Madagaskar

[29] Madagaskar (hierzu Karte »Madagaskar«), Nosin DamboInsel der wilden Schweine«) der Eingebornen, zu Afrika gehörige Insel, von ihm durch den Kanal von Mosambik getrennt, mit 592,100 qkm fünftgrößte Insel der Erde (nächst Grönland, Neuguinea, Borneo und Baffinland), von NNO. (Kap Ambre, 11°58' südl. Br.) nach SSW. (Kap Ste. Marie, 25°35') 1615 km lang, bei einer größten Breite von 550 km.

[Physische Geographie.] M. ist als Horst eines ehemals von Südafrika über M. nach Indien ausgedehnten Festlandes stehen geblieben (nach Sueß), in dem wahrscheinlich seit der Steinkohlenzeit keine Gebirgsfaltung vorgekommen ist. Nach der Liaszeit erfolgte ein tiefer Einbruch, den nur M. überdauerte; in diese Bruchzone reicht M. im N. hinein, so daß hier größere Küsteninseln, tiefe Buchten und besonders gegen die Komoren hin schmale, unregelmäßige Halbinseln sich finden: an der Nordwestküste die William Pitt-, Ambaro-, Passandawa-, Bombetoka- und Balibai, an der Nordküste unter andern die Antonibai mit Diego Suarez. Sonst herrscht sandige, sumpfige Flachküste vor, an der fast geradlinigen Ostküste (südlich von Tamatave bis gegen den Wendekreis) viele Küstenlagunen, die, durch Kanäle verbunden, eine Schiffahrtsstraße (485 km) bilden. Im SW. und NW. finden sich große Korallenriffe längs der Küste. Geologisch ist M. ein sehr altes Land. Bis zum Tal des Mandrare (südlich des Wendekreises) zieht von N. her durch die Provinz Imerina und Betsileo eine Gneis- und Granitzone (in Blockmeere und Steinfelder aufgelöst), die im W., SW. und S. von mesozoischen und tertiären Gesteinen (Sand- und Kalkgesteinen) in mächtiger Breite umlagert ist, während im O. diese fehlen, da hier wohl ein großer Bruch das Hochland begrenzt. Eine eigentliche Hauptkette fehlt in M.; im allgemeinen steigen die Gebirge von W. her allmählich auf, so daß die höchsten Erhebungen gegen die Ostküste hin liegen; hier läuft auch, 50–150 km von der Küste entfernt, die Wasserscheide. Gegen O. mauerartig und steil abfallend (von der Mitte an nordwärts) zur Küstenebene, senkt sich das Hochland westwärts in breiten Terrassen, so daß der Aufbau der Gebirge im ganzen den Eindruck einer ostwärts gehobenen Tafel hervorruft. Die größten Erhebungen zeigt, südlich der 1458 m hoch gelegenen Hauptstadt, das Ankaratragebirge mit Gipfeln von 1600–1700 m, während der Tsiafajavona 2680 m erreicht; im N. ist das Ambergebirge 1360 m hoch. Nach Marinelli beträgt die mittlere Erhebung der Insel 602 m (der Norden 547, der Süden 674 m). Die Einförmigkeit der meist kahlen Gebirgslandschaften erfährt durch zahlreich vorhandene vulkanische Bildungen eine Abwechselung. Diese treten besonders im N. schärfer hervor, wo vermutlich eine vulkanische Spalte aus dem Bruchgebiet (s. oben) entlang dem östlichen Steilabbruch weit in das Innere von M. eindringt: dahin gehört das Amber- und Ankaratragebirge (mit erloschenen Kratern und Lavaströmen), die Gegend des Itasysees (westlich von Antananarivo) mit ca. 40 Ausbruchstellen, eine Reihe vulkanischer Seen im NO. davon (z. B. der tiefblaue Andraikiba und der[29] dunkelgrüne Tritriva), die Basaltgänge im Mandraretal (S.); ferner die heißen Quellen und die zahlreichen Erdbeben (1897/98 z. B. 38), während anscheinend die Vulkane erloschen sind. Entsprechend dem Aufbau der Insel sind die größern Flüsse im W., deren einige auf einer der Terrassen in der Hauptrichtung der Insel fließen, zur nächstfolgenden aber schluchtartig durchbrechen. Das letztere ist auch bei den östlichen Flüssen der Fall, so bei Antanambalana, Mananara, Maningory, Onive u. a. Von den westlichen ist der größte der Betsiboka, der nahe der Hauptstadt aus zwei Quellflüssen entsteht und in die Bai von Majunga (s. d.) mündet, auch etwa 150 km von dort aus von Dampfern befahren wird; außerdem fließen westwärts Onitani, Mangoka (etwa 50,000 qkm entwässernd), Tsijobonina, Manambolo, Mandscharay, Ambondro und Sofia. Die Seen von M., die wie die Flüsse viele Krokodile beherbergen, sind weder groß noch zahlreich, alte Uferlinien deuten auf früher ansehnlichere Größe: der Alaotra (30 km lang, 3 km breit) im NO. der Hauptstadt, ist noch der bedeutendste, ihm folgen der Tasy, Kinkony, Andranomena, Hertry, Tsimananpesotra sowie die Lagunen an der Ostküste.

