Missĭon

[899] Missĭon (lat.), Sendung, Auftrag; insbes. der Inbegriff aller Unternehmungen, welche die Verbreitung des Christentums unter nichtchristlichen Völkern bezwecken. Die Geschichte der M. fällt zusammen mit der der Ausbreitung des Christentums. Die ersten Missionare, d. h. Arbeiter am Werke der M., waren die Apostel Jesu; vor allem hat Paulus das Evangelium ausgebreitet. Um 200 gab es Christengemeinden in allen Hauptteilen des römischen Reiches, um 400 darf letzteres als christianisiert gelten (vgl. Harnack, Die M. und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 2. Aufl., Leipz. 1906, 2 Bde.). Um 600 sind die Franken, um 1000 die germanischen Völker, um 1300 ist Europa dem Christentum gewonnen. Dann tritt ein Stillstand in der Ausbreitung ein. Nach der Reformation eröffnet die katholische Kirche eine M. vor allem in den neuentdeckten Ländern, um dort für die in Europa verlornen Gebiete Ersatz zu finden. Benediktiner, Cistercienser, Prämonstratenser und besonders die Bettelorden durchziehen Afrika und Amerika, werden aber übertroffen von den Jesuiten, die namentlich in Südamerika und China große, äußerlich jedenfalls glänzende, aber nicht überall bleibende Erfolge erzielen. Festen Zusammenschluß und einheitliche Leitung unter Aussicht des römischen Stuhles erhalten die Bestrebungen durch die von Gregor XV. 1622 gestiftete Propaganda (s. d.). Urban VIII. verbindet damit 1627 das Kollegium der Propaganda: eine Bildungsanstalt für auszusendende Glaubensboten, die möglichst bald aus der Mitte der bekehrten Völker rekrutiert werden. Auf einen Niedergang im 18. Jahrh. folgt, gefördert durch die modernen Verkehrsmittel u. dgl., im 19. ein neuer Aufschwung. Vor allem ward die M. in die neuentdeckten Gebiete Afrikas getragen und besonders durch den Kardinal Lavigerie (s. d.) ihre Ausbreitung gefördert; neuerdings hat hier gerade deutsche Missionstätigkeit Bedeutendes geleistet. In Australien und noch mehr in dem hervorragend von Protestanten erschlossenen Ozeanien hat die katholische M. mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weiß sich aber doch zu behaupten. In Amerika hat sie, übrigens vielfach zurückgedrängt, im spanischen Sprachgebiet gute Erfolge zu verzeichnen. Im östlichen Asien kann sie erst etwa um die Mitte des 19. Jahrh. kräftiger einsetzen; China und Japan öffneten erst damals ihre Länder; in Vorderindien schuf die Auflösung der Ostindischen Gesellschaft günstigere Verhältnisse; besonders in Hinterindien hemmten vielfach blutige Verfolgungen das weitere Vordringen. Die Orient-M. sucht weniger den christlichen Glauben unter den Mohammedanern auszubreiten, als die orientalischen Christen für die Union mit Rom zu gewinnen; sie hat dabei gute Erfolge aufzuweisen; namentlich ist die Wiederaufrichtung des lateinischen Patriarchats von Jerusalem (1847) bedeutsam gewesen. In Frankreich und Italien traten zuerst Weltgeistliche zu eignen Missionsvereinen zusammen. In neuerer Zeit haben sich auch unter Laien sogen. Vereine zur Verbreitung des Glaubens gebildet, deren Mitglieder sich zu einem bestimmten Beitrag an Geld und einem täglichen Gebet für die M. verpflichten; die verbreitetsten sind: die Picpusgenossenschaft in Paris (s. Picpus) und der Xaverius-Verein (s. d.); die Leopoldinen-Stiftung in Österreich, gegründet 1829 zur Unterstützung der nordamerikanischen M.; der Ludwigs-Missionsverein in Bayern; der Verein der heiligen Kindheit; der Bonifatius-Verein (s. d.), gegründet vom Grafen Joseph zu Stolberg; die durch Lavigerie (s. d.) angeregten Antisklavereivereine; der Afrikaverein deutscher Katholiken u. a. – In der russischen Kirche ist der Missionstrieb besonders seit 1870 neu erwacht, was zunächst zur Restauration der großen Russischen Missionsgesellschaft führte.

