Glarns

[883] Glarns (Glaris), ein Kanton der Schweiz, im N. und O. vom Kanton St. Gallen, im S. von Graubünden, im W. von Uri und Schwyz umschlossen, umfaßt eine Tallandschaft von 691,2 qkm (12,6 QM.). Zwischen der Gebirgswelt der Glarner Alpen (s.d.) liegt das von der Linth (s. Limmat) durchflossene Haupttal mit zwei bedeutenden Nebentälern, dem Klein- oder Sernftal (rechts) und dem Klöntal (links). Durch das Unterland öffnet sich G. gegen den Walensee, die Linthebene (Gaster) und den Zürichsee, mit denen die Talbahn über Weesen gegen Chur und über Ziegelbrücke gegen Zürich die Verbindung herstellt.

Wappen des Kantons Glarus.
Wappen des Kantons Glarus.

Nach Graubünden führen der Segnespaß (2625 m) und Panixer Paß (2407 m) von Elm im Sernftal nach Flims, bez. Ilanz im Vorderrheintal, nach W. eine 1893–1900 gebaute, 48 km lange Straße über den Klausenpaß (1952 m) von Linthal nach Altorf und der Pragelpaß (1554 m) aus dem Klöntal nach Schwyz. Außer dem Walensee, von dem der vierte Teil zu G. gehört, und dem Klöntalersee zieren viele Hochseen das ziemlich rauhe, im Winter und Frühling oft vom stürmischen Föhn durchtobte Ländchen. Doch bringt der Föhn im Spätherbst und Winter oft auch helles und warmes Wetter. Die mittlere Jahrestemperatur von Glarus beträgt 7,9° und ist um 1,2° geringer als die von Altorf; die Menge der jährlichen Niederschläge erreicht in Glarus 142, in höhern Gegenden bis 170 cm. Der Kanton zählt (1900) 32,273 deutsch redende Einwohner (um 8,1 Proz. weniger als 1870), fast 47 auf 1 qkm; darunter 75 Proz. Reformierte, 24,8 Proz. Katholiken. Der Dialekt ist ein Zweig des Alemannischen. G. besteht aus 28 Gemeinden und gehört zum 19. Nationalratswahlkreis mit zwei Mandaten und in militärischer Hinsicht zum 8. Divisionskreis. Die Glarner sind ein aufgewecktes, praktisches, gewandtes, für Gewerbe und Handel von jeher besonders veranlagtes Völkchen, das große Liebe zur Heimat und hohen Freiheitssinn besitzt. Sie beschäftigen sich mit Land- (Alpen-) wirtschaft, Industrie und Handel. Der Kanton besitzt nur 64,9 Proz. produktiven Boden (Wald 106,3 qkm, Äcker, Gärten und Wiesen 16 und Rebland 0,1 qkm). Der Getreidebau ist sehr gering, auch der früher bedeutende Kartoffelbau ist zurückgegangen, dagegen wichtig die Wiesenkultur. Die Viehzucht ist, abgesehen von der Rinderzucht, im Rückgang begriffen; man zählte 1901: 439 Pferde, 11,499 Rinder, 3655 Schweine, 535 Schafe, 6472 Ziegen. Im Kanton liegen 87 Alpen mit 258,2 qkm Fläche und einem Wert von 6 Mill. Frank. Die Käseproduktion ist bedeutend, darunter die des mit Ziegerkraut gewürzten Kräuterkäses oder des »Schabziegers«. Der Obstbau hat nur im Unterland einige Ausdehnung, der Weinbau fehlt fast ganz. Die Waldungen gehören fast ganz den Gemeinden und Korporationen und liefern jährlich ca. 15,000 cbm Holz. Unter den nutzbaren Gesteinsarten stehen die Schieferbrüche des Plattenbergs bei Elm (s. d., Bergsturz 1881) obenan. Unter den Mineralquellen hat die Schwefelquelle von Stachelberg Berühmtheit erlangt. Den Haupterwerbszweig bildet die Industrie, deren Aufblühen seit der Einführung der Baumwollspinnerei (1714) datiert. 1901 waren 94 Unternehmungen mit 7416 Arbeitern dem Fabrikgesetz unterstellt, darunter 16 Baumwollspinnereien (259,000 Spindeln) und-Webereien mit 3514 Arbeitern, 15 Buntdruckereien, 3 Seidenwebereien, 5 Maschinenfabriken, chemische, Kräuterkäsefabriken u. a. Die Industrieerzeugnisse gehen meist ins Ausland, nach Italien, in die Donauländer, die Türkei, den Orient, nach Nordafrika, Amerika. Das Schulwesen ist trefflich geordnet; außer den Primärschulen bestehen 10 Sekundärschulen (dreijähriger Kursus) und die Stadtschule in Glarus (vierjähriger Kursus). Der Besuch der Fortbildungsschule ist für Handwerkslehrlinge obligatorisch, im übrigen freiwillig. Die Landesbibliothek umfaßt etwa 14,000 Bände.