Der Mineralreichtum von M. ist vorläufig noch wenig bekannt, da die Hova nach Metallen nicht suchen dürfen; doch wird sich und hat sich zum Teil darin schon unter der Herrschaft der Franzosen ein Wandel vollzogen. Gesunden sind Gold, Silber, Kupfer, Eisen, verschiedene Erze, Blei (Bleiglanz), Schwefel, Graphit und Braunkohle; ferner Antimon, Mangan, Steinsalz und Salpeter. Von Edelsteinen sind Bergkristalle, Beryll, Triphan, Turmalin u. a. gefunden; dazu kommen Salz-, Eisen- und Schwefelquellen von hoher Temperatur (s. unten).

Das Klima ist in den feuchten und heißen Niederungen an der Küste ungesund, ebenso in Teilen des Hochlandes, in die das Sumpffieber eindringt; erst die höchsten Gebiete, wo zuweilen auch Schnee fällt, sind Europäern zuträglich. Besonders die Ostküste, wo der Südostpassat Regen bringt, leidet darunter. Der November bringt schwere Gewitter. Nur Oktober und November sind hier etwas trockner, während die Westküste (vornehmlich nach S. hin) mehr Trockenzeiten hat. Es sind gemessen an der Ostküste: in Tamatave 3152, in Ambahy (22°49') 3125 mm; dagegen in Fort Dauphin (gegen S.) 1135 mm, in Diego Suarez (gegen N.) 680 mm; an der Westküste: Nossi-Bé (auf einer Insel) 2572, Majunga 1633, Nossi-Bé (am Ongulahi) 352 mm. Ebenso bedeutend ist die Wärme. Die Jahresmittel stellen sich für Diego Suarez auf 26,7° (Januar 29,3°), Tamatave 24,1°, Fort Dauphin 23,3°, in Nossi-Bé 26°, woselbst noch der kühlste Monat (Juli) 24,2° hat. Auf dem Hochland (November bis März Regenzeit) weist die Hauptstadt (1400 m) 1342, Fianarantsoa (1400 m, aber südlicher) noch 1038 mm Regenmenge auf, bei einer Jahrestemperatur für jene von 18°. Mai bis September sind im Binnenlande die trockensten Monate. Nebel sind daselbst häufig, die ebenso wie eine Art Hitlzedunst gesundheitlich sehr ungünstig wirken (Grandidier betont dies); auch leidet darunter der Ackerbau, der nach europäischer Art kaum in bedeutendem Umfange dürfte betrieben werden. Die Hochebenen sollen aber gesund sein.