In der protestantischen Kirche haben zuerst Dissenters, Herrnhuter, Pietisten, Methodisten und Baptisten das Werk begründet, während die Kirche selbst nur zögernd nachfolgte. Friedrich IV. von Dänemark gründete für seine ostindischen Besitzungen die M. zu Trankebar (1705), wo Heinrich Plützschau, Bartholomäus Ziegenbalg (s. d.) und Christ. Friedr. Schwarz (1726–98), alle aus dem hallischen Waisenhaus hervorgegangen, wirkten. In Grönland arbeitete seit 1721 Hans Egede (s. d. 1) für die Wiederherstellung des Christentums. Die Brüdergemeinde sandte ihre ersten Missionare (Dober und Nitschmann) 1732 nach St. Thomas und erweiterte in den nächstfolgenden Jahren ihre erfolgreiche Missionstätigkeit über Grönland, Nordamerika, Westindien, Labrador und Kapland. Einer ihrer verdientesten Missionspatriarchen war David Zeisberger, 1808 nach 63jähriger Tätigkeit unter den Indianern Nordamerikas verstorben (vgl. A. Schulze, Abriß einer Geschichte der Brüdermission, Herrnhut 1902). In der reformierten Kirche wurde 1647 von englischen Puritanern eine Gesellschaft zur Ausbreitung des Evangeliums, in deren Dienst sich besonders John Eliot (s. d. 2) auszeichnete, 1701 in London die Gesellschaft zur Fortpflanzung des Evangeliums in fremden Weltteilen (früher »zur Beförderung der christlichen Erkenntnis«), 1792 ebenda die Baptisten-Missionsgesellschaft und 1795 von Protestanten verschiedener[899] Bekenntnisse, besonders Independenten, die große Londoner Missionsgesellschaft (vgl. Lovett, History of the London Missionary Society, Lond. 1899, 2 Bde.) gegründet. Im Gegensatz zu ihr entstand 1800 in London die kirchliche (Episkopal-) Missionsgesellschaft (vgl. Hole, History of Church Missionary Society to 1814, Lond. 1896) für die englischen außereuropäischen Besitzungen. Auch die 1804 in London gegründete große Britische und auswärtige Bibelgesellschaft hat sehr fördernd auf das Werk der M. eingewirkt. Die Missionsgesellschaften mehrten sich fortan von Jahr zu Jahr, zersplitterten sich aber auch in demselben Maß unter dem Einfluß des Kirchen- und Sektengeistes. Den ersten Platz nimmt immer noch England ein; ihm reiht sich Nordamerika, dann Deutschland an. Die beiden schottischen Kirchen sehen (seit 1824 und 1843) die M. geradezu als Kirchensache an. Verhältnismäßig weitherzig trat die große Amerikanische Missionsgesellschaft in Boston seit 1810 (Board of foreign missions) auf, neben der aber alsbald baptistische, methodistische, bischöfliche und andre Missionsgesellschaften ins Leben traten In den Niederlanden findet seit 1797 ein ziemlich reger Missionsbetrieb statt. In der Schweiz entstand als Schöpfung des Pietismus 1815 die Baseler Missionsgesellschaft (s. d.), deren Schule gegenwärtig die besuchteste ist, in Deutschland 1823 die Berliner (s. d.), 1828 die Rheinische (s. d.) mit dem Missionsseminar in Barmen, 1836 die Norddeutsche (s. d.), in demselben Jahre der Goßnersche Missionsverein in Berlin (s. Goßner), die Dresdener, später Leipziger Missionsgesellschaft (s. d.) mit streng lutherischem Charakter, 1844 der Zentralverein in Bayern, der sich 1892 mit der Baseler Missionsgesellschaft vereinigt hat; 1849 folgte die Hermannsburger M. des Pastors Harms (s. d. 2), 1877 die Schleswig-holsteinsche evangelischlutherische (s. d.) und 1881 die Neukirchener Missionsgesellschaft (in Neukirchen bei Mörs); 1884 wurde der Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein (s. Missionsverein) weitherziger Richtung gegründet, 1885 infolge der Kolonialbewegung die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika (s. d.), 1886 die Neudettelsauer Missionsgesellschaft und neuerdings noch mehrere Gesellschaften, die sich speziell mit China beschäftigen: 1889 die Deutsche China-Allianz-Mission, 1895 St. Chrischona (s. d.), 1897 die Deutsche Blinden-M. und 1899 die China-Inland-Mission. Gegenwärtig existieren 166 selbständig