Glocke

[411] Glocke (ein deutsches Wort, welches schon althochdeutsch glokka, nordgermanisch klucka lautet u. wahrscheinlich mit chlochon, d.h. schlagen, zusammenhängt; es ist auch ins Mittellateinische als clocca übergegangen), 1) metallenes, oben einem abgerundeten Kegel gleichendes, unten ausgeschweiftes Werkzeug u. Geräth, der untere stärkste Theil der G., an welchen der Klöppel schlägt, heißt Kranz (Schlag), über dem Kranze ist die Schweifung, welche nach u. nach an Stärke abnimmt, oben ist die Haube u. auf derselben die Henkel. Die G-n dienen dazu, durch Daranschlagen mit einem eisernen Klöppel einen starken Schall hervorzubringen, u. werden besonders, auf Thürmen aufgehängt, gebraucht, um zu kirchlichen Feierlichkeiten einzuladen, Feierlichkeiten mit ihrem Schalle zu begleiten u. Feuersignale zu geben, überhaupt Sturm zu läuten, od. als Schlagglocken die Stunden anzugeben. Der Glockenklöppel, ein eiserner Klöppel, ist mittelst des Glockenriemens in der Mitte der G. an dem Hängeeisen (einem eisernen, beim Gießen der G. darin befestigten Ring) angehängt;[411] da wo er an den Kranz schlägt, hat er einen Kopf. Man rechnet auf 1 Centner Glockengewicht 4 Pfund Klöppelgewicht. Die kleinsten G-n für den Kirchengebrauch wiegen wenigstens 1/2 Centner. Von der Menge des Metalls hängt die Stärke des Tons, von der Form der G. die Tiefe desselben ab. Sollen mehrere G-n zusammenpassen od. ein harmonisches Geläute geben, so müssen die Töne der einzelnen G-n einen Accord bilden u. von gleichmäßiger Stärke sein. Die G-n eines guten vierstimmigen Geläutes geben den Grundton, die Terz, Quart u. Octav an. Ihre Durchmesser verhalten sich wie die Zahlen 2,13/5, 11/3, 1, ihre Gewichte nahe wie 8, 41/10, 21/10, 1. Den größten Durchmesser besitzt die G. an ihrer Mündung u. die größte Metallstärke an dem Schlage od. Kranze. Die Dicke am Schlage ist in der größten Weite 15 Mal u. in der Höhe 12 Mal enthalten. Die G-n werden aus Glockenspeise, einer Metallmischung gewöhnlich von 1 Theil Zinn, 3, 5 od. 10 Theilen. Kupfer, gegossen, das gewöhnliche Verhältniß ist 4 Theile Kupfer u. 1 Theil Zinn. Die Glockengießer ziehen dies Verhältniß vor, weil sich eine solche G. weicher u. leichter läuten läßt. G-n aus Eisen gegossen haben einen dumpferen Ton; Beimischung von etwas Zink od. Wißmuth zur Glockenspeise macht den Ton heller, aber auch das Metall spröder, doch darf die Glockenspeise spröder sein, als das Kanonenmetall. Die sogenannten Silberglocken, wo viel Silber zu der Glockenspeise beigemischt sein soll, sind wohl größtentheils, wie auch chemische Untersuchungen zeigten, Fabel; so wurde die große G. von Rouen eine Silberglocke genannt, als sie aber eingeschmolzen u. ein Stück davon untersucht wurde, fand sich keine Spur von Silber, wohl aber eine besonders große Menge Zinn. Der Glockengießer, welcher zu den Rothgießern gehört, sich aber ausschließlich mit Verfertigung von G-n beschäftigt, bisweilen auch zugleich Stückgießer ist, verfährt auf ähnliche Weise wie der Bildgießer (s. Bildgießerkunst), doch einfacher. Die Glockenform verfertigt er in der Dammgrube vor dem Gießofen. Der Kern, der so groß ist, wie der innere Raum der G., wird von Stein aufgemauert u. mit Lehm überstrichen. Auf dem Kern wird die Dickte gelegt, welche die Größe u. Gestalt der G. hat; soll die G. Schrift od. Verzierungen bekommen, so werden diese von Wachs gebildet u. auf der Dickte befestigt. Über die Dickte kommt der Mantel (Hemd), ebenfalls von Lehm u. durch eiserne Bänder zusammen gehalten, oben mit einem trichterförmigen Gießloch versehen. Um Kern u. Dickte ganz rund zu machen, ist in der Mitte der Dammgrube auf einem hölzernen Pfahle eine drehbare Spindel mit Armen od. Scheren angebracht, in welche