Pflanzen- und Tierwelt von M. haben von jeher besonderes Interesse hervorgerufen. Die Flora nimmt zwischen der afrikanischen und ostindischen eine Mittelstellung ein; doch kommen auch Beziehungen zu Amerika, Australien und den Sundainseln vor. Es lassen sich auf M. drei Vegetations regionen unterscheiden: die tropische Niederungs- und Bergwaldformationen mit großen Urwäldern (19 Proz. des Areals), die Savannen im Innern des Landes auf dem Bergland und die trocknen Dornbuschformationen im S. der Insel. Die erste Region besitzt an hervorragenden Pflanzentypen obeliskenähnliche Pandanus (P. obeliscus) von 18 m Höhe und fast meterdick am Grunde, mit 3–4 m langen Blättern in dichten Rosetten, ferner die Musazee Ravenala madagascariensis mit riesigen, zweizeilig gestellten Bananenblättern und die auf Ostafrika hinweisende Raphia Ruffia. Eine endemische Lythrazee, Lagerstroemia, entstammt dem indischen Monsungebiet. Kautschuk liefern die Apocynazeen Vahea gummifera und V. crassipes. Im Bergsavannenlande zeigen Schwertlilien, wie Aristea, und die Erikazeen sowie die Gattung Wahlenbergia südafrikanischen Charakter. Gebaut werden die meisten tropischen Kulturgewächse, wie Baumwolle, Reis (besonders in den Flußtälern und Flußniederungen, nach Voeltzkow), Kaffee, Tabak und Zuckerrohr, daneben auch Kartoffeln, Mais, Hirse und Maniok. Dagegen findet man die auf den Inseln von Südostasien vorkommenden Gattungen Quercus, Castanea u. a. nicht. Überhaupt dürfte der Reichtum Madagaskars an nutzbaren Hölzern überschätzt werden. Immerhin scheint ein nicht plötzlich unterbrochener Zusammenhang zwischen M. und Südasien bestanden zu haben, wenngleich nach C. Chun die großen Tiefen zwischen M. und den Seychellen und Maskarenen Bedenken erregen.

Ähnliche Charakterzüge zeigt die Fauna. Die Tierwelt Madagaskars ist so scharf charakterisiert, daß es vielfach als eine eigne Region angesehen, von andern als madagassische Subregion der äthiopischen Region bezeichnet wird. Es fehlen alle großen Säugetiere Afrikas, auch die Affen; dagegen ist M. die Heimat der Halbaffen (die Mehrzahl auf M. beschränkt), besonders das merkwürdige Aye-Aye. Charaktertiere sind ferner die Frettkatze (Cryptoprocta ferox) und eigentümliche Gattungen von Nagetieren und Insektenfressern. Die Vögel gehören etwa zur Hälfte M. als eigen an; ein Teil ist afrikanisch, aber viele afrikanische Vogelfamilien (z. B. Pisangfresser, Nashornvögel, Bartkuckucke etc.) fehlen. Die Reptilien zeigen den gleichen Charakter: das Fehlen afrikanischer Familien (z. B. Agamen, Warane, Amphisbänen) und das Vorhandensein eigner Familien; besonders bemerkenswert sind die Chamäleons. Von Amphibien fehlen Kröten, Salamander und Cöcilien; die Frösche schließen sich indischen und südamerikanischen Formen, die Käfer indisch-malaiischen und selbst australischen Arten an. Es werden Geflügel, Schweine, Schafe und vornehmlich Rindvieh gezogen.

[Bevölkerung.] Die Bevölkerung wird auf (1903) 2,619,000 Seelen geschätzt (ca. 2,600,000 Eingeborne, 15,500 Europäer, 1000 Asiaten und Afrikaner). Die Madegassen (Malagassen) bestehen aus verschiedenen Bevölkerungsbestandteilen. Im zentralen Imerina wohnen die malaiischen Hova, etwa 850,000 (s. Tafel »Afrikanische Völker II«, Fig. 12), die Betsileo zählen 300,000, die Betsimaraka 400,000, die Sakalaven etwa 1 Mill. und die übrigen Völkerschaften nebst einigen tausend Negern, dann Indern, Arabern, Makua aus Mosambik und Suaheli 500,000 Seelen. Als Urbewohner betrachtet man die vielleicht schon ausgestorbenen Wazimba, Kimo und Kalio, letztere,[30] wie es heißt, pygmäenhafte Wesen mit wolligem Haar. Negroid sind die Sakalaven an der Westküste und Nordspitze, welche die übrigen Weststämme unterjocht und ihnen den eignen Namen gegeben haben. An der Westküste leben außer afrikanischen Sklaven noch Araber, Inder und Suaheli, die alle wie die Bara im S., die Tanala oder Waldleute mit fast unzugänglichen Bergorten, die