aussendende und eine große Reihe kleinerer, die andern unterstützende Missionsgesellschaften, die jährlich etwa 65 Mill. Mk. aufbringen und etwa 6700 Missionare unterhalten; darunter England mit 19 größern Gesellschaften, 29 Mill. Mk. und 2700 Missionaren; Amerika mit 18 Gesellschaften, 20 Mill. Mk. und 1800 Missionaren; Holland mit 8 Gesellschaften, 1/2 Mill. Mk. und 56 Missionaren; Frankreich mit 2 Gesellschaften, 1 Mill. Mk. und 74 Missionaren; Skandinavien mit 7 Gesellschaften, 13/4 Mill. Mk. und 190 Missionaren. Deutschland hatte nach Grundemanns Zusammenstellung (»Allgemeine Missionszeitschrift«, 1905, 1. Heft, S. 42 ff.) um Neujahr 1904: 23 Gesellschaften, die fast alle selbständig aussenden, mit einer Ausgabe von 7,328,975 Mk. und 995 Missionaren, wozu noch 117 Missionsschwestern kommen. Was die Erfolge betrifft, so bestanden nach GrundemannKleine Missions-Geographie und -Statistik«, Kalw 1901) um 1900: 3790 Missionsstationen (davon in Asien 1632, in Afrika 1090, in Amerika 861, in Australien und Ozeanien 207) und 18,921 Schulen; und es wurden gezählt 7,216,684 eingeborne Christen (einschließlich 4 Mill. Neger in den Vereinigten Staaten), darunter 2,101,370 Kommunikanten und 867,370 Schüler. Die deutschen Missionen besitzen nach den neuesten Nachrichten 598 Stationen und 2023 Schulen und zählen 437,969 Getaufte, darunter 186,770 Abendmahlsfähige und 112,457 Schüler. Der fortschreitende Erfolg der evangelischen Missionstätigkeit erhellt aus Bahl, »Der Stand der evangelischen Heidenmission in den Jahren 1845 und 1890« (a. d. Dän., Gütersl. 1892). Danach sind in diesen 45 Jahren die Beiträge von 121/2 Mill. Mk. auf 471/2 Mill. gestiegen, die Zahl der Missionare um das Drei- bis Vierfache, die der Heidenchristen (etwa 23/4 Mill.) um das Sechsfache, die der Kommunikanten um das Vierfache, die der Schüler um das Sechsfache. Die Vermehrung bezieht sich hauptsächlich auf Asien und Afrika. Vgl. auch die in den betr. Länderartikeln enthaltenen Angaben über die Tätigkeit der Missionsgesellschaften und die »Religions- und Missionskarte der Erde« bei Artikel »Religion«, mit statistischer Übersicht. Aber trotz der Fortschritte sind den 1050 Mill. Nichtchristen gegenüber die Aufgaben noch riesenhaft und die Hindernisse, die sich der M. entgegenstellen, gewaltig. Insonderheit stellen das mohammedanische Asien und Amerika einen ziemlich unfruchtbaren Boden dar; sogar in Ostindien, wo alle möglichen Missionen sich in Bekämpfung einer uralten Kulturreligion den Rang ablaufen wollen, sind die Erfolge bis jetzt noch fraglos klein. Wohltätig hat die M. fast überall da gewirkt, wo sie tiefer stehenden Völkern zugleich mit einer überlegenen Bildung nahen konnte, so besonders bei den Negern, Hottentotten und Kaffern. Auf Madagaskar hat die M. trotz mehrfacher Verfolgungen immer wieder festen Fuß gefaßt. Auf der Westküste Afrikas ist der Erfolg der englischen, amerikanischen und deutschen Missionen fortwährend im Steigen begriffen. Ebenso hat die M. auf vielen Inseln des Stillen Ozeans, besonders den Gesellschafts-, Sandwich-, Freundschafts- und Markesasinseln, namhafte Erfolge errungen. Große Störungen haben auf vielen Gebieten, namentlich in Afrika, die Kriege der letzten Jahre hervorgerufen. Höchst dürftige Erfolge weist noch immer die M. unter den Juden auf, die in neuerer Zeit besonders von England aus betrieben wird. Hinsichtlich der Methode verfolgen Katholiken und Protestanten eine sehr verschiedene Praxis. Erstere gehen auf Massenbekehrungen aus und sehen vielfach ihre Missionstätigkeit mit dem Vollzug der Taufe als beendet an. Das Streben der Protestanten dagegen geht vor allem auf die Gewinnung von Individuen (Seelenrettungen), wenn natürlich auch sie in der Gründung von Gemeinden ihr letztes Ziel sehen. In der Heimat werben sie durch Traktate, Missionspredigten und Missionsfeste für das Werk der M.