die Glockenschablone geschraubt wird. Die Schablone muß nach Erfahrung u. Berechnung aus einem Brete geschnitten werden; beim Herumdrehen wird mit derselben die Form glatt gestrichen. Die fertige Glockenform wird mit darunter angebrachtem Feuer ausgetrocknet, dann der Mantel abgehoben, die Dickte abgeschlagen u. der Mantel wieder über den Kern gesetzt u. gehörig verstrichen. Das Schmelzen des Metalls in dem Gießofen dauert nach Verhältniß der Masse, denn es werden immer mehrere G-n auf einmal gegossen, ein od. mehrere Tage ununterbrochen fort. Werden die Windpfeifen (Pfeifen) des Gießofens gelb od. bräunlich, so ist das Metall zum Gusse geschickt, u. es wird nun untersucht, ob die Mischung richtig getroffen war. Man schöpft etwas Metall in eine kleine Form, kühlt es mit Wasser ab u. zerschlägt das Stück; zeigt der Bruch zu große Zacken, so muß Zinn, zeigt er kaum bemerkbare Zacken, so muß Kupfer zugeietzt werden. Ist die Mischung gut, so wird der Ofen abgestochen u. das Metall in die nächste, wenn diese gefüllt ist, in die folgende Form gelassen. Die gegossene G. erkaltet in 24 Stunden, wird ausgegraben, der Mantel zerschlagen u. die G. aus der Dammgrube in die Höhe gewunden. Um das Springen derselben zu verhüten, das dadurch entsteht, daß der Schlaghammer nur auf eine Stelle schlägt u. daselbst eine Vertiefung macht, muß man sie so hängen, daß man sie in kurzen Zwischenräumen drehen u. so die Stelle, wo Hammer u. Klöppel auffallen, verändern kann.

Die G-n sind eine Erfindung der christlichen Kirche. Früher rief man durch Boten zum Gottesdienst zusammen, od. gab durch Blasen mit der Tuba od. durch Schlagen auf ein hölzernes Bret, od. eine Tafel (Semantron od. Semanterion) das Zeichen; ähnlich bediente sich die Griechische Kirche schwebender eiserner Stangen (Hagiosidera [heiliger Eisen]), wie auch noch jetzt in der Türkei u. überhaupt schon seit längerer Zeit hier u. da auch in Europa, in England u. Deutschland, wo man sich richtig abgestimmter Stahlstäbe bedient, die mit hölzernen Hämmern angeschlagen werden. Die Erfindung der G-n soll aus den, schon den Römern bekannten Klingeln (Tintinnabula) in vergrößertem Maßstabe entstanden u. von dem Bischof Paulinus von Nola in Campanien, welcher gegen Ende des 4. Jahrh. lebte, erfunden u. daher die G-n auch Campanae genannt worden sein. Indeß bei der Beschreibung der Kirchen in den Schriften des Paulinus wird der G-n nicht gedacht, u. anstatt daß der lateinische Name Campana von dem Lande der Erfindung herzuleiten ist, kommt er wahrscheinlich von dem, schon bei Plinius bekannten Aes campanum, woraus sie gefertigt waren. Die ersten noch ziemlich kleinen G-n brauchte, nach Polydrus Vergilius, zum Gottesdienst zuerst Papst Sabinianus 604, aber 610 waren an der Stephanskirche in Orleans schon so respectable G-n, daß durch deren Klang der Bischof das königliche Heer in Staunen setzte u. zur Flucht zwang. Die Verbreitung der G-n erfolgte von Gallien aus durch Karl den Großen in den von ihm eroberten Ländern; eine berühmte G. war im Dom zu Aachen, welche der gallische Mönch Tancho verfertigt hatte. In die Morgenländische Kirche kamen die ersten G-n gegen das Ende des 9. Jahrh., indem der Herzog Ursus von Venedig dem Byzantinischen Kaiser 12 große G-n für den Thurm an der Sophienkirche in Constantinopel schenkte. Doch wurde der Gebrauch der G-n in der Morgenländischen Kirche durch den Islam verhindert, u. es wurde dort wieder das Hierosideron od. Semantron (s. oben) gebraucht. In Rußland hat man G-n, aber sie hängen dort still u. werden mit dem Hammer angeschlagen. Die G-n hingen Anfangs auf einem von der Kirche abgesonderten thurmartigen Gerüst (Campanile, russisch Kolokolnik), wie noch jetzt vielfach in Schweden