Maháfoli, Amandroi, Antanossi noch von den Hova unabhängig sind. Diesen untertan sind die ihnen verwandten Betsileo (»Unbesiegbare«) im S. des Ankaratragebirges und die Antsianaka am Alaotrasee, beide geschickte Weber in Seide und Wolle, Verfertiger schöner Teppiche, von Gold- und Silberarbeiten, dann die Sihanaka im nördlichsten Waldgürtel, die Betsimisaraka an der Ostküste sowie die Tonkai und Bezanozano, die als Träger fast ausschließlich den Verkehr zwischen der Küste und dem bergigen Innern vermitteln, die Antanala etc. Die Hova, das zivilisierteste, herrschende Volk, sind nach ihren Überlieferungen vor 800 Jahren auf die Insel gekommen. Aber erst Mitte des 18. Jahrh., von den Sakalaven unabhängig, traten sie geschichtlich auf. Die Hova, ein Mischvolk aus malaiischen und afrikanischen Elementen, weisen indische Züge auf, sind mittelgroß (1,6 m), schlank und wohlgebaut, mit gerader oder gebogener, stumpfer Nase, großem Mund, fleischigen Lippen und zurückweichendem Kinn. Die Männer schneiden das Haar bürstenartig kurz oder lassen es einige Zentimeter lang. Um die Lenden wird ein Zeugschurz gewunden und darüber ein langer, breiter, verschieden gefärbter Überwurf, die Lamba, in Falten drapiert. Die Beine bleiben nackt. An die Stelle dieser malerischen Kleidung tritt jetzt häufig europäische. Die Wohnungen werden aus rotem Ton aufgemauert, das steile, auf starken Pfählen ruhende Giebeldach deckt man mit Heu oder Binsen, eine ummauerte Bodenstelle dient als Herd, der Rauch entweicht durch Tür und Fenster. Die Ansiedelungen werden durch Palisaden oder Mauern eingeschlossen. Hauptnahrung ist Reis, doch auch Fleisch. Das Volk bedient sich der Löffel und Blätter, die Vornehmen haben europäisches Tafelgeschirr. Die Ehe ist Geschäftssache, Vielweiberei häufig. Keuschheit wird von den Mädchen nicht verlangt, Ehebruch aber bestraft. Die Sitte der Beschneidung verschwindet seit Einführung des Christentums. Wie in Afrika wird die Blutsverbrüderung, die Falotra, eifrig geübt. Von Charakter sind die Hova leidenschaftlich, empfindlich und rachsüchtig, äußerlich höflich und kühl indifferent. Im Handel sind sie äußerst verschlagen und wenig zuverlässig. Das Gerichtsverfahren beruhte auf Gottesurteilen, vornehmlich in dem Trinken des Gifttrankes Tangena, wobei viel Betrug geübt wurde. Das Volk teilt sich in drei ziemlich scharf gesonderte Klassen: Andriana (Adlige), Hova (Mittelstand) und Andewo (Sklaven), meist von Kriegsgefangenen und afrikanischen Schwarzen abstammend, deren Zahl von einigen auf zwei Drittel der Gesamtbevölkerung geschätzt wird; seit 1879 sind alle eingeführten Sklaven für frei erklärt worden. Die Sprache, zur malaiisch-polynesischen Sprachfamilie gehörig, steht in engstem Zusammenhang mit der Sprache der Batta (s. d.) auf Sumatra, doch ist Verwandtschaft mit afrikanischen Idiomen nicht ausgeschlossen. Man unterscheidet den Hova- und den Sakalavendialekt. Grammatiken veröffentlichten Weber (St.-Denis 1855) nebst drei Wörterbüchern, Ailloud (Par. 1872), Marin de Marre (das. 1876), Rahidy (das. 1895), G. Julien (das. 1904). Frühere Religion war Wasserfetischdienst; jetzt bekennt sich ein großer Teil des Volkes nominell zum! Christentum. Außer protestantischen Missionsgesellschaften verschiedener Richtung (die Londoner die älteste und bedeutendste) ist auch, besonders seit dem französischen Protektorat, die katholische tätig. Man schätzt 450,000 Protestanten gegen 50,000 Katholiken, deren! Zahl aber jetzt wohl zunehmen wird (Bischof in der Hauptstadt). Die Mission hat die Regierung veranlaßt, den Schulzwang (8.–14. Jahr) einzuführen; die verschiedenen Missionen unterhalten (1903) 1800! Schulen mit 170,000 Kindern. Es bestehen schon ein Lehrerseminar sowie einige höhere Schulen, in denen auch Französisch gelehrt wird, auch mehrere Druckereien, früher mit arabischen, jetzt europäischen (lateinischen) Schriftzeichen. Die Franzosen haben auch das Gerichtswesen geregelt.