Die Verfassung des Kantons vom 22. Mai 1842, zuletzt 9. Mai 1887 revidiert, ist rein demokratisch. Das Volk übt seine Souveränität teils direkt durch die alljährlich im Orte Glarus stattsindende Landsgemeinde, teils durch die von ihm bestellten Behörden aus. Vorberatende Behörde ist der Landrat, dessen Mitglieder von den 19 Wahlgemeinden (auf je 500 Einw. 1 Mitglied) auf drei Jahre gewählt werden. Die Exekutive steht dem Regierungsrat zu, dem der Landammann, der Landesstatthalter und 5 weitere Mitglieder, sämtlich von der Landsgemeinde gewählt, angehören. Die Rechtspflege wird durch ein Zivil-, ein Kriminal-, ein Augenschein- (für Streitigkeiten über Immobilien) und ein Obergericht besorgt. Die Staatseinnahmen beliefen sich 1903 auf 916,000, die Ausgaben auf 964,800 Fr. Wichtigste Einnahmequelle ist die Landessteuer, progressive Vermögens- und Kopfsteuer (425,400 Fr.). Die Aktiva des Kantons betrugen 1903: 4,500,000 Fr., die Passiva 4,083,000 Fr. Hauptort ist Glarus (s. unten).

[Geschichte.] Nach einem erst aus dem 14. Jahrh. stammenden Zusatz der von einem Fälscher des 11. Jahrh. verfaßten Legende vom heil. Fridolin soll dieser angebliche Heilige zur Zeit Chlodwigs das Tal G. von zwei alemannischen Edlen als Geschenk für sein neugestiftetes Kloster Säckingen Rhein erhalten haben. Sicher ist, daß dieses im 12. Jahrh. die Grundherrschaft über G. besaß und es durch Meier verwalten ließ. 1264 gelangte die Vogtei, d. h. die hohe Gerichtsbarkeit über G., aus dem Erbe der Grafen von Kyburg an Rudolf von Habsburg, der 1288 auch das Meieramt und die damit verbundene niedere Gerichtsbarkeit an sich brachte. Allein die Glarner weigerten sich, deshalb Österreich landesherrliche Rechte zuzugestehen, schlossen 1323 mit Schwyz ein Bündnis, und in dem Kampf, der nach Zürichs Beitritt zum Bunde der Waldstätte zwischen Österreich und den Eidgenossen 1351 ausbrach, besetzten diese das Tal und nahmen es 4. Juni 1352 in etwas untergeordneter Stellung in ihren Bund auf. Doch mußte G. noch im gleichen Jahr infolge des Brandenburger Friedens unter die Botmäßigkeit Österreichs zurückkehren. Noch vor dem Siege der Eidgenossen bei Sempach (1386) vertrieben aber die Glarner den österreichischen Vogt, organisierten sich als freies Staatswesen (11. März 1387) und vernichteten ein 6000 Mann starkes österreichisches Heer 9. April 1388 in der Schlacht bei Näfels, deren Jahrestag noch immer durch die »Näfelser Fahrt« gefeiert wird. Im Frieden (1389) mußte Österreich die Unabhängigkeit des Landes und seine Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft anerkennen; von den Rechtsamen der Abtei Säckingen befreite es sich durch Loskauf (1395). 1450 wurde G. als vollberechtigtes Glied der Eidgenossenschaft anerkannt.[883] Die Reformation erlangte in G., wo Zwingli 1506 bis 1516 als Pfarrer gewirkt, einen fast vollständigen Sieg; nur ein Sechstel des Landes beharrte beim alten Glauben. Allmählich strebte jedoch die katholische Minderheit, gestützt auf die katholischen Orte der Eidgenossenschaft, nach einer Trennung des Kantons. Nach langen Reibereien kam 1683 durch Vermittelung der Tagsatzung ein Vergleich zustande, wonach neben der gemeinsamen Landsgemeinde und dem gemeinsamen Landrat jede Glaubenspartei ihre besondern Landsgemeinden und Räte hatte, den Katholiken aber bei der Besetzung der Landesämter ein unverhältnismäßig großer Einfluß eingeräumt wurde. Auch das demokratische G. hatte