß, als die Schriftsteller nur einmal wagten italienisch zu schreiben, bald auch die ausgezeichnetsten ital. Sprach- und Schriftwerke entstanden. Die wichtigsten todten Sprachen sind die griechische und die lateinische, weil die Völker, welche jene Sprachen einst redeten, die gebildetsten des Alterthums waren, sodaß die auf jene in der Weltherrschaft folgenden german. Völker nur dadurch zu einer höhern Bildungsstufe gelangen konnten, daß sie sich der Bildung jener Völker bemächtigten, um nun selbst das von jenen liegengelassene Werk der Bildung des Menschengeistes fortzusetzen. Die Vermittelung des modernen Geistes mit der alten Bildung gab die Gelehrsamkeit, welche theils die Schriften des Alterthums auffaßte, theils weiter fortarbeitete und sich dabei lange Zeit nur jener alten Sprachen bediente, welche daher auch gelehrte Sprachen genannt werden, bis endlich, durch Vervollkommnung des Unterrichtswesens, auch das Volk auf eine der einst dagewesenen entsprechende, ja sie vermöge der segensreichen Wirkungen des Christenthums übertreffende Bildungsstufe gehoben war. Seitdem werden auch wissenschaftliche Werke in den lebenden Sprachen geschrieben. Die griech. und lat. heißen auch classische Sprachen. (Vgl. Classe.) Da die neuern Sprachen zum Theil durch Umbildung älterer, welche theils noch bestehen, theils untergegangen, entstanden sind, so unterscheidet man die Mutter sprache von den Tochtersprachen, welche untereinander Schwestersprachen sind. Hauptsprachen sind die ursprünglichen Sprachen, welche nachweisbar nicht aus den Trümmern einer ältern Sprache hervorgegangen, wie dieses mit den Nebensprachen der Fall ist.
Mit der wissenschaftlichen Untersuchung über die Verwandtschaft der verschiedenen Sprachen untereinander und über das allen zu Grunde liegende allgemein Menschliche, oder die in allen in einer besondern Ausbildung auftretende Ursprache beschäftigt sich die Sprachforschung, welche, wenn sie nur auf die Kenntniß der verschiedenen Sprachen und ihre äußerlichen Beziehungen Rücksicht nimmt, Sprachkunde ist, während die Sprachlehre mehr auf den innern Bau einer einzelnen oder aller Sprachen eingeht. Als Vorarbeiten der Sprachforschung sind die Zusammenstellungen gleichbedeutender Wörter aus verschiedenen Sprachen zu betrachten. Man hat dieses theils so bewerkstelligt, daß man die gleichbedeutenden Worte verschiedener Sprachen in lexikographischer Form zusammen schrieb, theils so, daß man gewisse Classen von Wörtern zusammenstellte. Besonders hat man Zusammenstellungen von dem Vaterunser in vielen Sprachen gegeben, weil das Vaterunser meist von sprachkundigen Männern in die verschiedenen Sprachen übertragen worden ist. Ausgezeichnetes hat in dieser Beziehung der span. Jesuit Lorenzo Hervas geleistet. Derselbe gab eine Encyklopädie unter dem Titel »Idea dell' universo« (21 Bde., Cesena 1778–87, 4.) heraus, deren fünf letzte Bände der Sprachforschung gewidmet sind. Diese enthalten eine Zusammenstellung von 63, meist die ersten Bedürfnisse bezeichnenden Worten aus 154 Sprachen, und das Vaterunser in fast 500 Sprachen und Dialekten. Die Wissenschaft der Sprachforschung hat aber erst einige Fortschritte machen können, seit man nicht nur die Bedeutung einzelner Worte, sondern auch den Organismus der wichtigern Sprachen näher kennen gelernt hat. Man ist nun so weit fortgeschritten, daß man mit mehr oder weniger Klarheit verschiedene Classen von Sprachen unterscheidet, von denen jede eine gewisse Anzahl von Sprachen umfaßt, welche Verwandtschaft untereinander zeigen. Aber auch hierbei hat man sich größtentheils noch durch geographische Rücksichten leiten lassen müssen. Zu der ersten Classe gehören die einsylbigen Sprachen, welche dem Urzustande aller Sprachen am nächsten zu stehen scheinen. [255] Unter ihnen ist die chinesische Sprache die bekannteste. Die zweite Classe bilden die indisch-europäischen Sprachen. Hierher gehören namentlich das Sanskrit (s.d.); die medischen Sprachen, zu denen die in Persien (s.d.) üblichen Sprachen zu rechnen; die semitischen Sprachen, darunter die Hebräische Sprache (s.d.) und die arabische; die Griechische Sprache (s.d.); die germanische Sprache, welche wieder in die nordischen Sprachen (die skandinavische und die isländische), die deutschen Sprachen (s. Deutsche Kunst u.s.w.) mit dem Angelsächsischen (woraus das Englische und Schottische hervorgegangen), Friesländischen und Holländischen und die mösogothische (vgl. Ulfilas) zerfallen; die keltischen Sprachen (vgl. Kelten); die lateinische oder römische Sprache, von welcher das Italienische (s. Italienische Kunst u.s.w.), das Spanische (s. Spanische Sprache u.s.w.), das Portugiesische (vgl. Portugal), das Romanische (s. Romanische Sprachen), das Provenzalische (s. Provence), das Französische (s. Französische Kunst u.s.w.), das Walachische (s. Walachei) abstammen; die cantabrische oder baskische Sprache (s. Basken); die slawischen Sprachen (s. Slawen). Ein Gemisch aus slawischen und deutschen Bestandtheilen sind die lithauischen Sprachen. Zur dritten Classe werden die noch nicht erwähnten asiatischen Sprachen gezählt, als die kaukasischen, tatarischen (das Türkische), sibirischen Sprachen. Auch das Ungarische gehört zu dieser Classe. Unter den afrikanischen Sprachen, welche die vierte Classe bilden, zeichnet sich als besonders wichtig die ägyptische oder koptische (s. Ägypten und Kopten) aus. Außerordentliche Mannichfaltigkeit bietet die fünfte Classe, die der amerikanischen Sprachen, dar. Man zählt an 300 südamerik., gegen 20 mittelamerik. und gegen 100 nordamerik. Sprachen. Um die vergleichende Sprachforschung haben sich in neuerer Zeit besonders Adrian Balbi, Pallas, Hervas, Adelung, Alex. Murray und Wilh. von Humboldt Verdienste erworben. Die allgemeine Sprachlehre haben Jak. Harris, Silvestre de Sacy, A. F. Bernhardi u. m. A. bearbeitet.