Haupterwerbszweige sind Ackerbau und Viehzucht. Neben Reis, der Hauptfrucht des Landes, gedeihen Baumwolle und Hanf sowie Tabak, ebenso Kaffee, in gewissen Lagen, Zucker, die Kartoffel und die Kokospalme. Dazu kommen die Erträge aus den Herden von Rindern und Schafen, den Bienenschwärmen (Wachs) und den Wäldern (Kautschuk, Kopal, Raphiafaser und Indigo). Die Industrie beschränkt sich auf Lambas (s. oben), Zeuge und Geflechte (Frauenarbeit), irdenes Geschirr, Messer, Beile, Filigranarbeiten. Europäer haben Zuckerfabriken, Brennereien etc. Der Handel stieg für die Einfuhr von 5,122,894 Fr. (1892) auf 42,289,036 Fr. (1902) und 33,107,171 (1903), die Ausfuhr im gleichen Zeitraum von 2,879,648 auf 13,144,440, bez. 16,471,128 Fr. Tamatave (1902: 12,739 Schiffe mit 2,717,302 Ton.; 1903: 12,932, bez. 2,441,764 [davon 2,077,248 französisch]), Majunga und Diego Suarez sind hauptsächlich daran beteiligt. Eingeführt werden: Baumwollwaren, Reis, Weine, Edelmetalle, Branntwein, Mehl, Metalle; ausgeführt: Goldstaub, Raphiafaser, Hornvieh, Felle, Kautschuk, Wachs, Goldbarren, Nutzhölzer dagegen nur wenig. Der Handel liegt hauptsächlich in französischen Händen, Englands Anteil ist gesunken, der Deutschlands hat sich gehoben. Einnahmen und Ausgaben wurden 1903 auf je 23,507,000 Fr. und für 1904 auf je 24,526,000 Fr. geschätzt. Frankreichs Ausgaben für M. wurden für 1904 auf 25 Mill. Fr., für 1905 auf etwa 211/2 Mill. Fr. geschätzt, die für militärische Zwecke Verwendung finden.

Der Verkehr im Innern ist schwierig, da nur wenige Wege im europäischen Sinn und Wagen existieren; fast alles, Menschen wie Lasten, werden auf den Schultern von Trägern oder in einem tragbaren Sitz (Filansana) befördert, abgesehen von einigen schiffbaren Strecken auf Flüssen und Küstenlagunen. Straßen führen von der Hauptstadt nach Tamatave und Majunga sowie zwischen den Hauptmilitärposten. Bei Tamatave sind 12 km Eisenbahn in Betrieb, von dort soll (396 km) eine solche zur Hauptstadt gebaut werden. Die Länge der Telegraphenlinien beträgt 5550 km, die der Telephonlinien 210 km; ein Kabel führt nach Mosambik. Seit 1903 ist zwischen Antananarivo und Mahatsara bei Andevorante an der Ostküste für Postsachen Automobilbetrieb. Als offizielle Münze gilt das 5 Frank-Stück mit seinen Unterabteilungen; daneben kommen italienische, belgische und griechische Münzen vor. Der alte Brauch, Piaster und andre größere Stücke zu zerschneiden, hat, wenn auch noch häufig geübt, keine rechtliche Geltung mehr. Die Diskontobank von Paris hat Filialen in Antananarivo, Tamatave, Diego Suarez und Mananzary.[31] Seit Ende 1885 haben die Franzosen das Protektorat über M. übernommen. Doch hat erst der 1895 geführte Krieg (das Nähere s. unter Geschichte) ihnen nach Überwindung vieler Schwierigkeiten mit der Unterwerfung der Sakalaven 1900 die Herrschaft über M. und die dazugehörigen Inseln gesichert. Seit 1896 französische Kolonie, zerfällt M. in 19 Provinzen und Distrikte für die Zivil-, für die Militärverwaltung in 8 Territorien und Kreise sowie 6 gemischte Territorien. Frankreich unterhält (1904) eine Truppe von 15,098 Mann (einschließlich Unteroffizieren) und 490 Offizieren (Europäer). Hauptstadt ist Antananarivo (s. d.) mit (1903) 57,980, Fianarantsoa (s. d.), Hauptort für die Provinz Betsileo mit 6000 Einw., beide im Innern gelegen (1400, bez. 1146 m hoch); an der Küste: Tamatave (s. d.) mit 11,000 (nach andern 4–8000), Majunga (s. d.) mit 5000, Diego Suarez, einer der besten strategischen Punkte der Welt mit sehr schönem Hafen, im äußersten Norden, Nossi-Bé, Militärstation Fort Dauphin (im S.; s. d.), bedeutend wegen der Ausfuhr von Kautschuk; Foulpointe (Mahavelona) und Andevorante (2000) an der Ostküste, Tullear (SW.) mit 5000 Einw. – Zu M. gehören noch die Eilande Joao da Nova und Europa (in der Mosambikstraße). An der Spitze steht ein Generalgouverneur, ein Verwaltungsrat ihm zur Seite. Das bisherige Wappen Madagaskars s. Tafel »Wappen IV«, Fig. 11.