seine Untertanen; mit Schwyz gemeinsam regierte es Gaster und Uznach und für sich allein die Grafschaft Werdenberg; 1721/22 hatte es einen Aufstand der letztern zu unterdrücken, der durch die Mißachtung ihrer Freiheiten hervorgerufen worden war. 1714 führte der Züricher Pfarrer Heidegger die Baumwollindustrie im Land ein, die es bald zu einem Zentrum schweizerischer Gewerbtätigkeit erhob. Trotzdem lastet auf G. die Schmach, nach 1782 eine Magd wegen Zauberei dem Henkerbeil überliefert zu haben. Als die Franzosen 1798 in die Schweiz einrückten, gab es seine Hoheit über Werdenberg, Uznach und Gaster aus freien Stücken auf, verteidigte aber mit Schwyz seine alte Demokratie gegen die aufgedrungene helvetische Einheitsrepublik und fügte sich erst nach heldenmütigem Kampfe bei Wollerau (30. April). Zur Strafe wurde es mit andern Landschaften zu einem Kanton Lint verschmolzen. Im folgenden Jahr litt G. aufs schwerste durch die Kämpfe der Österreicher und Russen unter Hotze, Jellachich und Suworow mit den Franzosen unter Soult und Molitor. Die Mediationsakte stellte 1803 den Kanton G. mit seiner Landsgemeinde und den zwei konfessionell gesonderten Gemeinwesen wieder her. Durch das Landesgrundgesetz vom 2. Okt. 1836 hob jedoch die Landsgemeinde die konfessionellen Organismen auf; freilich mußte der vom Bischof von Chur geschürte Widerstand der katholischen Gemeinden Näfels und Oberurnen durch militärische Besetzung gebrochen werden (August 1837). 1842 gab sich G. eine neue Verfassung, die indes das Landesgrundgesetz nicht wesentlich modifizierte, ebensowenig taten dies partielle Verfassungsrevisionen von 1851, 1866, 1873, 1874 und 1880. G. ist der einzige Landsgemeindekanton, der sowohl die Bundesverfassungen von 1848, 1872 und 1874 angenommen, als auch seither bei den meisten eidgenössischen Referendumsabstimmungen seine Zustimmung zu den Vorlagen des Bundes gegeben hat. Die Sympathien, die das strebsame Ländchen besitzt, zeigten sich bei dem furchtbaren Brande, der am 10. Mai 1861 den Hauptflecken verzehrte, indem die in der Schweiz und im Ausland gesammelten Liebesgaben in bar den Betrag von 2,754,606 Frank erreichten und die Bundesversammlung ein 2proz. Darlehen von 1 Mill. Fr. an G. dekretierte. Am 22. Mai 1887 sanktionierte die Landsgemeinde eine neue Verfassung, die den Eintritt der Stimmfähigkeit vom 18. auf das 20. Altersjahr verschob, den bisherigen 40 Mitglieder zählenden Rat durch einen Regierungsrat von 7 Mitglieder ersetzte und den Behördenorganismus auch sonst vereinfachte. Zugleich wurde die Revision der Verfassung erleichtert, so daß seither fast jedes Jahr kleine Änderungen daran vorgenommen worden sind, ohne indes ihren wesentlichen Charakter zu berühren. Vgl. Blumer und Heer, Der Kanton G., historisch, geographisch, statistisch (St. Gallen 1845); Blumer, Staats- und Rechtsgeschichte der schweizerischen Demokratien (das. 1850–59, 2 Tle.) und die von Blumer begonnene, von Heer fortgesetzte »Urkundensammlung zur Geschichte des Kantons G.« (Glarus, 3 Bde.); G. Heer: Geschichte des Landes G. (das. 1898–99, 2 Bde.), Glarnische Reformationsgeschichte (das. 1900) und Neuere Glarner-Geschichte (das. 1903); »Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons G.« (1865ff.); Jenny-Trümpy, Geschichte des Handels und der Industrie im Kanton G. (1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 883-884.
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