Vgl. Henrion, Allgemeine Geschichte der Missionen (a. d. Franz., Schaffh. 1847–52, 4 Bde.); Kalkar, Geschichte der christlichen M. unter den Heiden (deutsch von Michelsen, Güterst. 1879–80, 2 Bde.); Wiggers, Geschichte der evangelischen M. (Gotha 1845–46, 2 Bde.); Vormbaum, Die Missionsgeschichte in Biographien (Elbers. 1864 ff., 5 Bde.); Burkhardt, Kleine Missionsbibliothek (2. Aufl. von Grundemann, Bielef. 1876–81, 4 Bde.; statistischer Ergänzungsband 1890); Plitt, Geschichte der lutherischen M. (2. Aufl. von Hardeland, Leipz. 1894); Buß, Die christliche M., ihre prinzipielle Berechtigung und praktische Durchführung (Leid. 1876); [900] Christlieb, Der gegenwärtige Stand der evangelischen Heidenmission (4. Aufl., Gütersl. 1880); Gundert, Die evangelische M. (4. Aufl., Kalw 1903); Warneck, Abriß einer Geschichte der protestantischen M. (8. Aufl., Berl. 1905) und Evangelische Missionslehre (2. Aufl., Gotha 1897–1905, 3 Bde.); Mirbt, Der deutsche Protestantismus und die Heidenmission im 19. Jahrhundert (Gieß. 1896); Gareis, Geschichte der evangelischen Heidenmission (Konstanz 1901); Bornemann, Einführung in die evangelische Missionskunde (Tübing. 1902); Louvet, Les missions catholiques an XIX. siècle (Lille 1894); Piolet, Les missions catholiques françaises an XIX. siècle (Par. 1901–03, 6 Bde.); Grundemann, Missionsatlas (Gotha 1867–71,72 Karten) und Neuer Missionsatlas (2. Aufl., Kalw 1903, 46 Karten); Heilmann, Missionskarte der Erde (4. Aufl., Gütersl. 1900); Merensky, Missionsatlas über die Arbeitsgebiete der Berliner evangelischen Missionsgesellschaft Berlin I (Berl. 1900); Dalman, Kurzgefaßtes Handbuch der M. unter Israel (das. 1893); de le Roi, Geschichte der evangelischen Judenmission (2. Ausg., Leipz. 1899). Zeitschriften: »Evangelisches Missionsmagazin« (Basel, seit 1816); Warnecks »Allgemeine Missionszeitschrift« (früher Gütersl., jetzt Berl., seit 1874); »Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft« (Berl., seit 1887); »Die katholischen Missionen« (Freiburg).

Unter diplomatischer M. (mission diplomatique), auch kurzweg M. genannt, versteht man die ständigen Gesandtschaften oder Legationen. Sie bestehen aus dem Chef der M. und den einzelnen Mitgliedern, also z. B. die deutsche Botschaft in Konstantinopel, bestehend aus dem Botschafter als Chef und Botschaftssekretären, Attachés, Dragomans, Botschaftsprediger, Botschaftsarzt, Kanzleivorstand, Botschaftskanzlisten, Portier, Hausverwalter, als Mitgliedern der M. Nach § 18 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes erstreckt sich die inländische Gerichtsbarkeit nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Vgl. auch Exterritorialität.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 899-901.
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