[Geschichte.] M., von den Arabern Dschesira el Komr (»Mondinsel«) genannt, wird schon von Marco Polo in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. unter dem Namen Magastar oder Madugascar erwähnt, wurde aber erst 1. Febr. 1506 von dem Portugiesen Fernando Soarez (nach andern von Antão Gonsalves) wieder aufgefunden und nach dem Heiligen des Entdeckungstags Lorenzinsel oder Isla de São Lourenço genannt. Später richteten die Holländer vorübergehend (1595–98), ernstlicher dann die Franzosen ihr Augenmerk auf M. Bereits Heinrich IV. ließ dort das Fort Dauphin errichten, und auf Betreiben des Kardinals Richelieu erklärte Ludwig XIII. 24. Juni 1642 die Insel für ein Besitztum Frankreichs. Zwei Handelsgesellschaften wurden ermächtigt, die Insel auszubeuten, vermochten sich aber nicht zu halten. Es wurden von den Franzosen einige Häfen an der Küste besetzt, zeitweilig (so 1655) wieder aufgegeben und dann gelegentlich abermals in Besitz genommen. Die Eindringlinge erbitterten aber durch ihre Ausschweifungen die Eingebornen so sehr, daß diese dreimal die Kolonisten niedermetzelten, 1652 zu Manghisia, 1672 auf dem Fort Dauphin und 1754 auf der Insel Ste. – Marie. Eine Zeitlang war ein Überrest der gefürchteten Flibustier, die an den Küsten Seeraub trieben und die Sklaverei einführten, das einzige Europäertum auf M. Die französische Regierung ließ zwar 1746 und dann 1774 durch den Grafen Benjowski (s. d.) Versuche machen, die Insel zu kolonisieren; da diese aber mißlangen, so begnügte sie sich, Faktoreien anzulegen, um die benachbarte Insel Bourbon mit Lebensmitteln zu versorgen. Diese Besitzungen gingen in den Revolutionskriegen an England verloren, wurden jedoch durch die Wiener Verträge von 1814 und 1815 den Franzosen wieder zurückgegeben. Ein um so größeres Interesse hatte England fortan an der Aufrechthaltung der Selbständigkeit der Insel, und es erkannte den damaligen König der Hova, Radama I. (1810–28), als König von M. an. Gleichzeitig sandte es Missionare nach M., die bis 1828 einige Buchdruckereien anlegten und 100 Schulen stifteten, in denen 5000 Kinder christlich unterrichtet wurden. Englische Offiziere organisierten Radamas Heer. Hierdurch gelang es diesem, sich einen Stamm nach dem andern zu unterwerfen, bis er 1825 auch die französische Besatzung aus dem Fort Dauphin vertrieb; den Engländern wurden dagegen alle Häfen eröffnet, und sie waren im faktischen Besitz des Landes. Aber Radama starb 27. Juli 1828 an Gift, das ihm seine Gattin Ranavalona beigebracht, und diese wurde 3. Aug. 1828 von der Volksversammlung zur Herrscherin ausgerufen. Die neue Königin war den Fremden abgeneigt und brach den mit den Engländern angeknüpften Handelsverkehr wieder ab. Auch haßte sie das Christentum, zerstörte die Missionen, verjagte die Missionare und ließ viele Christen hinrichten (1835). Die Franzosen hatten zwar 1829 an zwei Punkten zu landen versucht, waren aber bei Foulpointe geschlagen worden. Frankreich und England vereinigten sich 1845 zu einer gemeinschaftlichen Expedition gegen die Stadt Tamatave und schossen sie in Brand, mußten sich aber nach einem unglücklichen Sturm auf das Fort mit Verlust auf ihre Schiffe zurückziehen. Die Folge waren blutige Christenverfolgungen auf der Insel. Nachdem jedoch der Kronprinz Rakoto und andre Prinzen 1846 offen zur christlichen Kirche übergetreten waren, erlangten englische Missionare, namentlich