Je mehr in neuerer Zeit die verschiedenen gebildeten Völker in Verkehr traten, um so näher mußten auch die Sprachen derselben einander kommen, und nur die auf eigenthümliche Ausbildung ihrer Muttersprache bedachten Schriftsteller verhinderten eine noch größere Verschmelzung dieser Sprachen ineinander, als wirklich stattgefunden hat. Wie ein gebildetes Volk von dem andern dessen Erfindungen auf dem Gebiete der Industrie, Kunst und Wissenschaft annimmt, so nimmt es auch in der Regel das Wort zur Bezeichnung derselben mit auf. Man kann dieses im Allgemeinen nicht tadeln. Alle neuern Sprachen enthalten eine Menge aus andern Sprachen überkommener Worte, und namentlich viele, welche griech. oder lat. Ursprungs sind, welches darin seinen Grund hat, daß der moderne Geist seine Bildung zunächst aus dem classischen Alterthume geholt hat, und daß namentlich die griech. eine außerordentlich bildsame Sprache ist, während sie mit der lat. den Vorzug theilt, daß sie den wissenschaftlich Gebildeten aller Völker verständlich ist. Das Übergewicht, welches in Bezug auf die politischen Verhältnisse Frankreich eine Zeit lang unter den europ. Staaten behauptete, und die Ausbildung der franz. Sprache zum Gebrauch der gesellschaftlichen Unterhaltung hatten aber zur Folge, daß die franz. Sprache nicht nur an den Höfen und in den vornehmen Kreisen der Gesellschaft aller gebildeten Völker eine Zeit lang der Muttersprache vorgezogen wurde, sondern auch in die Umgangssprache aller Volksclassen und sogar in die Schriftsprache gingen eine Unzahl franz. Worte über. Dies war besonders in Deutschland der Fall, welches in der Ausbildung seiner Literatur hinter andern europ. Völkern eben darum zurückgeblieben war, weil es allein eine ursprüngliche, eine Hauptsprache bewahrt hatte, welche der durch die Gelehrsamkeit gezeitigten Bildung gemäß fortgearbeitet werden mußte und dabei natürlich größere Schwierigkeiten entgegensetzte, als die Sprachen der übrigen europ. Völker, welche sich mit den Bruchstücken der lat. Sprache vermischt hatten. Dabei sahen die tiefer Gebildeten ein, daß die Verunreinigung der deutschen Sprache vorzüglich zu bedauern sei, weil sie allein unter den europ. Sprachen die Rechte einer Hauptsprache besitzt, und so traten mehrmals Männer, ja ganze Gesellschaften von Gelehrten und Schriftstellern auf, welche die Reinigung der deutschen Sprache sich ausdrücklich zur Aufgabe stellten, und die Bestrebungen derselben hatten wenigstens den segensreichen Erfolg, daß sie den großen deutschen Schriftstellern, welche die deutsche Sprache selbständig forbildeten, den Weg reinigten, wenn sie auch oft in Pedanterie verfielen. Martin Opitz (s.d.) sprach schon der Sprachreinigung das Wort, dann gründete für sie Phil. von Zesen 1643 die »Deutschgesinnte Gesellschaft« zu Hamburg. Ähnliche Vereine waren die »Fruchtbringende Gesellschaft« zu Weimar seit 1617, der »Blumenorden an der Pegnitz« zu Nürnberg seit 1644, der »Schwanenorden an der Elbe« seit 1660. Als in neuester Zeit Deutschland den größer als je gewordenen politischen Einfluß Frankreichs vernichtete, ergriff man aufs Neue mit Leidenschaftlichkeit den Gedanken einer vollkommenen Reinigung der deutschen Sprache, und es waren in dieser Beziehung unter vielen andern Campe, Wolke, Jahn, Kolbe thätig.
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