[561] Thurgau, 1) Canton der Schweiz, an Baden, den Bodensee u. die Cantone St. Gallen, Zürich u. Schaffhausen grenzend, 18,07 QM. Die kleine Exclave Schloß u. Dorf Horn am Bodensee ist von St. Gallischem Gebiet umschlossen. Der Canton bildet ein fruchtbares Hügel- u. Wellenland, gehört der Schweizerhochebne an u. wird von mehren Hügel- u. Bergreihen, Ausläufern der Appenzeller u. St. Galler Gebirge, durchzogen; in diesen ist der höchste Berg das 3068 Fuß hohe Hörnli, dann der Haselberg 2533 Fuß, Homberg 2416 Fuß, Gabris 2321 Fuß, Ottenberg 2065 Fuß u.a. Flüsse: Thur (mit Sitter u. Murg), Rhein (Grenze gegen Schaffhausen u. Baden); See: Bodensee (mit dem Untersee); einige kleine Seen im Innern. Klima: mild u. freundlich u. selbst zum Gedeihen südlicher Früchte förderlich. Producte: Vieh, Wild, Fische, Getreide, Wein, Obst (der obstreichste Canton), Futterkräuter, Holz, Steinkohlen, Torf. Die Einwohner, 90,080 (davon über 3/4 protestantischer, 1/4 katholischer Confession) sind deutscher Abstammung u. Sprache, beschäftigen sich mit Acker-, Wein-, Obstbau, Flachs- u. Hanfbau, Viehzucht, Fischerei (bes. am Bodensee). Rücksichtlich des Erziehungswesens gab es 1852 266 Elementar-, 6 Secundarschulen, 1 Schullehrerseminar, 1 Landwirthschaftliche u. 1 Cantonsschule; die Klöster sind 1848 aufgehoben. Handel mit Wein, Cyder, trockenem Obst, Vieh u. den Erzeugnissen der Industrie (Baumwollen- u. Wollenspinnerei u. Weberei, Färberei, Leinweberei, Tabakfabrikation). Derselbe wird durch den Bodensee, durch durchgehende Straßen u. durch die Schweizer Nordostbahn (Romanshorn-Frauenfeld etc.), welche den Canton durchschneidet, gefördert. Die demokratische Staatsverfassung ist vom 14. April 1831 (abgedruckt in: Bernhauser, Verfassung der schweizerischen Eidgen., Trogen 1833, I. S. 290), zuletzt 1849 revidirt. In der Gesammtheit der Cantonsbürger beruht die Souveränetät, Gleichheit vor dem Gesetze, der politischen Rechte, Petitionsrecht, Freiheit der Presse, des Erwerbs u. Handels, Verkehrs im Innern, Unantastbarkeit des Eigenthums, Ablösung der Grundlasten, Veräußerlichkeit des Bodens, ordentlicher Gerichtsstand, Öffentlichkeit der Polizei u. Verwaltung durch temporäre u. verantwortliche Beamte, volle Glaubens- u. Gewissensfreiheit sind gewährleistet, Militärcapitulationen[561] mit fremden Staaten u. Stiftung neuer geistlicher Körperschaften untersagt. Der Canton ist in acht Bezirke (Frauenfeld, Tobel, Weinfelden, Bischofzell, Arbon, Gottlieben, Steckborn u. Dießenhofen), diese in 32 Kreise u. diese zusammen in 72 Municipalgemeinden getheilt. Jeder Kreis bildet eine Urversammlung aus den wenigstens 20jährigen Bürgern zur Abstimmung über Verfassungsgesetze u. jährlich zur Wahl der Mitglieder des Großen Rathes, der Friedens- u. Kreisrichter. Die Bezirkswahlversammlungen, gebildet aus 10 Ausschüssen auf je 100 Bürger auf 3 Jahre, wählten die Bezirksbehörden. Staatsverwaltung: Die gesetzgebende u. aufsehende Gewalt übt ein jährlich zwei Mal zu Weinfelden u. Frauenfeld ordentlicher versammelter Großer Rath, dessen Mitglieder (auf je 220 stimmberechtigte Cantonseinwohner kommt ein Mitglied), aus den Stellvertretern des Volkes gewählt, alle 3 Jahre erneuert werden. Er entscheidet über Gesetzvorschläge, Organisation der Verwaltung u. des Staatshaushaltes, Ernennung u. Instruction der Tagsatzgesandten, Begnadigung, Krieg u. Frieden, Staatsbündnisse u. Bundesangelegenheiten; ernennt die Mitglieder des Regierungsrathes, der höhern Gerichts- u. Militärbehörden. Die höchste Vollziehungs- u. Verwaltungsbehörde ist ein Regierungsrath, bestehend aus sieben Mitgliedern (inbegriffen den Director der Staatskanzlei), welche in derselben Zeit wie die des Großen Rathes erneuert werden, u. deren Präsident für die Dauer eines Jahres ernannt wird. Derselbe darf bei außerordentlichen u. gefahrdrohenden Zeitumständen außerordentliche Maßnahmen ergreifen, ist aber gehalten