seit 1853, wieder Eingang auf M. und erwirkten auch die Freigebung des Handels. Radama II., der 1861 seiner Mutter Ranavalona folgte, öffnete den Fremden bereitwillig sein Land, schaffte barbarische Gebräuche ab und suchte die Bildung zu fördern. Durch die Rücksichtslosigkeit aber, womit er Fremde bevorzugte und den Wünschen der einheimischen Edelleute und Priester entgegentrat, erregte er deren Unzufriedenheit und fiel als Opfer einer Verschwörung 12. Mai 1863. Seine Witwe Rabodo, die als Königin den Namen Rasoaherina annahm, bestieg darauf den Thron, verlor aber bald ihr Ansehen völlig und befand sich ganz in der Gewalt ihres Premierministers Rainitaiarivoy, dem sie unklugerweise ihre Hand gereicht hatte. 1865 kam es zu einem förmlichen Aufstande des Volkes gegen die Franzosen, während England 27. Juni d. I. einen äußerst günstigen Freundschafts- und Handelsvertrag mit M. abschloß. Rasoaherina starb 1. April 1868, und nach einigen Streitigkeiten über die Thronfolge ward einer Verwandten der Königin, Ramona, unter dem Namen Ranavalona II. Manjaka die Krone übertragen. Die neue Königin zeigte sich dem Christentum günstig und ließ sich nebst einem großen Teil des Adels 21. Febr. 1869 taufen. Trotz der Entrüstung der heidnischen Priesterschaft und der Masse des Volkes befahl sie darauf die Zerstörung der Götzenbilder, deren strafloses Gelingen solchen Eindruck auf das Volk machte, daß es in großer Zahl zum Christentum übertrat. 1877 wurde die Sklaverei abgeschafft. Als 1882 die Franzosen über Belästigung ihrer Mitbürger, Verweigerung des Verkaufs von Land u. dgl. Beschwerde führten, schickten die Hova eine Gesandtschaft nach Europa, die mit mehreren Staaten, auch mit Deutschland, Handelsverträge schloß, aber mit Frankreich keine Vereinbarung zustande brachte, da letzteres die Schutzherrschaft nicht bloß über die Sakalaven, sondern über die ganze Ostküste beanspruchte. Frankreich schickte darauf 1883 ein Geschwader nach M., das mehrere Küstenplätze bombardierte und 13. Juni Tamatave besetzte. Auch die neue Königin Ranavalona III. Manjaka, die nach Ranavalonas II. Tod (13. Juli)[32] den Thron bestieg und ihren Premierminister Rainilairivony heiratete, weigerte sich, die französischen Forderungen zu bewilligen, und beanspruchte die Herrschaft über ganz M. Obwohl nun die Versuche der Franzosen, 1885 von Tamatave in das Innere von M. einzudringen, an dem tapfern Widerstand der Madegassen scheiterten, schlossen diese doch 17. Dez. 1885 mit Frankreich einen Vertrag, der diesem eine Schutzherrschaft, namentlich die Vertretung in allen auswärtigen Beziehungen, einräumte und der 1890 von England anerkannt wurde. Ein französischer Generalresident nahm mit einer kleinen militärischen Eskorte seinen Sitz in Antananarivo. Neue Streitigkeiten über die Auslegung des Vertrags von 1885 bewogen die französische Regierung zu tatkräftigerm Einschreiten. Nachdem ein neuer Vertrag, den ihr Bevollmächtigter Le Myre de Vilers Ende 1894 in Antananarivo vorlegte, von den Hova abgelehnt worden, beschloß sie eine größere Expedition. 