Glockstapel); später wurden sie an die Kirchen als Thürme angebaut. Die G-n sind gewöhnlich in einem besonderen, zur Verbreitung des Tons nach allen Seiten mit Schalllöchern[412] versehenen Behältniß angebracht (der Glockenstube), wo die G-n an einem hölzernen Gerüste Glockenstuhl), welches aus zwei Wänden von Schwellen, Säulen, Riegeln, Blattstücken u. Schwungstreben besteht (alles von Eichenholz) befestigt sind. Sie hängen hier an der Glockenwelle (Wolf), einem starken Stück Holz, woran die Henkel der G. mit eisernen Schienen u. Ringen befestigt sind. Da sich die Welle beim Schwunge der G-n drehen muß, hat sie eiserne Zapfen, welche in messingenen Pfannen laufen. Die G-n werden an dem in der Glockenwelle befestigten Glockenschwengel, einem langen, starken, horizontalen Holze, an welchem ein Seil, Glockenseil, befestigt ist, gezogen, od. die G-n werden getreten, wozu an der Glockenwelle 2 bis 4 hervorragende Tritte angebracht sind, u. wobei die Läuter auf den Holmen des Glockenstuhls stehen. Schon vor Karl dem Großen weihte man die G-n mit mancherlei Ceremonien ein (Glockenweihe). Man wusch sie mit Weihwasser, sprach den Exorcismus über sie, um sie dem Einflusse böser Dämonen zu entziehen, gab ihnen seit dem 10. Jahrh. einen Namen, salbte sie, rief Zeugen zur Weihe u. sprach Segensformeln, fast wie bei der Taufe (daher Glockentaufe). Später entstand der Glaube, daß Glockenläuten Ungewitter entferne u. daß die Erschütterung der Luft dieselben zertheile. Darum läutete man sie bei Gewittern. Der Gebrauch der G-n ist an die Befugniß geknüpft, öffentliche Gottesverehrungen halten zu dürfen, er ist daher in einigen Ländern denen verwehrt, welche nur geduldete Parteien sind u. blos Bethäuser, aber keine eigentlichen Kirchen haben. Während der Belagerung schweigen alle öffentlichen G-n u. Uhren (Glockenstillstand), um zu vermeiden, daß etwa den Belagerern Zeichen damit gegeben werden könnten. Die G-n stehen unter der Aufsicht des Glöckners (Kirchner, Campanarias, Campanator); auf dem Lande sind sie der Sorge der Schullehrer (Küster) mit anvertraut, wofür diese an manchen Orten Brod (Glockenbrod) od. Getreidegarben (Glockengarben) bekommen. Die größten G-n sind in Moskau, 4320 Centner schwer, 64 Fuß Umfang, 2 Fuß dick, 20 Fuß hoch (diese G. zerbrach bei einem Brande 1737 u. liegt jetzt halb in die Erde versunken), in der Westminsterabtei in Lond on 330 Centner (22 Theile Kupfer u. 7 Theile Zinn), in Paris 340 Centner, in Wien 354 Centner, in Erfurt 275 Centner, in Toulouse 550 Centner, in Mailand 300 Centner schwer. Vgl. Roujoux, Der künstliche Glockengießer, Augsb. 1766; J. G. Hahn, Campanalogie etc., Erf. 1802; Eggers, De origine et nomine campanarum, Jena 1684; Derselbe, De campanarum materia et forma, ebd. 1685; Wallerius, De campanis, Stockh. 1694; Hilscher, De campanis templorum, Lpz. 1692; Thiers, De clôches, Par. 1719; Irenäus Montanus, Historische Nachricht von G-n, Chemn. 1726; Chrysander, Historische Nachricht von Kirchenglocken, 1755; Launay, Der vollkommene Glockengießer, Lpz. 1834; Harzer, Die Glockengießerei, Weim. 1854; Otto, Glockenkunde, Lpz. 1857. 2) (Rothg.), kleinere G-n von mehr breiter Gestalt, 1–4 Zoll u. mehr im Durchmesser, wie sie in den Schlaguhren u. Glockenspielen gebraucht werden. Die schweizerischen Uhrglocken werden am meisten geschätzt, bestehen aus einer Mischung von 3 Theilen Kupfer u. 1 Theil Zinn, u. sind äußerst spröde sehr klingend u. von fast weißer, etwas ins Grau u. Röthliche spielender Farbe. Das Formen dieser G-n geschieht in Sand; 3) Theil des Haurappiers, s.u. Fechtkunst II. A); 4) (Jagdw.), so v.w. Glockengarn.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 411-413.
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