dem Großen Rathe davon Rechenschaft abzulegen, überhaupt demselben alljährlich u. so oft es derselbe verlangt Bericht über seine Amtsführung zu erstatten. Der erste Vollziehungsbeamte des Bezirks ist der Bezirksstatthalter für die Dauer von 3 Jahren erwählt, welchem auch die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit u. der polizeilichen Ordnung obliegt. Jeder Bezirk hat einen Bezirksrath, bestehend aus dem Statthalter als Präsident u. zwei Mitgliedern, welchem die nächste Aufsicht über die Besorgung des Notariats-, des Vormundschafts- u. Armenwesens u. über die Verrichtungen der Gemeindeverwaltungen zusteht. Gerichtsverfassung: Die erste Instanz für Rechtssachen von geringerem Werth bildet in jedem Kreise ein für 3 Jahre ernannter Friedensrichter u. ein collegial eingerichtetes Kreisgericht; über demselben steht als zweite Instanz, an welche wider die Entscheidungen der Friedensrichter u. Kreisgerichte recurrirt u. appellirt werden kann, u. zugleich als erste Instanz für die wichtigeren Processe für jeden Bezirk ein Bezirksgericht u. über diesem wieder als Cassationsinstanz das aus 11 vom Großen Rath auf 6 Jahre gewählten, jährlich zu einem wiederwählbaren Dritttheil austretenden Mitgliedern gebildete Obergericht. Für wichtigere Criminalsachen wurden außerdem im März 1852 Geschwornengerichte eingeführt. Ein neues Strafgesetzbuch erschien 1841, das Civilrecht beruht zum großen Theil noch auf alten Statuten, gesammelt von Fr. Ott. Jeder Gemeinde steht ein gewählter Ortsvorsteher vor; die Ortsgemeinden bilden verbunden Municipalgemeinden, welcher ein Gemeinderath aus wenigstens fünf Mitgliedern vorgesetzt ist u. welcher auch Generalversammlungen berufen kann. Die Vertheilung der Rathsstellen unter die verschiedenen Confessionen ist eine bestimmte. Ein Kirchenrath (aus beiden Confessionen gewählt u. aus je fünf Mitgliedern bestehend) hat die Aufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten, ein Erziehungsrath von fünf Mitgliedern leitet die Schulangelegenheiten. Außerdent übt ein Sanitätsrath von fünf Mitgliedern die oberste Aufsicht über das Gesundheitswesen des Cantons. In den Schweizer Nationalrath sendet der Canton vier, in den Ständerath zwei Mitglieder. Das Geldcontingent beträgt 44 Rappen per Kopf; das Mannschaftscontingent an Infanterie 27 Compagnien mit 3146 M., an Scharfschützen 300 M., an Cavallerie 137 Dragoner, an Artillerie 255 M. u. 64 M. Packtrain, 120 Trainpferde, 4 Sechspfünderkanonen u. 2 24pfündige Haubitzen. Wappen: ein von Silber u. grün schräg getheilter Schild, in jedem Felde schreitet ein silberner Löwe aufrecht vor. Hauptort: Frauenfeld (s.d.). Münzen, Maße u. Gewichte. Man rechnet jetzt (seit 1850) im Canton T. wie in der ganzen Schweiz (s.d. S. 629) nach Franken des französischen Münzfußes (8 Sgr.); früher nach Gulden zu 60 Kreuzer à 4 Angster od. Pfennige im ungefähren Werthe des 241/2 Guldenfußes od. nach Schweizer-Franken zu 10 Batzen à 10 Rappen. Geprägte Münzen hat der Canton nur Scheidemünze in Billon zu 5,1 u. 1/2 Batzen u. Kreuzer. Maße u. Gewichte sind die allgemein Schweizerischen (s.u. Schweiz S. 629), Als alte Längenmaße waren die von Appenzell u. St. Gallen (s. b.) gebräuchlich. In Frauenfeld hielt das Viertel à 16 Mäßlein, für glatte Frucht 24,7, für rauhe Frucht 28,:1 Liter; der Eimer hat 32 Maß à 1,59683 Liter. Das alte Gewicht wie in Appenzell. Vgl. Geographisch-statistische Darstellung des Cantons T., Zürich 1811; Tageblatt u. Beschlüsse u. Decrete des Cantons T., Frauens. 180312, 10 Thle.; Officielle Samml. der Gesetze u. Verordnungen für den Canton T., ebd. 1817; Krapf, Geschichte der Strafrechtspflege in der Landvogtei T. vom J. 1417 bis zum J. 1798 in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Bd. 4, S. 7 ff.; C. Widmer, Beitr. zur Thurgauischen Rechtspflege, 1843, 44, 2 Bde., u. Desselben Thurgauische Straffälle, Zürich u. Frauenfeld 1846, 1 Bd.