1895 drang General Duchesne von Majunga auf der Westküste in das Innere vor. Nach großen Beschwerden und Verlusten erreichten die Franzosen, denen die Hova nur geringen Widerstand leisteten, die Hauptstadt und nahmen sie 30. Sept. nach kurzem Gefecht ein. Die Königin unterwarf sich 18. Jan. 1896 einem Vertrage, der ihr Reich unter französische Schutzherrschaft stellte und Frankreich das Recht einräumte, M. militärisch zu besetzen; der bisherige Premierminister wurde verbannt und ein neuer eingesetzt. Am 6. Aug. 1896 wurde M. zur französischen Kolonie erklärt und Rainilairivony nach Algier verbannt; der erste Generalgouverneur war General Gallieni (bis Oktober 1905), der sich in den Kämpfen besonders ausgezeichnet hatte. 1897 wurde auch Ranavalona abgesetzt und zunächst nach Réunion, später nach Algier gebracht und das Königtum abgeschafft. Unter der Verwaltung Frankreichs, das 1900 auch die Sakalaven unterwarf, hob sich der Handel sichtlich, und die Kultur fand durch Straßen- und Eisenbahnbau auch in den nur locker unterjochten Teilen der Insel Eingang (s. oben).

Vgl. Ellis, History of M. (Lond. 1838, 2 Bde.) und Three visits to M. (das. 1858); Barbié du Bocage, M., possession française depuis 1642 (Par. 1859); Grandidier, Histoire physique, naturelle et politique de M. (das. 1876 ff., auf 40 Bde. berechnet); Sibree, M. and its people (Lond. 1870; deutsch, Leipz. 1881) und M. before the conquest (Lond. 1896); Escamps, Histoire et géographie de M. (neue Ausg., Par. 1884); Little, M., its history and people (Lond. 1884); Oliver, M., an historical and descriptive account (das. 1886, 2 Bde.); Foucart, Le commerce et la colonisation à M. (Par. 1894); dela Vaissière, Histoire de M. (das. 1895, 2 Bde.); Brunet, La France à M., 1815–1895 (das. 1895); Humbert, M., l'île et ses habitants (das. 1895); Gautier u. a., Guide pratique du colon à M. (das. 1895); Voeltzkow, Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise nach M. etc. (Frankf. 1897 ff.); Keller, Die ostafrikanischen Inseln (Berl. 1898); »Guide de l'immigrant à M.« (Par. 1899, 3 Bde.); Malotet, Etienne de Flacourt, ou les origines de la colonisation française à M. 1648–1661 (das. 1898); Cahuzac, Essai sur les institutions et le droit malgache (Bd. 1, das. 1900); »Rapport d'ensemble sur pacification, l'organisation et la colonisation de M.« (1896–99; nebst Atlas, das. 1900); Lebon, La politique de la Franceen Afrique 1896–1898 (das. 1901); Gallieni, La pacification de M. (das. 1900); Poirier, Conquète de M., 1895–1896 (das. 1902); Gautier, M. Essai de géographie physique (das. 1902); »M. an début du XX. siècle« (von Blanchard, Boule u. a., das. 1902); Basset, M. et l'æuvre du général Gallieni (das. 1903); Brunet, L'œuvre de la France à M. (das. 1903); Gravier, M., les Malgaches, origines de la colonisation, la conquête (das. 1904); Condamy, La conquête du Ménabé (Sakalavenprovinz an der Westküste; Par. 1904); You, M., histoire, organisation, colonisation (das. 1905); Schurtz im 2. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1902); »Guide annuaire de M. et dépendances« (Publikation des Gouvernements); »The Antananarivo Annual and Madagascar Magazine« (hrsg. von der Londoner Missionsgesellschaft), darin die »Histoire de la géographie de M.« (2. Abdruck 1893). Karten von Hansen-Oehrli (1: 1,000,000; Par. 1899), Locamus (1: 1,500,000; 12 Bl., das. 1900), Gautier (1: 1,500,000; das. 1902), »Carte d'état-major de M«., herausgegeben vom Service géographique du Corps d'occupation.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 29-33.
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Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

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