T., als Gau, zu welchem ehemals noch das ganze Gebiet von Zürich, die Grafschaft Baden, die alte Landschaft der Abtei St. Gallen, Toggenburg u. Appenzell gehörten, war in den mittlern. Zeiten ein Theil des Herzogthums Alemannien, von welchem es Kaiser Heinrich IV. absonderte u. dem Hause Zähringen schenkte. Nach der Erlöschung desselben 1218 kam T. an das gräfliche Haus von Kyburg u. von diesem durch Erbschaft an die Grafen von Habsburg u. das von demselben abstammende Haus Österreich. 1417 verpfändete Kaiser Sigismund das Landgericht T. um 3100 Fl. an die Stadt Constanz. Die Oberherrschaft über T. verlor Österreich 1460, wo sich die Eidgenossen, Bern ausgenommen, vom Papst Pius II. bewegen ließen den Herzog Sigismund von Österreich anzugreifen u. demselben T. zu entreißen, worauf das Land von den alten Cantonen gemeinschaftlich regiert wurde. In dem, den Schwabenkrieg endigenden Baseler Frieden von 1499 traten Kaiser Maximilian I. u. die Stadt Constanz den sieben regierenden Cantonen u. den Ständen Bern, Freiburg u. Solothurn das Landgericht u. die Vogtei Frauenfeld[562] ab u. 1712 endlich erhielt in dem, auf den zweiten Toggenburger Krieg folgenden u. mit fünf katholischen Ständen geschlossenen Frieden von Aarau, Bern die Mitregierung über T., doch so, daß Glarus in seinem Recht aller 14 Jahre einen Landvogt dahin zu bestellen verblieb. Das Land war damals in das obere u. untere T. getheilt; die Landvögte, welche je 2 Jahre regierten, residirten zu Frauenfeld. Sie hatten ein Landgericht von 12 Richtern unter dem Landamman, welches im Namen der zehn Stände gehalten wurde, aber seit 1712 nicht in Criminalfällen richtete. Während bei Verwandelung der Schweiz in die Helvetische Republik 1798 T. einen der 18 Cantone derselben bildete, trat er 1803 bei Einführung der Mediationsverfassung in die Rechte eines selbständigen Cantons ein. Am 14. April 1831 erhielt T. eine neue Verfassung. Die Schweizer Religionswirren veranlaßten auch in T. vielfach verwickelte Verhandlungen. An der Badener Conferenz 1834 nahm T. entschieden Theil, in der Klosterfrage nahm es eine feste Haltung ein u. erklärte sich gegen die Berufung der Jesuiten. Bei Lösung der Klosterfrage entspann sich ein Streit über die Vertheilung des Paradenser Fonds, welcher dadurch erledigt wurde, daß der Große Rath im Juni 1840 den Beschluß faßte, daß die noch übrigen Fonds unter Staatsverwaltung bleiben, die Zinsen aber unter die Schulgemeinden vertheilt, od. auf andere Weise zur Unterstützung des Elementarschulwesens benutzt werden sollten. Viel Unannehmlichkeiten zog der Aufenthalt Louis Bonapartes (nachherigen Kaisers Napoleon III.) auf dem Gebiet T-s zu. Als Frankreich dessen Ausweisung verlangte, wies der Gesandte von T. auf der Tagsatzung 1838 nicht nur nach, daß der Prinz Schweizer Bürger sei (die Gemeinde Salenstein hatte ihm bereits 1832 das vom Großen Rath bestätigte Bürgerrecht ertheilt), sondern sprach auch mit Energie gegen Frankreichs Forderung u. blieb dabei, nachdem die Tagsatzung die Note des französischen Gesandten von Montebello an T. eingesendet hatte u. als selbst noch Österreich, Preußen, Rußland u. Baden die Forderung Frankreichs unterstützten, bis endlich die Sache, als Frankreich an der Schweizer Grenze Truppen sammelte, durch des Prinzen freiwilliges Verlassen der Schweiz beigelegt wurde. Im Sonderbundskriege (s.u. Schweiz S. 655) stand T. auf Seite der Eidgenossenschaft.
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